Sommerreise Baltikum 2016
Litauen
Tag 1: Fähre Kiel - Klaipeda
Tag 2: Am Kurischen Haff
Tag 3: Silute - Jurbarkas
Tag 4: Raudone - Druskininkai
Tag 5: Grutas Park - Trakai - Moletai
Tag 6: Moletai - Kurtuvenai
Tag 7: Berg der Kreuze
Tag 8: Kurtuvenai - Pukarags
Lettland
Tag 9: Liepaja - Ventspils
Tag 10: Kurland
Tag 11: Riga - Gauja Nationalpark
Tag 12: Burg Cesis
Estland
Tag 13: Cesis - Peipussee
Tag 14: Kallaste - Mustvee - Vaikla
Tag 15: Narva - Silamäe - Saka
Tag 16: Kohtla-Nömme - Paunküla
Tag 17: Rapla - Lihula
Tag 18: Lihula - Saaremaa
Tag 19: Burg Kuressaare
Tag 20: Halbinsel Sõrve
Tag 21: Kuressaare - Saue
Tag 22: Tallinn - Helsinki
Tag 23: Heimkehr und Fazit
Platzhalter Motorradreise Baltikum
Platzhalter Fährschiff in Kiel
Platzhalter Bordkarte
Platzhalter Kabinenplan
Platzhalter


Svenja und Pieps gehen an Bord...

Es ist großartig, in einer Hafenstadt wie Kiel zu wohnen. In Hörweite vor meinem Balkon legen Schiffe nach Oslo, Göteborg und Klaipeda ab. Andernfalls wäre ich wohl kaum auf die Idee zu dieser Reise gekommen: Heute Abend fahren Pieps und ich mit Enduro, Zelt und Schlafsack auf der Athena Seaways nach Litauen. Die Fahrt über die Ostsee nach Klaipeda dauert ungefähr einen Tag.

Motorrad mit Gepäck Campingausrüstung

Es sind sonnige 26°, als ich das Motorrad vor dem Terminal von DFDS Seaways abstelle. Ein herrlicher Tag. Greeny, meine leichte KLX250 Enduro, steht mit neuen Reifen und frischem Öl funkelnd in der Sonne, während ich in die Schalterhalle zum Check-in gehe.

DFDS Seaways Terminal Kiel

Sämtliche Schalter der DFDS-Seaways sind geöffnet, Stimmengewirr erfüllt das Terminal und Dutzende Menschen warten auf die Abfertigung. LKW-Fahrer stehen in kleinen Gruppen beisammen, Ehepaare in Sandalen und Gürteltaschen kleben ängstlich aneinander und eine Handvoll Biker besetzt die komplette Stuhlreihe am Fenster, schwitzt leise vor sich hin und tut so, als ginge sie das alles nichts an.

Ich brauche einen Moment, bis ich merke, dass ich eine Nummer aus dem Automaten ziehen muss. A127 steht auf dem Ausdruck und ich starre auf den Bildschirm, bis die Nummer auf dem Display erscheint.

DFDS Seaways Terminal Kiel

Als ich an der Reihe bin, zeige ich meinen Ausweis und den Ausdruck der Internet­buchung. Während die Frau am Schalter eine Bordkarte ausstellt, betrachte ich nachdenklich das Schild mit dem Waffenverbot an Bord. Für einen Moment überlege ich, ob ich das Camping­messer angeben muss, aber solche sind sicher nicht gemeint.

Die Bordkarte mit dem braunen Magnet­streifen auf der Rückseite dient zugleich als Kabinen­schlüssel. Deck: 6, Number: 6138 steht darauf, das ist meine Kabine.

Vor dem großen Tor zum Kai wartet inzwischen ein gutes Dutzend Biker auf das Boarding. Ich stelle mich hinter zwei BMW aus Holland auf. Er 1600 Kubik, 6 Zylinder, Sie 800 Kubik, 2 Zylinder. Wie immer.

DFDS Seaways Terminal Kiel

Das Boarding beginnt. Ein Follow-Me-Car von DFDS Seaways fährt mit gelber Warnleuchte voraus, dahinter ich in einer Kolonne aus Motorrädern, Autos und Wohnmobilen. Allzu leicht verirrt man sich sonst zwischen abgestellten Containern, Ladebrücken, LKW und Kränen, denn das Schiff ist erst zu sehen, wenn man bereits fast davor steht.

Über eine Rampe werden wir auf das obere Autodeck der Athena Seaways gelotst. Der blanke Stahl mit seiner geriffelten Oberfläche lässt das Motorrad leicht schlingern, als ich im 1. Gang langsam die Verladerampe hochfahre.

"Gas geben, bloß nicht stehen­bleiben!", rufe ich in Richtung der Maschine vor mir, die nur zögerlich die steile Rampe hochtuckert.

Motorrad fährt auf eine Fähre

Für Motorräder sind auf diesem Schiff keine besonderen Stellplätze vorgesehen. Während wir sonst in irgend­welchen Seiten­nischen sauber wegge­parkt werden, stehen wir diesmal quer auf der LKW-Spur. Greeny parkt nur wenige Zentimeter vor der Stoßstange eines gewaltigen SCANIA Trucks.

Das Verzurren der Maschinen wird auf dieser Passage von den Leuten der Decks Crew erledigt. Ein seltener und hoch willkommener Service, doch als ich dem jungen Afrikaner bei seiner Arbeit zusehe, verlässt mich das Vertrauen. Ich besorge mir selbst einen Spanngurt und nehme ihm die Arbeit ab. Andere tun es mir gleich.

Die große Leistung besteht darin, sich zu merken, wo das eigene Motorrad steht. Kaum eine Ankunft, ohne dass irgend­jemand in panischer Eile die Decks nach seinem Fahr­zeug absucht. Ein Fährschiff dieser Größe ist ein wahres Labyrinth aus Niedergängen, Decks und Schotts und ich erinnere mich noch, wie ich einmal verschwitzt und mit knallrotem Kopf mein Motorrad gesucht habe.

Ich präge mir die Aufschrift auf dem Schott genau ein: CarDeck C3. Die Nieder­gänge, wie Treppen an Bord eines Schiffes genannt werden, sind schmal und eng. Ich nehme nur den Tankrucksack mit. Da ist alles drin, was ich an Bord brauche. Die Fahrzeugdecks sind während der Überfahrt verschlossen, weshalb es Unsinn ist, seinen Helm und andere Besitztümer mit in die Kabine zu schleppen.

Mir ist widerlich, schwitzig warm in den Motorradsachen, als ich drei Decks weiter oben endlich vor meiner Kabine stehe. Ich nestele die Bordkarte aus der Tasche und stecke sie ins Schloss. Eine rote LED blinkt einmal kurz auf und die Tür bleibt zu. Die Karte funktioniert nicht. Ich muss wieder nach unten zum Information Desk.

"Entschuldigung, darf ich mal? Verzeihung," arbeite ich mich gegen den Strom der Mitreisenden den schmalen Niedergang wieder runter auf Deck 4, wo der Schlüsselmeister hinter dem Tresen der Rezeption steht. Er trägt eine Uniform, die einem Konteradmiral Ehre machen würde. Mit einem knurrigen "Key doesn't work", lege ich meine Bordkarte auf den Tresen. Wortlos reicht er mir eine weiße Plastikkarte. Wie sich herausstellt, braucht man auf diesem Schiff eine extra Schlüsselkarte.

Das Reisen mit DFDS Seaways steht immer auch für ein gewisses Maß an Chaos, denn natürlich funktioniert auch diese Karte nicht. "Entschuldigung, Verzeihung. Darf ich mal?!" Mein Konteradmiral hatte vergessen, die Karte zu programmieren.

Schiffskabine

Beim dritten Versuch öffnet sich die Tür zu Cabin 6138 und gibt den Blick auf zwei Kojen, einen Nachttisch, das Fenster und ein sehr schönes Bad frei. Die Klimaanlage trompetet mit hoher Kraft kühle Luft von der Decke. Das tut gut, mir ist so warm. Ich drehe den Schalter auf die kälteste Stufe, ziehe die Motorradsachen aus und lege mich für einen Moment in die Koje.

Endlich an Bord. Jetzt brauche ich nichts weiter zu tun, als Bier zu trinken, zu warten, am Buffet teilzu­nehmen, noch ein Bier zu trinken, zu schlafen und den nächsten Tag abzu­warten. Morgen am späten Nachmittag werden wir Klaipeda erreichen.

Diese Fährlinie ist eine wichtige Verkehrs­ader für den Güterumschlag mit Russland und dem Baltikum. Im Grunde ist die Athena Seaways eine reine LKW-Fähre. Den über­wiegenden Teil der Frachtmeter und Kabinenplätze belegen schwere LKW und ihre Fahrer. Wir Touristen kamen erst später dazu und waren bisher eher Beifang für die Reederei, auch wenn sich das allmählich zu ändern scheint, weil immer mehr Reisende das Baltikum für sich entdecken.

Ich stelle die Uhren im Handy und im Fotoapparat eine Stunde vor, denn an Bord gilt Litauer Zeit. Ebenso wie Finnland liegt das Baltikum eine Zeitzone östlich von Deutschland in UTC+3. Damit sind die Balten uns eine Stunde voraus.

Inzwischen bin ich soweit abgekühlt, dass ich meine Sachen wieder anziehen mag. Ich schnappe mir Pieps und gehe hinaus aufs Bootsdeck, wo zwei verwegen aussehende Biker an der Reling stehen, die mit wetter­gegerbten BMW R100GS an Bord gefahren sind.

Kiel Ostuferhafen

Während sich die Athena Seaways mit der erlaubten Höchstge­schwindigkeit von 10 Knoten, etwa 18 km/h, durch die Kieler Förde am Laboer Ehrenmal vorbei schiebt, beobachte ich aufmerksam das Ufer. Irgendwo dort am Falkensteiner Strand wollte Claudia stehen, um mit ihrer Leicaflex SL2 ein Foto von uns zu machen.

Svenja KLX250 Enduro Gepäck

Wir schauen genau in die untergehende Sonne und selbst Pieps mit ihren Adleraugen gelingt es nicht, Claudie zu entdecken. Ich starre noch eine Weile hinüber zum Strand, aber als das Schiff Kiel Leuchtturm passiert, wo die Förde allmählich in die offene See übergeht, gebe ich auf und gehe unter Deck. Es ist Zeit fürs Abendessen.

Auf dem Restaurantdeck hat sich vor dem Speisesaal eine lange Schlange gebildet. Ich stelle mich hinten an und zuckele halb­schritt­weise mit den Anderen nach vorne zu den Fleischtöpfen.

Restaurant Speisesaal

Das große Abendbuffet, das ich für Pieps und mich gebucht habe, entpuppt sich als eines zum Tablett durchschieben. Für jeden weiteren Gang muss man sich wieder hinten anstellen. Das kenne ich von STENA und Color Line anders, wo es hübsch aufgebaute Buffets mit vielen Speisen gibt.

Als die Dame vor mir beginnt, sich das Gemüse auf den Teller zu schaufeln, riskiere ich einen ersten Blick, um zu sehen, was es gibt. Die Stationen 1 bis 7 kann ich getrost auslassen. Gemüse, Süßes und Sättigungs­beilagen. Damit stopfen sie die Amateure, bevor weiter hinten das richtige Essen kommt. Es geht mal wieder los, denke ich seufzend.

Kantine Essenausgabe

Ich habe keine Lust, mich in 5 Minuten erneut anstellen zu müssen und nehme gleich etwas mehr. Zweimal den gedünsteten Kabeljau in Dillsauce, drei Rücken­koteletts mit Schwarte und die Grillrippchen in Estragon für Pieps. Keine Ahnung, was die kleine Maus in letzter Zeit mit Estragon hat.

Das Essen ist kein Markerschütterer, aber ganz in Ordnung, doch die Atmosphäre ist eher Kantine, als Buffet. Nein, morgen werde ich drüben im Bord­restaurant essen, wo die Tische mit weißer Wäsche eingedeckt sind. Dort sieht es gemütlicher aus.

Ich gehe kein zweites Mal zum Buffet und lasse sogar einen Rest Kabeljau übrig. Dieser Fisch ist mir zu trocken, ein typischer Kabeljau. Ich stelle das Tablett weg und gehe hinüber in die Bar. Mit einem Glas Bier setze ich mich in einen der bequemen Cocktailsessel und beschäftige mich mit meinem Moleskine.

Vor jedem Urlaub stelle ich Mutmaßungen zu meiner Reise und zum Gastland an und versuche vorherzusehen, wie es dort sein wird. Diese Gedanken – die hellen, ebenso wie die dunklen – schreibe ich fein säuberlich nieder, um sie später einmal mit dem Erlebten zu vergleichen.

In meiner leicht nach rechts geneigten Handschrift steht da:

Das wird sicher klasse:
- Skandinavien mit anderen Mitteln
- unberührte Landschaften, viel Natur
- Zeltplätze in schönster Lage
- viele Schlösser, Burgen und Gutshöfe in verschiedenen Stadien des Verfalls
- unzählige, interessante Fotomotive
- spannende Spuren der Sowjetzeit

Ich habe bloß Angst, dass…
- die Landschaft total eintönig und langweilig ist
- die Straßen immer nur öde geradeaus führen
- die Campingplätze postkommunistisch ätzende Plumpsklo Badeplätze sind
- ich dauernd Angst habe, beklaut zu werden
- die Menschen Ostblock unfreundlich sind
- saufende Russen auf Campingplätzen für Stress sorgen
- es insgesamt ein vertaner Urlaub wird


Hinter jedem Satz steht in roter Schrift: Und tatsächlich war es so: …

Dort, wo jetzt noch drei Punkte als Platzhalter stehen, werde ich in 23 Tagen mein Debriefing hinschreiben, wenn ich das Erlebte mit meinen Vorurteilen abgleiche. Brutal ehrlich und ohne die Political Correctness, die mir so verhasst ist. Nur dann ist solch ein Fazit hilfreich.

Litauen, Lettland und Estland sind keine Länder, auf die ich bisher besonders versessen war und so trete ich diese Reise mit etwas gemischten Gefühlen an.

Schiffskabine Bett

Inzwischen ist es 22 Uhr und ich gehe zurück in die Kabine. Die Klimaanlage hat den Raum auf angenehme 19° heruntergekühlt. Ich nehme Gas weg, bis der Mörderlärm der Anlage erträglich wird und lege mich in die Koje. Morgen kann ich ausschlafen, denn wir legen erst am späten Nachmittag an.

Gedankenverloren blicke ich an die Decke. Wie es wohl sein wird in Litauen? Hoffentlich sind die Campingplätze ein bisschen nett, denn egal wie das Wetter wird, ich zelte. Im Zelt fühle ich mich zuhause: Da ist mein Bett, meine Umgebung, meine Sachen, alles ganz vertraut.

Mit diesem Gedanken knipse ich das Licht aus, drehe mich zur Wand und bin nach wenigen Augenblicken fest eingeschlafen...

zum nächsten Tag...

zurück nach oben

Die Anreise ist immer ein wenig langweilig, doch nur für euch. Für mich war jede Minute aufregend.


Platzhalter
Svenja Svendura EndurowandernMade by Svenja Svendura on Apple iMac with Panic Coda and Photoshop Elements.