Hammerfest
Es ist ein kalter Morgen und hundert Kilometer liegen bereits hinter mir, als ich das Motorrad auf die STATOIL Station in Alta lenke und vor der Säule mit der Aufschrift Blyfri 95 stoppe.
Es war gut, schon so früh die erste Pause einzulegen, denke ich, und beiße einen Streifen von dem knusprigen Speck ab, während ich die Titelseiten der Motorradmagazine studiere. Alta ist die letzte Stadt vor Hammerfest und ich sollte auch meine Einkäufe gleich hier erledigen, bevor ich weiterfahre.
Eine Viertelstunde später stehe ich am Fleischtresen des Coop Mega in Alta. Das Angebot kann sich sehen lassen, obwohl die gesamte Theke kleiner ist, als der Abschnitt bei PLAZA in Kiel, der allein für Streichwurst reserviert ist.
Als ich meinen Einkauf auf das Laufband an der Kasse lege, bin ich selbst ein wenig erstaunt über meinen gleichbleibend guten Geschmack, denn es sind wieder Schweinekoteletts, Fetakäse, Bier und Schokolade, die ich kaufe.
Sollte ich jemals mit dem Motorrad in dieser Einsamkeit liegenbleiben, was japanische Großserientechnik verhindern möge, dann möchte ich wenigstens nicht hungrig auf Rettung warten müssen.
Hinter Alta führt die E6 von der Küste weg in die Berge und auf einer schier endlosen Geraden übers Fjell. Es ist kalt, windig und schrecklich einsam. Die Abwesenheit von Menschen habe ich schon immer als ein besonderes Qualitätsmerkmal empfunden und könnte mir einen Urlaub in Benidorm oder El Arenal nicht vorstellen. Am liebsten bin ich mit Greeny, Pieps und mir allein unterwegs.
Pieps dagegen kann ihre Begeisterung für die Sami kaum zügeln: "Das sin' so kleine Indiana mit Rehe un' die zelten da, näh?!"
Skaidi mag klein und unscheinbar sein, aber hier draußen ist es ein wichtiger Punkt in der Tundra, denn Skandi hat eine Tankstelle, einen kleinen Laden und ein Diner, praktischerweise alle unter demselben Dach, dem der Tankstelle.
In Skaidi zweigt die Rv94 ab, die nach 57 Kilometern in Hammerfest endet. Morgen werde ich denselben Weg zurückfahren müssen, aber diese Stadt möchte ich unbedingt besuchen.
Vorsichtshalber tanke ich noch einmal voll. Mit der VISA Karte bezahle ich direkt am Automaten, der daraufhin die Pumpe Blyfri 95 freigibt. Mit steifen Schritten gehe ich hinüber zum Eingang der Tankstelle. Der Laden macht einen düsteren, verrammelten Eindruck und ich kann nicht erkennen, ob der Shop geöffnet ist. Umso erstaunter bin ich, als sich die schwere Eingangstür mühelos öffnen lässt und mir eine Wand warmer Heizungsluft entgegenschlägt.
Der Raum ist vollgestopft bis unters Dach mit Gütern aller Art. In den Regalen stehen Konserven und Fertiggerichte, auf dem Fußboden Kanister und Brennstoffe, an den Wänden hängen Äxte, Werkzeug und eine Kettensäge. Daneben gibt es Gummistiefel, Angelbedarf und derbe Outdoorkleidung.
Zwei junge Samifrauen stehen hinterm Tresen und begrüßen mich mit einem freundlichen Lächeln. Die Beiden sind so klein und zart, dass ich mir dagegen wie ein Riese vorkomme. Die Eine sagt etwas, das ich nicht verstehe und ich lächele zurück und sage etwas Nettes, das sie vermutlich ebenfalls nicht versteht.
Auf dem Tresen neben der Kasse liegen die üblichen, mit Speck umwickelten Bratwürste auf dem Grill und duften verführerisch. Ich bestelle einen Hotdog und hole mir Kaffee aus dem Automaten an der Wand.
Mit dem Essen in der Hand gehe ich durch eine Zwischentür hinüber ins Diner und setze mich an einen freien Platz. Niemand stört sich an der Frau in dem orangen Plastikanzug, die ihr selbst mitgebrachtes Essen im Restaurant verzehrt. Ich kaue so langsam ich kann, um möglichst viel Zeit in der wohligen Wärme des Diners zu verbringen.
Bald darauf steige ich durchgewärmt, satt und zufrieden wieder auf die Enduro und mache mich auf den Weg nach Hammerfest. Die Stadt liegt auf einer Insel, zweimal so groß wie Fehmarn, und nach 26 Kilometern geht es über eine Hängebrücke hinüber nach Kvaløy.
Hammerfest ist die nördlichste Stadt der Welt und bei der Vorbereitung meiner Reise habe ich mit Erstaunen gelesen, dass Dawson City, die berüchtigte Goldgräberstadt am Yukon, 710 km südlicher liegt als Hammerfest.
Im vergangenen Winter bin ich mit dem Postschiff in Hammerfest gewesen und finde mich noch gut in dem Ort zurecht, so dass ich den Weg zum Eisbärenclub finde, ohne mich zu verfahren. Er ist auf dem Hafengelände direkt neben dem Anleger von Hurtigruten untergebracht.
"Da guck' ja nur ein Siemptel oben raus un deshalb sin die au' so gefeehrlig, näh...?!", teilt Pieps ihr Wissen mit einer Besuchergruppe, die staunend vor dem großen Eisbären steht.
Auf jeden Fall gibt es eine Reihe interessanter Artefakte zu sehen, spannende Dioramen, alte Fotografien und einige informative Kurzfilme zu betrachten und das Angebot im Shop hebt sich deutlich von dem anderer Souvenirläden ab.
Beim Hinausgehen kaufe ich für zehn Kronen einen kleinen Sticker, den ich auf mein Reisetagebuch klebe.
Ich steige aufs Motorrad und fahre hinaus nach Storvannet Camping. Direkt vor der Rezeption halte ich an und hüpfe vom Motorrad.
Drei Finnen mit ihrem Wohnmobil stehen vor der Hütte, die ganz offensichtlich geschlossen ist. Energisch stiefele ich die drei Stufen rauf und rüttele an der Tür. Sie ist verschlossen.
In einer fließenden Bewegung ziehe ich das Messer vom Gürtel, klappe es auf und ramme die Stahlklinge in den Türspalt, als wollte ich sie aufbrechen.
"STOP, STOP!" , ruft der älteste der Finnen in einem verzweifelten Versuch, die Tür zu retten, "It will be open in another ten minutes" und ich nehme erst jetzt belustigt wahr, dass er die gleiche Mütze trägt wie Pieps.
"Gimme just one!", erwidere ich grimmig und tue so, als ob ich den Hebel ansetze, aber im selben Moment kann ich mich nicht mehr halten und muss über die entsetzten Gesichter der Jungs lachen.
Endlich merken die Drei, dass es nur ein Scherz war und lachen unsicher mit. Zufrieden stecke ich das Messer weg in der Gewissheit, heute viel für den Ruf der deutschen Frau im Ausland getan zu haben.
Erst jetzt entdecke ich eine Notiz an der Tür, wonach man sich selbst einen Platz suchen soll, wenn die Rezeption nicht besetzt ist. Ich brauche eine Weile, bis ich auf der abschüssigen Wiese einen ebenen Streifen gefunden habe, auf dem später meine Isomatte liegen soll. Die Heringe gehen nur schwer in den steinigen Boden, aber nach kurzer Zeit ist mein Lager fertig.
Claudia hatte mir einen Aussichtspunkt auf dem Berg über der Stadt empfohlen, den ich unbedingt besuchen sollte. Ich steige auf die Enduro und fahre los. Es ist nicht weit, vielleicht zwei Kilometer, auf denen sich die Straße durch ein Wohngebiet nach oben windet. Vor den Häusern spielen Kinder mit einem Ball.
Welche Menschen mögen es sein, die hier leben? Abgeschiedener als in Hammerfest, kann man in Europa kaum wohnen und im Winter sitzt man fest in Kälte, Schnee und Dunkelheit. Könnte es mir gefallen, im Ruhestand hier zu leben? Doch, wenn ich Heizung, Strom und Internet hätte, aber mit meiner Pension würde ich hier nur knapp über die Runden kommen.
Die Straße endet auf einem Hochplateau, das eine tolle Aussicht über Hammerfest und das Eismeer bietet. In der Ferne wird aus hohen Schornsteinen Erdgas abgefackelt und ich beginne zu verstehen, was den Reichtum dieser Gegend ausmacht.
Von der Plattform ist die Aussicht sogar noch besser und ich kann fast jedes Haus in der Stadt sehen, natürlich auch die Kirche und den Eisbärenclub. Mit Bedauern registriere ich, dass gerade keines der rotweißen Postschiffe am Hurtigrutenkai liegt.
Im Schutz des Zeltes sind es wenigstens noch 6° C und vor Kälte schlotternd ziehe ich mich bis auf die Unterwäsche aus und schlüpfe in den Schlafsack. Es gibt nichts Besseres, als einen guten Daunenschlafsack, um sich aufzuwärmen, denke ich zufrieden, bevor ich innerhalb von Minuten einschlafe.
Als ich nach einer Stunde den Schlafsack öffne und mich anziehe, wird mir gleich wieder kalt, ein sicheres Zeichen, dass ich etwas essen muss. Andererseits deute ich alle möglichen Dinge als sichere Zeichen, dass ich etwas essen muss, aber jetzt habe ich wirklich Hunger.
Den Kocher baue ich in der geschlossenen Apsis auf, denn es ist zu windig und zu kalt, um bei offenem Zelt zu kochen.
Das Bratenfett ist hart wie Stein und lässt sich nicht aus der Flasche quetschen. Zeit für Plan B denke ich und gieße etwas Kräuteröl von dem eingelegten Fetakäse in die Pfanne. Mit der scharfen Klinge meines Messers löse ich die Knochen von den Koteletts und lege das Fleisch ins heiße Fett. Kurz darauf duftet es im Zelt verführerisch nach Knoblauch und Gewürzen.
Das Thermometer zeigt nur noch 4,9° als ich zurück ins schützende Zelt komme, aber dafür erwartet mich ein kuscheliger Schlafsack, ein spannendes Buch, Bier und Schokolade.
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Hammerfest ist faszinierend. Sogar Mitte Juni spürt man deutlich, dass man in der Arktis ist.