Schloss Gripsholm
In der Nacht weckt mich ein Wolkenbruch, der lautstark auf mein kleines Zelt prasselt. Einen Moment lang liege ich mit geschlossenen Augen in der Dunkelheit und lausche, bevor ich mit einem seligen Grunzer tiefer ins Bett rutsche und weiterschlafe.
Schon an der Tür steigt mir der Geruch von frischem Gebäck in die Nase. Auf dem Tresen der Anmeldung steht ein Weidenkorb mit einem karierten Küchenhandtuch und darin eingeschlagen warme Kanelbuller, dem typisch schwedischen Zimtgebäck.
Ich kaufe zwei Becher Kaffee für Kai und mich und eine Zimtschnecke für Pieps. Auf einem Tablett balanciere ich unser Frühstück nach draußen auf die Terrasse, wo Kai bereits sehnsüchtig auf seinen Kaffee wartet.
Es ist später Vormittag, als wir endlich auf unsere Enduros steigen und losfahren. Kai wird mich noch ein Stück begleiten und es ist eine schöne Abwechslung, nicht alleine zu fahren.
Wir sind erst wenige Kilometer gefahren, als ein heftiger Platzregen niedergeht. An einer Bushaltestelle ziehe ich die Regenkombi an, während Kai auf seine Membransachen vertraut.
Unser erstes Ziel ist Mariefred, eine Kleinstadt am Ufer des Mälaren, der durch Schloss Gripsholm bekannt ist, das wiederum durch einen Roman von Kurt Tucholsky bekannt ist. Ich habe von allen Dreien noch nichts gehört, aber das will ich heute nachholen und mir zumindest das Schloss ansehen.
Als wir nach Mariefred hineinfahren, fallen uns zuerst die vielen Plakate am Straßenrand auf. "Tag des Dampfes", übersetzt Kai-Uwe für mich. Hier gibt es eine alte Eisenbahnstrecke mit Dampflokomotiven, die vom örtlichen Museumsverein liebevoll betreut wird, und am Ufer des Sees ist die Anlegestelle der S/S Mariefred (SS für Steam Ship), eines historischen Dampfschiffs aus dem Jahr 1903.
Ganz Mariefred steht heute unter Dampf und das wollen wir uns ansehen. Wir fahren am Ufer entlang durch den Ort, als plötzlich Schloss Gripsholm vor uns auftaucht. Es liegt auf einer Halbinsel gegenüber am See. Wir stehen im strömenden Regen am Ufer des Mälaren und schauen hinüber zum Schloss.
Nun, vielleicht gibt es am Bahnhof mehr zu sehen, wo die Museumseisenbahn von Mariefred verkehrt. Gerade als wir dort ankommen, fährt eine Dampflok unter großem Schnauben und Getöse wild fauchend auf die Strecke und verschwindet in der Ferne.
Wir stellen die Motorräder vor dem alten Bahnhof ab und sehen uns um. Die Gleisanlagen der Schmalspurbahn erinnern an längst vergangene Zeiten und wir sind beide fest entschlossen, auf die Rückkehr der Dampflok zu warten und ein Foto zu machen.
Gespannt halten Kai und ich die Kameras bereit und warten. Nach einigen Minuten taucht in der Ferne ein Zug auf, aber die historischen Waggons werden nicht von einer fauchenden Dampflok gezogen, sondern von einer alten Diesellok.
Auf dem Weg nach Nordwesten überqueren wir den Mälaren, den größten See Schwedens nach Vänern und Vättern. Er ist zweimal so groß wie der Bodensee, aber aus der Straßenperspektive ist er nicht sonderlich sehenswert, eine Wasserfläche eben, von denen es in Schweden unzählige gibt.
Die Schnellstraße führt über zwei hässliche Brücken und den Mälaren nehme ich kaum wahr, was bei diesem Wetter auch kein Wunder ist. Es gießt so stark, dass ich den Aufprall der Tropfen sogar durch die dicke Endurojacke spüre. Unbeirrt ziehen wir unsere Bahn und ich bin froh, den Regenanzug anzuhaben, sonst wäre ich längst bis auf die Haut durchnässt.
Eine gute Stunde vor Sala wird es Zeit für Kai-Uwe, sich zu verabschieden. Er fährt zurück nach Stockholm und ich ziehe weiter durch nach Norden.
Es ist unglaublich, was Kai auf sich genommen hat: Er hat bei Regen gezeltet, ist stundenlang im Regen Motorrad gefahren und hat sich von mir noch sein halbes Steak wegfressen lassen. Danke, alter Schwede, wir sehen uns ganz sicher wieder.
Nur der orange Plastikanzug rettet mich davor, in kurzer Zeit wie ein Ferkel auszusehen, denn von den Stollenreifen spritzt schlammiges Wasser hoch und nicht alle Pfützen lassen sich umfahren. Heute Abend muss ich unbedingt die Kette schmieren, die dürfte bis dahin trockengelaufen sein.
Es ist erstaunlich, wie sich Entrecôte in Schweden durchgesetzt hat. Noch vor drei Jahren waren diese Steaks kaum zu finden, teuer und von mieser Qualität. Hier bei Willys gibt es fünf verschiedene Sorten von schwedisch für 28 Euro, bis zu Nebraska Premium für 40 Euro.
Ich suche mir die ansehnlichsten Stücke mit den dicksten Fettaugen aus und sehe zu, dass ich weiterkomme. Das Wetter ist schwer zu lesen und ich möchte im Trockenen aufbauen.
Zehn Kilometer hinter der Stadt liegt Silvköparens Camping. Dort habe ich schon einmal gezeltet, auf dem Rückweg vom Nordkap, und war begeistert von der prachtvollen Zeltwiese am See, die aussieht, wie aus einem Musterprospekt für Zeltcamping.
Nur bei der Anmeldung hat es beim letzten Mal Probleme gegeben, weil das Buchungssystem so kompliziert war, dass niemand es bedienen konnte, vor allem die Angestellten nicht. Pieps bekam sogar ein Eis geschenkt, weil wir ewig warten mussten und niemand in der Lage war, das Magnum Eis korrekt zu verbuchen.
"Sorry, I'll get Assistance", murmelt er und verschwindet, um Hilfe zu holen. Kurz darauf kommt er in Begleitung seines Supervisors zurück, einer jungen Frau, die aus jeder Pore Energie und Kompetenz ausstrahlt. Entschlossen stellt sie sich an die Maschine und zeigt dem Jungen, wie ich zu verbuchen bin.
Jeden einzelnen Bedienschritt erläutert sie, aber schon bald werden ihre Erklärungen spärlicher und das Klicken auf der Windows Maschine zunehmend verzweifelt. Das sieht nicht gut aus und was dann folgt ist keine Überraschung: "Sorry, I need Assistance."
Mit hochrotem Kopf greift sie zum Telefon und wählt die Nummer des Chief Supervisors. Mit vereinten Kräften wird geklickt, getippt, hinterfragt, gelöscht, telefoniert und supergevised, bis endlich ein kleiner Papierstreifen aus dem Drucker rollt und ich eingecheckt bin.
Die beiden entschuldigen sich noch einmal wortreich für die Wartezeit, aber ich bin überhaupt nicht böse, "That's ok, I'm on Holiday", erkläre ich gelassen, denn ich habe mich tatsächlich keine Sekunde gelangweilt. Dieses Buchungssystem hat wirklich einen enormen Unterhaltungswert. Nur schade, dass es diesmal kein Eis geschenkt gibt.
Doch worauf zeigt das kleine Wollknäuel? Auf etwas mit "Körsch"? Nein, sondern auf ein stinknormales Vanilleeis mit Schokoglasur. Wer mit Kindern reist, kennt solche Situationen.
Gegen Abend wird es Zeit für die Entrecôtes und ich bin begeistert von der Qualität. Die sind richtig klasse mit ihren großen, gelben Fettaugen und der Fetakäse in Öl passt perfekt dazu.
Offensichtlich haben die Camper sich im Vorzelt ordentlich Stimmung angetrunken, denn das Lachen der Dämchen wird zunehmend schriller und das der Männer prolliger. Einer lässt sich bis in die Nacht hinein immer wieder zu lauten "Ole, ole, ole, ole..." Gesängen hinreißen.
Schweden und Alkohol, eine ätzende Mischung, aber ich habe auch nicht die Energie, rüberzugehen und Ruhe einzufordern. Über den Punkt sind die Typen längst hinweg.
Gute Nacht, Welt, ich lese noch ein wenig, bis ich es endlich schaffe, einzuschlafen.
zum nächsten Tag...
zurück nach oben