Schweden 1984
Nachdenklich blättere ich in meinem Diercke Atlas und überlege, wohin ich fahren könnte. Es ist Hochsommer, ich habe Urlaub und mir ist langweilig. Ich suche was mit Abenteuer, wo man wildcampen und Enduro fahren kann und auch mal Lagerfeuer machen.
Schweden sieht irgendwie gut aus. Viel Landschaft und wenig Straßen. Im DTV-Lexikon steht, dass Schweden doppelt so groß wie die Bundesrepublik ist, aber nur 8 Mio Leute drin wohnen. Das Land ist praktisch unbewohnt, weil die alle in drei großen Städten leben, Stockholm, Göteborg und Malmø. Klasse, da will ich hin. Bei soviel Landschaft ist es denen bestimmt egal, wenn ich mit meiner Enduro durchs Unterholz schrubbe. Wahrscheinlich merken die nicht mal, wenn irgendwo ein bisschen Grasnarbe fehlt.Ich rufe meinen Motorradkumpel Eric an, der auch gerade Urlaub hat und sofort Feuer und Flamme ist von der Idee nach Schweden zu fahren. Seine Honda CX500 ist zwar keine Enduro und hat doppelt soviel Leistung wie meine 27PS Suzuki, aber was mir an Leistung fehlt, bin ich bereit durch Wahnsinn wettzumachen.
Mein schönes Zelt liegt im Keller, die Luftmatratze habe ich gerade erst geflickt und mein Papa hat mir letztes Jahr seinen alten Bundeswehrschlafsack geschenkt. Na prima. Dann muss ich nur noch zur Sparkasse, schwedische Kronen tauschen und auf dem Rückweg zu ALDI und Bratwürste holen. Die ALDI-Bratwürste im Sechserpack haben sich inzwischen zum Standardessen unserer Motorradclique entwickelt. Kein Campingwochenende ohne die dicken weißen Bratwürste und eine Palette Hansa-Pils. Beides total günstig und mag jeder.
Für meine 200 Mark kriege ich bei der Sparkasse in Kellinghusen 450 Kronen. Neugierig betrachte ich die unbekannten Geldscheine. Sicherheitshalber hebe ich noch 200 Mark in bar vom Konto ab. Morgen ist Wochenende und dann sind die Banken zu und es gibt kein Geld. Einen von diesen neuen Geldautomaten wie in den großen Städten haben wir in Kellinghusen noch nicht.
Am nächsten Morgen holt Eric mich zu Hause ab und wir starten in Richtung Fehmarn. Wir wollen auf der Vogelfluglinie über die Fähren Puttgarden - Rödby und Helsingör - Helsingborg fahren. Das ist der kürzeste Weg und in Dänemark teilweise schon als Autobahn ausgebaut.
Wir haben Glück mit dem Wetter und düsen bei strahlendem Sonnenschein durch Ostholstein. Ich fahre wie immer in Jeans, Cross-Stiefeln und Lederjacke.
Das Meer ist ruhig und wir verzichten darauf, die Motorräder mit den Stricken festzubinden, die dafür an den Gittern hängen. Die meiste Zeit stehen wir sowieso neben den Maschinen und sind voller Vorfreude auf Schweden. 700 km sind es bis Öland und wir haben nicht vor, unterwegs zu übernachten.
Nach einer Stunde sind wir in Dänemark und nehmen die E47 Richtung Kopenhagen. Es ist wenig Verkehr und gleichmäßig ziehen wir unsere Bahn 200 km bis nach Helsingør. Mir tut der Hintern weh und ich bin froh, als wir auf die kleine Fähre dürfen und ich endlich absteigen kann.
Der Øresund ist hier nur vier Kilometer breit und nach einer Viertelstunde sind wir schon in Schweden. Ich bin total aufgeregt als wir an Land rollen. Zum ersten Mal in Schweden und ich komme mir wie ein Entdecker vor, als wir langsam durch die Straßen von Helsingborg rollen. Wir wollen uns noch die Burg ansehen, von der die Stadt ihren Namen hat.
Am Fuß der Burg findet so eine Art Flohmarkt statt. Jedenfalls stehen da alle möglichen Zelte, wo Leute Klamotten und Süßigkeiten verkaufen. Wir stellen die Motorräder ab und schlendern zwischen den Buden hindurch. Es ist unglaublich, wieviele Blondinen es in Schweden gibt. Eric, der mehr auf Dunkelhaarige steht, muss mich einmal davor retten, in einen Bonbonstand zu stolpern, weil meine Augen gerade woanders beschäftigt sind. Stumm sage ich meinen einzigen schwedischen Satz vor mich hin, damit er bei passender Gelgenheit möglichst lässig rüberkommt: Smukke Pige elsker dei. Das müsste ungefähr soviel heißen wie: "Hey Baby, ich find dich total süß." Mit diesen Sprachkenntnissen sollte ich gut durch den Urlaub kommen.
Wir sind kaum aus Helsingborg raus, als wir den ersten Geschmack von der Einsamkeit in Schweden bekommen. Auf der 119 nach Tingsryd sind wir ganz alleine unterwegs und wenn mal ein alter Volvo von vorne kommt, dann ist das schon ein Ereignis.
Als wir endlich auf dem Zeltplatz ankommen, sind wir beide total erstaunt, wie voll es hier ist. Aber es muss ja noch Platz sein, denn der Mann in der Anmeldung winkt uns durch auf den Platz. Wir dürfen aufbauen, wo wir wollen.
Der Campingplatz hat einen klasse Sandstrand mit einem Badesteg, einer großen Schwimminsel und sogar einer Wasserrutsche, aber wir haben noch keine Lust zu baden, weil wir so aufgeheizt sind und das Meer uns eiskalt vorkommt. Vermutlich ist es das auch, denn es sind viel mehr Leute an Land als im Wasser.
Wir schlendern zuerst ein wenig am Strand lang und gehen dann über den Campingplatz zurück zum Zelt. Wenn wir Mädchen kennenlernen wollen, dann am besten in der Nähe unserer Motorräder. Das hat bisher immer am besten funktioniert und warum nicht auch in Schweden?
Tatsächlich kommen nach einer Weile zwei Girls vorbei. Die Blonde führt eine Katze an der Leine und ich nutze die Chance und lasse total den Tierfreund raushängen. Die Farbe der Leine passt genau zu ihren rot lackierten Fußnägeln und auch wenn wir keine gemeinsame Sprache haben, verstehen wir uns auf Anhieb und sie hat meine ganze Aufmerksamkeit.
Der erste Urlaubstag war echt anstrengend. Wir sind heute 700 km Landstraße gefahren und sind beide ziemlich erledigt. Kaum ist es dunkel, verschwinden Eric und ich im Zelt und legen uns auf die Luftmatratzen. Anfangs unterhalten wir uns noch ein bisschen, aber schon nach kurzer Zeit werden Erics Antworten einsilbiger und ich höre an seinen ruhigen Atemzügen, dass mein Motorradkumpel schon tief und fest schläft. Augenblicke später bin ich ebenfalls eingeschlafen.
An diesem Morgen sieht das Wetter nicht so klasse aus wie gestern und wenn man nach oben guckt, weiß man nicht, ob es trocken bleibt, oder ob wir nass werden.
Heute wollen wir die Ruine von Schloss Borgholm besichtigen und nach einem kurzen Frühstück aus Crackern, Schokolade und Cola steigen wir auf unsere Maschinen und fahren nach Borgholm. Schweden hat außer seiner schönen Natur nicht gerade viele Sehenswürdigkeiten und deshalb dürfen wir uns diese nicht entgehen lassen. Außerdem finde ich Burgen interessant, weil ich mir immer vorstelle, wie sie da vor tausend Jahren oder so gekämpft haben.
Die Anlage Borgholm ist wirklich riesig. Leider dürfen wir nicht reinfahren, sondern müssen die Maschinen draußen auf dem Sandparkplatz stehen lassen. Meine Cross-Stiefel sind nicht gerade die begnadeten Laufschuhe und so fangen wir schon bald an Abkürzungen zu nehmen und nicht mehr jeden Wehrflügel der weitläufigen Burg bis in den letzten Winkel zu erkunden.
Außer dicken Mauern mit Fensterlöchern und großen Sälen ohne Dach, sowie endlosen Rasenflächen gibt es eigentlich nicht viel zu sehen. In der Eingangshalle steht ein Holzmodell vom Schloss, aber das sieht genauso oll und verstaubt aus wie die Anlage selbst.
Den Rest des Nachmittags erkunden wir Öland und fahren kreuz und quer über die Insel. Inzwischen werde ich beim Fotografieren immer geiziger, denn ich habe nur zwei 24er Fuji Filme dabei, die mit etwas Glück je 26 Aufnahmen bringen, wenn ich sie knapp einfädele.
Wir fahren rechtzeitig zurück zum Zeltplatz, weil wir noch Holz für das versprochene Strandfeuer heute abend sammeln müssen. Es dauert gar nicht lange, bis wir einen ansehnlichen Holzstapel zusammen haben, aber dafür mögen wir jetzt nicht mehr weggehen, nicht dass nachher ein paar andere Typen mit unseren Girls am Lagerfeuer sitzen. Wobei die Mädchen noch nicht wissen, dass sie jetzt eigentlich "unsere Girls" sind, weil Eric und ich bis jetzt zu schüchtern waren, um es ihnen zu sagen. Aber dafür haben wir ja schließlich die Pfirsichbowle dabei.
Seit vier Jahren gibt es die blöde Sommerzeit, die daran Schuld ist, dass es erst so spät dunkel wird und wir mit unserem Lagerfeuer noch warten müssen. Lagerfeuer bei Sonnenschein sind irgendwie unromantisch und von der süßen Bowle kriegt man in der prallen Sonne bestenfalls Kopfschmerzen, wenn sie nicht sogar lebensgefährlich ist.
Wir sitzen zusammen am Feuer und füttern die Mädchen mit heißer Bratwurst vom Stock und lauwarmer Pfirsichbowle. Welch ein erstklassiger Premiumabend das ist. Ich möchte nirgendwo anders sein.
Am Boden der letzten Flasche Katlenburger ist auch unser Feuer runtergebrannt und niemand hat Lust, im Dunkeln noch einmal neues Holz zu suchen. Die Girls sind mit ihren Eltern im Urlaub und dürfen sowieso nicht die ganze Nacht wegbleiben. Wir verabschieden uns und gehen mit leichter Schlagseite zurück zu unserem Zelt. Hoffentlich bekommen sie keinen Ärger, weil sie auch ganz schön angeheitert sind.
Leider vergesse ich vor dem Einschlafen noch zwei Aspirin zu nehmen, so dass ich mit einem leichten Brummschädel aufwache. Die Sonne brennt vom Himmel und im Zelt ist es unerträglich heiß.
Ich hole Wasser und koche uns eine Kanne Kaffee von dem guten Löslichen. Das Zeug schmeckt eigentlich wie Knüppel aus dem Sack, aber wenn man morgens verkatert aus dem Zelt krabbelt, kommt einem der billige Granulatkaffee wie das reinste Ambrosia vor.
Für heute haben wir uns vorgenommen, die Nordspitze der Insel zu erkunden. Auf der Karte sieht es dort recht einsam aus und ich würde gerne ein bisschen durchs Gelände schrubben. Naturschutzgebiete sind erfahrungsgemäß immer recht einsam, was für mein Vorhaben sehr gut ist.
Das Wetter sieht ganz ok aus als wir unser Zelt abbrechen, die Sachen packen und uns auf den Heimweg nach Kellinghusen machen. Endlose Kilometer fahren wir über einsame schwedische Landstraßen und hängen unseren Gedanken nach. Als wir mit der Fähre aus Helsingborg wieder in Dänemark ankommen, beschließen wir spontan, noch eine Nacht hierzubleiben und nicht in einem Rutsch nach Hause zu fahren.
In Dänemark darf man zwar nicht wildcampen, aber das soll uns nicht abhalten. Falls sie uns erwischen, sagen wir einfach, wir haben davon nichts gewusst. Welch ein genialer Plan! So investieren wir die restliche Knete in ein Sechserpack Faxe Fad, ein Weißbrot und ein Paket Schweinebauch und machen uns auf die Suche nach einem Platz zum Wildcampen.
Schon der dritte oder vierte Feldweg ist ein Treffer. Er führt durchs Unterholz bis an einen kleinen See im Wald. Hier bleiben wir.
Eric sammelt Holz, während ich die Feuerstelle vorbereite und uns Grillstöcke schnitze. Wir sitzen total gemütlich auf unseren Luftmatratzen, halten die Stöcke mit dem Bauchfleisch über die Glut und trinken Faxe Fad. Ich frage mich nur, wer das ganze Brot essen soll.
Am nächsten Morgen sieht mein Motorradkumpel aus wie der letzte Überlebende einer Pockenepidemie und seine Laune ist entsprechend. Von der Feuerstelle ist nur noch ein grauer Flecken Asche im Gras zu sehen. Wir packen unseren Kram zusammen und fahren durchs Unterholz zurück zur Straße. Wir sind schon kurz vor Kopenhagen und sehen uns noch ein wenig in der Innenstadt um.
Auf der Rückfahrt mit der Fähre von Rödby nach Puttgarden sind wir beide ziemlich erledigt und froh, dass es wieder nach Hause geht, aber ich weiß auch, dass ich wiederkommen werde. Schweden ist Enduroland und ich mag die Einsamkeit und die endlosen Straßen durch die Wälder.
Als ich Eric 29 Jahre nach unserer Reise eine E-mail schreibe und ihn nach seinen Erinnerungen frage, da antwortet er mir mit dieser genialen Zusammenfassung:
Meine Erinnerungen....hmm - wir sind viel gefahren, das Wetter war einigermaßen, wir haben wild gezeltet (mit Mücken), die Strecken waren motorradtechnisch eher zum Abgewöhnen, es war sauteuer, wir hatten irgendwie versucht was zu Essen zu kaufen und waren erschreckt deswegen. Alles Gründe warum ich nicht unbedingt ein Skandinavienfreund bin ;-)
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Hier endet meine Schwedenreise 1984. Es war gar nicht so einfach, sich wieder in den alten Sven hineinzudenken, aber schon nach kurzer Zeit, war er wie eine alte Jeans, die man lange nicht getragen hat und in der man sich sofort wieder wohlfühlt.