Die Reise geht weiter
In dem großen Kachelofen brennt ein Feuer, als ich zum Frühstück in die Gaststube komme. Die Holzscheite sind ganz hell und noch nicht verkohlt, dazwischen Reste von Zeitungspapier. Ich bleibe einen Moment am Ofen stehen und sehe in die Flammen.
Ich bin traurig, weil wir uns heute trennen und ängstlich, weil Claudia 1.100 km zwischen all den Verrückten zurück nach Kiel fährt. Und ich bin in Aufbruchstimmung, aufgekratzt und voller Erwartung, weil die Alpenreise heute erst richtig los geht.Claudia verstaut die Reisetasche mit meinen Sachen in ihrem Twingo, während ich die Gepäckrolle auf dem Motorrad festschnalle.
Der Switch von Svenja zu Svendura fällt mir nie ganz leicht, der Wechsel aus der Strumpfhose in die Motorradhose mit Büffelleder, aus den weichen Overknees in die Motorradstiefel.
Ein letztes Mal trichtere ich Claudia ein, vorsichtig zu fahren und mich gleich anzurufen, wenn sie in Kiel ist. Das ist das Ätzende, wenn man jemanden lieb hat: Dauernd ist man in Sorge, steht tausend Ängste aus und kann letztlich doch nichts tun.
Die neue Endurojacke ist noch ganz steif und beim Abschied steht sie wie ein Fremdkörper zwischen uns. Ich schwinge mich auf die Enduro, winke ein letztes Mal und biege auf die Vorderbrandstraße ein. Kurz darauf ist Claudia aus meinem Rückspiegel verschwunden.
In Berchtesgaden stoppe ich neben einem Briefkasten und werfe die Postkarten ein, die ich im Vorderbrand geschrieben habe. Ein dicker Regentropfen landet auf einer und verschmiert die Tinte. Macht nichts, denke ich, bei einer Postkarte zählt der Gedanke und nicht der Text.
Kurz darauf bin ich wieder in Österreich. Hinter Hallein fahre ich auf eine SHELL-Tankstelle. Ich lasse das gute V-Power in den Tank laufen, setze den Tankrucksack wieder auf und schiebe das Motorrad unters Dach neben dem Shop.
Ich stelle mich damit zu den Männern an den Stehtisch, es ist die einzige Möglichkeit in dem kleinen Verkaufsraum. Sie machen freundlich Platz und möchten wissen, wo ich hinfahre.
"Nach Heiligenblut", sage ich und zeige die geplante Route auf meiner Outdoor Landkarte.
"Do liegt ieberall no Schnöh", lacht einer der Männer laut auf. Die Anderen nicken stumm.
Meine Güte, sind die ängstlich, die Österreicher. Wie dramatisch kann es sein, einen Hügel, oder meinetwegen einen Berg, mit ein paar Schneeflocken drauf zu überqueren? Für die KLX ist das kein ernstzunehmendes Hindernis.
Ich will nicht unhöflich sein und bedanke mich für die Information. Dabei versuche ich nicht durchblicken zu lassen, dass ich die Jungs für ziemliche Weicheisen halte. Ich trinke den Kaffee aus und mache mich wieder auf den Weg.
Das Gästeblatt hat nicht gelogen, den ganzen Tag über fällt ergiebiger Regen. Das Visier ist beschlagen und gerade läuft auch der zweite Stiefel voll Wasser. Die Daytonas sind klasse und absolut wasserdicht, dazu bequem genug, um auf extra Laufschuhe zu verzichten, doch die Regenkombi löst sich allmählich auf und leitet das Wasser von oben in die Stiefel. Heute Abend im Zelt werde ich sie mit Tesa Gewebeband wieder zusammenflicken.
In St.Veit im Pongau laufe ich die nächste Tankstelle an. Ich muss weder tanken, noch habe ich Hunger, aber mir ist kalt. Es sind bloß 8°C. Ich will mich nur aufwärmen. Weil ich das dem Tankwart nicht sagen mag, bestelle ich einen Kaffee und für Pieps ein Paar Frankfurter.
Inzwischen tauchen die ersten Schilder mit dem Hinweis auf den Großglockner auf. Weit und breit ist nicht eine Schneeflocke zu sehen. 'Letzte Tankstelle vorm Pass. Nächste in 50 km' steht auf einem Schild. Ich nutze die Gelegenheit und tanke 2,5 l nach, bevor es zum Großglockner geht.
Der Tankwart ist sehr freundlich. Überhaupt erscheinen mir die Österreicher als äußerst herzliche und freundliche Menschen. Was die wohl denken, wenn sie nach Schleswig-Holstein kommen, wo die Leute oft etwas knurrig wirken.
Ein paar Kilometer weiter halte ich vor einer Tafel, auf der die Großglockner Hochalpenstraße angekündigt wird. Der Pass ist mautpflichtig und für Greeny, Pieps und mich sind es 24,50 €. Wenn ich daran denke, dass der kurze Ritt auf den Dalsnibba bei Geiranger schon 13 € gekostet hat, ist das hier nicht zu teuer.
Die neue Pharao Jacke ist klasse, aber die Taschen sind winzig im Vergleich zu meiner alten, geliebten Svendura Jacke mit dem Nordkap Sticker und dem Kompass auf dem Ärmel. Leider ist die viel zu groß, das war Svens alte KTM Jacke, Herren XL, diese hier ist Damengröße M. Erstaunlich wie Muskeln schwinden, wenn man sie nicht mehr braucht.
Fünf Minuten später rolle ich auf den riesigen Vorplatz der Mautstation. Auf 6 der 7 Spuren steht die Ampel auf rot. Langsam rolle ich an das einzige freie Kassenhäuschen heran.
Die Tür des Kassenhäuschens öffnet sich und eine Frau mit roten Haaren kommt heraus. Sie trägt eine Weste mit dem Aufdruck grossglockner.at und kommt durch den strömenden Regen auf mich zu.
"Der Pass ist gesperrt. Wir haben immer wieder starken Schneefall."
"Das macht nichts, ich fahre auf eigene Gefahr."
"Nein, wir dürfen keine Motorräder durchlassen."
Bis Heiligenblut sind es bloß noch 41 km. Dieser dämliche Berg steht genau zwischen mir und meinem Zeltplatz. Ein Abweichen vom Plan kommt überhaupt nicht in Frage. Ich muss über diesen Pass.
Wie immer habe ich einen Plan 1b. In Fusch, 7 km zurück, gibt es ein Tourenfahrer Hotel, den Bärenwirt. Da werde ich übernachten und es morgen früh noch einmal versuchen. Vielleicht ist der Schnee bis dahin verschwunden, oder jemand anderer sitzt in der Mautstation und hat ein Einsehen mit Svenja und ihrem Plan.
Dieses Motorrad und ihre Vorgängerin, die Z900, die so schnell und so bösartig war, dass sie Frankensteins Tochter genannt wurde, waren die Ikonen meiner Jugend. Die einzigen Straßenmaschinen, die ich je hätte fahren wollen.
Tatsächlich habe ich nie ein Motorrad mit mehr als einem Zylinder gekauft. Greeny ist No.9 in 38 Jahren, wenn ich meine Puch Cobra aus 1978 mitzähle.
Bevor ich das Gepäck aufs Zimmer trage, sprühe ich die Kette mit SX90 ein. Motoröl, Reifen, Speichen, alles in Ordnung. Das wars für heute. Ich trage die Gepäckrolle und den Tankrucksack hinauf aufs Zimmer.
Viel wichtiger ist es, die Regenkombi wieder in Form zu bringen. Das rechte Bein ist bis zum Knie aufgerissen. Ich bin an der gezackten Endurofußraste der KLX hängen geblieben.
Ich breite die Regenkombi auf dem Tisch aus und fixiere den Riss mit kleinen Patches aus Gewebeband, bevor ich einen langen Streifen vom Fuß bis hinauf zum Knie klebe. Jetzt noch ein paar Querstreifen zum Fixieren und es sollte wieder eine Weile halten.
Die olle Regenkombi ist mir irgendwie ans Herz gewachsen. Wo sind wir nicht überall schon nass geworden? Am schlimmsten war es in Nordirland.
Vom Balkon meines Zimmers habe ich einen guten Blick die Straße rauf Richtung Mautstation. Die Gipfel in der Ferne tragen weiße Schneekappen. Ob die Glocknerstraße morgen frei ist? Ich hoffe es, sonst muss ich doch noch von meinem Plan abweichen.
Als Vorspeise bestelle ich falsche Schnecken, das sind mit Käse überbackene Rinderfiletspitzen, und als Hauptgericht ein Wiener Schnitzel. Die Vorspeise ist klasse, aber das Schnitzel so trocken, dass ich mir Majonnaise dazu bringen lasse.
Heute habe ich nicht viel erlebt und nach einer halben Stunde klappe ich das Büchlein zu. Ich bezahle die Rechnung und gehe hoch aufs Zimmer. Nach einem kurzen Streit darüber, wer heute das Snoopy Nachthemd anziehen darf, machen Pieps und ich uns fertig für die Nacht.
Es ist ungewohnt, in einem völlig fremden Zimmer zu schlafen. Das schätze ich so am Zelten: Wo immer ich mein Zelt aufstelle, innen ist es jedesmal gleich: Mein gewohntes Zuhause, mein Bett und mein Witschi Kissen. Alles liegt an seinem gewohnten Platz und ich schlafe jeden Abend bei Svenja zu Hause. Ich liebe das. Für eine Nacht ist so ein Zimmer ok, aber morgen will ich wieder in meinem eigenen Bett schlafen.
zum nächsten Tag...
zurück nach oben