Drei Fähren bis Göteborg
Ich habe geschlafen wie ein Baby und werde erst wach, als zwei Spatzen sich lautstark auf meinem Zelt streiten. Oh, ich liebe dieses Bett, seine feste Matratze, den kuscheligen Schlafsack. Das ist das Schöne am Zelten, egal wo man sein Lager aufschlägt, man schläft jede Nacht im eigenen Bett.
Hinter Lysekil düse ich über eine - für schwedische Verhältnisse - erstaunlich kurvige Küstenstraße, als ich hinter einer Kuppe plötzlich auf einen Parkplatz rausche und mit rauchenden Bremsen hinter dem letzten Wagen zum Stehen komme.
Ein Fähranleger, damit kriegen die Smørebrøds mich immer wieder. Ich muss wirklich damit anfangen, auf diese bunten Schilder am Wegesrand zu achten, denn vermutlich wird das Ende einer Straße vorher irgendwo angekündigt.
Am Counter arbeitet eine Blonde, etwa meine Größe, etwas jünger und rundlicher als ich und mit einem superhübschen Gesicht. Ich bin hingerissen. Ok, kurz nachdenken. Was sind meine Optionen?
Die Fähre legt in drei Stunden ab und ich brauche etwa zwei Stunden bis dorthin. Also bleibt mir eine gute Stunde Zeit, um sie rumzukriegen, ihr ein paar Dinge über mich zu erklären, sie zu überzeugen, dass sie Führerschein macht, sich eine Enduro kauft, ein wenig fahren übt und im September hier auf mich wartet. Oder ich bestelle einfach einen Kaffee und halte den Mund. Ich entscheide mich für B.
Zum Glück ist Kiel deutlich ausgeschildert und ich bin erleichtert, als ich endlich die Stena Germanica voraus am Kai liegen sehe.
Ich setze mich in die Sonne und warte. Es macht mir nichts aus, zu früh an der Fähre zu sein, denn die letzten Stunden vor der Abfahrt bin ich immer ein wenig unruhig und habe Angst, dass noch etwas schiefgeht und ich das Schiff verpasse.
Die beiden Biker sind offensichtlich Vater und Sohn auf Endurotour. Eine coole Aktion und ich versuche mit ihnen ins Gespräch zu kommen, aber keine Chance. Der Papa ist abweisend und dazu ein kleines bisschen prollig. Kennzeichen GL, keine Ahnung, wo das ist, jedenfalls klingt er stark nach Ruhrgebiet.
Urplötzlich und ohne dass es sich vorher angekündigt hat, wird einer der Check In Schalter geöffnet und die Ampel schaltet auf Grün. Hektisch werden Motoren gestartet, gedrängelt, gehupt und in wilder Stampede auf den Counter zugeheizt.
Die Gelsenkirchener tun sich dabei besonders hervor und drängeln, als wenn es kein Morgen gäbe. Einer steht mit dem Vorderrad auf dem hohen Bordstein am Counter, das Hinterrad zwischen zwei Autos eingezwängt. Böse Blicke werden geworfen, Köpfe verständnislos geschüttelt, einer davon ist meiner.
"Ok, Leute, kurz mal herhören, Svenja hat eine Information für euch: Ablegen tun wir alle gemeinsam und erst wenn auch der Letzte an Bord ist."
Zehn Minuten später steht die KLX unter Deck auf dem Seitenständer und ich bin mit dem Tankrucksack in der Hand unterwegs zu Deck 9. Ich öffne die Kabinentür und kann es kaum glauben: "Guck mal, Pieps. Wir haben ein Fenster! Und nein, du darfst nicht angeln."
Zum Abschluss der Reise wollte ich uns mit einer besonders schönen Kabine belohnen und habe zum ersten Mal eine Außenkabine mit Fenster gebucht. Jetzt will ich schnell nach oben aufs Sonnendeck in den Open Air Yachtclub, wo tätowierte Elsen auf weiße iPhones starren. Dass ich in bisschen rieche, kann ich jetzt nicht mehr ändern, aber wenigstens mache ich mir die Haare und bessere mein MakeUp aus. Vielleicht lenkt das von dem Anderen ab.
Langsam, ganz langsam, dreht das lange Schiff im engen Göteborger Hafenbecken. Ein Frachter, der vorbeifährt, sieht gegen die Germanica fast winzig aus.
Die Ålvsborgsbron, die Brücke über den Hafen, hat eine Durchfahrtshöhe von 45 m und trotzdem schauen alle gespannt nach oben, denn es sieht wirklich knapp aus und man hat Angst, dass wir uns den Kopf stoßen.
An Bord der Stena gibt es mehrere Restaurants und ich entscheide mich für das Metropolitan, ein typisches Schnellrestaurant, wie man es auf vielen Schiffen findet. Man schnappt sich ein Tablett, Besteck und eine Serviette und schiebt sich langsam an den Speisen entlang, während man auf der Tafel an der Wand die Gerichte studiert.
Schnitzel mit Bratkartoffeln und grünen Bohnen für 89 Kronen. Das klingt gut, das nehme ich. Langsam, ganz langsam, bewegt sich die Schlange den Tresen entlang und ich schiebe mein Tablett Stück für Stück weiter, vorbei am Lachs, den Köttbullar, dem Pürree, weiter Richtung Wiener Schnitzel.
Ich werde mir das größte Schnitzel angeln (check), werde solange Bratkartoffeln obendrauf schaufeln, bis die ersten wieder vom Teller auf den Teppich kullern (check), zur Tarnung einen Berg grüner Bohnen darüber häufen (check) und das Ganze in brauner Bratensauce ertränken, die mir auf dem Weg zur Kasse auf die Stiefel tropft (check) und das Personal wird mich missbilligend angucken (check).
Warum machen die sowas? Man gibt Alkoholix doch auch nicht den Schlüssel zur Hausbar und sagt: "Aber trink nur soviel, wie dir gut bekommt, hörst du? Nur ein einziges Glas und schenk nicht zu voll."
Das Essen ist erstaunlich gut, das Schnitzel saftig, die Bratensauce fett und die grünen Bohnen hübsch anzusehen. Eine Frau flötet im Vorbeigehen: "Ah, the Lady with the Mouse", und Pieps trompetet begeistert: "Neiss Maus, näh...?!" Na toll, das kann ich mir jetzt wieder tagelang anhören.
Mein Magen drückt gegen das Zwerchfell und das gibt den Druck weiter nach oben. Mein Lungenvolumen dürfte noch etwa einen Liter betragen. Ich geh in die Kabine und leg mich erstmal hin. Hier ess ich jedenfalls nie wieder. Saftladen!
Gegen Abend habe ich mich wieder soweit erholt, dass ich einen Decksspaziergang mache. Morgen legen wir in Kiel an, dann bin ich wieder zu Hause.
Wenn ich überlege, dass es vom nördlichsten Punkt meiner Reise, von Idre, noch über 1000 km weiter nach Norden geht, dann habe ich schon jetzt eine Idee für ein anderes Abenteuer: Im Grenzgebiet bis nach Kiruna, nördlich des Polarkreises, fahren und die ganze Zeit wildcampen und keinen einzigen Campingplatz anlaufen.
Auch wenn ich es nicht gerne zugebe, aber das Fahren mit dem GPS Gerät hat meine Reisen um mindestens zwei Klicks verbessert. Jeden Weg und jeden Steg habe ich sorgfältig vorgeplant und bin mit dem GPS Strecken gefahren, die auf keiner Straßenkarte verzeichnet sind. Nicht alle davon waren illegal.
Nur der Kontakt zu anderen Motorradfahrern abends auf dem Campingplatz, der hat sich wohl erledigt. Die Ära der Adventurebiker mit Zelt und Schlafsack ist vorüber. Jetzt ist etwas Neues, etwas Anderes, die Zeit der voll ausgestatteten Tourenfahrer, die jede Nacht ein festes Dach über dem Kopf buchen.
Daran ist überhaupt nichts auszusetzen, die Zeiten ändern sich und das Geld ist schließlich da, aber ich fand es immer schön, abends andere Motorradfahrer mit ihren Zelten zu sehen und ein paar Worte zu wechseln. Ich werde jedenfalls weiterhin Old School reisen, solange ich noch so jung und gesund bin. Später einmal werde ich selbst nur noch in Hotels und Hütten zelten, aber bis dahin vergeht hoffentlich noch viel Zeit.
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