0,24 t Gesamtgewicht
Was haben die Schweden bloß gegen knusprig? Sie machen die leckersten Brötchen und Baguettes, belegen sie mit Spiegelei und gebratener Wurst, nur um sie dann in Cellophan einzuwickeln, damit sie nass und labberig werden. Entweder haben die eine Hygienemacke, oder eine strikte Abneigung gegen alles Knusprige.
Heute morgen fühle ich mich wie zerschlagen, dabei habe ich so lange und so gut geschlafen, wie sonst auch. Brauche ich einen freien Tag, einen Tag Urlaub von meinem Urlaub?
Ein wenig habe ich die Anstrengung unterschätzt, jeden Tag sieben Stunden Motorrad zu fahren und jede Nacht woanders zu zelten, aber andererseits ist das auch mein jährlicher Stresstest.
Wie Banken und Atomanlagen muss nämlich auch ich von Zeit zu Zeit getestet werden, ob ich der erhöhten Belastung noch standhalte, oder sich irgendwo schon Risse bilden und ich bald abgeschaltet werden muss.
Argwöhnisch achte ich auf jedes Zipperlein, auf Rückenschmerzen, Magenprobleme, Krämpfe, oder sonstige Beschwerden, aber bis jetzt ist alles in Ordnung, keine Risse.
Mein kleines Tief könnte auch ein gewöhnlicher Kater sein, nachdem ich gestern Abend noch einmal kurz im Supermarkt war, um Nachschub zu holen. Mit dem letzten Schluck Kaffee nehme ich ein Aspirin und mache mich wieder auf den Weg.
Am späten Vormittag rolle ich auf der Enduro in eine Kleinstadt hinein, Smålandsstenar heißt sie, kleine Geschäfte unter Linden, ein Marktplatz, Blumenbeete und Menschen, die es nicht eilig zu haben scheinen.
"Excuse me, please", spreche ich einen jungen Verkäufer an, "I cannot find the white wine. Can you show me?" Er wirft mir einen Blick zu, als hätte ich nach Crystal Meth gefragt. Ich hatte ganz vergessen, dass es in Schweden Wein nur im Systembolaget gibt, den staatlichen Schnapsläden, die das Monopol auf den Verkauf von Alkoholika jenseits der 3,5 % Marke haben.
Den Blaubeerjoghurt löffele ich im Stehen neben dem Motorrad in mich hinein. Es könnte mir nicht besser gehen, denke ich und lächele versonnen vor mich hin.
Einige Kilometer hinter Smålandsstenar fahre ich am Zaun einer großen Spedition entlang, ein riesiges Gelände mit Hallen, Lastwagen und vielen abgestellten Trailern. Ich werde langsamer und biege auf das Gelände ein, ich habe nämlich etwas entdeckt, dass ich unbedingt ausprobieren möchte, die LKW-Waage.
Mein kleiner Besuch wurde offenbar noch nicht bemerkt. Das Gelände ist so groß, dass niemand mir Beachtung schenkt.
Ich weiß nicht, wie diese Waagen funktionieren, ob man irgend etwas tun muss, oder irgendwo drücken, aber entschlossen fahre ich das Motorrad die Rampe hoch und bleibe auf der Wiegeplatte stehen.
Sofort erscheint auf der Anzeigetafel ein Wert: 0,24 Tonnen. Nicht schlecht für eine Enduro, eine Svenja, eine Maus mittlerer Statur, eine komplette Zeltausrüstung inklusive Küche, ein Nachthemd und Urlaubsgepäck für drei Wochen.
Ich knipse ein Erinnerungsfoto der Anzeigetafel und mache, das ich wegkomme. Inzwischen sind ein paar Jungs in Warnwesten auf mich aufmerksam geworden, aber ich kann nirgends eine BMW entdecken, also müssen das welche von den Speditionstypen sein.
Ich lege den ersten Gang ein, lasse die Kupplung kommen und rausche zügig von der Waage runter, durch das große Tor und zurück auf die Landstraße.
Kurz vor Helsingborg verlasse ich die Autobahn in Richtung Fährhafen. Auf der Reklametafel eines Baumarktes werden 32° C angezeigt, mir ist heiß. Gerade als ich auf das Hafengelände einbiege, kommt Seenebel auf, der in kurzer Zeit alles in eine kühle Decke hüllt.
Das Thermometer am Hafen zeigt nur noch 24° und der plötzliche Temperatursturz fühlt sich angenehm frisch an, aber der Nebel hat auch etwas Klabautermannmäßiges. Ich liebe gute Filme und mir fällt The Fog ein, Nebel des Grauens, ein John Carpenter Klassiker.
"Nächste Fähre: 14:30 Uhr", steht auf der Leuchttafel am Ticketschalter der Vogelfluglinie, die Uhr im Cockpit zeigt 02:28 Uhr, das schaffen wir noch.
"Combi ticket for Puttgarden, please", ranze ich die Frau am Schalter an. Damit buche ich gleich beide Fähren, Helsingborg - Helsingör und für morgen Rödby - Puttgarden. 555 SEK erscheint auf dem Display der Kasse, das sind ungefähr 62 Euro. Entschlossen ramme ich die VISA-Karte in den Schlitz des Datenterminals und tippe hektisch die PIN ein. Noch eine Minute bis zur Abfahrt.
"Lane one, please", werde ich eingewiesen und düse unter Missachtung sämtlicher Regeln quer über den Anleger zur Fähre, die mit weit geöffneter Bugklappe bereitsteht. Auf dem letzten Stück rauche ich noch einen Reisebus auf, der ebenfalls unterwegs zum Schiff ist.
Ich bin kaum abgestiegen, da hält der Reisebus genau hinter mir an, die Türen öffnen sich und eine Flut chinesischer Touristen ergießt sich auf das Deck. Bunt gekleidet und fröhlich schwatzend fotografieren sie alles, was ihnen vor die Linse kommt.
Oh no! Ich weiß, was jetzt kommt: Chinesen sind jedesmal völlig aus dem Häuschen, wenn sie eine Frau entdecken, die alleine mit dem Motorrad unterwegs ist.
Ich zucke jedes Mal zusammen, wenn das mächtige Nebelhorn losgeht. Trotz Radar und GPS wird auch heute noch gerne getutet.
Kurz darauf werden die Schiffsmotoren leiser. Die Bordwände sind zu hoch, um etwas sehen zu können, aber ich ziehe schon einmal das Halstuch über die Nase und setze den Helm auf. Während ich aufs Motorrad steige, öffnet sich schon die mächtige Bugklappe und gibt den Blick frei auf Helsingör.
Auf den letzten Metern vorm Anlegen stelle ich die Beine weit nach außen fest aufs Deck und ziehe die Handbremse an. Wenn die Fähre auch nur ganz leicht irgendwo anditscht, dann kippen Motorräder reihenweise um, aber das Schiff legt weich, wie ein Seidenschal an und Augenblicke später fahre ich schon nach Dänemark hinein.
Plötzlich zieht vom Meer wieder dichter Seenebel herüber. Es ist gespenstisch, eben fahre ich noch bei 30° im strahlenden Sonnenschein und im nächsten Moment taste ich mich vorsichtig durch den kühlen Nebel.
Hornbæk Camping ist ein richtiger Apothekerplatz, elektrische Schranken, Magnetkarten, piekfein manikürte Rasenflächen und alles durch Schilder in mehreren Sprachen genau geregelt. Normalerweise meide ich solche Plätze, aber es ist noch Vorsaison und so habe ich die schöne Zeltwiese ganz für mich allein, mehr als ok für die letzte Nacht auf dieser Reise.
Mit Pieps zusammen mache ich mich zu einer Platzrunde über den Campingplatz auf, die uns wie zufällig ohne jeden Umweg direkt zum Kiosk führt.
Es ist unglaublich, welch feine Nasen kleine Mäuse haben. Pieps wünscht sich ein Ben & Jerry's Cookie Dough und ist ziemlich empört, dass wir bezahlen sollen und es nicht geschenkt bekommen, wie neulich in Schweden.
Der Seenebel hat sich noch immer nicht ganz verzogen, aber es ist trotzdem warm genug, um draußen zu essen. Ich stelle den Kocher auf und löse die Koteletts mit dem scharfen Messer sauber vom Knochen, so dass alle Drei auf einmal in die Pfanne passen. Das Mohnbrötchen reiße ich in kleine Stücke und brate sie mit, sowie das erste Kotelett Platz gemacht hat.
Die Beiden sehen durch mich hindurch, als ob ich Luft wäre und bauen ihr Zelt so dicht neben meinem auf, dass man sich nur wundern kann. Die Zeltwiese ist riesengroß und die zelten fünf Meter neben mir. Als erste Amtshandlung wird ein altes Kofferradio aufgestellt und kurz darauft plärrt ein Musiksender verrauscht über die Wiese.
Wie sehr ich die Einsamkeit auf dem Aursjøvegen vermisse. Ab jetzt werde ich sehr genau auf meinen Kram aufpassen und ganz besonders auf das Dosenbier.
Pieps, du hast die erste Wache, ich gehe abwaschen...
weiter zu Tag 23
zurück nach oben
Nur noch einmal schlafen, dann bin ich wieder in Kiel.