Pytt i Panne
Schon früh sitze ich auf der Enduro und fahre nach Harstad hinein. Die Straßen sind leer, es ist Sonntag. Vermutlich hält der kalte Nieselregen die Menschen in ihren Häusern. Mit suchendem Blick fahre ich langsam durch den Ort. Ein heißer Kaffee, das wär jetzt was, denke ich sehnsüchtig.
Ich verlasse Harstad und fahre weiter nach Norden, dem Kap entgegen. Von Zeit zu Zeit wische ich mit dem Handschuh die Feuchtigkeit vom Visier. Es sind ungefähr noch 800 Kilometer bis zum Nordkap, schätze ich, wenn ich den geplanten Abstecher nach Hammerfest mitrechne.
Ein Blick zum Himmel sagt mir, dass ich die Regenkombi heute erst zum Schlafengehen ausziehen werde. Mir ist kalt und ganz allmählich meldet sich eine gehässige kleine Stimme im Hinterkopf: "Was machst du hier, Baby? Dich Tag für Tag nass regnen lassen, dir täglich acht Stunden den Hintern platt sitzen, um als Krönung abends im nassen Gras zu zelten?"
Nach 153 Kilometern erreiche ich Setermoen, einen kleinen Ort in der Mitte von Nirgendwo. Schon von weitem entdecke ich die blaue STATOIL Station. Dort werde ich jetzt volltanken und dann die Mutter aller Pausen einlegen. Ich werde alles dafür tun, um wieder zu Kräften zu kommen, einerlei, wie viele völlig überteuerte Hotdogs ich essen und wieviel Kaffee ich trinken muss, damit nur dieses weinerliche Gejammer endlich aufhört.
Ok, darum kümmere ich mich später. Jetzt muss ich erst einmal etwas essen. An jeder STATOIL Tankstelle gibt es diese speziellen Hotdogs, eine Bratwurst, umwickelt mit knusprigem Bacon, serviert in einem gerösteten Brötchen. Wurst und Brot kosten extra und tauchen als zwei Posten auf der Rechnung auf, 6,10 Euro für einen Hotdog. Ein irrer Preis, aber die Biester schmecken extrem lecker, selbst wenn ich heute etwas kritiklos bin.
Mit jedem Bissen des fetten Fast Foods geht es mir besser, aber ich bin noch weit davon entfernt, zu starten und weiterzufahren.
Ich investiere noch einmal 6,10 Euro und bestelle einen weiteren Hotdog. Während der Junge das Essen fertig macht, trinke ich in kleinen Schlucken meinen heißen Kaffee.
Mit jedem Bissen und jedem heißen Schluck fühle ich mich besser. Ohne es zu merken, war ich heute vormittag völlig entkräftet, aber jetzt kehrt die Svenja Power zurück. Das Geld für Kaffee und Hotdogs ist gut angelegt.
Mit einer Papierserviette wische ich mir den Mund, stopfe sie in den leeren Pappbecher und gehe nach hinten zu den Kühltruhen, um mir die Fertiggerichte anzusehen.
Pizza scheidet aus, aber das Foto auf den Gefrierbeuteln mit Pytt i Panne sieht gut aus. Claudia hatte mir von diesem Gericht erzählt und geraten, es einmal zu probieren, sobald sich die Gelegenheit ergibt. Ich kaufe einen 600 g Beutel, dazu Schokolade und eine Flasche Wasser.
Kurz darauf starte ich mit rauchenden Reifen von der Tankstelle. Meine Power ist wieder da, die Lustlosigkeit verschwunden und mir ist auch nicht mehr kalt. Ich freue mich sogar auf das Zelten im nassen Gras.
Heute habe ich etwas Wichtiges gelernt: Ich muss besser auf mich achtgeben und häufiger kleine Pausen machen. Es ist ein Fehler, bei Regen stundenlang stumpf auf dem Motorrad sitzen zu bleiben. Dabei habe ich genau dieselbe Erfahrung schon einmal in Irland gemacht, als ich den Ring of Kerry gefahren bin. Dort waren es übrigens Jambons, die mich gerettet haben. Habe ich daraus denn nichts gelernt?
Am Nachmittag erreiche ich Finnsnes, eine weitere Hafenstadt, die von Hurtigruten angelaufen wird. Ich fahre durch den Ort und staune, wie schlicht alle Gebäude sind. Betonplatten und Stahl. Nein, die Städte der Arktis sind zweckmäßig, schön sind sie nicht, so als ob in dieser Klimazone kein Bedarf ist für Chromleisten, für Dinge, die nur gemacht werden, damit etwas schöner aussieht. Kälte und die extreme Witterung prägen den Baustil der Städte.
Die Selbstverständlichkeit, mit der die Menschen das tun, macht mich neugierig. Ich finde es total cool, aber leider brauche ich den Zündschlüssel der Kawasaki, um den Tank zu öffnen. Nächstes Mal, nehme ich mir fest vor, halte ich den zweiten Schlüssel griffbereit.
Was mag es mit dieser Sitte auf sich haben, frage ich mich. Soll das Motoröl warm bleiben oder die Batterie geschont werden? Ich muss das herausfinden und frage, möglichst beiläufig, den Mann an der Kasse danach. Ich will nicht allzu interessiert erscheinen, um nicht als Tussi dazustehen, falls es einen Grund gibt, der so offensichtlich ist, dass ihn jeder kennt.
"They are plain stupid and they simply don't give a shit", erklärt mir ein Kassierer in SHELL Uniform und zeigt resignierend auf ein Schild, wonach die Motoren beim Tanken abzustellen sind. Ich streiche den zweiten Zündschlüssel wieder von meiner Liste.
Auf Senja liegt Fjordbotn, der Campingplatz, wo ich heute im nassen Gras zelten werde. Bei dem Gedanken muss ich grinsen. Seit einigen Stunden verändert sich die Landschaft zusehends. Die schroffen Felsen sind weiten Flächen brauner Gräser, Sumpf und niedrigen Sträuchern gewichen. Hier beginnt die Tundra.
Der Mann hinterm Tresen begrüßt mich freundlich und gratuliert mir als erstes zu dem tollen Motorradwetter. Will der mich verarschen? Nein, der meint das ernst, denn während ich in Thermowäsche, Motorradsachen und Regenkombi vorm Tresen stehe, trägt er Jeans und ein dünnes T-Shirt.
Es sei doch herrliches Wetter, verkündet er freudestrahlend, als er meinen ungläubigen Blick bemerkt, besonders zum Motorradfahren. Nieselregen bei 11° C. Die Menschen in der Arktis haben alle einen Vogel. Vermutlich hilft das, mit der Kälte, der langen Dunkelheit und der Einsamkeit fertig zu werden.
Ich bezahle 20 Euro und darf mir einen beliebigen Platz aussuchen. Der Boden ist hart und steinig mit drahtigen Grasbüscheln. Bis vor kurzem lag hier noch dick Schnee.
Ich entscheide mich für einen Platz ganz vorne an der Wasserkante. Sicher keine besonders kluge Wahl, falls noch mehr Wind aufkommt, aber der Platz ist so cool und der Ausblick so schön, dass ich auf die Sturmleinen setze, statt auf Vernunft.
Meine Stiefel lasse ich im Vorraum stehen und gehe hinein. Der Holzfußboden fühlt sich angenehm an und die Hütte ist mit Tisch und Stühlen gemütlich eingerichtet. Ein schöner Platz, um in Ruhe mein Tagebuch fortzuschreiben.
Ich setze mich an den Tisch und beginne zu schreiben. Zwischen zwei Absätzen schaue ich gedankenverloren hinaus und sehe einen Radfahrer, der gerade auf den Platz rollt. Die Regenjacke und das Tourenrad kommen mir bekannt vor, den habe ich vorhin in den Bergen überholt. Meine Güte, wie hart muss jemand sein, um sich bei diesem Wind die steilen Straßen hinaufzukämpfen, während ihm der Regen ins Gesicht peitscht. Sicher irgend so ein Survival Spinner.
Vermutlich kann sie dafür nicht kochen, denke ich voller Genugtuung und vertiefe mich wieder in meine Notizen. Nach einer Weile geht die Tür auf und die Radfahrerin kommt herein. Ihr Gesicht ist noch ganz rosig von Anstrengung, Regen und Wind.
"Hi", sagt sie und kommt auf dicken Wollsocken in die Hütte, "My name is Lindsey."
"Svenja. Nice to meet you", erwidere ich, während sie sich am Nebentisch ausbreitet. Pieps entdeckt mit geübtem Blick sofort die Tafel Vollmilch Nuss zwischen ihren Sachen.
"Isn't it extremely tough to ride a bicycle in this weather?", frage ich ungläubig.
"Oh no, it's the weather I love", erwidert sie fröhlich, "It's not so hot."
Aha, denke ich, die hat ne Meise. "May I ask, where you come from?"
"I'm from Alaska", antwortet sie mit strahlendem Lächeln und sieht mich aus den blauesten Augen an, die ich jemals bei einem Menschen gesehen habe.
Lindsey bietet uns von ihrer Schokolade an und berichtet, dass sie von der Universität aus Anchorage kommt und mit dem Fahrrad unterwegs auf Studienreise ist.
"A funded research on small fishing communities." Ich verstehe nicht, worum es geht, aber sie sammelt Material für ihre Masterarbeit und war zuvor bereits auf den Philippinen und in Neuseeland. Sie ist froh, endlich wieder in einem Klima zu sein, wie sie es von zuhause kennt. Anchorage liegt ungefähr auf demselben Breitengrad wie Oslo.
Während wir uns unterhalten haben, ist es Abend geworden. Lindsey muss sich jetzt per Skype bei ihrer Familie zuhause in Alaska melden und für mich wird es Zeit fürs Abendessen. Ich bekomme allmählich Hunger und Pieps braucht man danach ohnehin nicht zu fragen.
Zurück im Zelt empfinde ich die Kälte doppelt und brauche eine Weile, bis ich mich wieder daran gewöhnt habe und nicht mehr friere. Es war nicht klug, solange in der Wärme zu sitzen, merke ich, aber heute war ja auch ein besonderer Anlass.
Die Gaskartusche geht allmählich zu Ende, vielleicht noch ein, oder zweimal, dann ist sie leer. Die Kälte und der Wind treiben den Brennstoffverbrauch nach oben. Morgen in Tromsø werde ich mich um Ersatz kümmern.
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Heute hatte ich ein echtes Stimmungstief und für einen Moment war ich kurz davor aufzugeben, aber jetzt geht es mir wieder gut und ich kann es kaum erwarten, weiterzufahren.