Reise nach Gotland
Die Fähre nach Göteborg legt erst heute Abend ab und es ist idiotisch, schon jetzt zum Hafen zu fahren, aber ich halte das Warten nicht länger aus. Ich ziehe die Motorradjacke an, schnappe mir Pieps und fahre das kleine Stück hinunter zum Anleger. Jeden Abend tutet die STENA uns das Fernweh in die Bude, aber heute werden wir uns den Sound live auf dem Oberdeck anhören.
"Fahren Sie außen an allen vorbei bis ganz nach vorne und stellen sich vor Spur 1 und 2. Da sind schon ein paar Motorräder." Das ist mal ein Befehl, den kann ich: Vordrängeln!
Ich düse außen auf der Servicespur an allen vorbei. Ganz vorne stehen schon mehrere Harleys mit schwedischen Kennzeichen, richtige Oldtimer mit Springergabel und Trommelbremsen. Als echtes Alpha Weibchen überhole ich die ganze Gang und stelle Greeny direkt vor das Bike des Anführers, nehme den Helm ab und nicke den Jungs freundlich zu.
Die Harley Rocker - und Rocker sind es, auch wenn ich ihre Colors nicht kenne - ignorieren mich, wie nur Harley Fahrer einen ignorieren können. Ich mag das, weil ich sie so gut verstehen kann. Für die bin ich der Klapphelmträger.
Es ist ungewöhnlich warm für einen Tag im Mai und mir ist grottenheiß in den Motorradsachen. Ich stelle mich an den hohen Gitterzaun, der die Wartespuren vom Kai trennt und warte auf das Boarding.
"Do you speak english?", fragt mich ein Schwede, der mit seiner Yamaha weiter hinten in der Schlange steht. Ihm ist genauso langweilig wie mir und er wartet schon länger als ich.
"Yes, I do."
"It's nice to meet someone on a bike with less than 1000 cc", freut er sich über meine 250er Enduro.
Finde ich auch, obwohl ich bei seiner TDM900 den Leidensdruck nicht so ganz erkennen kann Er erzählt mir, dass er auf dem Rückweg von Kroatien nach Schweden ist und mit seinen Freunden einen tollen Urlaub hatte. Er ist ein sympathischer Typ und wir unterhalten uns noch eine Weile über das Reisen mit dem Motorrad.
Inzwischen ist es schon 17 Uhr und das Boarding sollte bald beginnen, aber noch sind die Abfertigungsschalter nicht besetzt und alle Ampeln stehen auf Rot.
Eine junge Frau in der schmucken Uniform der STENA-Line stöckelt auf unglaublich hohen Absätzen über den Platz. Sie sieht klasse aus und ich kann sehen, dass sie das auch weiß. Das könnten die gleichen Buffalo Pumps sein, die ich auch habe, stelle ich mit kritischem Blick fest, aber ich bin darin über 1,90 und schon deshalb ziehe ich die so gerne an.
Mit einer Wasserflasche in der Hand stöckelt sie zielstrebig auf das erste Schalterhäuschen zu, schließt die Tür auf und besetzt den Counter der Abfertigung. Augenblicke später schwenkt die automatische Schranke nach oben und die Ampel über der Spur schaltet auf Grün. In der Zwischenzeit habe ich den Helm aufgesetzt und den Motor gestartet.
"Erster an Bord ohne Streit", rufe ich vergnügt in meinen Helm hinein und fahre an das kleine Fenster des Schalterhäuschens heran. Wenn ich einen zweiten Helm hätte, würde ich sie glatt fragen, ob sie mit will, auch wenn sie nicht unbedingt wie der Campingtyp aussieht.
"So geht das aber nicht", weist die Blonde mich energisch zurecht, als ich an ihrem Fenster halte, "hat ihnen draußen denn jemand gesagt, dass sie schon vorfahren sollen?"
"Ja, Sie! Sie haben die Ampel auf Grün geschaltet und die Schranke hoch gemacht", antworte ich und bin plötzlich ganz froh, keinen zweiten Helm dabei zu haben.
"Normalerweise ist da jemand der winkt und ein Follow-Me-Car, das vorausfährt aufs Schiff", antwortet sie ein wenig ratlos, weil beide weit und breit nicht zu sehen sind.
"Da war keiner und Sie haben Grün geschaltet", erwidere ich ebenso freundlich wie starrköpfig. Inzwischen habe ich den Motor abgestellt und hinter mir wartet eine Kolonne von zig hundert Fahrzeugen, die sich alle mit mir in Bewegung gesetzt haben.
Eine Frau mit einem Funkgerät kommt zu uns herüber, die wohl bemerkt hat, dass irgend etwas nicht stimmt. Nach kurzer Diskussion meldet sie über Funk, dass der Einweiser noch nicht da ist und ob schon ein einzelnes Motorrad an Bord kommen darf. Ich darf.
Ich bekomme meinen Kabinenschlüssel, ein kleines Pappkärtchen mit einem Magnetstreifen drauf, und düse los. Ein kurzer Schwenker über den Kai und dann die große blaue Rampe empor.
Die STENA Germanica finde ich auch ohne Follow-Me-Car. Es ist das riesige weiße Schiff, dass direkt vor mir fast 40 m aus dem Wasser ragt und höher als ein 10-stöckiges Haus ist.
Als sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt haben, entdecke ich jemanden vom Deckspersonal, der am Ende einer weiteren Rampe steht und mir zuwinkt. Ich lege den Gang ein und düse die nächste Rampe empor.
Der Matrose weist mich genau ein und zeigt mir, wo ich das Motorrad abstellen soll. Ich halte zwischen zwei Ösen im Deck, an denen man die Spanngurte festmachen kann. Während ich mir einen der Gurte schnappe, die an der Bordwand hängen, kommen die Harleys die Rampe hoch. Das Donnern ihrer Motoren ist unter Deck beinahe unerträglich. Anders als viele andere Motorradfahrer finde ich nicht, dass Lärm automatisch toller Sound ist.
In Windeseile sichere ich die Enduro mit einem Gurt über die Sitzbank, schnappe meinen Tankrucksack und gehe hinüber zu einem Schott, durch das ich ins Innere des Schiffes komme. Meinen Helm lasse ich wie immer über dem Rückspiegel hängen.
"Rot 5", merke ich mir das Schott, damit ich morgen früh mein Motorrad wiederfinde. "Red Five, I'm going in", kommt mir eine Lieblingszeile aus Star Wars in den Sinn. Oh, ich liebe Star Wars, jedenfalls die Episoden bevor der dämliche Jar Jar Binks dazu kam.
10901 steht auf meiner Schlüsselkarte. Mit dem Fahrstuhl fahre ich hoch bis Deck 10 und schiebe das Pappkärtchen in den Türschlitz von Kabine 901. Ein kurzes Piepsen, die LED schaltet auf Grün, ein Klicken und die Tür lässt sich öffnen.
Das Sonnendeck "The Yacht-Club" bietet einen prächtigen Blick über Kiel. Da hinten, rechts vom Rathausturm, da wohne ich, aber weil das alte Karstadt Gebäude davor steht, kann ich das Haus nicht sehen, ich weiß aber, dass es da ist.
Auf dem Deck gibt es einen Pavillon mit einer Bar und vor mir stehen nur die Passagiere, die zu Fuß an Bord gekommen sind. Ich brauche nicht lange zu warten, bis ich an der Reihe bin und meine Bestellung aufgeben kann.
Mit dem Becher in der Hand gehe ich hinüber an die Reling. Sie ist aus dickem Hartholz in der Form eines Bartresens gearbeitet und man kann nicht nur perfekt sein Bier darauf abstellen, sondern sich auch total lässig dagegen lehnen.
"Shall I take a picture of you?", fragt mich ein Mann ungefähr in meinem Alter, unverkennbar ein Holländer. Er macht ein paar Fotos von mir und nach kurzer Zeit sind wir in ein nettes Gespräch verwickelt.
"What do you work?", möchte er wissen. Das scheint viele Leute brennend zu interessieren.
"Police. I'm a police officer."
"Ah, das passt", antwortet er auf Deutsch, "deshalb bist du so groß und starrköpfig." Ich nehme das als Kompliment, auch wenn ich nicht weiß, welches Wort er eigentlich meinte. Wo bin ich denn starrköpfig?
Quer über das Holzdeck kommt von der anderen Seite des Schiffes eine Frau auf uns zu und am Gesichtsausdruck des netten Holländers kann ich ablesen, dass es vermutlich seine Gattin ist. Er verabschiedet sich so rasch, wie er in mein Leben getreten ist und eilt ihr entgegen, während ich mich wieder meinem Bier und der Aussicht auf Kiel zuwende.
Dreißig Meter unter uns kommt ein Typ in einem Pickup angefahren und hält neben dem dicken Tau, mit dem die Germanica achtern festgemacht ist. Er steigt aus, zieht sich so eine Art Torwarthandschuhe an und beginnt damit, die Taue loszuwerfen. Die Berufsbezeichnung heißt dennoch Festmacher.
Das Wasser zwischen Schiff und Kaimauer schäumt auf, als die riesige STENA sich mit dem Seitenstrahlruder vom Kai abdrückt. Anders als die Oslofähre, die bereits rückwärts anlegt, muss die Schwedenfähre erst noch wenden, bevor sie vorwärts auf die Ostsee hinausfahren kann.
In der engen Kieler Förde ist das ungefähr so, wie einen LKW im Kinderzimmer zu wenden, ohne dabei das Baby aus seinem Bettchen zu stoßen, nur dass dieser LKW 180 m lang und das Baby die Kieler Innnenstadt ist.
Im Tempo eines gemütlichen Radfahrers schiebt sich die Fähre durch die Kieler Förde. Die zahlreichen Segler und Sportboote, die bei dem schönen Wetter auf der Förde unterwegs sind, halten gebührenden Abstand und wenn doch irgend ein Tüffel seine Jolle nicht schnell genug aus der Fahrrinne paddelt, dann blasen wir, also die Germanica und ich, ihn mit unserem Typhoon sauber aus dem Wasser.
Vorbei an der Tirpitzmole, wo die Gorch Fock liegt, ein Stück weiter die Einfahrt zum Nord-Ostsee Kanal, wo zwei Frachter auf die Schleusung warten und an den Kieler Stränden entlang bis zum Leuchtturm Friedrichsort, wo die Förde sich allmählich zum Meer hin öffnet und zuletzt Kiel Leuchtturm, der bereits vier Seemeilen vor der Küste steht. Kiel ist so eine wunderbare Stadt, auch wenn ich das manchmal vergesse, wenn mein Alltag sich nur zwischen Dienststelle, Supermarkt und Zuhause bewegt.
Der Wind frischt auf und außer Wellen, Wolken und ein paar vereinzelten Möwen ist jetzt nichts mehr zu sehen. Ich folge dem Labyrinth aus Niedergängen, Treppen und Schotts unter Deck bis zum Restaurant, wo Pieps und ich morgen für das große Frühstücksbuffet gebucht sind. Schon jetzt möchte ich mir alles ansehen, damit morgen früh keine Zeit verloren geht, die Profis wie wir lieber in Kaffeetrinken und hemmungsloses Aufschnittessen investieren.
Bevor ich in die Kabine gehe, frage ich einen Kellner, ab wann es morgen Frühstück gibt. Ich erfahre, dass der Zutritt zum Buffet um 7 Uhr geöffnet wird und beschließe, zehn Minuten vorher da zu sein, um auf jeden Fall einen Lieblingsplatz am Fenster zu ergattern.
Auf dem Rückweg komme ich am Duty Free Shop vorbei, aber da gibt es nichts, was mich interessiert. Schokolade, Schnaps, Edelklamotten und Parfüm, brauche ich nicht, bzw. habe ich alles schon. Nein, hier lockt mich nichts und außerdem wird es allmählich Zeit fürs Abendessen.
zum nächsten Tag...
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