Reise nach Småland

Donnerstag morgen kurz vor acht. Ich sehe zum hundertsten Mal auf die Uhr und warte auf Ralph. Um Punkt acht höre ich den vertrauten, leise säuselnden Klang seiner Honda 750 Magna. Noch eine kurze Besprechung, Regenklamotten ja oder nein und dann endlich geht es los und wir starten zu unsere Schwedentour.

Meine Yamaha TT600R hat die Nacht bereits vollgepackt und vor allem vollgetankt in der Garage verbracht. Wobei vollgetankt nicht viel heißt. Der Tank fasst genau 10 Liter, so dass man sich keine Gedanken um lange Etappen ohne Pause zu machen braucht. Schade, dass Ralph und ich beide Nichtraucher sind, denn meine Yamaha hätte uns jede Menge Rauchpausen beschert.

Sven auf Yamaha TTR
Meine TTR600 am Abend vor der Tour

Wir fahren von Trappenkamp aus direkt zum Fährbahnhof Puttgarden auf der Insel Fehmarn. Die Strecke über Plön ist wirklich wunderschön und wir haben Gelegenheit uns langsam an das Fahren mit Urlaubsgepäck zu gewöhnen. Ralph hat einfach sein bewährtes Givi-Koffersystem montiert und kommt mit dem Platz prima aus. Da wackelt nichts, da steht nichts über. Ich hingegen habe auf meiner TT das winzige Problem, ohne Gepäckträger zu reisen. Das Ortlieb Rackpack habe ich einfach hinter mir auf die Bank geschnallt. Die Tasche in der Größe XL ist wirklich groß, wie sich immer deutlicher herausstellt: viel zu groß. Vor mir auf dem Tank türmt sich der ebenfalls völlig überdimensionierte Tankrucksack. Eigentlich ganz toll, bloß wie komme ich auf die Sitzbank? Aufsteigen ist nur über den Seitenständer möglich, na Hauptsache er hält.

Auf dem Weg zur Fähre sehen wir misstrauisch nach oben, der Himmel sieht gar nicht gut aus. In Puttgarden haben wir das große Glück ohne Wartezeit direkt auf die Fähre nach Dänemark zu rollen. Wir brüllen Leinen los und kurz danach schließen sich auch die gewaltigen Schiffstore wie auf unser Kommando. An Bord stehen die Maschinen im Gang seitlich neben den Autos. Mit großen Tampen müssen wir die bepackten Bikes an eigens dafür angebrachten Verzurrösen festmachen. Wir geben uns dabei auch große Mühe, um keinen Umfaller auf See zu riskieren.


Die Fähre der Vogelfluglinie Puttgarden - Rödby

Die Überfahrt dauert nur 45 Minuten. Inzwischen hat sich das Wetter gewandelt und es schüttet wie aus Eimern. Die letzte Viertelstunde verbringen Ralph und ich damit, unsere neuen Regenklamotten anzupellen. Meine Textiljacke und die Stiefel sind wasserdicht, so dass ich nur eine Regenhose und -handschuhe überzuziehen brauche.

Vorsichtig rollen wir über die große Rampe aus dem Schiffsbauch heraus. Bloß jetzt keine Unachtsamkeit, das nasse Metall ist gefährlich rutschig. Es erwartet uns das langweiligste und auch nervigste Stück der Reise, die 210 km lange Etappe über die Insel Seeland zur Schwedenfähre in Helsingör. Wir fahren über die Autobahn, weil es keine sinnvolle Alternativroute gibt. Lieber schnell durch und dafür mehr Fahrzeit in Schweden verbringen. Zuerst einmal wollen die Maschinen bei strömendem Regen und dichtestem Verkehr in Richtung Kopenhagen gelenkt werden. Ich bleibe die ganze Zeit mit 120 auf der linken Spur, während Ralph wie ein Pilotfisch unbeirrbar dranbleibt. Später kriege ich ein bischen Mecker von ihm, weil er bei dem Wolkenbruch mit seinem Visier kaum etwas sehen kann. Dabei hab' ich doch selbst kaum aus meinem Helm rausgucken können, viel zu zerkratzt war das völlig beschlagene Visier. Aber sollte ich das vielleicht zu meiner Entschuldigung vorbringen? Besser nicht. Ich beschließe das Thema zu wechseln und biete Ralph als Wiedergutmachung noch ein Würstchen an.

Bei unserer ersten Rast stellen wir fest, dass Raphs Regenjacke nicht einmal die 12,95 € wert ist, die er bei Louis dafür bezahlt hat. Die Nähte sind aufgerissen und die Jacke ist Schrott. Ralph beschließt die Jacke als Beweisstück mitzunehmen und Louis später zurückzubringen. (Hast du das eigentlich gemacht?)

Die Regenhandschuhe, die Ralph ebenfalls bei Louis für uns beide gekauft hat, sind jedoch ihr Geld wert. Sie halten dicht, auch wenn es ein sehr lenkerfremdes Gefühl ist, mit den dicken Gummifäustlingen zu fahren.

Kurz vor Kopenhagen bessert sich das Wetter zusehends und wir freuen uns bei Sonnenschein in Richtung Schweden zu rollen. Als nach insgesamt 310 km der Fährhafen von Helsingör auftaucht, haben wir bereits zum dritten Mal getankt. Die Magna hat einen 13 Liter Tank, ist jedoch viel sparsamer, als der 1-Zylindermotor der Yamaha. In Helsingör rollen wir in Richtung Fährhafen, als mir langsam ein verbrannter Geruch in die Nase steigt. Der Geruch ist eindeutig: die Smörebröds verbrennen ihre Winterreifen um endlich den Sommer zu begrüßen. Denke ich jedenfalls solange, bis ich bei einem Ampelstop Rauch von meinem Krümmer aufsteigen sehe. Eines der Spanngummis hängt vom Tankrucksack genau auf den Auspuff und schmilzt rauchend und stinkend dahin. Kein Problem, auch mit einem Spanngurt weniger kann der Tankrucksack nicht noch lockerer auf dem Tank aufliegen. Ich halte ihn ohnehin mehr mit den Oberschenkeln fest.

Unten am Hafen müssen wir eine Weile auf die Fähre nach Schweden warten. Wir stehen in der ersten Reihe und genießen die Sonne. Hinter uns kommt eine wild aussehende Rockergruppe aus dem Ruhrgebiet angerauscht. Alle mit dicken, alten Harleys und ganz in Leder. Wilde Typen mit langen Haaren und Tatoos. Ich bete, dass Ralph nicht gleich eine Hauerei anfängt, der guckt schon so.. </Spaß>


Ankunft der Fähre in Helsingborg, Schweden

Die Überfahrt nach Schweden dauert nur eine knappe Viertelstunde. Endlich in Schweden fahren wir auf direktem Weg aus Helsingborg heraus über die E4. Das kleine Stück Autobahn nehmen wir bei strahlendem Sonnenschein gerne in Kauf. Bereits nach wenigen Kilometern biegen wir ab auf die Landstrasse 21 und genießen die Fahrt durch die Wälder und entlang vieler für uns namenloser Seen.

Unser Tagesziel ist das Hätteboda Vildmarkscamping in der Nähe von Tingsryd. Wir haben noch ca. 160 km vor uns. Die Landstraßen abseits der E4 sind nur wenig befahren und so finden wir genau die Art Motorradfahren die uns soviel Spaß macht. Die Tachonadel pendelt irgendwo zwischen 90 und 100 während wir völlig entspannt, dabei neugierig nach links und rechts schauend durch das wunderschöne Schweden gleiten. Das Glücksgefühl ist überwältigend und so könnte ich stundenlang, tagelang so weiterfahren.

Leider hatten wir vergessen in Helsingborg zu tanken und, was noch schlimmer ist auch vergessen, Geld zu wechseln. Voller Euphorie und Euro-Arroganz sind wir nicht im entferntesten auf die Idee gekommen, irgendwo mit unseren schönen neuen Scheinen kein Benzin zu bekommen. An den Schweden liegt es jedenfalls nicht. Man findet eine Tankstelle in den allerkleinsten Ortschaften, nur leider die Tankautomaten: die kommen aus Japan und nehmen ausschließlich schwedische Kronen an. Da hilft kein Zureden..

Schließlich finden wir eine Tankstelle die noch mit Personal besetzt ist, wo wir mit meiner Mastercard noch einmal randvoll tanken können. Merke: In Schweden gibt es überwiegend Automatentankstellen ohne Bedienung, dafür findet man sie an jeder zweiten Milchkanne. Seitdem haben Ralph und ich immer ein paar 100-Kronen Scheine auf Tasche, wenn wir durch Schweden touren.

In Hässleholm finden wir einen Supermarkt, wo man ganz selbstverständlich auch mit Kreditkarte zahlen kann. So nutzen wir die günstige Gelegenheit und decken uns mit noch mehr Essen und Bölkstoff ein. Inzwischen habe ich sechs Halbliterdosen Warsteiner und weitere sechs Dosen Apfelsaft im Tankrucksack stehen. So ein Blödsinn, Schweden ist nicht teurer als zuhause und wir hätten alles hier kaufen können. Ralph hat zusätzlich einen Seitenkoffer voller Bitburger mit, na wenn das nicht reicht!


Ein echter Urwald der an manchen Stellen noch viel dichter und dunkler wächst

In der Nähe von Urshult biegen wir auf die Zufahrt zum Campingplatz ein. Zufahrt? Es ist eine fast 15km lange Schotterpiste durch dichten schwedischen Urwald. Mit der Enduro macht es Riesenspaß, über den groben Schotter zu heizen, die Staubwolke muss kilometerweit zu sehen sein. Für Ralph mit seinem schweren Cruiser ist es nicht ganz so vergnüglich, ein echter Crosser ist die Honda 750 Magna nicht. Trotzdem schlägt sich der alte Schwedenbiker ganz tapfer und wir erreichen schließlich das Wildniscamp. Zum Glück hatten wir vorne an der Straße das Schild "fullt" (se=voll) nicht gesehen, denn nach zähem Verhandeln, oder eher Betteln bekommen wir doch noch einen Zeltplatz zugewiesen.

An dieser Stelle muss ich euch unbedingt mehr erzählen über diesen sagenhaften Campingplatz, der eigentlich keiner sein will. Der Platz liegt mitten im Urwald direkt an mehreren Seen und einem Moor. Es gibt keinen Strom, keinerlei Platzbeleuchtung, absolut keinerlei Comfort und überhaupt nichts, dass das Leben auf "guten" Campingplätzen sonst so unerträglich ätzend und spießig macht. Es ist wie Wildcamping mit Toilettenhäuschen, Dusche und Sauna. Ja, Sauna und Duschen, ihr habt richtig gehört. Nur dass man das Holz für die Sauna selbst hacken und anzünden muss und das Duschwasser aus 80 m Tiefe vorher selbst in die großen Wassertanks zu pumpen ist. Die Tanks liegen auf dem Dach des Duschhauses und versuchen völlig vergeblich, das felskalte Wasser von +4°C auf menschenwürdige Temperatur zu erwärmen. Der Preis für das Duschen beträgt genau 50 Schlag an der Pumpe, um das verbrauchte Wasser auf dem Dach zu ersetzen.

Dafür gibt es auf dem ganzen Platz verteilt große Feuerstellen mit Grill, an denen sich jeder selbst ein Feuer machen kann. Das Brennmaterial dazu liegt auf dem Holzplatz kostenlos bereit, es muss nur gesägt und gehackt werden. Alle notwendigen Werkzeuge liegen dazu bereit. Die Benutzung der Sauna ist ebenfalls kostenlos, man kann anschließend von der Terasse dieses kleinen Pfahlbaus direkt in den See springen. Das Wasser ist angenehm warm im Juli 2003, so dass wir gerne und ausgiebig baden.


Die Sauna steht auf Pfählen im Zulauf zum See

Wohin mit den Nahrungsmitteln und den Getränken zum Kühlen? Strom gibt es nicht und somit auch keine Kühlschränke. Dafür gibt es mitten auf dem Platz einen alten Felsenkeller, der mit Schleusentüren versehen hinab in den Fels führt. Dort ist ein Raum mit derben Holzregalen, in dem es ganz überraschend kalt ist. Hier kann jedermann seine Vorräte lagern. Voller Vertrauen schleppen wir einen Teil unserer Vorräte in den Keller. Ralph hat aus völlig abstrusen Gründen irgendein neues Getränk in Dosen mitgebracht, es ist Cola und Bier gemischt. Warum er das Zeug gekauft hat, ist nach einem Schluck nicht nur mir, sondern auch Ralph selbst völlig schleierhaft. Ralph murmelt noch irgendwas von "..Krefelder..", aber da haben wir die Dose schon ausgeschüttet. Wenn mir noch einmal jemand amerikanische Zuckerbrause ins Bier schüttet, gibts richtig Ärger! Ekelig!


Der Felsenkeller in dem noch fünf halbe Liter Krefelder von uns stehen müssten

Falls ihr selbst einmal nach Hätteboda kommt, schaut doch bitte mal, ob im Felsenkeller noch fünf Dosen Krefelder im Regal stehen. Könnt ihr gerne trinken, die sind von uns :-)

Der Platz auf dem wir als letzte unser kleines Zelt aufschlagen durften, hat etwas Rustikales an sich. Er wird von Hunderten roter Waldameisen in Anspruch genommen, die sich aber von uns nicht weiter stören lassen. Ausserdem führt ein kleiner Trampelpfad direkt aus dem Wald über unseren Platz und verschwindet wenige Meter weiter im Unterholz. Den ganzen Tag über gehen Menschen mit Papier durch unser Camp, nicht ohne sich zu wundern, weshalb zwei Deppen ausgerechnet auf dem Trampelpfad zum Plumpsklo ihr Zelt aufschlagen. Wir fragen uns inzwischen dasselbe.

Merke: Während der schwedischen Sommerferien im Juli unbedingt Plätze reservieren, fast alle Campingplätze in Südschweden sind in dieser Zeit voll belegt.


Mitten auf dem Campingplatz nur wenige Meter von unserem Zelt

Den nächsten Tag verbringen wir mit einem langen Spaziergang durchs Unterholz am See entlang. Nachmittags schwimmen wir im See! Welch ein Sommer, das Wasser hat 22°! Wir liegen faul auf dem Schwimmfloß, bis wir so aufgeheizt sind, dass wir kaum zurück ins Wasser mögen. Abends sägen und hacken wir Holz, um eine geradezu unglaubliche Menge von Aldi-Bratwürsten zu grillen. Dazu teilen wir uns eine kleine Dose Bier, die inzwischen im Felsenkeller ganz angenehm kühl geworden ist. Nach vielen weiteren kleinen Dosen Bier gehen wir schließlich schlafen, nicht ohne uns darüber zu wundern, dass es überhaupt keine Mücken gibt. Trotz der Lage im Wald an einem See mit einem Moor: fast keine Mücken. Wirklich bemerkenswert, denn auf meiner letzten Schwedentour mit Dixon, ... aber das ist eine andere Geschichte.

Irgendwann ist aber auch dieser schöne Urlaub zu Ende und wir brechen auf in Richtung Heimat. Bevor wir Schweden verlassen, übernachten wir noch einmal auf einem kleinen Durchgangsplatz in der Nähe eines Vergnügungsparks. Der Platz wird von einem alten Herrn und seiner Tochter betrieben. Hier verblüffen uns die Schweden aufs Neue mit ihrer ungeheuren Freundlichkeit und Offenheit. Es ist mit 30°C brütend heiß, kein Lüftchen weht und Ralph und ich fangen schwitzend an unser Lager aufzuschlagen. Als ich hochsehe, um mir den Staub aus dem Gesicht zu wischen, traue ich meinen Augen kaum. Da kommt die kleine Camperstochter, vielleicht 18 oder 19 Jahre alt mit zwei eiskalten Dosen Bier auf uns zugestöckelt, die sie uns feierlich überreicht. Ich bin hin und weg von soviel Gastfreundschaft und bedanke mich überschwenglich. Als ich Ralph später auf diese ungewöhnliche Begegnung anspreche, bleibt er ganz cool und meint nur: "..keine Ahnung, ich weiß ja nicht, wie das sonst so ist auf schwedischen Campingplätzen."
Ich könnte ihn ermorden!

Die Rückfahrt am nächsten Tag verläuft recht ereignislos. Ausser dass mir kurz vor Malmö mitten auf einer großen Autobahnbrücke der Sprit ausgeht. Ihr könnt ja mal raten, ob es dort auf der Brücke einen Standstreifen gibt. Jedenfalls hat Ralph den Reservekanister aus dem Seitenkoffer gepuhlt, da bin ich noch nicht einmal ganz ausgerollt. Schon wenige Minuten später geht es mit frischem Sprit im Tank weiter in Richtung Malmö. Wir wollen über die berühmte Öresundbrücke fahren. Der Weg ist sehr beeindruckend, geht es doch über eine Kombination aus Brücke, unterseeischem Tunnel und einer künstlichen Insel ohne Zwischenstop von Malmö in Schweden rüber nach Dänemark.


Die Öresundbrücke bei nicht ganz untypischem Nordlandwetter

Wenige Stunden später sind wir wieder zu Hause ich lasse die Tour im Kopf noch einmal Revue passieren. Schweden ist einfach mein Traum Urlaubsland :-)


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Svenja Svendura EndurowandernMade by Svenja Svendura on Apple iMac with Panic Coda and Photoshop Elements.