Svenja Svendura aus Kiel
Der Blick aus meinem Helm.
Diese Deutschlandreise werde ich immer in Erinnerung behalten als:
"Die Tauchfahrt des Schreckens..."


Tauchfahrt des Schreckens

Endurowandern in der Lüneburger HeideAls ich am Samstag gegen 6:45 Uhr aufwache, bin ich total aufgeregt und happy. Das wird meine erste Deutschlandtour und dazu meine erste Allein­reise.

Die KTM steht schon vollgetankt unterm Balkon, Kette gespannt, Ölstand gecheckt und natürlich blitzblank geputzt. Nur noch schnell Zelt, Schlafsack und ISO-Matte aufschnallen und ab gehts in Richtung Süden.

Mein erstes Ziel ist Idar- Oberstein, wo ich als Kind ge­wohnt habe, 700 Km von Kiel.

Die Route habe ich zuvor mit Textmarker in die Generalkarte 1:200.000 eingezeichnet. Ich brauche nur der gelb markierten Route in meinem Tankrucksack zu folgen. Trotzdem muss ich schon etwas genauer hinschauen, denn ich meide nicht nur die Autobahn, sondern auch die größeren Bundesstraßen.

So schnell wie möglich möchte ich Schleswig-Holstein in Richtung Süden verlassen und nehme für den Elbtunnel sogar ein Stück der ungeliebten Autobahn in Kauf. Das Wetter ist prima, knapp über 20° und nahezu windstill. Reisewetter.

Die Fahrt auf der B3 über Fallingbostel und Nienburg ist sehr entspannend. Der Digitaltacho der KTM zeigt konstant 95 km/h und ich vergesse die Zeit. Kurz hinter Nienburg mache ich einen Abstecher zum Steinhuder Meer. Ich bin gespannt, was sich dahinter verbirgt, denn bislang kannte ich nur den Namen. Mit allerlei typischen Bezeichnungen auf den Schildern der Straßen und Gästehäuser wird sehr bemüht für maritime Atmosphäre gesorgt. Allerdings hat dieser eiszeitliche Baggersee mit seiner maximalen Wassertiefe von 135 cm den maritimen Charme eines Angelsees. Dazu ist jeder Quadratmeter entlang der Straße übererschlossen und besitzt diese leichte Aura von Schrebergartenkolonie. Ich weiß nicht, ob es durchklingt, aber nein, mir hat es nicht so gut gefallen und ich fahre zügig weiter.

Erst nach vier Stunden stelle ich den Motor meiner Katie ab und halte direkt am Mittellandkanal neben einem großen Getreidesilo. Ich stehe mit einem Becher heißen Kaffees am Ufer des Kanals - KTM-Fahrer setzen sich niemals in den Pausen - und komme so richtig in Urlaubsstimmung. Ich bin gespannt, wie weit ich heute noch kommen werde.

Mittellandkanal
Erste Pause nach vier Stunden am Mittellandkanal

Als ich den Mittellandkanal in Richtung Süden überquere geht es hinein ins Weserbergland. Ich bin total begeistert von der schönen Weserlandschaft. Friedlich und leise glucksend schlängelt sich die Weser träge im Tal zwischen den Bergen hindurch.

Am Weserufer
Weser und Weserbergland

Auf der L758 fahre ich weiter nach Bad Pyrmont, wo an diesem Wochenende ein großes Motorradtreffen stattfindet. Dutzende dieser bunten Sonntagsknieschleifer heizen mit laut kreischenden Motoren an Katie und mir vorbei. Nein, danke, das ist nicht unsere Welt, ätzende Typen.

Nach einer Tagesetappe von 497 km rolle ich auf den Campingplatz Trendelburg. Die große Zeltwiese am Fuße der imposanten Trendelburg wird vom Ufer der Diemel begrenzt, einem Nebenfluß der Weser. Ich stelle mein Zelt unmittelbar am Flußufer auf und freu' mich auf einen erholsamen Abend vorm Zelt. Zuvor fahre ich die 8 km nach Hofgeismar, wo ich mir einen Einweggrill und einen Sack tiefgefrorener Cevapcici bei LIDL hole. Die Biester sind billig und schmecken vom Holzkohlegrill einfach genial. Das kühle Bier dazu bekomme ich aus dem Campingrestaurant, jedoch der Preis haut mich um: nur 2,80 € zahle ich für die drei Flaschen aus dem Kühltresen des Lokals. In Deutschland kann man echt günstig Urlaub machen.

Trendelburg
Blick von der Zeltwiese hoch zur Trendelburg

Als gegen 22 Uhr allmählich nebelige Feuchtigkeit vom Ufer der Diemel ganz langsam die Wiese heraufkommt, verkrieche ich mich in meinen kuscheligen Daunenschlafsack und bin innerhalb von Minuten zum Murmeln des Wassers eingeschlafen. Das Leben ist schön.

Am Ufer der Diemel
Am Ufer der Diemel auf dem Campingplatz Trendelburg - das Zelt dampft in der Morgensonne

Am zweiten Tag der Reise - es ist ein Sonntag - komme ich erst gegen 10 Uhr aus Trendelburg los. Ich hatte mein Zelt mit dem Kompass so ausgerichtet, dass es morgens möglichst lange im Schatten bleiben würde. Leider habe ich die Feuchtigkeit der Wiese unterschätzt und brauche lange, um mein schönes VauDe Campo Zelt trocken einpacken zu können. Auf meiner Norwegentour hatte ich es mir angewöhnt, das Zelt so auszurichten, um länger schlafen zu können, bevor die Sonne das Zeltinnere unerträglich aufheizt.

Die Strasse um den Edersee
Blick auf den Edersee

Im strahlenden Sonnenschein fahre ich auf allerkleinsten Wegen zum Edersee. Die Gegend ist unter Motorradfahrern sehr beliebt und jährlich findet dort das große Ederseetreffen statt. Die Landschaft und die Straßen um den Edersee sind wirklich wunderschön, nur habe ich mir offensichtlich das belebteste Wochenende des ganzen Jahres ausgesucht. Straßen, Rastplätze und Aussichtspunkte sind total überbucht. Tausende von Menschen in Cabrios, auf Motorrädern, Mountainbikes, oder zu Fuß. Heute ist jeder am Edersee. Ich habe Mühe, ein ruhiges Plätzchen zu finden, wo ich in Ruhe die übrig gebliebenen Cevapcici von gestern in mich hineinmampfen kann.

Deutsche Fachwerkstrasse
Die Deutsche Fachwerkstraße führt mich durch viele wunderschöne Dörfer

Vom Edersee aus düse ich am Rothaargebirge entlang über die Deutsche Fachwerkstrasse durchs Gladenbacher Bergland weiter in Richtung Wetzlar. Auf meiner Generalkarte markiert ganz in der Nähe ein dicker gelber Textmarkerklecks die Burg Greifenstein. Der Name klingt spannend, die will ich mir anschauen.

Burg Greifenstein
Burg Greifenstein , Canon EOS 300D, 1/100s, f10

Die Burg liegt auf einem Berg des Dillwesterwaldes und bietet eine gute Aussicht über das Dilltal. Mit 441 Meter über NN ist sie die höchste Burg des Lahn-Dill-Kreises. Die Höhenburg wurde im Jahr 1160 erstmals urkundlich erwähnt. 1298 wurde die Burg durch die Nassauer und Solmser Grafen zerstört. Nachdem sie unter verschiedenen Besitzern bis 1676 verfiel, wurde sie von Graf Wilhelm Moritz zu einem barocken Schloss ausgebaut. Nach der Übersiedlung des Grafen nach Braunfels 1693 verfiel die Anlage zur Ruine. [Quelle: Wikipedia]

Nachdem ich in der Mittagshitze in meinen dicken Motorradsachen einmal um die Burg herumgestiefelt bin, fahre ich auf einer wunderschönen Kurvenstrecke weiter in Richtung Koblenz. Es ist heiß und ich spare mir den Ausflug in die Koblenzer Innenstadt und zum Deutschen Eck. Weiter geht es über eine aufregende Serpentinenstrecke, von der ich eine tolle Aussicht auf Boppard am Rhein habe.

Boppard am Rhein
Blick auf Boppard und auf die Rheinschleife

Ich möchte noch heute abend mein Basislager in der Nähe von Idar-Oberstein aufschlagen, so daß ich am folgenden Tag in Ruhe die Stadt erkunden kann. In einer wahren Gewalttour fahre ich von Boppard aus über die Hunsrückhöhenstraße bis nach Kirn. An einer Tankstelle in Kirn empfiehlt mir ein freundlicher Kawafahrer den Campingplatz Papiermühle. Ich habe Glück, das sind nur noch knapp 2 km. Der Platz gefällt mir auf Anhieb. Die Zeltwiese habe ich fast für mich allein, ich teile sie mir nur mit einem kleinen Bach, der munter die Wiese entlang plätschert.

Campingplatz Papiermühle
Campingplatz Papiermühle - der Grill ist schon heiß

Nachdem ich gegessen habe, gehe ich rüber in die Campingkneipe und lasse mich von ein paar echt ätzenden Camping-Prolls ein bisschen anöden. Puh, schnell zwei Bier getrunken und zurück zum Zelt. Irgendwie bin ich mit Dauercampern nicht kompatibel....

In der Nacht fällt das Thermometer bis auf 8°C und im Schlafsack ist es so richtig schön warm und kuschelig. Mitten in der Nacht werde ich vor Durst wach, aber außer einer Dose Bitburger habe ich nichts zu trinken im Zelt. Egal, puh, das war ekelig...

Heute ist für mich ein total spannender Tag. Ich werde nach Idar-Oberstein reinfahren und dort versuchen, die Spuren meiner Kindheit wiederzufinden. Vor 32 Jahren ist meine Familie da weggezogen, aber ich kann mich noch an total viele Einzelheiten erinnern. Ob sich viel verändert hat? Ganz langsam fahre ich von Kirn die 13 Km in Richtung Idar-Oberstein. Ich habe anfangs Mühe, die alte Straße durchs Nahetal wiederzufinden. Heute rasen die Autos über eine 4-spurige Schnellstraße durch einen Tunnel direkt nach Oberstein hinein. Dazu hat man 1980 die Nahe mit einer Schnellstraße überbaut, so daß der Fluß jetzt unterirdisch durch die Stadt fließt. Das ist einmalig in Deutschland. Ja, einmalig ätzend.

Das Nahetal bei Kirn
Blick ins Nahetal - Hier kommt der Eisenbahntunnel aus dem Felsen in Richtung Kirn

Ich stelle das Motorrad ab und gehe zu Fuß alle Straßen ab, die ich noch kenne. Sogar meine alte Grundschule Auf-der-Struth sieht völlig unverändert aus. Hier hat sich absolut nichts getan, cool. Die Stadt sieht eher ein bisschen heruntergekommen aus, viele Gebäude stehen leer, oder befinden sich in verschiedenen Stadien des Verfalls. Nur mein Elternhaus sieht frisch gestrichen und strahlend aus.

Felsenkirche und Schloß Oberstein
Schloß Oberstein und die Felsenkirche - die Wahrzeichen von Idar-Oberstein

Ich mache anschließend in der Innenstadt Idar-Obersteins noch das obligatorische Foto der Felsenkirche. Ich kann mich gut daran erinnern, wie wir als Kinder in der Burg gespielt haben.

Von Idar-Oberstein aus mache ich mich auf den 69 Km langen Weg nach Trier, um mir die Porta Nigra anzusehen. Ich hatte sie zuletzt auf der Klassenfahrt der 4b während meiner Grundschulzeit gesehen.

Die Stadt Trier wurde vor über 2000 Jahren unter dem Namen Augusta Treverorum gegründet und beansprucht daher den Titel der ältesten Stadt Deutschlands. Die Stadt stützt diesen Anspruch darauf, die längste Geschichte als bereits von den Römern anerkannte Stadt – im Gegensatz zu einer Siedlung oder einem Heerlager – zu haben. Das römische Trier, bestehend aus Amphitheater, Barbarathermen, Kaiserthermen, Konstantinsbasilika, Igeler Säule, Porta Nigra und Römerbrücke, sowie der Dom St. Peter und die Liebfrauenkirche zählen zum UNESCO-Weltkulturerbe.
[Quelle: Wikipedia]

Ich parke die KTM auf einem breiten Bürgersteig mitten in Trier. Es ist ein glühend heißer Tag mit Temperaturen um die 32° C und jeder Biker weiß, was das bedeutet. Meinen Helm, die Handschuhe und sogar meine dicke orange Endurojacke lasse ich auf der Maschine zurück und mache mich zu Fuß auf in Richtung Porta Nigra. In meiner dicken Lederhose, den schweren Motorradstiefeln und dem schwarzen, langärmeligen Thermohemd errege ich einiges Aufsehen. Die Leute denken, die spinnt.

Porta Nigra in Trier
Die Porta Nigra in Trier - es fehlen nur noch der Dönerladen und ein Vodafoneshop im Obergeschoß

Als ich endlich die Porta Nigra erreiche, finde ich sie eingezwängt zwischen Deichmann, einem Schnellrestaurant und New Yorker. Es ist das einzige Gebäude ohne Leuchtreklame und somit recht einfach zu finden. Wegen der extremen Hitze ziehe ich jedoch eine Besichtigung des Trierer Doms vor, um die angenehme sakrale Kühle zu genießen.

Ganze Armeen eisschleckender FlipFlop-Träger schlurfen träge durch die Fußgängerzone. Als ich zu meinem Motorrad zurückkomme, bin ich selbst ein wenig erstaunt darüber, daß nichts geklaut worden ist. Helm, Handschuhe und sogar die Jacke liegen unverändert überm Lenker.

Marktplatz in Trier
Marktplatz in Trier

Mein Weg zurück nach Kirn zum Basislager Campingplatz Papiermühle gerät zu einer wahren Odyssee auf der Suche nach einem Einweggrill. Ich hatte mir dummerweise schon frisches Grillfleisch vom Schlachter geholt und kann jetzt partout keine dieser kleinen Grillschalen auftreiben. Während es die Biester in Schleswig-Holstein an jeder Milchkanne gibt, sind sie hier unauffindbar. Schließlich halte ich auf einer SHELL-Tankstelle und kann endlich einen der heißbegehrten Minigrills auf den Gepäckträger der Katie schnallen.

Es wird ein netter Abend, den ich im Schneidersitz auf der Wiese vor meinem Zelt verbringe. Dabei ziehe ich pfundweise leckere Schweinekoteletts über den heißen Grill.

Später am Abend gehe ich wieder in die Campingklause und verbringe diesmal einen sehr netten Abend mit ein paar Typen an der Bar, bis ich mich schließlich kurz vor Morgengrauen in meinen Schlafsack verziehe.

Morgengrauen? Ja, Morgengrauen. Ich schlafe lange tief und fest und als ich endlich mit einem leichten Kater aufwache, ist es draußen trübe grau in grau. Das habe ich schon häufiger erlebt, je schlechter das Wetter ist, desto besser schläft man im Zelt. Es sieht total nach Regen aus und kann jeden Moment anfangen zu schütten. Ich lege einen erstklassigen Blitzstart hin. Vom Öffnen des Reißverschlusses am Schlafsack bis zum Starten der KTM vergehen keine 45 Minuten. Alles ist in Rekordzeit trocken in der Gepäckrolle verstaut.

Regenpause
Langsam fange ich an zu frieren

Gegen 8.30 Uhr bin ich bereits auf der Landstraße in Richtung Kaiserslautern unterwegs. Es ist der vierte Reisetag und bis jetzt haben Katie und ich 1.150 Km zurückgelegt. Als Tagesziel haben wir uns für heute Titisee im Schwarzwald vorgenommen.

Um genau 9.25 Uhr fällt der erste Regentropfen auf mein Visier. Von Horizont zu Horizont ist alles grau in grau. Das sieht nicht gut aus. Innerhalb von Minuten fahre ich durch heftigen Regen. Anzuhalten hätte jetzt keinen Sinn, es könnte ewig dauern bis es wieder aufhört.

Pfälzerwald bei Kaiserslautern
Der Pfälzerwald in der Nähe von Kaiserslautern

Auf dem Weg von Kaiserslautern in Richtung Karlsruhe komme ich mitten durch den Pfälzerwald. Welch eine traumhafte Strecke: ich fahre fast allein durch tiefe, dunkle Wälder. Der Wald trieft vor Nässe und langsam kommt Nebel auf. Es ist erst später Vormittag. Die Fahrt durch den Pfälzerwald ist trotz des Regens ein echtes Highlight meiner Reise.

Landkarte bei Regen
Das Kartenfach im Tankrucksack ist nicht wasserdicht

Die Navigation gestaltet sich immer interessanter. Der Regen hat mittlerweile die große Deutschlandkarte durchweicht und zusammen mit dem Textmarker eine völlig neue Route für mich ausgearbeitet.

Als ich nach Annweiler hineinfahre um zu tanken, erhasche ich im Regen einen kurzen Blick auf Burg Trifels. Schade, ich kann nicht einmal ein Foto machen, weil es zu stark regnet und ich Angst habe um meine Kamera.

Hinter Baden-Baden fahre ich in die berühmte Schwarzwaldhochstraße ein. Leider bekomme ich nur drei Kilometer der traumhaft schönen Strecke zu sehen. Dichter Nebel verschluckt die übrigen 57 Kilometer der Staße. Ich fahre über weite Strecken nicht schneller als 55 Km/h. Einen so dichten Nebel und dazu strömenden Regen habe ich nie zuvor erlebt. Ich fahre anscheinend direkt durch die tiefhängenden Regenwolken hindurch.

Schwarzwaldhochstraße
Viel mehr bekomme ich von der Schwarzwaldhochstraße nicht zu sehen - dichter Nebel zieht auf

Die Schwarzwaldhochstraße beginnt in Baden-Baden und steigt zunächst steil zum Hauptkamm des Nordschwarzwalds hinauf, den sie bei der Bühlerhöhe erreicht. Bei klarem Wetter hat man einen umfassenden Blick über die Rheinebene bis zu den Vogesen. Ab der Bühlerhöhe verläuft die Hochstraße auf 800 bis über 1.000 m.ü.NN an mehreren Höhenhotels (Plättig, Sand, Hundseck, Unterstmatt, Mummelsee, Ruhestein, Schliffkopf) vorbei. Unterhalb des höchsten Berges im Nordschwarzwald, der 1166 Meter hohen Hornisgrinde, erreicht die Straße den fast kreisrunden Mummelsee, ein in der letzten Eiszeit entstandener Karsee. Hier sollen der Sage nach nachts im Mondlicht Nixen und Mümmlein auftauchen. Über die Höhenzüge des Schliffkopfs und des Kniebis, vorbei an der Alexanderschanze, führt die Straße schließlich nach Freudenstadt, ihrer Endstation.
[Quelle: Wikipedia]

Als ich mit dem Selbstauslöser das Foto rechts schieße, habe ich noch genau zwei trockene Stellen am Körper. Einen Fünfmarkstück großen Flecken am Po und eine weitere trockene Stelle unter meinem BH. Na, wenigstens der ist wasserdicht....

Unmittelbar nachdem ich das Foto aufgenommen habe, verweigert die Digitalkamera den Dienst. Wassereinbruch! Anblasen LI...! Ich hoffe nur, daß ich die Kamera trocknen kann und daß sie dann wieder funktioniert.

Kurz vor Titisee bin ich noch immer fest entschlossen, zu zelten. Als ich jedoch nach Titisee-Neustadt einrolle und es noch immer in Strömen gießt, verlässt mich der Mut. Nach zehn Stunden Regenfahrt bin ich klitschnass bis auf die Haut, völlig durchgefroren und ziemlich demoralisiert.

Von Titisee bekomme ich absolut nichts zu sehen. Der strömende Regen und der Nebel nehmen jede Sicht. Am Ortsrand frage ich einen alten Herrn, ob er mir irgendwo ein günstiges Zimmer empfehlen könne. Ein günstiges Zimmer in Titisee im Schwarzwald in der Hauptsaison zur Ferienzeit? Bin ich naiv, oder bloß verzweifelt?

Der nette Opa zeigt stumm auf ein großes, altes Privathaus auf der anderen Straßenseite. Tatsächlich hängt dort ein Schild Zimmer frei. Ich bedanke mich artig, steige von meiner Katie und gehe stocksteif die wenigen Schritte zur Eingangstür. Ich warte zwei Minuten ab, bevor ich mich traue zu klingeln. Mir kommen ernste Zweifel, ob irgendein vernünftiger Mensch spät am Abend ein schmutziges, tropfendes Tiefseemonster wie mich in sein Haus lassen würde.

Zimmer in Titisee
Mein Zimmer in Titisee - die Kamera funktioniert wieder, aber die Optik ist noch etwas trübe

Unmittelbar nach dem Klingeln öffnet mir ein freundlicher älterer Herr, nur um sogleich von seiner resoluten Ehefrau Agnes beiseite geschoben zu werden. Für die freundliche ältere Dame scheint meine Aufnahme selbstverständlich zu sein. Das Motorrad darf ich in die große, trockene Garage stellen, wo ich mich sofort bis auf die Radlerhose und ein Shirt ausziehen muß. Agenes verschwindet mit all meinen Klamotten im Heizungskeller, um die Sachen zum Trocknen aufzuhängen. Als ich halbnackt ins Haus gebeten werde, kann ich vor lauter Zähneklappern kaum noch sprechen. Sogleich werde ich unter die heiße Dusche gesteckt, während Agnes mein Zimmer vorbereitet. Bis jetzt hatten wir noch gar nicht über den Preis verhandelt und mir wird langsam flau im Magen. Ob 22 € in Ordnung seien mit Frühstück, werde ich gefragt. Ich habe Mühe, mein Pokerface zu behalten, denn mit so einem tollen Angebot hatte ich nicht gerechnet.

Wolken über Titisee
Am nächsten Morgen ist das Wetter unverändert

Ich erfahre, daß Agnes bereits 74 Jahre alt ist und im Oktober goldene Hochzeit feiert. "50 Jahre verheiratet und immer mit demselben Mann", lacht sie mich freundlich an. Ich erfahre noch so allerlei. Zum Beispiel, daß vor mir ein Paar aus Alaska das Zimmer bewohnt hat. Die beiden sind sechs Wochen lang mit ihren Motorrädern in Europa unterwegs gewesen und hatten ganz merkwürdige Kennzeichen. Und ob ich indianischer Abstammung sei, möchte Agnes wissen. In diesem Punkt muß ich passen, aber dafür kann ich sie in zwei weiteren Fragen vollends beruhigen: ich rauche nicht und mache auch nur ganz wenig Dreck.

Mir werden noch zwei Flaschen Fürstenberg Pilsener ins Zimmer gestellt und anschließend eine gute Nacht gewünscht. Nach der heißen Dusche fühle ich mich wieder richtig gut und hänge meine Landkarten und die Digitalkamera zum Trocknen auf. Ich schreibe noch fast zwei Stunden lang in mein Reisetagebuch bevor ich endlich schlafen gehe.

Das Frühstück am nächsten Morgen ist richtig klasse und während ich Kaffee trinke, male ich mit dem Textmarker in meinen Karten herum. Die sind wieder richtig schön durchgetrocknet, auch wenn das Papier jetzt irgendwie total steif und ein bisschen brüchig ist.

Donau
Die Donau ist hier noch ein kleiner Fluß

Das Wetter ist leider unverändert und für die nächsten Tage gibt es keine Aussicht auf Besserung. Als ich gegen 11 Uhr endlich aus Titisee loskomme, bin ich deutlich besser angezogen als am Vortag. Die Lösung hatte ich die ganze Zeit bei mir getragen, ohne daran zu denken: ich ziehe meine wind- und wasserdichte Gummijacke über meine Thermosachen direkt unter die Motorradjacke. Natürlich habe ich auch die dicke orange Fleecejacke noch drunter. Ich komme mir vor wie das Michelinmännchen, aber dafür friere ich nicht und bleibe hoffentlich trocken.

Steintor bei Beuron
Steintor im Donautal ganz in der Nähe von Beuron

Ich möchte mir heute den Rheinfall in Schaffhausen ansehen. Doch schon auf der Anfahrt in Richtung Schweizer Grenze vergeht mir die Lust auf mehr. Regen, Nebel und immer wieder Regen. So fahre ich über Tuttlingen weiter ins Donautal und von dort auf einer wunderschönen Kurvenstraße immer an der Donau entlang und passiere auf meinem Weg auch die Donauversickerung.

Eisenbahnbrücke über die Donau
An einer alten Eisenbahnbrücke über die Donau mache ich Pause

Das Donautal ist wunderschön, die Straße schlängelt sich neben dem Fluß durch Täler mit saftigen Wiesen. Immer wieder fahre ich durch Steintore hindurch.

Naturpark Obere Donau
Naturpark Obere Donau [Quelle: Wikipedia]

Die Gegend um Beuron ist besonders sehenswert. Der Ort bildet das Zentrum des Naturparks Obere Donau. Ich bin just durch ein Steintor gefahren, als ich tief im Tal eine riesige Klosteranlage entdecke. Später erfahre ich, daß es die Erzabtei St. Martin zu Beuron ist, die 1863 von Benediktinermönchen gegründet wurde.

Benediktiner Abtei Beuron
Die Benediktiner-Erzabtei Beuron

Nur wenige Stunden nach meiner letzten trockenen Pause an der Donau, fängt es an zu schütten wie aus Eimern. Dazu kommt dichter Nebel, ich kann kaum 50 m weit gucken. Mein Visier ist so beschlagen, nass und schmierig, daß ich nach kurzer Zeit anhalten muß. Ich kann das Wetter kaum glauben.

Der Blick aus meinem Helm bei Regen
So sieht die Straße durch mein Visier aus - ideales Wetter, wenn man ein Fisch ist

Ich fahre zügig weiter und ziehe stur meine Bahn über Reutlingen, Geislingen, Aalen und Schwäbisch-Hall. Nach fünf Stunden Tauchfahrt, davon eine Stunde Schleichfahrt sind meine Batterien restlos erschöpft. "Anblasen, LI, wir tauchen auf!"

In dem kleinen Dorf Stuppach kurz hinter Künzelsau halte ich vor einem riesigen Landgasthof. Das Dorf wirkt derart verlassen und trostlos, hier kann das Zimmer nicht teuer sein.

Ich betrete den Gasthof und stehe ratlos in einer dunklen großen Diele. Im Hintergrund höre ich Kühe muhen. "Hallo", rufe ich vorsichtig. "Jemand da?" Kurz darauf erscheint die junge Wirtin und bietet mir ein Zimmer mit Frühstück für 22 € an. Ich bin hoch zufrieden über den günstigen Preis und freue mich schon auf ein Abendessen in der Gaststube, denn aus der Küche strömt ein köstlicher Duft nach herzhafter Bauernküche. Wenn ich Glück habe, hat hier noch niemand etwas von Novelle Cuisine und fettarmer Zubereitung gehört.

Über zwei knarrende Holztreppen führt mich die Bauersfrau in mein Zimmer. Nur ein Außenstehender würden die wortkarge, ernste Art der Menschen als unfreundlich beschreiben. Nun, ich bin nicht gerade ein Insider...

Zum Hirschen, Stuppach
Gasthof Zum Hirschen in Stuppach

Mein Motorrad darf ich in die Garage stellen. Schnell sprühe ich die Kette noch reichlich mit Kettenfett ein. Die Regenfahrten sind Gift für den Antrieb. Mit meinem ganzen Gepäck aste ich die Treppen hoch in mein Zimmer. Ich ziehe mich kurz um und stöckel hinunter in die Gaststube.

In der düsteren Gaststube sitzt ein Landwirt beim Abendessen, der leise schmatzend und rülpsend ein knuspriges halbes Hähnchen in sich hineinschaufelt. Ich setze mich an den Nebentisch und werde damit belohnt, daß auch über meinem Tisch das Licht eingeschaltet wird. Wenn fünf weitere Gäste kämen, dürfte es fast hell werden im Raum.

Die Hähnchen sehen unwiderstehlich lecker aus und sind wirklich groß. Nicht zu vergleichen mit den Spatzen, die man sonst so bekommt. Ich bestelle mir zwei halbe Hähnchen und ein großes Bier. Die Wirtin fragt zweifelnd nach, ob sie die Bestellung richtig verstanden hat. Hmm, soll ich vielleicht drei nehmen? Nein, das wäre vielleicht zuviel.

Nach kurzer Zeit werden mir im Gasthof Zum Hirschen zwei halbe Bauernhähne serviert, wie ich sie leckerer und knuspriger noch niemals zuvor gegessen habe. Hier könnten die Jungs vom Wienerwald gerne mal einen Lehrgang besuchen.

Nachdem ich feststelle, daß ein großes Bier auf dem Lande tatsächlich noch 0,5l bedeutet und frisch gezapft nur 1,80 € kostet, bin ich vom Hirschen restlos begeistert. Meine ausdrückliche Empfehlung.

Ich schlafe ausgezeichnet und wache am nächsten Morgen erholt auf. Leider hat sich das Wetter um keinen Deut gebessert. Die Wirtin hat in der Gaststube für mich ein reichhaltiges Frühstück aufgedeckt mit viel Wurst und Butter. Endlich normale Menschen. Wer hier beim Frühstück nach Lätta fragt, könnte glatt verkloppt werden.

Das Wetter sieht wirklich mies aus und der Wetterbericht in der Zeitung verspricht keine Besserung. Nur in Thüringen, so lese ich, soll es noch einige trockene Stellen geben. Also, auf nach Thüringen...

Tauberbrücke Reichholzheim
Tauberbrücke Reichholzheim - die Tauber führt nach schweren Regenfällen Hochwasser

Auf verlassenen Nebenstraßen fahre ich einsam an der Tauber entlang und komme hinter Lohr am Main in den Bayrischen Spessart. Eine kurvenreiche Straße durch nasse, nebelige Wälder sorgt für eine besondere Atmosphäre. So hatte ich mir den Spessart vorgestellt.

Bayrischer Spessart
Einsame Landstraße durch den Naturpark Bayrischer Spessart

Auf der L276 geht es weiter in den Hessischen Spessart, von wo ich ohne anzuhalten weiterfahre in die Bayrische Rhön. Fange ich an, Naturlandschaften zu sammeln? Fast kommt es mir so vor.

Hessischer Spessart
Ganz schön düster, so ein Spessart...

Vom hessischen Spessart aus geht es über Bad Brückenau und Gersfeld weiter durch die Rhön. Eine fantastische Kurvenstrecke durch den düsteren Nebelwald der Rhön führt fahrerisch anspruchsvoll nach Bad Königshofen.

Bayrische Rhön
Die Rhön sieht auch nicht einladender aus als der Spessart

Über Hildburgshausen geht es nach Osten weiter in Richtung Thüringer Schiefergebirge. Von dem versprochenen Schönwetter ist noch nichts zu sehen. Ich hoffe nur, daß es nicht ohne mich stattfindet.

Fahrt nach Thüringen
Auf der B89 in Richtung Thüringen

Tatsächlich wird der Himmel in Thüringen für kurze Zeit heller und ich mache eine lange Pause an einem alten Holzlager in der Nähe von Sachsenbrunn. In der Zwischenzeit zieht das Tiefdruckgebiet weiter ostwärts und überholt mich. Regen und Nebel brechen erneut über Katie und mich herein. Wir sind beide nicht gerade in Partylaune.

Wenn ihr euch das Nebelfoto anschaut, bekommt ihr einen Eindruck davon, was ich vom berühmten Thüringer Wald zu sehen bekommen habe. Wie durch Watte taste ich mich auf der KTM im dichten Nebel durch die geheimnisvolle, fremde Landschaft.

Fahrt im Nebel
Fahrt durch den Thüringer Wald am 9.Aug 2007, könnt ihr die Uhrzeit erkennen?

Ungefähr zu diesem Zeitpunkt, als ich mit klammen Handschuhen und leicht durchgefroren durch den Wald fahre, fasse ich den Entschluß, wieder nach Hause zu fahren. Das Wetter ist zum Zelten zu schlecht, eine Besserung nicht in Sicht und fürs tägliche Hotelzimmer fehlt mir einfach das Geld. Wir kehren um!

Es ist kurz vor 17 Uhr. Können wir es ohne weitere Übernachtung über die Landstraße bis nach Kiel schaffen? Wir haben heute bereits 335 Km hinter uns gebracht und bis Kiel dürften es ungefähr weitere 600 Km sein. Inzwischen bin ich aber so abgehärtet, daß ich es mit der gepolsterten Radlerhose Ewigkeiten im schmalen Sattel der KTM aushalten kann. Dazu fahre ich fast alle Ortsdurchfahrten im Stehen, das ist Erholung genug.

In Saalfeld mache ich kurz Halt bei einem Motorradhändler, um etwas Motoröl aufzufüllen. Die Firma TR Moto Shop in Saalfeld ist auf Enduros spezialisiert. Die Jungs sind megafreundlich und der Chef selbst kümmert sich um meine Katie. Es fehlen etwa 150 ml Öl, die mit einem Trichter in den Motor gegossen werden. Als ich nach dem Preis frage, winkt der Chef nur ab und wünscht mir eine gute Fahrt. Danke schön, Jungs...!

Dorf in Thueringen
Ich fahre durch viele trostlos wirkende Dörfer - der Verfall ist deprimierend

Der Osten wirkt auf mich richtig trostlos, aber das mag auch am schlechten Wetter liegen. Dennoch: soviele völlig gestörte Autofahrer, die absolut verantwortungslos rasend alle Regeln missachten, kenne ich aus Schleswig-Holstein nicht. In Thüringen sind quietschende Reifen, die voll verspoilerte Kilometerleiche und eine dröhnende Bassrolle fester Bestandteil der Jugendkultur. Na Bravo....

Richtig spannend ist noch einmal die nächtliche Fahrt durch den Harz. Es ist stockfinster, Nebel und Wolken sorgen zusätzlich für schlechte Sicht. Meine größte Angst ist jetzt ein Wildunfall, aber nur einmal läuft ein großer Fuchs dicht vor Katie und mir über die Straße.

Als ich nach 937 Km gegen 02.30 Uhr in Kiel ankomme und in der Tiefgarage den Helm abnehme, bekomme ich einen Riesenschreck. Die KTM hat ein schweres Motorgeräusch. Im Standgas ist ein hartes metallisches Knacken zu hören, dazu klingt der Motor als würde eine Handvoll Schrauben in einer Blechdose geschüttelt. Oh, oh, das klingt nicht gut.

Die Reise hat mir viel, viel Spaß gemacht, auch wenn das manchmal anders klingen mag. In sechs Tagen bin ich 2.111 km quer durch Deutschland gefahren und hab vom Sattel der KTM aus viele tolle Gegenden gesehen. Und wer weiß, vielleicht halte ich nächstes Mal sogar irgendwo mal kurz an...












Svenja Svendura EndurowandernMade by Svenja Svendura on Apple iMac with Panic Coda and Photoshop Elements.