Alpenreise 2015
Tag 1: Autozug Hamburg - Wien
Tag 2: Wien - Riegersburg
Tag 3: Durch die Steiermark
Tag 4: Hallstatt
Tag 5: Salzkammergut
Tag 6-8: Berchtesgaden
Tag 9: Berchtesgaden - Fusch
Tag 10: Großglocknerstraße
Tag 11: Alpenpark Karwendel
Tag 12: Innsbruck - Häselgehr
Tag 13: Silvretta Hochalpenstraße
Tag 14: Via Alpsu und Furkastraße
Tag 15: Binntal - La Fouly
Tag 16: La Fouly - Thunersee
Tag 17: Jokertag in Spiez
Tag 18-19: Thun-Lörrach-Kiel
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Lemmy, Zünder und die Jungs

Heute beginnt meine Herbstreise in die Alpen. Die letzte große Tour bevor es in die Winterpause geht. Der Autozug nach Wien fährt heute Abend in Hamburg ab, aber das Warten geht mir auf die Nerven. Lieber stun­den­lang am Bahnhof herum­hängen, als noch eine Minute länger durch meine Bude zu tigern und rastlos auf die Uhr zu glotzen. Es reicht, ich fahre los.

Svenja KLX250 Enduro Gepäck

Kurz darauf bin ich aus Kiel heraus und fahre auf der alten B 4 in Richtung Süden. Ich liebe diese alte Bundesstraße parallel zur A 7. In dieser Gegend hat meine Jugend gespielt, hier bin ich aufgewachsen, zur Schule gegangen und hab meine ersten Abenteuer erlebt. Mädchen, frisierte Motorräder, Wheelies und Lagerfeuer.

Etwas später fahre ich an Springhirsch vorbei. Hier gab es früher einen Suzi­händler, wo ich meine DR500 gekauft habe. Bei einem Motorrad­treffen habe ich dort den Stuntman Albert Denk erlebt.

Der Event war groß angekündigt: Auf einer Motocross Maschine sollte Albert über ein Dutzend Autos springen. Mitten im Wald, kaum Anlauf, fast kein Auslauf, Bäume und Zuschauer unmittelbar an der Strecke. Absoluter Irrsinn ohne Platz für den kleinsten Fehler.

Albert fuhr eine giftgrüne Kawasaki KX500. Eine 2-Takt Motocross Maschine, die selbst für heutige Begriffe völlig übermotorisiert war: 65 PS bei 100 Kilo. Ein Monster, das in Wettbe­werben als nahezu unfahrbar galt, aber nur damit gab es eine Chance, auf den wenigen Metern genug Anlauf zu kriegen, um über die lange Blechkolonne alter Autos zu fliegen.

Ich stand mit meiner kleinen Motorradgang direkt neben der Strecke. Lemmy, Zünder und die Jungs. Alle auf 250er Enduros, ich schon damals auf einer grünen KL250, nur Zünder auf seiner KDX175 Zweitakt, die ihm seinen Spitznamen beschert hat, weil die Karre so oft Fehl­zündungen hatte.

Albert gibt Gas und mir bleibt fast das Herz stehen, als sich die groben Stollen in den Wald­boden fressen und seine KX500 mit infernalischem Kreischen, in einer Fontäne aus Erde, Dreck und Tannen­nadeln auf die steile Rampe zuschießt.

Schafft er das? Das kann er nicht schaffen. Der Anlauf ist viel zu kurz. Zum Bremsen keine Chance mehr, der Point of no Return längst über­schritten. Albert hebt ab, fliegt, und landet um Haares­breite hinter der letzten Karre, ein alter Opel Kadett B, und bremst die KX so brutal zusammen, dass er gerade eben noch vor den Zuschauern zum Stehen kommt.

Lemmy, Zünder und ich haben geschrien und gejubelt und später habe ich mir eine Auto­gramm­karte meines Idols geholt. Eine tolle Show war das, ein wunderbarer Tag. Ich war so jung, so voller Energie und Tatendrang, all das Böse im Leben noch Lichtjahre entfernt.

Inzwischen sind 31 Jahre vergangen. Albert Denk ist heute über 60, aber er gilt noch immer als einer der besten Motorrad Stuntmen Deutschlands und gelegentlich fliegt er noch über geparkte Fahrzeuge und durch Feuerwände.

Und ich? Ich werde in ein paar Tagen 54 und bin noch immer auf einer 1-Zylinder Enduro mit Zelt und Schlafsack in Europa unterwegs. Ein wahres One-Trick Pony.

Ein paar Kilometer weiter führt die B4 durch Quickborn und allmählich in den Hamburger Speckgürtel hinein. Der Verkehr wird dichter und ich muss mich wieder mehr aufs Fahren konzentrieren. Ich freue mich so sehr auf diese Reise, auf die Alpen, auf Österreich und das gute Essen.

Die Anreise unternehmen Pieps und ich standesgemäß mit dem Auto­zug der Österrei­chi­schen Bundesbahn. Die ÖBB fährt zu sehr günstigen Preisen von Hamburg nach Wien. Für Greeny, Pieps und mich habe ich gerade einmal 154 € bezahlt.

Als ich am Terminal der Autoverladung in der Präsident-Krahn-Straße ankomme, bin ich Stunden zu früh, aber das Warten macht mir nichts aus, denn jetzt bin ich unterwegs. Ein Bahnarbeiter in einer orangen Jacke hängt die aktuellen Schilder für die Wartespuren aus: Lörrach Spur 1, Wien 2+3, München 4+5.

Als der Arbeiter meinen suchenden Blick bemerkt, gibt er mir den Rat, mit dem Motorrad schon bis an den Bahnsteig heranzufahren. Einchecken kann ich später zu Fuß und muss nicht ewig in der Spur warten. Danke für den Tipp.

Hamburg Altona Motorrad Autozug Verladung

Der Bahnhof ist mir noch ganz vertraut. Hier bin ich erst vor kurzem mit dem Autozug aus Lörrach gelandet. Ich stelle die Enduro am Seiteneingang des Bahnhofs ab. Die Zufahrt zu den Gleisen ist noch durch eine rotweiße Kette abgesperrt.

Von Hamburg-Altona fährt die Deutsche Bahn nach Lörrach und München, die ÖBB nach Wien. Ich hoffe so sehr, dass der Autozug in Hamburg erhalten bleibt. Bequemer komme ich mit dem Motorrad nicht in den Süden und gerade von Wien aus liegen die interessantesten Länder und Reiseziele fast vor der Abteiltür.

Hamburg Altona Motorrad Autozug Verladung

Ich bin so gespannt, mit wem ich heute die Nacht verbringen werde. Biker? Ok, dann haben wir Gesprächs­stoff. Rentner? Mit denen kann man sich gut unterhalten und die haben oft was Leckeres zu essen mit. Familie mit Kindern? Höchststrafe!

Einen wichtigen Unterschied zwischen den Autozügen der DB und ÖBB gibt es: Während die Deutsche Bahn das Liegewagen­abteil mit maximal 5 Leuten bucht, können bei der ÖBB bis zu 6 Reisende im Abteil liegen. Das wären 6 Menschen auf 4 qm.

Inzwischen steht ein knappes Dutzend Motorräder hinter Greeny. Jeder hat einen blauen Zettel bekommen, den er vorne ankleben soll, damit die Bahnarbeiter sie auf den richtigen Autozug setzen. Mehr als die Hälfte will nach München, die Anderen verteilen sich auf Lörrach und Wien.

Ich staune einmal mehr, wie einige Maschinen beladen sind. Eine Gold Wing mit Koffer­system und vier(!) Gepäckrollen. Das ist keine Reise, das ist ein Umzug. Das kann nur Unsicherheit sein, was braucht man und was nicht? Dabei hat er, im Gegensatz zu mir, vielleicht nicht mal ein Abendkleid an Bord.

Von einer Sekunde auf die nächste kommt Bewegung in die Kolonne. Die Verladung beginnt. Ich habe Glück, Wien wird zuerst abgefertigt.

Ein Bahnarbeiter hält die Passanten mit einer Handbewegung auf und ich fahre mit dem Motorrad quer durch den Bahnhof Altona. Vorbei an Presse+Buch, weiter zu Western Union und biege schließlich in Höhe der Bäckerei­kette Le Crobag rechts auf Bahnsteig 10 ab.

Hamburg Altona Motorrad Autozug Verladung

Auch wenn ich den ungewöhnlichen Weg der Fahrzeuge durch den Bahnhof Altona schon kenne, verblüfft er mich trotzdem aufs Neue.

Im Liegen, die Beine waagerecht nach hinten gestreckt, den Bauch auf dem Tank, fahre ich langsam durch das Unterdeck des Autozugs, bis ich hinter einem Alfa Romeo mit Nummern­schild aus Österreich zum Stehen komme. Ein Ladearbeiter macht sich sogleich daran, die Enduro zu verzurren.

Ich habe keine Lust, das ganze Gepäck abzuräumen und ins Abteil zu schleppen und frage den Festmacher, ob ich es nicht einfach drauflassen kann. Er prüft die Rock Straps, mit denen die Gepäck­rolle verzurrt ist und hat keine Einwände: "Das hält. Außer, der Lade­meister sagt was anderes", sichert er sich ab.

Hamburg Altona Motorrad Autozug Verladung

Bis der kommt, bin ich längst verschwunden, Baby. Ich schnappe meinen Tankrucksack und tauche zwischen den Menschen auf dem Bahnsteig unter. Mit einer Handvoll anderer Biker stehe ich neben den Liegewagen und warte darauf, dass ich an Bord darf.

Wir sind alle erstaunlich ruhig und abgeklärt, niemand ist aufgeregt, nicht einmal ich. Früher war das völlig anders: Ich war völlig aufgekratzt, albern und bin rumgehüpft wie ein Flummi.

Ist das ein Zeichen für Routine, oder für etwas Anderes? Mache ich das alles nur noch, weil es die einzige Reiseform ist, die ich gut kann? Weil ich nichts anderes gelernt habe, als mit Motorrad und Zelt unterwegs zu sein?

Hamburg Altona Motorrad Autozug Liegewagen

Misstrauisch mustere ich die Klapphelmträger in meinem Alter, die ebenso abgeklärt auf den Zug warten wie ich. Sind wir alle längst erledigt und haben nur vergessen, umzufallen? Die Antwort kenne ich nicht, aber ich werde uns im Auge behalten und versuchen heraus­zu­finden, ob das hier noch immer das ist, was ich will.

Endlich dürfen wir an Bord. Ich steige in den Waggon mit der Nummer 273 und suche mein Abteil. Da! Das ist es, unten links, die 064, das ist mein Bett. Ich schiebe den Tank­ruck­sack unters Bett, verstaue den Helm auf der Ablage und ziehe mich in Windeseile um.

Autozug Abteil Liegewagen

So wie es aussieht, sind wir zu Fünft, zwei Studentinnen aus Wien, die auf der Rückreise aus Schweden sind, ein Radwanderer auf dem Weg an die Adria, Pieps und ich. Auf diese Weise, können wir die mittleren Betten hochklappen, so dass wir unten aufrecht sitzen können.

Ich decke auf der Fensterkonsole Käse & Wein. Der Finnlapi, ein Ziegenkäse nach finnischen Rezept, schmeckt wunderbar mild zu dem Cabernet Syrah. In dieser Hinsicht hat sich mein Geschmack zu damals sehr verändert: Früher wäre es Dosenbier gewesen, oder eine Flasche Pennerglück, 2l zu 1,99 DM. Nun, wer sagt, dass ich nicht entwicklungs­fähig bin?

Die Studentinnen haben sich in die oberen Betten unters Dach verzogen, aber der Rad­wan­derer sitzt mir gegenüber und ich lade ihn ein zu Käse und Wein. Er ist mir sehr sympathisch und erzählt bereit­willig von einer Fahr­rad­tour durchs Baltikum, die er im vergangenen Jahr gemacht hat.

Autozug Abteil Liegewagen

Ich höre interessiert zu, denn das Baltikum interessiert mich sehr. Es ist dünnn besiedelt, noch recht ursprünglich, bietet viele Schotter­strecken und liegt nur 800m entfernt. Soweit ist es nämlich von meiner Haustür bis zum Hafen, wo die Fähre nach Klaipeda ablegt.

Inzwischen ist es spät geworden. Der Wein ist längst alle, wir liegen in den Betten und schlafen. Plötzlich geht die Tür auf und der Schaffner steht in der Tür. Ein Österreicher.

"Sie müssns die miedleren Bättn wieder runterklappen. Da steigns heit Nocht no 2 dazu."
"Sie wollen uns veräppeln, oder?!", frage ich mit zickigem Unterton.
"No." Sprachs und verschwand.

Ich bin gerade wieder eingeschlafen, als die Abteiltür erneut aufgeht. Zwei Jungs stehen etwas verlegen draußen im Gang und wünschen Guten Abend. Beide Anfang 20, noch so jung und süß. Sie sind mit ihren Fahrrädern auf Europareise und jeder hat 4(!) Ortlieb Taschen, die im Abteil verstaut werden müssen.

Es dauert eine Weile, bis alles Gepäck verstaut ist und jeder seinen Platz gefunden hat. Ich liege flach auf meinem Bett, das mittlere Bett nur Zentimeter vor meiner Nasenspitze. Jetzt sind wir zu sechst, mit Pieps sechseinhalb. Ich hoffe, das war die letzte Unterbrechung heute Nacht, denn in wenigen Stunden landen wir in Wien...

zum nächsten Tag...

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Svenja Svendura EndurowandernMade by Svenja Svendura on Apple iMac with Panic Coda and Photoshop Elements.