Inhaltsverzeichnis Frankreich 2023 Tag 1 Kiel - Bad Pyrmont Tag 2 Bad Pyrmont - Dausenau Tag 3 Dausenau - Wingen-s/Moder Tag 4 Wingen - Camp Hautoreille Tag 5 Jokertag im Camp Hautoreille Tag 6 Parc Morvan, Camp Le Paroy Tage 7/8 Jokertage im Camp Tag 9 In die Auvergne Tage 10/11 Auvergne-Tarnschlucht Tag 12 Zur Quelle des Tarn Tag 13 Gorges du Tarn bis Ambialet Tag 14 Tarn bis Moissac Tag 15 Moissac - Périgord Tag 16 Jumilhac-le-Grand Tag 17 Am Canal de Berry Tag 18 Nevers - Accolay Tag 19 Tonnerre - Froncles Tag 20-23 Heimreise
Nach Hause in vier Tagen
Es ist ein strahlender Morgen mit 0% Regenwahrscheinlichkeit über den gesamten Tag, Nachts 12°, tagsüber 28 °C. Das perfekte Motorradreisewetter. Noch 1.157 km bis nach Kiel.
Die beiden letzten Frankreichreisen, diese und mit Greeny im vergangenen September waren die trockensten Reisen von allen. Wetter können sie in Frankreich.
Wir rauschen an einem Schild vorbei: Département des Vosges, wir sind in den Vogesen. Diese Gegend liegt mir nicht so, wie andere Regionen in Frankreich. Dabei ging die erste Reise mit Greeny sogar in die Vogesen. Ich wollte die Route des Crêtes erleben. Das war 2010, Greeny war noch ein junger Hüpfer und ich erst süße 48.
Rechtzeitig zum Mittag entdecke ich einen verwunschenen Picknickplatz an einem Fluss und breite unsere Tischdecke aus. Das Tischtuch wäre inzwischen selbst eine gute Mahlzeit, so viel Fleischsaft, wie da schon draufgetropft ist. Man müsste es bloß mit zwei Brühwürfeln und einer Stange Porree im Topf mit Wasser auskochen.
Am Nachmittag sind wir zurück in Wingen-sur-Moder, dessen Camping Municipal unmittelbar an den Schulhof der örtlichen Mittelschule grenzt.
Gegen Abend trifft die alte Dame ein, die den Platz verwaltet. Sie kassiert 8,22 € für die Übernachtung und nimmt Bestellungen für den Brötchenservice entgegen. Pieps wünscht sich ein Schokobrötchen, das sie in Frankreich malerisch ein Pain au Chocolat nennen.
Zum Abendessen gibt es Bratwurst mit Leffe Blonde. Die Wurst ist prima, Fleisch und Gewürze in einer perfekten Mischung, doch beim Abwaschen der Pfanne sehe ich, dass wir inzwischen einen Teil der Beschichtung aufgegessen haben. Ich hoffe nur, dass die als Ballaststoff durchgeht und keinen Schaden anrichtet.
Diese Pfanne wird jedenfalls morgen nicht mit uns die Heimreise antreten, die bleibt mal schön hier in Wingen-sur-Moder …
Zurück in Deutschland
Es ist Samstagmorgen und Pieps quengelt schon seit Sonnenaufgang: „Nur wann kommt enklich die eine nette Oma mit mein Schokobrötschän?“
Um kurz vor acht braust der bereits bekannte, silberne Renault auf den Platz, weit sportlicher als man es einem älteren Dämchen zutrauen würde. Mit dem Arm voller Baguettes und Gebäck wandert sie von einem Camper zum nächsten und liefert das Morgenbrot aus. Toller Service!
Auf dem Schulhof nebenan werden Tische und Bänke aufgestellt. Die bereiten ein Festmahl vor! Wer verstehen möchte, wie das französische Dorfleben funktioniert, sollte die Romane von Martin Walker um Bruno, Chef de Police lesen. Die sind wunderbar, ich liebe sie.
Heute liegen 270 km Landstraße vor uns. Bei der Planung erschien mir das nicht viel, aber wenn ich es auf kleinen und kleinsten Straßen abreite, mit all den Sperrungen, Umleitungen und Ortsdurchfahrten, wird es viel anstrengender, als ich zu Hause mit der Maus in der Rechten und Kurviger in der Linken vermutet habe.
Irgendwann am Vormittag, ohne dass ich es bemerkt hätte, haben wir die deutsche Grenze überquert: „Willkommen! Ordentlich sein! Schnell fahren! Im Flur keine Kinderwagen abstellen! Draußen nur Kännchen!“
Wir sind zurück in der Heimat.
Die Fahrt am Rheinufer entlang ist jedes Mal aufs Neue ein Erlebnis. Wie kann eine im Grunde so schöne Gegend zugleich so grässlich sein?
Der Campingplatz am Fuß der Loreley ist ein Alptraum aus Wohnmobilen, Dauercampern und Satellitenschüsseln, wie man ihn sonst nur in Venedig und Flåm erleben kann. So schön es hier auch ist, und selbst wenn nicht der Autoverkehr und die Güterzüge mitten durchs Zelt rauschen würden: Hier möchte ich nicht verblichen übern Zaun hängen.
Die Rheinfähre in St.Goar ist am Samstagnachmittag voller Motorräder. Von der Goldwing nebenan schallt laute Country Music, meine heimliche Geliebte neben der Klassik, aber das wissen nur Wenige.
Die Rückreise verläuft auf den Spuren der Hinreise und so landen wir am Nachmittag wieder im Camp Dausenau an der Lahn, nur dass es diesmal nicht leer und verlassen ist, sondern proppenvoll und völlig overcrowded. Ob wir hier überhaupt noch einen Platz bekommen?
Die Rezeption winkt schon ab, bevor ich auch nur den Helm absetze: „Ausgebucht, kein Platz mehr!“
Hier im Süden ist Fronleichnam ein Feiertag und zusammen mit einem Brückentag bevölkert der jetzt sämtliche Camps entlang der Lahn.
Doch so leicht gebe ich nicht auf. Ich bin völlig erledigt und mag nicht mehr weiterfahren. „Bitte, haben Sie nicht noch irgendwo einen Platz für ein kleines Zelt und ein Motorrad?“
Die Platzwartin erkennt mich wieder: „Ach, Sie sind es. Fahren Sie mal ganz nach hinten durch und schauen Sie, ob sie noch was finden.“
Betteln hilft manchmal.
Wir finden noch etwas: Den letzten freien Flecken und sogar im Schatten eines Kirschbaums mit Aussicht auf die Lahn.
Der Platz ist in Partylaune. Aus einem Bluetooth Lautsprecher klingt Verlieben, verloren, vergessen, verzeih'n von Wolfgang Petry und von irgendwo anders höre ich Nenas 99 Luftballons.
Ich bin selbst überrascht, dass mich das heute nicht stört, aber die Stimmung ist so friedlich und die Lautstärke in Ordnung, das ich mich dabei ertappe, wie ich leise mitsumme. Nena, nicht Petry!
Ich setze mich mit einer Dose Leffe Blonde ans Ufer der Lahn und sehe den Enten zu.
Pieps ist unterwegs zum Spielplatz und will eine neue Bande gründen. Mit etwas Glück finden mich die Eltern der anderen Kinder später in diesem Gewimmel nicht …
Nach Bad-Pyrmont
Es ist Sonntagmorgen und die Stille auf dem Platz verblüfft mich. So viele Menschen leben, spielen und schlafen auf engstem Raum, nur getrennt durch eine dünne Schicht Zeltstoff, Styropor oder Sperrholz, und doch ist alles ruhig. Die meisten schlafen noch.
324 km auf der Nebenstrecke liegen heute vor uns.
Dieselbe Route wie vor drei Wochen, nur andersrum.
Und so landen wir auch wieder im Camp Schellental in Bad-Pyrmont. Es ist ein herrlicher Tag Mitte Juni mit perfektem Campingwetter.
Zum Abendessen gehen wir ins Campingrestaurant. Pieps ist völlig aus dem Häuschen vor Begeisterung, Schnitzel, Pommes, Mayo. Allein die „Pülze" habe ich ohne Diskussion für mich allein.
Morgen beißen wir das letzte Stück der Reise bis nach Kiel ab …
Nach Kiel
Heute Abend schlafe ich wieder in meinem festen Bett, einem, das ich nicht erst aufpusten muss. Trotzdem ist meine Laune eher trübe. Die 326 km nach Kiel sind quälend langweilig. Ich könnte auf die Nebenstrecke der Nebenstrecke ausweichen, aber das verlängert nur das Elend.
„Haben Sie einen Becher?“
Ob ich einen Becher habe? „Ja, hab ich“, rufe ich über die Hecke zurück.
Meine Campingnachbarin kommt mit einer Kanne und schenkt über die Hecke hinweg meinen Islandbecher voll mit frischem Filterkaffee.
„Danke schön, das ist aber nett“, freue ich mich. „Gute Fahrt“, ruft sie mir zu und verschwindet wieder in ihrem Vorzelt.
Die Strecke durchs Weserbergland ist sogar ganz schön, aber auf der Heimfahrt habe ich keinen rechten Blick mehr für die Schönheit von Gegenden. Ich leide unter Stalldrang und will nach Hause.
Südlich von Hamburg gehe ich auf die Autobahn. Jetzt ist schon Kiel ausgeschildert. Der einzig sinnvolle Weg über die Elbe ist die A7 durch den Elbtunnel. Alle anderen Möglichkeiten, die Elbbrücken und die Fähre Wischhafen - Glückstadt dauern länger.
Als ich auf die A215 nach Kiel abbiege, wird der Verkehr dünner. Außer zu Ferienbeginn sind die drei Spuren der Autobahn meistens völlig überrüstet. Ich hänge mich hinter einen LKW und cruise gemütlich nach Norden, und zwar den echten Norden, was mir immer etwas peinlich ist, wenn Dänen zu Besuch bei uns sind.
Die Autobahn endet am Ortseingang von Kiel. Noch 1,95 km nach Hause, sagt das Garmin. Ob Claudia schon auf mich wartet?
Fazit
Frankreich war wunderbar, die verlassenen Departementstraßen, das trockene Wetter, das gute Essen und die gastlichen Campingplätze. Da fahre ich wieder hin! Ich bin nur ratlos, wie ich das in Zukunft machen will. Von drei Wochen Reise ging allein eine nur für An- und Abreise drauf. Das ist kein gutes Verhältnis.
Entweder kaufe ich ein richtig schnelles Motorrad und heize Express in den Süden, Autobahn, Überholspur und Blinker links von Kiel bis Frankreich, oder ich reise wieder mit Greeny im Autozug nach Lörrach.
Doch all das spielt jetzt noch keine Rolle: Die nächsten Reisen führen nach Norden.
