Spiskammerset
Wie immer sind es die Ohren, die als Erste wieder wach sind. Mit geschlossenen Augen liege ich da und höre das leise Rauschen des Baches. Allmählich kehrt das Bewusstsein zurück und ich erinnere mich, dass mein Zelt irgendwo in den Bergen steht am Aursjøvegen.
Ich drehe mich auf den Rücken, strecke mich ausgiebig bis in die Zehenspitzen und öffne die Augen. Ich bin wach. Es ist mollig warm im Schlafsack, aber an der Nasenspitze spüre ich, dass es kalt ist im Zelt. Das Thermometer steht bei 2°C.
Gerade als ich mich im Liegen in die Motorradhose wrangel, geht ein Regenguss aufs Zelt nieder. Mist, ich wollte so gerne trocken abbauen, aber dann warte ich noch eine Weile. Vielleicht ist es nur ein kurzer Schauer. Im Wind trocknet das Zelt in wenigen Minuten.
Inzwischen stopfe ich den Schlafsack in seinen Beutel, lasse die Luft aus der Therm-a-Rest und packe die Sachen zusammen. Der Regen hat aufgehört und ich mache mich daran, das Lager abzubrechen.
Ein schneidend kalter Wind bläst über die Hochebene, während ich die Zeltstangen zerlege und die Heringe aus dem Boden ziehe. Schließlich knie ich auf der nassen Zeltrolle und presse sie zusammen, bis sie in den blauen Ortliebsack passt. Meine Finger schmerzen vor Kälte und ich bin froh, als ich endlich die dicken Handschuhe anziehen kann.
Ich werfe einen letzten Blick auf den Platz, an dem ich geschlafen habe und verabschiede mich mit der Gewissheit, dass ich wiederkommen werde. An diesem Platz habe ich das Wildcampen neu entdeckt und zugleich ein gutes Mittel gegen Ungeziefer, Mücken und Zecken gefunden, Kälte. Ich habe nicht ein einziges Insekt bemerkt.
Nach zwei Kilometern komme ich an eine Brücke, die über einen reißenden Fluß führt. Ein Schild weckt meine Neugier und ich halte an, um ein Foto zu machen. "Drinking Water. Do not pollute", steht darauf und ich fülle meine Wasserflasche noch einmal bis zum Rand.
Soviele Bäche, Rinnsale, Flüsse und Wasserfälle wie in Norwegen habe ich noch nie gesehen. Dieses Land besteht aus Fels und Wasser. Kein Wunder, dass Flaschenwasser hier so teuer ist, denn es ist ein echter Luxusartikel, für den es kaum einen Grund gibt, ihn zu kaufen.
Mit dem letzten Foto gibt die Kamera einen Piepston von sich, das Akkusymbol blinkt ein letztes Mal rot auf und das Display erlischt. Der Akku ist restlos leer. Vielleicht finde ich in Sunndalsøra eine freie Steckdose, während ich dort einen Kaffee trinke.
Dieser Abschnitt des Aursjøvegen ist weniger dramatisch, aber dafür anstrengender zu fahren und als ich nach fünfunddreißig Kilometern endlich Sunndalsøra erreiche, bin ich froh, eine Pause zu machen.
Die UNO-X Tankstelle ist schon von weitem an ihrer gelben Farbe zu sehen. Es ist eine reine Automatentanke, aber inzwischen geht mir die Bedienung der Tankautomaten mit der Kreditkarte gut von der Hand. Cool, ich reite auf meiner VISA Karte durch Norwegen. Wenn es funktioniert, ist es wirklich klasse.
Während ich den Tank fülle, geht ein heftiger Gewitterregen über Sunndalsøra nieder und ich bin froh, unter dem Dach der Tankstelle zu stehen. Auf der gegenüber liegenden Straßenseite entdecke ich ein Café. Im Laufschritt renne ich durch den Regen hinüber und lasse die Maschine auf der Tankstelle stehen. Hier ist so wenig los, dass sich kaum jemand beschweren wird.
Als ich die Tür zum Café öffne, ertönt eine kleine Glocke und mit dem Schritt über die Schwelle trete ich in eine andere Welt ein. Hier drinnen ist es hell und freundlich, warm und gemütlich. Die Möbelstücke sind bunt zusammengewürfelt und kaum ein Stück passt zum andere. Es erinnert mich an das wunderbare The Big Rock Café in Porthmadog, wo ich letztes Jahr in Wales bei ganz ähnlichem Wetter Zuflucht gefunden habe.
Ich brauche Kaffee, vielleicht etwas zu essen und ganz sicher Strom. Zwei junge Frauen teilen sich die Arbeit hinter dem Tresen und auch die wenigen Gäste sind weiblich.
Ich verstehe nicht und antworte auf Englisch: "Coffee, please and something to eat. Do you have Sandwiches?"
"I could make you a toast"
"That's perfect, thank you. And do you have electricity for me? "
"Over there in the corner", sagt sie und zeigt mit dem Finger auf eine Steckdose in der Ecke.
Ich nehme den Akku aus der Kamera, setze ihn in das Ladegerät ein und stecke es in die Dose. An diesem Tag erfinde ich das Guerilla Charging.
Als ich die Endurojacke über einen der schmächtigen Caféhausstühle hänge, droht dieser gleich umzukippen, so dass ich mich schnell setze.
Nach einer Weile kommt mein Toast. Er ist dick mit Schinken und Käse belegt, allerdings auch mit viel Salat, aber er schmeckt trotzdem ganz ausgezeichnet und zweimal verbrenne ich mir an dem heißen Käse den Mund.
Ich frage die Bedienung nach dem Namen des Cafés, damit ich es in meinem Reisebericht erwähnen kann. Sie reißt einen Post-It vom Block und schreibt den Namen darauf. Spiskammerset nennt sich das Café. An der Wand, ungefähr dort, wo mein Ladegerät in der Steckdose steckt, gibt es einen Durchgang zu einem Laden mit Geschenkartikeln, der Kammerset heißt.
Durch die nassen Scheiben des Cafés sieht man dunkle Wolken bis zum Horizont und es gießt noch immer in Strömen. Nein, ich habe noch keine Lust weiterzufahren, lieber hole ich mir einen weiteren Becher Kaffee, gebe dem Akku noch Zeit zum Laden und strecke die Zeit, bevor ich wieder hinaus in den Regen muss.
Inzwischen ist es beinahe Mittag und das Café füllt sich mit Gästen. Zwischen zwei Bechern Kaffee schlendere ich durch die Zwischentür hinüber in den Geschenkeladen. Vielleicht finde ich ein Mitbringsel, das ich zu den anderen in die Vitrine stellen kann, zu der Tabakdose aus Wales und der Tube Coleman's Original English Mustard aus England.
Tatsächlich finde ich einen weiß emaillierten Messlöffel, den ich in Gedanken schon als Teelichthalter sehe, denn ich liebe Kerzenlicht und bei mir zuhause vergeht kein Abend ohne.
Heute will ich noch bis kurz vor Trondheim fahren, wo ich einen Campingplatz am Fähranleger nach Norden ausgesucht habe. Das sind ungefähr 200 Kilometer und es wird Zeit aufzubrechen.
"Good bye", verabschiede ich mich am Tresen. "This is a very nice place you have here", spreche ich ein ehrliches Lob aus, weil es mir hier so gut gefällt.
"I know", lautet die kurze Antwort, die ich bisher nur als Erwiderung auf "I love you" kannte. Mit einem Nicken verabschiede ich mich und gehe hinüber zur Tankstelle, wo ich mir im Schutz des Daches die Regenkombi anziehe und aus Sunndalsøra abfahre.
Typisch die Situation auf der Fähre. Ich fahre aufs Schiff, stelle den Motor ab. Ein Mann tritt zum Kassieren an mich heran, sagt keinen Ton, kein Hallo, kein Lächeln, nichts.
"How much is it, please?" frage ich höflich.
"46", lautet die Antwort.
Gut, denke ich, das ist kein Mann, der sich in Details verliert und puhle einen 50 Kronen Schein aus meiner Geldklammer. Er nimmt den Schein, gibt wortlos Wechselgeld und Fahrschein heraus, wendet sich ab und geht. Auf den Tankstellen ist es ähnlich, man wird absolut korrekt bedient, aber es fällt keine Silbe zuviel, kein freundliches Gesicht, man fühlt sich irgendwie nicht willkommen.
Falls das unfreundlich ist, ja dann sind Norweger unfreundlich. Herzlich sind sie jedenfalls nicht. Ich durchschaue noch nicht, wie die Menschen hier ticken, aber bis jetzt sind sie mir ausgesprochen unsympathisch.
Ruhig ziehe ich meine Bahn durch die wunderschöne Landschaft bis nach Orkanger, wo ich tanken und einkaufen will. An der ersten Tankstelle probiere ich meine neue Wirecard aus, eine Kreditkarte die ich übers Internet besorgt habe, um Ersatz zu haben, falls meine VISA Karte einmal nicht funktioniert. Ohne Kreditkarte ist man in Skandinavien aufgeschmissen.
Die Wirecard funktioniert wunderbar, der Tank ist voll und ich gehe zu Rema 1000 einkaufen. Heute abend gibt es Lammfrikadellen, Fetakäse und Oliven, das wird ein Festessen. Dazu kaufe ich eine kleine Dose Bier für umgerechnet fast drei Euro. Bin ich Alkoholikerin? Ich weiß es nicht, aber etwas anderes macht mir mehr Sorgen, ich habe schon wieder Appetit auf Obst und kaufe eine Banane. Bin ich schwanger?
Als ich aus dem Supermarkt komme und die Einkäufe verstaue, bricht die Sonne durch die Wolken und die letzten 35 km bis nach Flakk fahre ich ohne Regenkombi. Ich freue mich schon auf mein Zelt, aufs Abendessen und das Bier und hoffe, dass der Campingplatz halbwegs schön ist.
Flakk Camping liegt am Fähranleger nach Rørvik, wo eine große Fjordfähre alle 30 Minuten ungefähr hundert Autos, Lastwagen und Busse an Land spuckt. Der Platz wird von Vielen nur als Durchgangsplatz auf dem Weg nach Norden genutzt.
Am Rand der Wiese steht eine nagelneue Holzhütte mit der Camperküche. Mein erster Blick fällt auf die Vierfachsteckdose an der Wand. Minuten später hängen mein Handy und der Akku der Digitalkamera am Netz und saugen sich mit Energie voll, Guerilla Charging.
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Das war ein kleiner Reisetag ohne große Abenteuer, aber Spaß gemacht hat er trotzdem. Falls ihr etwas beisteuern mögt, könnt ihr das wie immer hier tun. Ich freu mich doch über eure Kommentare.