Svenja geht an Bord
Die Abfertigung am Schalter der Norwegenfähre verläuft exakt so, wie ich es schon von Finnlines und DFDS kenne: Die Ampel schaltet grün, man fährt an den Counter heran, stellt den Motor ab, sagt der hübschen jungen Frau am Schalter nett Guten Tag und überreicht ihr die Buchungsbestätigung. Von da an Ratlosigkeit, wildes Getippe und Geklicke, noch mehr Ratlosigkeit, Kollege kommt zur Hilfe, gemeinsame Ratlosigkeit.
Die Leute in der Schlange hinter mir werden langsam rebellisch. Natürlich denken die, es läge an mir, sie hat ihre Buchung nicht bezahlt, gefälschte Daten, ein blinder Passagier. Anfangs hat mich das total verunsichert, weil ich nichts in der Hand halte, außer einem zu Hause selbst gedruckten Fährticket, aber inzwischen lasse ich mich davon nicht mehr aus der Ruhe bringen. Buchungscomputer an Abfertigungsschaltern von Fährlinien funktionieren anfangs nie. Vermutlich Windows. Ich habe Geduld.Um 12 Uhr beginnt das eigentlich Boarding. Dann öffnet sich die Schranke und man darf vorfahren bis zum Schiff, wo man noch einmal eingewiesen wird. Ich rolle hinter einer Honda VFR und einer BMW K1300S über die kurze Rampe in den Bauch der MS Color Fantasy.
Leider versemmele ich die Videoaufnahme, weil ich vor Aufregung die kleinen Knöpfe nicht richtig treffe. Deshalb gibt es nur einen kurzen Clip von der Fahrt über den Kai. Na ja, ich übe noch. Hmpff...
An Bord werden wir über eine zweite, schmalere Rampe ein Deck höher gelotst, wo wir mit insgesamt 17 Maschinen auf engstem Raum zusammengepfercht werden. Ich habe Glück (=unverschämte Ellenbogenmentalität) und bekomme den besten Platz links hinten außen. Die anderen haben kaum genügend Platz, um von ihren Maschinen zu steigen. Das ist echt blöd geregelt.
Jetzt schlägt wieder meine große Stunde, denn wenn ich etwas kann, dann Motorrad auf Fähre: Ich stelle die KLX auf dem Seitenständer ab, den 1. Gang lasse ich drin, stecke Helm und Handschuhe auf den Spiegel (der Diebstahl MakeUp verschmierter Helme auf Fähren ist zuletzt sehr zurückgegangen) und nehme den Tankrucksack ab. Ich gehe zur Bordwand, wo die Spanngurte hängen, bloß nicht zögern, die wenigen guten sind schnell vergriffen, und nehme einen der grünen Gurte.
Ich stecke den einen Haken in die Decksöse, ziehe den Gurt einmal quer über die Sitzbank und hänge den zweiten Haken in die gegenüber liegende Öse. Drei-, vier-, fünfmal die Ratsche betätigen bis der Gurt stramm sitzt und die Maschine sicher steht. Die ganze Aktion hat kaum drei Minuten gedauert von dem Moment, als ich den Motor abgestellt habe.
Die Kabine ist total schön und geschmackvoll eingerichtet. Teppiche und Gardinen sind nagelneu und sogar ein Flachbild Fernseher hängt überm Bett. Kein Wunder, das Schiff ist erst vor sechs Wochen aus einer dänischen Werft gekommen, wo es umfassend modernisiert worden ist. Ich mag sogar das Bild an der Wand.
Trotzdem habe ich jetzt nicht viel Zeit, die Kabine zu würdigen, das kommt später. Jetzt habe ich einen Termin mit Claudie, die irgendwo am Ufer steht und ein Foto von mir machen will, wie ich winkend an Deck stehe und wir legen gleich ab.
Eilig haste ich vier Decks nach oben aufs Sonnendeck, beame mich durch die Luftschleuse nach draußen und ergattere einen der begehrten Winkeplätze an der Reling. Kiel zeigt sich heute von seiner besten Seite, Kaiserwetter. Ganz langsam läuft die Color Fantasy durch die Kieler Innenförde. In der Ferne kann ich das Dach des Hauses erahnen, in dem ich wohne: "Tschüss, schöne Wohnung, tschüss gemütlicher Ohrensessel, all meine Klamotten und Schuhe und mein Computer, tschüss Kiel."
Plötzlich entdecke ich Claudia. Sie hat ihren Twingo frech auf dem Parkplatz von Sartori und Berger geparkt, der sich bei den Tests der letzten Woche als bester Standort erwiesen hat. Mit ihrer Leica SL2 und einem 560 mm Leitz Tele wartet sie auf uns. Pieps und ich winken wie blöde, Claudie schießt ihre Fotos, die Color Fantasy tutet (ebenfalls wie blöde) und die Kräne der alten Howaldt Werft liefern den perfekten Hintergrund dazu.
Ich habe extra mein rotes MotoCross T-Shirt angezogen, damit ich besser zu sehen bin, aber ich bin trotzdem schon gespannt, ob ich auf den Fotos zu erkennen bin, denn es ist doch ziemlich weit weg, ich kann Claudie gerade so erkennen.
Sogar einen Geldautomaten gibt es an Bord, aber den kann ich erst morgen früh testen, wenn mein Gehalt auf dem Konto ist. Heute gäbe es nur einen "404 - Bad Request, Money not Found" Error auf dem Display. Für Norwegen rechne ich pro Tag mit 20 € Benzin, 20 € Maut und Fähren, 20 € Camping und 25 € Essen. So ungefähr habe ich das zuhause ausgeknobelt und ich bin gespannt, ob es hinhaut. Finnland und Schweden werden günstiger sein.
Gegen 18 Uhr verschwinden Pieps und ich in unsere Kabine. Die Gastronomie auf der Fähre ist leider außerhalb meiner Preisklasse und deshalb habe ich zu Hause im Schlemmermarkt Freund die leckersten Sachen für uns gekauft: Vier knusprig gebratene Scheiben Schweinebauch, eine Tafel Rittersport, zwei Dosen Bier und natürlich eine Tube Löwensenf Extra. Das perfekte Abendessen.
Wir mampfen voller Appetit alles in uns hinein, bis außer einer fettigen Serviette nichts mehr übrig ist. Dabei sehen wir den Menschen zu, die unter unserem Fenster durch die Mall schlendern. Nach dem Essen lege ich mich aufs Bett und schreibe Reisetagebuch. Dafür brauche ich gute ein bis zwei Stunden pro Tag.
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Außer der langweiligen Anreise gab es heute noch nicht viel zu erzählen, aber dafür ist der Anfang geschafft.