Mit der Enduro durch Norwegen
Der Hinterreifen ist am Ende. Nur ein erfahrener Braille-Leser könnte jetzt noch einen Rest von Profil ertasten. Dabei haben meine Katie und ich noch gut 2.000 Km Norwegen vor uns und Reifenhändler sind rar auf dem Fjell. Aber halt, von Anfang an . . . .
Wochenlang hatten wir uns auf die Reise vorbereitet. Wir, das sind mein Bikerbuddy Werner und ich. In Schweden war ich bereits fünfmal mit der Enduro gewesen, aber Norwegen war für uns beide Neuland. Über Googlemaps und meine ultimative Packliste hatten wir uns so gut es ging vorbereitet. Die Reiseroute stand nur im Groben fest. Wir hatten einfach alles gesammelt, das uns interessieren könnte und daraus eine erste ungefähre Route gestrickt. Den genauen Streckenverlauf wollten wir Tag für Tag am Lagerfeuer neu festlegen.
Wir starten gegen 11 Uhr aus Kiel in Richtung Hanstholm in Dänemark. Dort wollen wir die Schnellfähre nach Kristiansand nehmen. Das Schiff legt erst um 20.30 Uhr ab, so daß wir Zeit genug für die 400 km lange Anreise haben. Wir meiden die Autobahn und fahren stattdessen die Landstraße Nr.11 quer durch Dänemark. Es ist ein heißer Tag mit Temperaturen bis 29° im Schatten.
Ganz beiläufig erzählt Werner mir, daß heute sein 40. Geburtstag ist. Ich bin erstmal platt, aber zum Glück habe ich einen kleinen blauen Karabinerhaken als Notgeschenk für ihn dabei. Das Geschenk ist nicht ganz uneigennützig: vielleicht hört damit die ewige Sucherei nach dem Motorradschlüssel auf und wir kommen schneller los :-)
Das schnellste Fährschiff der Welt - die Master Cat
In Hanstholm angekommen düsen wir direkt zum Terminal von Masterferries. Die Plätze hatten wir zuvor im Internet gebucht, so daß wir einfach durchgewunken werden. Wir stehen gerade in Reihe 13, als die Master Cat einläuft. Uns fällt glatt die Kinnlade runter, das Schiff ist ein absoluter Hammer. Mit 85 km/h ist der Katamaran die schnellste Fähre weltweit und trägt zudem das blaue Band für die schnellste Atlantiküberquerung. Mit diesem Speedboat ist man in weniger als zwei Stunden in Norwegen. Dabei ist die Überfahrt total günstig, wir haben jeder nur 39,90 EUR gezahlt.
Unter Deck müssen wir die Motorräder selbst verzurren und haben unsere liebe Mühe mit den verhedderten Spanngurten. Es braucht eine ganze Weile bis die Enduros sicher stehen. Der Hauptständer der KTM ist dabei wirklich von Vorteil, sie steht einfach fester.
Auf Schiffen muss jeder Biker sein Motorrad selbst verzurren - Spanngurte sind vorhanden
Fast die ganze Überfahrt verbringen Werner und ich an Deck. Es ist total beeindruckend auf dem Achterdeck zu stehen und die gewaltigen Turbinen zu beobachten, mit denen das Schiff angetrieben wird. Wie bei einem Jetski wird das Schiff nicht mit einer Schraube, sondern mit vier gewaltigen Wasserstrahlen vorangetrieben.
Bereits nach einer halben Stunde ist Dänemark ausser Sicht
Unglaublich wie die Master Cat durchs Meer pflügt. Vor lauter Begeisterung vergessen wir beinahe unseren Besuch im Duty Free Shop. Dort gönnen wir uns eine kleine Flasche Johnnie Walker und ein drei Pfund schweres Stück allerbestes argentinisches Entrecote. Wir wollen Werners Vierzigsten gebührend feiern.
Das grösste Speedboat der Welt - Vier Turbinen powern die Master Cat über die Nordsee
Gegen 22 Uhr kommt die norwegische Küste in Sicht und wir gehen unter Deck um die Bikes startklar zu machen. Ausserdem müssen wir noch unsere Beute verstauen, Whisky, Fleisch und Bier. Dieses Problem sollten wir auf unserer Reise noch häufiger haben, die Bikes sind vollgepackt und der tägliche Einkauf deshalb schwierig unterzubringen.
Gleich sind wir in Norwegen - nur noch schnell die Enduros losmachen
Als wir endlich norwegischen Boden unter den Stollenreifen haben, ist es bereits 22:30 Uhr. Wir beschließen auf der Reichsstraße 9 ins Landesinnere zu fahren und die erste Möglichkeit zum Campen zu nutzen. Wir sind beide doch ziemlich erledigt von der langen Anreise. Trotzdem ist es total aufregend durch das unbekannte Land zu fahren. Die Straße ist eng und kurvig, es geht dauernd steil hoch oder runter, echt cool wenn man aus Schleswig-Holstein kommt :-)
Wir sind noch keine 20 Minuten in Norwegen, als wir auch schon unseren ersten Elch sehen. Dicht an der Straße steht eine riesige Elchkuh mit ihrem Kalb und äst in Ruhe ein paar Büsche ab. Wir sind beide völlig platt, boooaaaah sind die Biester groß....! Dagegen wirkt jedes Reitpferd wie ein Pony. Bis wir endlich die Kameras klar haben, dreht die Mama mit ihrem Kind um und trottet zurück in den dunklen Wald. Wir sind beide zutiefst beeindruckt.
Wir düsen danach deutlich vorsichtiger durch die dunklen norwegischen Bergwälder. Nicht auszudenken, wenn so ein Viech plötzlich vor uns auf der Straße stehen sollte. Allmählich wird es immer dunkler. Wir finden einfach keine Campmöglichkeit. Campingplatz, wild campen, egal. Nur schlafen. Campingplätze gibt es aber an der Reichsstraße 9 erstmal nicht. Also wollen wir frei zelten. Das ist in Norwegen zwar grundsätzlich erlaubt, aber gar nicht so einfach. Man findet einfach kein Plätzchen ebene Erde ohne Felsen, Bäume oder Wasser. Grüne Wiesen gibt es nicht. Gegen 00:30 Uhr sind wir beide schon ziemlich verzweifelt. Irgendwann zeigt Werner auf einen schmalen Weg, der hoch in den Wald führt. Es ist inzwischen stockfinster und wir heizen im 1.Gang den steilen Weg hinauf. Gut, daß ich Katie die derben Schuhe angezogen hab, der Metzeler Karoo (T) ist die beste Wahl für diesen Weg. Als die ersten Birken quer überm Weg liegen, gibt es kein Zurück mehr. Links geht es einen Steilhang hinunter, hier ist einfach kein Platz zum Wenden. Mit viel Glück und dem Mut der Verzweifelung kommen wir beide den Weg hoch. Es geht immer tiefer in den Wald hinein, die ersten Matschlöcher tauchen auf. Schließlich ist der Weg so zugewachsen, daß auch für unsere Enduros kein Weiterkommen mehr ist. Als wir die Motoren ausmachen, merken wir erst, wie still es um uns ist. Wir sind mitten im tiefdunklen Wald, kaum ein Geräusch ist zu hören. Wir beschliessen unsere Zelte mitten auf dem Weg aufzustellen. Hier ist schon seit Jahren niemand mehr entlang gefahren.
Aber erstmal wollen wir ein richtiges Lagerfeuer machen. Die mitbegrachten Bratwürste müssen gegrillt werden und das Bier trinkt sich schließlich auch nicht von alleine. In Windeseile hat Werner ein erstklassiges 1a Prädikats-Lagerfeuer entzündet. Er ist ein echter Feuerteufel. Ich denke mit zwei Stück feuchtem Klopapier und einem nassen Streichholz würde Werner noch immer ein super Campfire ankriegen. Cooles Talent....
Lagerfeuer beim Wildcampen - ich bin erschöpft aber glücklich
Obwohl wir beide von der 514 km langen Anreise ziemlich kaputt sind, sitzen wir noch lange am Lagerfeuer. Erst als gegen 3:30 Uhr der Morgen dämmert, gehen wir beide in unsere Zelte. Der Boden ist völlig uneben. Werners Zelt steht auf der tiefen Fahrspur und ich mitten auf einem flachen, glatten Felsen. Egal, wir schlafen trotzdem beide tief und fest und wachen morgens voller Tatendrang auf. Schnell das Lager abbrechen und schauen, wo wir überhaupt gelandet sind. Als wir den steilen Pfad aus dem Wald herunterrutschen, merken wir erst wie heftig die nächtliche Offroad Einlage vollbeladen mit Urlaubsgepäck war. Egal, ist ja gut gegangen. Jetzt erstmal zurück in die Zivilisation finden.
Traumhafte Straßen in Norwegen - keine Ausnahme sondern die Regel
Schon auf den ersten Kilometern sind wir hellauf begeistert. Oh, Boy: ist Norwegen schön. Schmale kurvige Straßen, bergauf, bergab, Felsen, Wald und Wasser und dabei überhaupt kein Verkehr. Wir sind oft für Ewigkeiten die einzigen Fahrzeuge auf der Straße. Biker's Paradise....
Wir fahren zurück in Richtung Küste und lassen die Reise mit einer nur 250 km langen Tagesetappe langsam angehen. Heute wollen wir auf einem Campingplatz übernachten, ich möchte unbedingt duschen.
Auf einer einsamen Straße schmeisst Werner unverhofft ein Sixpack Ringnes Pilsener vor die KTM
Vergebliche Notschlachtung - mit den Resten hätte man kein Mon Cherry füllen können
In Egersund finden wir schließlich einen kleinen familiären Campingplatz. Auf einer Anhöhe liegt Hauen Camping mit Blick auf den Fjord und die Hafenanlagen. Nett.
Werner hat sich nicht lumpen lassen und extra für diesen Anlass eine Flasche Châteauneuf-du-Pape mitgebracht. Es ist Samstag und heute wollen wir seinen Vierzigsten ein bisschen nachfeiern. Jetzt kommt uns zugute, daß Werner in seinem ersten Leben Koch gelernt hat. Mit kundiger Hand zerlegt er unser Entrecote in perfekte Scheiben und grillt das beste Fleisch der ganzen Reise. Ich bin begeistert, zudem der teure Wein auch nicht viel schlechter schmeckt als mein gewohnter Cabernet Sauvignon von ALDI (1,49 EUR).
Wie wir noch so faul in der Sonne liegen, plötzlich eine Riesen Überraschung. Wer kommt um die Ecke? Geli und Hans, zwei Arbeitskollegen die mit ihrem Wohnwagen Norwegen unsicher machen. Die beiden hatten eher zufällig mitbekommen, daß wir nur einen Campingplatz weiter Station gemacht haben.
Der nächste Tag ist ein Sonntag und wir werden beide schon früh wach, weil die Sonne so aufs Zelt knallt. Gegen 9 Uhr morgens sind es schon 25° im Schatten. Klasse, dieses norwegische Wetter.
Am dritten Reisetag erwartet uns ein echts Highlight. Wir fahren nach Lysebotn, das in einem tiefen Tal am Ende des Lysefjord liegt. Von hier geht die Fähre in Richtung Preikestolen (norwg.=Predigtstuhl) . Diesen Stein hat sicher jeder schon einmal gesehen, er fehlt in keinem Reisebericht über Norwegen.
Die Einfahrt in die Strecke nach Lysebotn - von hier sind es noch 32 km pure Fun
Lysebotn ist erst seit 1984 über eine Straße zu erreichen, die nur im Sommer befahrbar ist. Die Fahrt geht 32 km über einen Pass und ist mit Abstand die schönste, beeindruckendste und fahrerisch anspruchvollste Strecke der ganzen Reise.
Nach wenigen Kilometern sind wir oberhalb der Schneegrenze
Ihr dürft auf keinen Fall nach Norwegen fahren, ohne einen Abstecher nach Lysebotn gemacht zu haben. Ein echtes Must Ride...!
Die Schneefräsen müssen wohl etwas grösser sein in Norwegen....
Ein Schneemann, ein Schneemann . . . .
Wir machen auf halber Strecke Pause auf dem Hochplateau und sind total beeindruckt von der Landschaft. Holy Moly, das hat sich echt gelohnt. Werner baut einen Mikro Schneemann und ich gebe den Schneeengel.
Im Tal angekommen, haben wir den Aussichtspunkt am Fähranleger für uns alleine. Weil der Weg nach Lysebotn eine Sackgasse ist, haben die anderen Touristen den Ort schon lange wieder verlassen. Die letzten Heimkehrer sind uns oben auf dem Pass entgegengekommen. Im Ort gibt es einen kleinen Campingplatz, der direkt unterhalb eines irre hohen Wasserfalls liegt. Total beeindruckend. Leider haben wir nicht genügend Verpflegung dabei, um dort zu bleiben und Geschäfte gibt es dort nicht. So genießen wir noch ein wenig die Aussicht und essen eine von Werners mitgebrachten Mettwürsten. Wie kann ein Mensch alleine soviele Wurstwaren in seinem Tankrucksack mitschleppen. Damit könnte man die Bewohner der Sahelzone 14 Tage lang ernähren.
Wunderschöner Blick auf denLysefjord. In der Ferne liegt irgendwo der Preikestolen
Wir können uns aus diesem traumhaft schönen Tal kaum losreissen und sind beide ein bisschen traurig, das wir nicht bleiben können. Die Rückfahrt aus dem Tal ist wieder der absolute Knaller. Inzwischen können wir die Strecke ein bisschen besser einschätzen und lassen es ordentlich fliegen. Es ist das einzige Mal, daß wir die Pässe so richtig mit Speed angehen. Unglaublich, hier wird jede Fahrt zum Bergrennen, ohne auch nur einmal die erlaubten 80km/h wesentlich zu überschreiten. In den Serpentinenkurven muss ich häufig bis in den 1.Gang zurückschalten, 25 km/h stehen auf dem Digitaltacho der KTM. Wir fahren den Pass in rekordverdächtigen 30:47 min. und sind anschließend selbst ein bisschen erschrocken über unsere übermütige Heizerei.
Ein Kapitel für sich sind die zahllosen Tunnel in Norwegen. Unglaublich, die Dinger sind sogar noch häufiger zu finden, als die Fähren. Es gibt zahlreiche Tunnel die länger sind als der 2,65 km lange Hamburger Elbtunnel. Im Gegensatz zu diesem sind die norwegischen Bergtunnel aber überwiegend unverkleidet, kalt, nass und dunkel. Die trüben gelben Deckenleuchten dienen eher der Orientierung, als daß sie die Straße erhellen könnten.
Tunnel sind typisch für Norwegen - Vorsicht: nie mit Sonnenbrille fahren
Als wir aus dem gleissenden Sonnenlicht in die Finsternis der Röhre eintauchen, sind wir die ersten Meter im Blindflug unterwegs. Wehe dem, der jetzt eine Sonnenbrille oder ein getöntes Visier auf hat.
Im Lysetunnel fahre ich voran und taste mich vorsichtig durch das Dunkel, als ich plötzlich von hinten Reifen quietschen höre. Werner! Ich halte sofort an und stelle den Motor aus, Stille. Dann aber kommt der vertraute Scheinwerfer der XT in Sicht. Puh, noch mal gutgegangen. Werner hatte die scharfe Linkskurve gleich nach der Tunneleinfahrt zu spät mitbekommen und ist im Ablaufgraben an der Tunnelwand gelandet. Zum Glück ist nichts passiert, aber wir fahren jetzt noch etwas vorsichtiger.
Der Lysetunnel - wenige Sekunden vor Werners Boxenstop im Graben
Einen Tag vor der Abreise hatte ich die KTM mit einem größeren Kettenrad deutlich kürzer übersetzt. Jetzt passen die Gänge für Norwegens Straßen optimal.
Die Nacht verbringen wir auf einem netten Campingplatz in Valle an der Reichsstraße 9. Auf der saftigen Zeltwiese sind wir die einzigen Camper. Nachdem wir die Zelte aufgestellt haben fahren wir nach Valle hinein, um noch etwas zum Trinken zu besorgen. Schnell müssen wir feststellen, daß Norwegen am Sonntag furchtbar trocken sein kann. Die Tankstelle hat kein Bier und das örtliche Motel weigert sich standhaft uns auch nur eine Flasche außer Haus zu verkaufen.
Valle Camping wird mit 125 NOK pro Person der teuerste Campingplatz der Reise
So fahren wir weiter in Richtung Norden auf der Reichsstraße 9. Wir kommen nur langsam voran, die Landschaft ist einfach zu überwältigend. Dauernd müssen wir anhalten, um unsere Ahhhs und Ohhhs loszuwerden. Echt anstrengend dieses Nowaygen.
Das klare Wasser der Flüsse ist trinkbar - nur Touristen kaufen Wasser in Flaschen
Unterwegs überqueren wir die südlichen Ausläufer des Hardangervidda und passieren dabei ein Kraftwerk, daß uns seltsam bekannt vorkommt. Es ist das Wasserkraftwerk Vermok, das eine Hauptrolle in dem Kinofilm "Kennwort: Schweres Wasser" (1965) spielt. Die Deutschen haben während des 2.Weltkrieges in Rjukan schweres Wasser produziert, wie es auch zum Bau von Atombomben benötigt wird. Die Amerikaner haben schließlich die Anlage zerbombt, während ein norwegisches Sabotageteam den gesamten Bestand an schwerem Wasser durch Sprengung des Fährschiffs Hydro versenkt haben.
Wasserkraftwerk Vemork bei Rjukan - bekannt aus dem Film "Kennwort: Schweres Wasser"
Das Foto kann leider nicht wiedergeben, wie gewaltig die ganze Anlage ist. Die Schlucht ist unglaublich tief und lange Zeit war Rjukan das grösste Wasserkraftwerk der Welt.
Frikadellen aus Elchfleisch - die mochte nicht mal ich ...
Am vierten Tag der Reise wartet eine kleine Überraschung auf uns. Werner hatte bei eBay drei Hüttenübernachtungen ersteigert. Wir zahlen nur unglaubliche 10 EUR pro Nacht. Na, wenn das mal was ist. Wir sind beide ziemlich gespannt und machen uns auf in Richtung Telemark nach Hovin.
Wir haben Traumwetter in Norwegen und genießen jede einzelne Haarnadelkurve
Zuvor wartet allerdings eine andere Überraschung auf uns, Werner hat vergessen wo die Hütte liegt und auch keinerlei Unterlagen mitgenommen. Wir wissen also nur, daß wir in Hovin eine Hütte ersteigert und bezahlt haben. Bei wem und wo? Keine Ahnung. Während ich total angesäuert bin und unsere Übernachtung schon den Bach runtergehen sehe, bleibt Werner wie immer total ruhig. "Das finden wir schon", murmelt er. Ich könnte ihn ermorden.
Tatsächlich kommt alles anders. Wir finden die Hüttensiedlung auf Anhieb. Die Besitzer erwarten uns schon und wir werden freudig begrüsst. Anja und Martin sind Deutsche, die nach Norwegen ausgewandert sind und ihr Glück als Betreiber der Hovin Kulturstasjon versuchen.
Unsere Nobelhütte in Hovin
Die Hütte ist dann die dritte Überraschung des Tages: pikobello, wie neu und komplett ausgestattet. Wir können unser Glück kaum fassen. Und das für 10 EUR pro Nacht. Anja gibt zur Begrüssung selbstgebackene Waffeln aus und erklärt uns die eBay Auktionen als gezielte Werbekampagne.
Nur nichts vergessen - jeden Abend schreibe ich in mein Reisetagebuch
Wir erfahren, daß in der Hütte nebenan ein weiterer Biker wohnt. Walter aus Hannover ist allein mit seiner Harley unterwegs und gesellt sich abends am Lagerfeuer zu uns. Er ist schon ein paar Tage länger in der Gegend und hat ein paar gute Streckentipps für uns.
Wir erkunden die Umgebung um Hovin und finden einen alten Karrenweg
Heute muss ich mich um meine KTM kümmern. Sie hat auf den letzten Kilometern angefangen, Öl zu verlieren. Es tropft bei starker Belastung aus einem Leck in der Nähe des Leerlaufschalters. Ich kann es nicht genauer orten. So fülle ich alle 1.000 km etwa 200 ml nach. Nervig, aber nicht bedrohlich, zumal das Öl nicht auf die Straße tropft, sondern sich im Unterfahrschutz sammelt.
Als wir nachmittags zum Einkaufen wollen, springt Werners XT600 nicht mehr an. Sie ist tot wie ein Stock. Diagnose: Zündung und Licht angelassen. Walter zieht wortlos ein passendes Starthilfekabel aus den Tiefen seiner Harley Koffer und mit einer kleinen Atemspende der KTM wird die Yamaha zum Leben erweckt. Werner lässt sie auch nur ein einziges Mal wieder ausgehen :-)
Wir starten erneut und düsen die 60 km durch den Wald bis nach Kongsberg. Das Fleisch im Supermarkt sieht echt klasse aus, aber Werner hat für heute Bratwurst auf den Speiseplan gesetzt, oder das was die Norweger dafür halten. Dicke geräucherte Bockwürste in Riesentüten aber dafür schweinebillig. Wir zahlen für 1,8 kg nur 79 NOK. Das sind nur 6 € pro Kilo, das scheint fair. Na, ich bin mal gespannt, wie die Dinger schmecken. Nach dem Erlebnis mit den Elchfrikadellen bin ich ein bisschen misstrauisch geworden in Bezug auf norwegische Wurstwaren.
Werner, Walter und ich am Lagerfeuer in Hovin - die Bratwürste sind klasse :-)
Den Abend verbringen wir gemeinsam mit Walter am Lagerfeuer. Es ist kühl geworden, wir sitzen bei nur noch 7° C. am Feuer. Die Würstchen schmecken gegrillt übrigens ganz vorzüglich und werden unser bevorzugtes Urlaubsessen für den Rest der Reise.
Nach drei Tagen verabschieden wir uns von Walter, Anja und Martin. Wir fahren weiter in Richtung Hardangervidda. Es ist ein kalter, stürmischer Tag, ich friere schon bei der Abfahrt. Dabei trage ich drei dünne Thermohemden und das Winterfutter in meiner Endurojacke. Sollte es noch kälter werden, bleiben mir als Joker der Fleecepulli und die dicken IceBreaker Winterhandschuhe von Held.
Die Straße führt uns um den Tinnsjø herum, einen fjordähnlichen See, der über 400 m tief ist. Wir kommen an der alten Verladestation der Rjukanbanen vorbei. Hier liegt die Ammonia, ein Schwesterschiff der D/F Hydro, die 1944 durch Sabotage versenkt wurde. Mit ihr in 430 m Tiefe auf Grund liegen die Fässer mit schwerem Wasser aus Rjukan.
Verladestatiohn der Rjukanbanen am Tinnsjö
Die Wagons Baujahr 1926 stehen unverändert an der Verladestation
Die Ammonia - das Schwesterschiff der 1944 versenkten D/F Hydro
Keine Menschenseele ist bei der Verladestation zu sehen. Wir können alles in Ruhe anschauen und nutzen die Gelegenheit, um uns aufzuwärmen.
Von der Verladestation der Rjukanbanen aus fahren wir weiter in Richtung Hardangervidda. Das Fjell ist mit 8.000 km² die grösste Hochebene Europas. Wir sind gespannt.
Während der Anfahrt lässt der starke Wind allmählich nach. Dafür fängt es unvermittelt an zu regnen. Kein Problem, unsere Textilanzüge sind wasserdicht. Je weiter wir in den Hardangervidda kommen, desto kälter wird es. Wir passieren gerade einen verwaisten Wintersportort in 800 m Höhe, als ich meinen Augen nicht traue: der Regen geht in Schnee über. Ehe wir uns versehen, fahren wir bergan durch dichtes Schneetreiben.
In 1.100 m Höhe kann ich kaum noch den Lenker meiner Katie halten, ich bin total steif gefroren. Die überdachte Terasse einer verlassenen Skihütte bietet uns Schutz, um schnell alle verfügbaren Thermosachen, die Fleecejacke und die dicken Winterhandschuhe anzuziehen. Puh, welch ein eisiger Wind auf dem Fjell weht. Nur gut, daß ich an alles gedacht habe.
Es muss wirklich kalt sein - Werner macht den Klapphelm zu
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Fleece, Winterfutter, Thermowäsche, IceBreaker Handschuhe - ich friere trotzdem
Im dichten Schneetreiben fahren wir zurück ins Tal, jetzt nur Vorsicht in den Serpentinen. Der rauhe norwegische Asphalt mordet zwar das Profil unserer Stollenreifen, dafür bietet er jedoch auch erstklassige Haftung. Wir kommen heil unten an und innerhalb weniger Kilometer ist der Spuk vorbei. Trotzdem bleiben wir in unseren Wintersachen, es ist kalt.
In der Nähe von Geilo an der Reichsstraße Nr.7 erwartet uns ein besonderes Enduro Highlight unserer Tour, der Rallarveg. Der Rallarvegen führt über die Hochebene der Hardangervidda. Er wurde beim Bau der Eisenbahn 1894 als Transportweg benutzt und verläuft immer entlang der Bahnstrecke durchs Gebirge. Wir hoffen, daß der Weg im Juni schon frei ist.
Die Infotafel an der Mautsation Rallarweg
Aber zuerst müssen wir die Maut entrichten. Das ist bei diesen einsamen Bergpfaden total witzig gelöst. Da steht ein roter Briefkasten am Wegesrand mit Umschlägen, Zetteln und einem Kuli. Man schreibt Datum, Namen und Kennzeichen drauf, legt die Maut hinein (40 NOK ~ 5 EUR) und steckt den Umschlag zurück in den Briefkasten. Die Durchschrift behält man als Beweis der Zahlung. Und ab geht die wilde Fahrt...
Der Rallarvegen führt entlang grosser Bergseen, Schnee und Eis
Wir fahren das erste Stück langsam in den Rallarvegen ein. Als wir auch nach einer Weile keine Menschenseele treffen, werden wir schneller und genießen das Endurowandern. Welch eine tolle Strecke. Der Weg ist mit den Enduros kein Problem, loser Schotter, Schlaglöcher, Steine.
Der Weg bleibt ständig unterhalb der Bahntrasse. Wo die Eisenbahn durch den Tunnel fährt, führt uns der Karrenpfad außen am Berg entlang.
Nicht immer ist der Weg eindeutig zu erkennen - ein Blick auf die Karte hilft
Nach 12 km dann das Aus. Eine Schneewehe von der Größe einer Realschule versperrt uns den Weg.
Ein riesiges Schneefeld versperrt uns die Weiterfahrt
Ich lenke die KTM voller Übermut in das Schneefeld hinein und lasse zu allem Blödsinn auch noch ein bisschen Profil meiner Stollenreifen im Berg. Schließlich sitzt die Adventure aber so fest, daß wir sie nur mit vereinten Kräften bergen können.
Hier gibt es kein Durchkommen mehr
Das Schneefeld ist unglaublich hoch. Von oben kann ich auf der anderen Seite sehen, wo der Weg für uns unerreichbar weitergeht. Keine Chance, zumal wir noch lange nicht die höchste Stelle des Rallarwegs erreicht haben. Weiter oben wird sicher noch mehr Schnee liegen.
So winzig wirkt die KTM vom Gipfel der Schneewehe aus
Wir trinken einen heißen Kaffee und überlegen wie es weitergeht
Nach einer Pause mit heißem Kaffee in dieser überwältigenden Aussicht kehren wir um. Ich werde ganz bestimmt noch einmal wiederkommen und den Weg zu Ende fahren. Vielleicht im August, wenn der Weg sicher frei ist. Der Rallarvegen ist eine der schönsten Strecken zum Endurowandern die ich kenne.
(Anmerkung: wie ich gerade erfahre, ist der Rallarveg nicht für Motorfahrzeuge erlaubt, ups und sorry.)
Nach 12 km ist der Rallarvegen für uns zuende - wir kehren um
Wir kehren zurück zur Hauptstraße und fahren die Reichsstraße 7 weiter in Richtung Bergen. Die nächsten 70 km streifen wir einen Ausläufer des Hardangervidda und fahren die ganze Zeit auf über 1.000 m Höhe übers Fjell. Die Strecke ist einfach super genial. Strahlender Sonnenschein, frische klare Luft, Temperaturen um die 8°, aber in meinen dicken Motorradsachen mit Fleece und Thermounterwäsche friere ich kaum.
Fast zwei Stunden lang fahren wir einsam übers Fjell - eine Traumstrecke
Während der Fahrt von der Enduro aus aufgenommen, Schnee bis zum Horizont
Streckenweise fahren wir wie in einer Bobbahn entlang hoher Schneewände
Wir fahren oft lange Zeit allein auf dem Fjell
Kurze Pause auf dem Fjell mit Blick auf das Hardangervidda
Ungefähr 40 km vor Voss kommen wir auf der Reichsstraße 7 an den Eidefjord. Wir müssen erneut die Fähre nehmen. Die Fahrt dauert nur 10 min. kostet aber 45 NOK (~ 5,50€). Die häufigen Fährpassagen drücken ganz schön auf die Reisekasse und wir beschliessen unsere Route künftig anders zu planen. Vielleicht können wir ein paar Fähren auslassen.
Die Fahrt über den Eidefjord dauert nur 10 Minuten
Es ist schon 20 Uhr als die beiden Enduros endlich auf einen Campingplatz rollen. Wir bauen unsere Zelte auf einem winzigen Platz in den Bergen auf. Mestad-Camping hat nur eine Handvoll Plätze und liegt in einem Talkessel in 650 m Höhe. Eine Rezeption gibt es nicht. Wie immer sind wir über das Vertrauen der Norweger erstaunt. Später am Abend kommt ein alter Mann mit seinem klapprigen Toyota angefahren und kassiert von uns 85 NOK. Das ist ok.
Für diesen Abend müssen wir mit einem einfachen Essen auskommen. Werner brät uns Spiegeleier mit Speck. Köche können sowas :-)
Sechs Eier und etwas Speck - das muss für heute reichen
Ich genieße es, abends in aller Ruhe in mein Reisetagebuch zu schreiben
Ich schreibe noch schnell ins Reisetagebuch bevor ich auch schlafen gehe. Es sind nur noch 6°C.° und sicher wird es eine kalte Nacht. Wir sind beide ziemlich geschlaucht von dem ereignisreichen Tag. Ein Schneesturm auf dem Pass, dann die Umkehr auf dem Rallarweg und schließlich die Fahrt übers Fjell. 380 km sind wir an diesem siebten Tag unser Reise gefahren. Welch ein wunderbarer Tag...!
In dieser Nacht zahlt es sich aus, daß ich zusätzlich ein Fleece Inlet für meinen Schlafsack mitgenommen habe. Das Thermometer fällt in der Nacht auf -0,5° C. und auf meinem Tankrucksack bedeckt eine dünne Eisschicht das Klarsichtfach mit der Norwegenkarte. Dennoch wache ich erholt und ausgeruht nach acht Stunden Tiefschlaf auf. Als ich aufstehe, um Kaffee zu kochen sind es im Zelt nur 1,5° C.
Wir trinken beide in Ruhe unseren Kaffee zu Ende und warten darauf, daß unsere Zelte abtrocknen, damit wir alles verstauen können. Heute ist ein besonderer Tag. Wir wollen uns mit Markus treffen. Er ist mit seiner KTM LC4 400 Military von Horneburg aufgebrochen und fährt die Tour in umgekehrter Richtung von Schweden aus. Wir haben uns am Gejranger Fjord verabredet.
Aber zuerst steht für heute ein besonderer Tunnel auf unserer Reiseroute. Der Lærdalstunnel ist mit 24,5 km der längste Straßentunnel der Welt. Er verbindet die Orte Aurland und Lærdal
Der längste Straßentunnel der Welt - Laerdalstunnel
Doch halt! Den Tunnel gibt es ja erst seit dem Jahr 2000 und wie haben die Auenländer denn vorher den Weg nach Lærdal zurückgelegt? Bei genauem Kartenstudium stossen wir auf die alte Passstraße durch die Berge, den Snøvegen (dt. die Schneestraße). Die Straße verbindet die Auenland und Lærdal und führt dabei von Meeresniveau bis zu einer Höhe von 1309 m über dem Meer und dann wieder hinunter auf Meeresniveau. Der Name Snøvegen bezieht sich auf die großen Schneemengen, die bis in den Sommer am höchsten Punkt liegen. Im Winter ist Snøvegen wegen der großen Schneemassen gesperrt. Die Wintersperre dauert zumeist von Mitte Oktober bis Anfang Juni. [Quelle: Wikipedia]
Kreuzfahrschiffe fahren auf den Fjorden tief ins Land hinein
Wir beschliessen, den Berg oberhalb des Tunnels zu überqueren. Es ist Mitte Juni und der Pass ist gerade erst richtig vom Schnee befreit.
Anstieg auf den Snovegen - die Landschaft erinnert an die Schweiz
So allmählich gehen mir die Superlative aus: der Pass bietet eine atemberaubende Aussicht auf den Fjord.
Blick vom Snøvegen auf den Fjord - und wir sind erst halb oben
Werner raucht einen VW Bus auf - gleich bin ich auch vorbei
Auch wenn der Pass im Juni frei ist - Snøvegen macht seinem Namen Ehre
Der Schnee liegt stellenweise bis zu 4 Meter hoch und wir fühlen uns wie in einer Bobbahn. Die trockene Kälte auf dem Berg ist an diesem heissen Tag total angenehm. Wir frieren nicht und geniessen die willkommene Abkühlung.
Am Nachmittag meldet sich Markus per SMS aus Geiranger. Er hat sein Zelt direkt am Geirangerfjord aufgestellt und wartet schon mit dem Kaffee auf uns. Wir sind noch einige Stunden Fahrt von Geiranger entfernt, wollen aber unbedingt heute noch den berühmten Fjord sehen und auch Markus treffen.
Auf dem Weg nach Geiranger überqueren wir spätabends ein Fjell mit viel Schnee. Danach folgen zwei kilometerlange Tunnelröhren dicht aufeinander. Ich bin noch immer im Sommerdress gekleidet, T-Shirt, Endurojacke und MotoX Handschuhe. Das Fleece und die dicken IceBreaker Handschuhe liegen warm und trocken in der Gepäckrolle.
Es ist schweinekalt in den Tunneln - die Abendsonne wärmt nicht mehr
Als wir aus dem zweiten Tunnel ans Tageslicht fahren hab' ich das Gefühl, ich kratz gleich ab vor Kälte. Wir halten am Straßenrand und ich ziehe so schnell es geht alles Greifbare an. Ein, zwei Thermoshirts, das Fleece und die dicken Handschuhe. Danach geht es mir schon besser. Noch immer kalt, aber gut auszuhalten. Werner ist das alles egal und ich gewinne langsam den Eindruck, Oger frieren nie....!
Geiranger - direkt am Fjord wartet Markus auf uns
Als wir gegen 22 Uhr endlich auf dem Pass stehen und auf Geiranger herabschauen, taucht die Abendsonne den Fjord in ein dramatisches Licht. Wir sind etwas müde, ziemlich erschöpft und total überwältigt. Boy, ist dieses Norwegen schön...!
Die letzten Kilometer lassen wir die Enduros noch einmal so richtig fliegen. Beim Gaswegnehmen knallt der Auspuff der KTM wie blöde. Ich hab' das Gemisch extrem mager eingestellt. Ich denke: "Markus, wir kommen. Falls du uns hörst, schenk schon mal Kaffee ein."
Als wir endlich in Geiranger einrollen, sind wir ziemlich verblüfft. Trotz Vorsaison ist hier die Hölle los. Autos, Motorräder, Wohnmobile, Radfahrer, Fußgänger. Wir erfahren, daß für den nächsten Tag ein Halbmarathon und ein Mountainbikerennen über den Pass angesagt sind.
Wir finden Markus mit seinem Zelt schliesslich eingezwängt in einer Schlucht aus schneeweissen, vorwiegend holländischen Wohnmobilen. Der Event am folgenden Tag hat das gemütliche Camp in ein Feldlager für Läufer und Mountainbiker verwandelt. Uns kann es nur Recht sein, dann sind einmal nicht wir die Lautesten :-)
Markus hat sich meinen Ausrüstungsratgeber so richtig zu Herzen genommen und zeigt uns, das es auch anders geht: er hat wirklich alles dabei. Als nebenan das vertraute PING eines Mikrowellenessens ertönt, denke ich sofort: Markus! Aber nein, das kam aus dem Wohnmobil nebenan. Trotzdem: verwundert hätte es mich nicht. Sogar ein riesiges Feldbett hat die KTM 400 nach Norwegen geschleppt. Eigentlich fast schade, daß es nicht ins Innenzelt passt und Markus deshalb im offenen Außenzelt schlafen muss, hi, hi...
Wir versammeln uns zu dritt um einen kleinen Einweggrill und berichten bei Bier und Stockbrot von unseren Abenteuern Natürlich kommt auch die Sturmfahrt bei Schnee noch einmal zur Sprache und wird gebührend ausgeschmückt. Markus war mit seiner KTM sogar im Graben gelandet und erzählt uns, wie er es mit der Katie zurück auf die Straße geschafft hat.
Als wir gegen 1 Uhr morgens endlich schlafen gehen, ist es noch immer taghell.
Fließt mitten durch den Campingplatz am Geiranger - ein schönes Geräusch beim Einschlafen
Am nächsten Morgen wache ich früh auf und erkunde den Campingplatz. Markus und Werner schlafen noch. Im Licht der Morgensonne fotografiere ich den Fluß, der mitten durch den Campingplatz fließt. Das klare, kalte Bergwasser teilt den Platz in zwei Teile.
Die Brücke verbindet die beiden Teile des Campingplatzes am Geiranger Fjord - rechts das Waschhaus
Als die beiden Schlafmützen endlich wach werden, habe ich die erste Kanne Kaffee schon fast allein ausgetrunken. Nach einem kurzen Frühstück brechen wir das Lager ab und machen uns auf den Weg. Wir wollen das Tal über den Pass in Richtung Norden verlassen. Die Straße sieht auf der Karte einfach genial aus.
Die Straße 63 in Richtung Norden sieht verlockend aus
Bevor wir Geiranger verlassen, müssen wir aber ein Stück zurückfahren in die Richtung, aus der wir kamen. Werner will unbedingt mit seiner XT600 die Schotterpiste zum Dalsnibba hinauffahren.
Der Dalsnibba ist ein Gipfel südlich des norwegischen Touristenzentrums Geiranger, von wo die Reichsstraße 62 hinauf auf die Passhöhe führt. Mit 1495 Meter Höhe ist der Dalsnibba auch im Sommer oft noch schneebedeckt. Eine private Straße (Gebühr), Nibbevei genannt, führt von der Passstraße auf den Gipfel, wo sich eine herrliche Aussicht auf den nur 7 km entfernten Geirangerfjord bietet. [Quelle: Wikipedia]
Zelte abbauen und die Enduros startklar machen - inzwischen haben wir Übung
Es ist gar nicht so einfach, Geiranger an diesem 16. Juni zu verlassen. Der Pass ist voll mit Marathonläufern, die sich bei strahlendem Sonnenschein und 27° C die steile Straße in Richtung Dalsnibba hinaufquälen.
Marathonläufer von Geiranger zum Dalsnibba - vollkommen verrückt
Wir machen an der gleichen Stelle ein Foto, an der wir am Vorabend schon bei Sonnenuntergang standen. Diesmal aber deutlich ausgeruhter, nicht durchgefroren und bei herrlichem Wetter. Man sieht auf dem Foto sogar den Campingplatz direkt am Fjord.
Blick auf den Geiranger Fjord bei Sonnenschein - direkt am Wasser liegt unser Campingplatz
Werners Idee zurückzufahren, nur um diesen blöden Berg zu sehen, überzeugt Markus und mich überhaupt nicht. Als wir aber die Mautstation (40 NOK) am Nibbevei hinter uns haben und das erste Stück Piste den Berg hinaufheizen, sind wir restlos begeistert. Welch eine Wahnsinns Strecke....! Steil bergauf, Schnee und Eis, Geröll, der Berg, die Schlucht, einfach klasse. Die 5 Km lange Piste ist nicht sehr anspruchsvoll und vermutlich auch mit einer Hayabusa befahrbar.
Markus und Werner auf dem Nibbevei
Die Auffahrt filme ich mit meiner kleinen Digitalkamera aus der Hand. Das Video ist nicht toll geworden, zeigt aber vielleicht ein bisschen von unserer Begeisterung.
Die Auffahrt zum Dalsnibba - Achtung: tolle Piste, aber miese Videoqualität
Auf dem Gipfel in 1.500 m Höhe gibt es einen Parkplatz mit einer unglaublichen Aussicht auf den Geirangerfjord.
Der Blick vom Dalsnibba auf den Geirangerfjord
Blick auf den Nibbevei
Der Parkplatz auf dem Gipfel des Dalsnibba
Werner und Markus auf dem Dalsnibba
Unsere Enduros auf dem Parkplatz am Gipfel
Nach einer langen Pause mit viel heißem Kaffee brechen wir auf und fahren zurück nach Geiranger. Wir durchqueren den kleinen 200 Seelen Ort und fahren weiter in Richtung Trollstigen. Unterwegs haben wir Glück, daß gerade ein Kreuzfahrer in den Fjord einläuft.
Blick auf Geiranger von der Nordseite aus
Ein Kreuzfahrer läuft in Geiranger ein
Auf der Reichsstraße 63 fahren wir weiter in Richtung Åndalsnes. Wir kommen nur langsam voran. Das Übersetzen mit den Fjordfähren kostet Zeit. Einmal warten wir eine halbe Stunde auf die Abfahrt. Die Fähre liegt bereit, aber die Crew scheint Mittagspause zu machen. Egal, wir haben Urlaub und geniessen das herrliche Wetter und die Aussicht auf den Fjord.
Mittags am Fjord - Markus und Werner warten auf die Fähre
Die Fährüberfahrten sind immer eine nette Abwechselung - leider nicht billig
In Åndalsnes beginnt der Aufstieg zum Trollstigen. Diesen Pass dürfen wir uns auf keinen Fall entgehen lassen.
Der Trollstigen (norw. für Trollsteig bzw. Trollpfad) ist eine der bekanntesten Strecken in Norwegen, etwa 20 km südlich von Åndalsnes. Sie ist Teil der Reichsstraße 63 und führt vom Isterdal in elf Haarnadelkurven mit etwa 12 Prozent Steigung hinauf zur Passhöhe. Dabei überwindet sie eine Höhendifferenz von 800 m und erreicht an iher höchsten Stelle 850 m ü. NN. Auf halber Strecke führt die Straße, die Teil der Goldenen Route ist, zudem über einen eindrucksvoll rauschenden Wasserfall, den 320 Meter hohen Stigfossen. Die Passstraße wird umrahmt von den Bergen Bispen (dtsch. Bischof, 1.450 m), Kongen (dtsch. König, 1.614 m) und Dronninga (dtsch. Königin, 1.701 m). Die Strecke ist im Winter gesperrt und öffnet etwa Mitte Mai oder Anfang Juni. [Quelle: Wikipedia]
Hier beginnt der Einstieg in den Trollstigen
Die Fahrt über den Trollstigen kannte ich schon aus unzähligen Motorradreiseberichten. Auch die elf Haarnadelkurven hatte ich schon auf vielen Fotos gesehen. Dennoch war es etwas völlig anderes, selbst mit der Enduro durch die rauhe Landschaft über den steilen Pass zu fahren.
Markus trinkt das Quellwasser auf dem Trollstigen - but don't eat the yellow snow....
Die Abfahrt Trollstigen - Markus ist eine Serpentine voraus
Die Haarnadelkurven des Trollstigen führen direkt am 320 m hohen Stigfossen vorbei
Werner mit seiner Yamaha XT600 auf dem Trollstigen
Zurück im Tal bin ich heilfroh, als endlich eine Tankstelle auftaucht. Schon bei 485 Km hatte ich die KTM auf Reserve geschaltet. Wir sind alle ziemlich ausgetrocknet, als wir endlich auf die ESSO-Tankstelle rollen. Im Supermarkt gegenüber kaufen wir für 600 NOK gemeinsam Lebensmittel ein. Bauchfleisch, Koteletts, 2 Elchsalamis, einen ganzen Schweinebraten, Brot für Werner und eine neue Zahnbürste für Markus.
Vor dem Supermarkt geht wie immer die Verteilung der Einkäufe los. Die Enduros sind mit Urlaubsgepäck vollgeladen und es ist immer wieder lustig, wie die Einkäufe fürs Abendessen auf den letzten Kilometern verstaut werden sollen. Da wird eine Flasche Ringnes Den Ekte Pilsener zwischen Zelt und Isomatte geklemmt, eine Elchsalami wandert zum Bordwerkzeug in den Tankrucksack. Zwei halbe Hähnchen transportiere ich direkt im Cockpit der KTM. Irgendwie geht alles und wir (=Werner) verlieren auch nur zweimal unseren Einkauf.
Kurz vor Molde sehen wir einen kleinen Campingplatz auf einer Anhöhe. Der Platz sieht verlassen aus, aber wir sind müde und wollen gerne unser Lager aufschlagen. Das kleine Häuschen mit der Anmeldung ist nicht besetzt. Stattdessen hängt ein kleiner Zettel im Fenster "I'm on the farm, call Rosalie 0150xxxxx." Ich rufe mit meinem Handy an und keine drei Minuten später kommt Rosalie in ihrem Kleinwagen angerauscht. Uns begrüsst eine lebenslustige Dame mittleren Alters mit auffallend hellen, strahlenden Augen. Wir zahlen 100 NOK pro Zelt und freuen uns, den ganzen Campingplatz für uns allein zu haben. Nicht eine der Hütten ist vermietet, kein Wohnmobil und kein Zelt stehen auf dem Platz. Wir bleiben tatsächlich die einzigen Gäste an diesem Abend.
Ganz allein auf Rosalie's Campingplatz direkt am Waldrand
Als Markus Rosalie fragt, ob es hier Holz gibt und ob wir uns etwas aus dem Wald nehmen dürfen, kriegt sie fast einen Lachkrampf. Sie sagt: Holz und Steine gibt es in Norwegen genug, bedient euch...
Wir haben es zum ersten Mal geschafft, schon um 17 Uhr einen Lagerplatz zu haben. So nutzen wir den warmen Nachmittag um in Ruhe zu duschen. Ausserdem muss ich endlich mal meine Wäsche waschen. Ich hab mir extra ein paar einzelne Persil Color Tabs mitgenommen. Die frische Wäsche hänge ich auf eine Trockenleine, die ich zwischen der KTM und dem Zelt aufspanne. Funktioniert perfekt.
Die Wäsche trocknet im Schein der Abendsonne - am nächsten Morgen ist alles trocken
Auf dem Campingplatz gibt es einen großen Grillkamin, den wir ganz für uns haben. So verbringen wir den Abend zu dritt am Feuer. Als ich Markus auf sein riesiges, schweres Schneidebrett für Fleisch anspreche, beruhigt er mich. Ich brauche mich nicht aufzuregen, er habe schließlich auch noch ein Kleines dabei....
Am nächsten Morgen werde ich schon recht früh wach. Es ist gerade erst 8 Uhr, doch im Zelt ist es bereits unerträglich heiß. Ich robbe aus dem Schlafsack und wanke noch schlaftrunken zum Waschhaus. In der Küche setze ich erstmal eine große Kanne frischen Kaffee auf. Das ist mein einziger Luxus auf Reisen, frisch gebrühter Kaffee muss sein. Keine Experimente mehr mit löslichem Kaffee.
Noch bevor der Kaffee ganz durchgelaufen ist, kommt Markus in die Gemeinschaftsküche und fängt an, Eier und Speck für alle zu braten. Plötzlich finde ich es doch ziemlich gut, was Markus so alles bei sich hat :-)
Wir versammeln uns zu dritt vor der Teeküche und essen im Stehen. Werner, der alte Oger isst direkt aus der Pfanne. Bis wir gegessen und unsere Zelte abgebaut haben, ist es 11:30 Uhr. Es ist der zehnte Tag unserer Reise und für heute steht die Überquerung der Atlantikstraße auf dem Plan.
Die Atlantikstraße ist ein 8 Km langer Abschnitt der norwegischen Reichsstraße 64 und liegt zwischen Molde und Kristiansund. Durch ihren Verlauf mit acht Brücken über mehrere kleine Inseln ist sie eine besondere Attraktion. Da die Atlantikstraße genau am Ausgang eines Fjord liegt, treten bei Tidenwechsel zwischen den einzelnen, kleinen Inseln, über die die Atlantikstraße führt, gewaltige Strömungen auf, weswegen alle Angelplätze und Aussichtsplatformen mit Absperrungen gesichtert sind, um Unfälle zu vermeiden. [Quelle: Wikipedia]
Über die acht Brücken der Atlantikstraße fahren wir bis nach Trondheim
Soooooo groß war die Möwe die diesen Fisch gefangen hat
Je näher wir der Küste kommen, desto langweiliger wird die Strecke. Lange Ortsdurchfahrten mit Gewerbegebieten, endlos scheinende 60 km/h Zonen und eine wenig wechselnde Landschaft setzen uns zu. Wir sind froh, als endlich die Atlantikbrücken vor uns auftauchen. Der Wind ist inzwischen auf Sturmstärke angewachsen und so fahren wir selbst auf den Geraden noch in Schräglage. Der Atlantik ist recht beeindruckend und Werner gerät völlig aus dem Häuschen vor Begeisterung.
Ich finde die Atlantikstraße auch ganz nett, würde aber kein zweites Mal dorthin fahren. Zu langweilig war die Anreise und zu kurz ist der 8 Km lange Streckenabschnitt über die acht Brücken.
Die Fjord 1 läuft gerade ein - die Fahrt dauert 20 Minuten
Wir verzichten darauf, nach Trondheim hineinzufahren. Städte sind auf dieser Reise nicht angesagt, wir wollen lieber das Fahren auf den einsamen Landstraßen genießen. Als wir bei Trondheim mit der Fähre übersetzen, ziehen langsam dunkle Wolken auf. So schnell es erlaubt ist, fahren wir weiter und machen uns auf die Suche nach einem Campingplatz. Je dunkler der Himmel wird, desto weniger wählerisch werden wir. Aber wir haben gleich doppeltes Glück: es fängt nicht an zu regnen und wir erwischen zudem einen prima Campingplatz mitten in den Bergen. Es ist ein alter Bauernhof, der auch Hütten und Zeltplätze vermietet. Wir zahlen lausige 85 NOK für alle drei Zelte, Enduros und Biker zusammen. Als ich die alte Lady an der Rezeption frage, ob wir ein Feuer machen dürfen, sagt sie nur: "We have no special place for it. Just be careful and put a ring of stones around. There is wood in the forrest." Ich bin total beeindruckt. Am Plöner See bin ich allein für diese Frage mal fast vom Platz geschmissen worden....
Auch auf diesem Platz sind wir ungestört
Vier Tage vor Mittsommer ist es gegen Mitternacht noch immer taghell
Bedrohlich sieht der Himmel am nächsten Morgen aus. Als ich nach acht Stunden Schlaf etwas zerknautscht aufstehe, hängen die Wolken tief in den Bergen. Noch ist es trocken, aber das sieht gar nicht gut aus. Trotzdem wollen wir auf unseren Kaffee nicht verzichten. In der Teeküche steht ein E-Herd mit Münzeinwurf. Holy Moly, das Ding sieht aus wie aus der Küche der Waltons. Wir benutzen seit langem wieder einmal unseren Gaskocher und innerhalb von Minuten ist der Kaffee fertig.
Leider muß Markus heute schon nach Hause fahren, sein Urlaub ist zu Ende, schade. Werner und ich haben hingegen noch fast zwei Wochen Zeit. Ich mache mir nur langsam Sorgen, ob der Hinterreifen der KTM noch solange durchhält. Er ist erst acht Wochen alt, aber schon ziemlich am Ende.
Baustelle mit dem typischen norwegischen Ledebil
In Oppdal an der E6 kaufen wir noch einmal gemeinsam ein. Es gibt einen Riesensupermarkt direkt im Zentrum. An der heißen Theke holen wir uns drei große Brathähnchen, die wir auf einem Picknickplatz am Fluß gierig in uns reinstopfen. Bevor wir uns trennen, zerschneidet Markus seine gute blaue Isomatte, um damit die Sitzbank seiner LC4 zu polstern. Wer je auf einer KTM geritten ist, wird ihn verstehen. Es ist ein vergleichsweise geringer Preis im Tausch gegen die körperliche Unversehrtheit des Allerwertesten auf der 1.500 km langen Heimreise nach Deutschland.
Während Markus nach Hause düst, fahren wir weiter in Richtung Lillehammer. Wir überqueren das Fjell im Jotunheimen Nationalpark und sind im Nu zurück in Eis und Schnee. In 1500 m Höhe sehen wir die ersten Rentiere.
Suchbild: wo ist das Ren? Schaut mal über Katies rechtem Spiegel
Auf der Landkarte sehen wir eine kleine mautpflichtige Nebenstrecke durchs Gebirge. Die dünne schwarze Linie sieht schon auf der Karte interessant aus. Nach wenigen Minuten kommen wir an eine kleine unbemannte Mautstation. Sie besteht lediglich aus dem bekannten Briefkasten, in den wir jeder 10 NOK (~1,25€) einwerfen müssen. Das Schild rechts sagt Bom Afgifter - Motorsykkel Kr 10 (norwegisch: Schlagbaum Abgabe - Motorräder 10 Kronen)
Werner steckt den Umschlag mit 20 NOK in den Kasten: Motorsykkel Kr 10
Die Piste schraubt sich immer höher bis wir über der Baumgrenze sind
Danach führt uns eine 35 Km lange Schotterpiste mit vielen Serpentinen quer übers Fjell. Mehrmals überqueren wir schmale Brücken, die über reißende Flüsse und tosende Wasserfälle führen. Wow, welch eine tolle Strecke zum Endurowandern. Und obwohl sie für unsere Enduros ein echter Geheimtip ist, sollte sie auch mit den meisten Straßenbikes problemlos zu befahren sein.
Immer wieder laufen Schafe und Kühe auf der Piste
Der 1000ste Wasserfall auf dieser Tour (gefühlte Anzahl)
Wir treffen stundenlang keinen Menschen
Endurowandern auf dem Fjell mit KTM und Yamaha XT600
Nach 350 Km Tagesetappe sind wir ziemlich erledigt und schlagen unsere Zelte auf einem kleinen Campingplatz direkt an der Reichsstraße 51 bei Fagernes auf. Unsere Zelte stehen in die Nähe eines kleinen Wasserfalls direkt am Fluß. Obwohl so ein Wasserfall ziemlich laut ist, liebe ich das Geräusch beim Einschlafen.
Der Wasserfall in Fagernes - das Geräusch begleitet mich beim Einschlafen
Die Zelte stehen dicht am Wasserfall
Ogi malt die morgige Reiseroute in die Landkarte
Direkt nach der Ankunft sprühe ich die Kette der KTM ganz fein mit Kettenspray ein, solange die Kette noch warm ist. Das habe ich bislang jeden Abend gemacht und es zahlt sich aus. Auf 3100 Km brauchte ich die Kette noch nicht einmal nachzuspannen.
Den Abend verbringen wir mit der Routenplanung für den nächsten Tag. Auf der Karte suchen wir gezielt nach den ganz dünnen schwarzen Linien mit dem Mautsymbol. Dabei handelt es sich fast immer um Schotterwege, die hoch in die Berge führen. Die Wege sind jede Krone Maut wert. Dort können wir ganz legal Endurowandern und finden die schönsten Strecken durch die Berge und übers Fjell.
Kurz vor Hemsedal suchen wir nach der Einfahrt in die Mautstrecke
Kurz vor Hemsedal biegen wir von der Reichsstraße 52 auf eine schmale Teerstraße ab, die nach einem Kilometer an einer Mautstation endet. Es ist eine nagelneue, hochmoderne Mautstation mit einer elektronischen Schranke und einem Automaten der sogar Kreditkarten akzeptiert. Maut für Motorräder: 40 NOK. Unser Geld werden wir dennoch nicht los, denn die Anlage ist noch im Winterschlaf. Kein Strom, die Schranke steht offen. Wir steigen auf unsere Enduros und fahren anfangs noch langsam den Berg hinauf. Direkt hinter der Schranke geht der Weg in losen Schotter über. Es ist ein heißer Tag und wir ziehen eine lange Staubwolke hinter uns her. Durch dichten Nadelwald geht es in Serpentinen steil bergan. Wir müssen uns voll konzentrieren, denn der Boden ist schwierig. Fester Schotter, loser Sand, Geröll, tiefe Spurrinnen, dann wieder loser Schotter. Auf jeden Fall kein Weg für Hayabusa und Co.
Hemsedal - Direkt hinter der Mautschranke beginnt die Schotterpiste
Ich bin total in meinem Element, das ist Endurowandern in Norwegen, so wie ich es mir vorgestellt hatte. Besonders die Serpentinen sind schwierig zu fahren, kaum einmal schalte ich in den zweiten Gang hoch. Die Haarnadelkurven lassen sich auf zwei Arten fahren. Entweder langsam und vorsichtig möglichst ohne Schlupf im 1. Gang, oder aber mit viel Power im leichten Drift. Ich probiere beides aus, aber bleibe dann doch lieber bei der vorsichtigen Variante. Zu sehenswert ist die Landschaft und vor allem zu bedrohlich ist der Steilhang falls etwas schief geht...
Wie gut, daß ich die KTM für diesen Urlaub extra kürzer übersetzt habe. Das hintere Kettenrad hat 45 Zähne und damit drei Beißer mehr als die Originalübersetzung.
Der Weg ist teilweise in sehr schlechtem Zustand. Wir werden ordentlich durchgeschüttelt und ich fürchte schon um mein Urlaubsgepäck. Der Untergrund sieht fast aus wie Wellblech und die Traktion wird zunehmend schlechter. Immer häufiger dreht der abgefahrene Metzeler Karoo durch. Am Fuß eines riesigen, mit Flechten bewachsenen Felsens halte ich schließlich an und stelle das Fahrwerk der KTM auf die weichste Stufe ein. Ich brauche nicht einmal abzusteigen, um das White Power Federbein und die Gabel bis zum Anschlag auf soft zu drehen. Danach komme ich wesentlich sanfter den Pfad hinauf. Klasse, das einstellbare Fahrwerk der KTM. Bislang hatte ich das immer für einen Werbegag der Marketingabteilung von KTM gehalten, aber damit tat ich den Jungs Unrecht.
Es ist ohnehin erstaunlich, wie gut sich beide Enduros trotz des Urlaubsgepäcks noch fahren lassen. Wir haben jeder zwischen 25 Kg und 30 Kg Gepäck an Bord und trotzdem den vollen Spaß am Endurowandern.
Nach weiteren 3 Km haben wir das Fjell erreicht. Wir waren bergauf ganz schön ins Schwitzen gekommen und sind jetzt dankbar, daß es hier oben nur 10° Celsius sind. Die vereinzelten Schneefelder am Wegrand zeigen uns, daß der Weg noch nicht lange offen ist. An einem großen Stausee gabelt sich der Weg. Wir machen Pause um die grandiose Aussicht zu genießen und anhand der Karte den rechten Weg zu finden.
Stausee hoch in den Bergen bei Hemsedal - die KTM steht auf der Staumauer
Nachdem wir aus unserer Thermosflasche zwei Becher heißen Kaffee getrunken haben, machen wir uns wieder auf den Weg. Wir fahren mit den Enduros auf der Staumauer entlang, in der Hoffnung auf der anderen Seite noch tiefer in die Berge hineinzukommen. Leider behindert eine Schranke nach wenigen hundert Metern unsere Entdeckungsreise, so daß wir auf der ursprünglichen Mautpiste weiterfahren.
Wir fahren weitere 25 Km übers Fjell, ohne einer einzigen Seele zu begegnen. Kein Auto, kein Motorrad, kein Wanderer. Hier stören wir niemanden mit unseren Enduros. Die Geschwindigkeit pendelt zwischen 50 und 60 Km/h und ich könnte tagelang so weiterfahren.
Endurowandern auf dem Fjell in Norwegen - es gefiel mir nirgendwo besser
Nach 30 Km Offroad geht es über eine kurze Verbindungsetappe erneut durch eine elektronische Mautschranke. Ihr folgt einfach den Schildern nach Vats und Hol und kommt schon zur nächsten Endurostrecke. Aber aufgepasst: die Hinweisschilder stehen etwas verdeckt und sind kaum größer als das Nummernschild meiner KTM.
Wir sind gerade an der geschlossenen Mautschranke abgestiegen, als ein riesiger staubiger Toyota Geländewagen von der anderen Seite den Berg herunterkommt. Die Schranke öffnet für den ausfahrenden Pickup vollautomatisch. Aber was ist das? Mitten unter der geöffneten Schranke bleibt der HiLux stehen. "Now it's for free." lächelt mich ein freundlich dreinblickender Norweger an. Wir fahren die Enduros schnell unter der offenen Schranke hindurch. Gerade als ich mich bedanken will, ist der Mann mit den strahlend blauen Augen schon verschwunden. In einer mächtigen Staubwolke verschwindet der Pickup hinter der nächsten Serpentine. Und schon wieder haben wir 40 NOK gespart.
Der Weg führt uns 23 Km lang durch ein Skigebiet mit vereinzelten Hütten. Die Gegend wirkt völlig verlassen. Nur einmal kommt uns auf dem schmalen Weg ein schwarzer Toyota Landcruiser entgegen der großzügig ausweicht, so daß wir mit den Enduros an ihm vorbeifahren können. Die letzten 10 Km fahren wir im MotoCross Stil und einmal sehe ich aus dem Augenwinkel 99 Km/h auf dem orangen Digitaltacho der Adventure.
Als wir nach zweieinhalb Stunden und zweimal 1500 Höhenmetern aus dem Berg herauskommen, sind wir richtig froh, den griffigen Asphalt der Reichsstraße 50 unter den Rädern zu haben. Es ist schon 17 Uhr und wir beschliessen, unsere Zelte auf dem nächsten Campingplatz aufzuschlagen.
Der Tripcounter der KTM zeigt inzwischen 535 Km an und seit 20 Km schon fahre ich auf Reserve. Langsam werde ich nervös. Umkehren scheidet aus und vor uns wartet ein tausend Meter hohes Fjell mit seinen Serpentinen auf uns.
Gerade als die Benzinfrage immer spannender wird, sehen wir im Vorbeifahren einen Campingplatz hinter Bäumen liegen. Wir kehren um und sind sofort total begeistert von dem wunderschönen Platz. Die sauber gemähte Wiese liegt direkt an einem Fluß. Im saftigen Gras stellen wir unsere Zelte dicht am Ufer auf. Der Platz liegt an einer Straße, aber das bedeutet in Norwegen nicht viel. Es fahren so wenige Autos vorbei, daß es überhaupt nicht stört. Wie so oft in Norwegen beruht das ganze System voll auf Vertrauen, denn es gibt keine Rezeption und keine Aufsicht auf dem Platz. Also machen wir uns zu Fuß auf zum Supermarkt an der nächsten Kreuzung. Dort an der Kasse zahlen wir zusammen 70 NOK. Ausserdem erzählt uns die nette Kassiererin, daß es nur 10 Km weiter eine ESSO-Tankstelle gibt.
Der Campingplatz liegt direkt am Fluß - er fließt direkt hinter Werners Zelt vorbei
Ein echtes 1a Prädikatsfeuer - Made by Wernersen
Während Werner uns ein 1a Prädikats-Lagerfeuer zaubert, schneide ich ein paar frische Weidenstöcke ab, auf die wir unsere Grillkoteletts spiessen können. Als das Feuer bis auf einen großen Haufen Glut heruntergebrannt ist, hängen wir die Stöcke mit dem Fleisch über die Glut. Uns geht es so richtig mega gut, welch ein klasse Zeltplatz und welch ein tolles Essen, Dr. Atkins wäre stolz auf mich gewesen....
Unser Lagerfeuer - aufgenommen mit 1/22 sec. bei f 2,8 mit ISO100
Wir beschließen, eine weitere Nacht auf diesem Platz zu bleiben und einen Waschtag einzulegen. Als wir gegen 23 Uhr schlafen gehen, sind die Wolken noch immer von der Sonne beschienen und es ist taghell. Trotzdem bin ich in meinem kuscheligen Daunenschlafsack innerhalb von Sekunden eingeschlafen.
Waschtag, 9 Uhr. Nach zehn Stunden Schlaf wache ich völlig erholt auf, die Isomatte von Globetrotter ist einfach klasse. Das Thermometer war in der Nacht auf 2° Celsius gefallen, aber davon habe ich nichts mitbekommen. 1a Prädikatschlaf eben :-)
Zelt und Katie stehen direkt am Flußufer
Am Boden der zweiten Kanne Kaffee kriecht Ogi aus seinem Zelt. Ich koche eine zweite Kanne und wir verbringen einen ereignislosen, aber sehr erholsamen Tag am Fluß. Nur einmal starten wir die Enduros, um zu der 10 Km entfernten Tanksstelle zu fahren. 56,3 Km bin ich auf Reserve gefahren. Spannend, keine Ahnung wieviel noch im Tank war.
Bei der Gelegenheit füllen wir im Supermarkt gleich unsere Fleischvorräte auf und gönnen uns unsere Standardleckerei, das norwegische Sandwich-Eis. Das mochte selbst ich, obwohl ich niemals Süßes und schon gar kein Eis esse. Aber Sandwich, hmmmmmmm....
Am nächsten Morgen brechen wir zeitig unser Lager ab und fahren weiter in Richtung Oslo und Lillehammer. Wir wollen heute noch nach Schweden rüberfahren, schließlich war der ganze Urlaub ursprünglich als große Schwedentour geplant.
Je weiter wir auf der Europastraße 16 in Richtung Olso kommen, desto dichter und schneller wird der Verkehr. Die letzten Wochen sind wir auf den einsamen norwegischen Straßen total verwöhnt worden, so daß uns die vielen Autos jetzt nerven.
An diesem Tag wird es eine echte Gewalttour. Als wir nach 400 Km endlich die Grenze nach Schweden passieren, sind wir beide schon ganz schön geschlaucht. Dazu ist der Hinterreifen der Katie inzwischen fast ohne Profil. Keine Ahnung, wielange der das noch mitmacht. Ich wüsste aber auch nicht, wo ich auf die schnelle einen neuen Metzeler Karoo (T) herbekommen sollte.
An der Grenze findet keine Kontrolle statt. Wir reihen uns in die Fahrspur mit dem grünen Pfeil ein, 'Nothing to declare' und werden wortlos durchgewunken.
Direkt hinter der Grenze gibt es einen Riesensupermarkt namens €urocash. Er scheint eigens für die norwegischen Zolltouristen gebaut worden zu sein. Der Laden ist das absolute Mekka des Konsums. Allein die Fleischabteilung ist grösser, als jeder Supermarkt den wir in Norwegen gesehen haben. Die Preise sind total günstig und das nicht nur im Gegensatz zu Norwegen. Wir sind beide völlig von den Socken und Werner legt in der Getränkeabteilung einen 1a Beerdance hin. Die Schweden und Norweger schauen etwas sparsam, dabei müssten die das doch am ehesten verstehen können.
Trotzdem müssen wir unseren Kaufrausch nach einem Kilo Speck, zwei Kilo Koteletts und etwas Aufschnitt bewusst bremsen: wir sollen das Zeug schließlich nicht nur bezahlen, sondern müssen es auch noch transportieren.
Ogi Werner unterhält den Laden mit einem kleinen Beerdance
Als wir aus dem Laden kommen, hat sich das Wetter weiter verschlechtert. Die ersten Regentropfen fallen und wir ziehen uns warm und wasserdicht an. Thermowäsche, Fleece und die Icebreaker Handschuhe.
Schließlich schlagen wir unsere Zelte auf dem Campingplatz an der Reichsstraße 61 kurz vor Karlstad auf. Es ist leider einer dieser großen, perfekt durchorganisierten Campingplätze, wie man sie auch am Plöner See findet. Weil es aber schon regnet und wir nach 480 Km reichlich durchgesessen sind, haben wir beide keine rechte Lust, weiterzusuchen. Wir schlagen die Zelte im nassen Gras auf und nutzen eine kurze Regenpause, um unser Fleisch zu grillen. Als wir gegen Mitternacht schlafen gehen, ist der Himmel voller schwarzer Wolken. Sie hängen so tief, daß wir das gegenüberliegende Seeufer schon nicht mehr sehen können.
Das Wetter sieht nicht gut aus, die Wolken hängen tief
Am nächsten Tag wache ich erst gegen Mittag auf. Elf Stunden Tiefschlaf. Kein Wunder, das es im Zelt so gemütlich ist. Der Regen prasselt aufs Zelt und draußen ist es kühl und dunkel. Schnell kochen wir unseren Kaffee und nehmen die volle Kanne für unterwegs mit. Ich packe im Zelt alles zusammen und brauche ganz am Schluß nur das klatschnasse Zelt einzupacken. Dabei trage ich schon meine wasserdichten Motorradsachen und sogar den Helm.
Wenige Minuten später sind wir on the road again. Unsere Abfahrt wird von leichtem Dauerregen begleitet. Es ist recht dunkel und die Wolken hängen so tief, daß sie stellenweise wie Nebel vor unseren Visieren wabern. Zum Glück bin ich warm und wasserdicht eingepackt. Die Motorradklamotten von Polo halten wirklich was aus.
Dann nach fünf Stunden Regenfahrt die erste Wetteränderung, aus Regen wird Starkregen. Die Autofahrer schalten die Scheibenwischer auf Stufe 2. Wir hingegen ziehen endlos weiter unsere Bahn auf den verkehrsarmen schwedischen Landstraßen. Durch das Tempo rinnt der Regen von den Visieren unserer Helme ab. Ich lege mich auf den Tankrucksack der KTM und lenke nur mit einer Hand. Die kleine Verkleidung bietet einen minimalen Schutz. Nach sieben Stunden Regenfahrt bin ich vom Bauchnabel abwärts nass und völlig durchgefroren. Wir geben für diesen Tag auf und nehmen uns eine Hütte für die Nacht. Wie zwei Tiefseemonster stehen wir in der Rezeption des Campingplatzes und tropfen alles voll. Als ich das Anmeldeformular unterschreibe, bildet sich im Nu ein kleiner See aus blauer Tinte.
Wir bekommen Hütte Nr. 14 und sind heilfroh, als wir die elektrische Heizung sehen. Werner dreht das Ding sofort voll auf und wir hängen alle unsere tropfnassen Sachen darüber. Die E-Heizung hat tierisch Power und verwandelt die Hütte in kürzester Zeit in eine Sauna. Mir ist es Recht, ich friere noch immer.
An uns würde ich nicht gerne vermieten....
Als wir uns halbwegs aufgewärmt und abgetrocknet haben, gehen wir zusammen in den Gemeinschaftsraum, wo wir auch die Küche finden. Dort braten wir in Ruhe unsere riesigen Fleischvorräte auf. Auf dem Weg über den Campingplatz fallen uns einige kichernde Teenies auf. Stimmt ja, hätten wir fast vergessen, die Schweden feiern an diesem Wochenende Midsommer. Doch selbst für die partylustigen Schweden fällt Midsommer in diesem Jahr buchstäblich ins Wasser. Das Fest geht völlig an uns vorbei.
Auf der Fähre Rödby - Puttgarden ist alles für das Verzurren der Motorräder perfekt vorbereitet
Nach 4.880 Km steige ich in Kiel von meiner KTM ab und weiß genau, daß ich bald wieder nach Norwegen fahren werde.