Ein Wiedersehen
Hallstatt schläft noch, als ich den Ort verlasse und in den Tunnel unterm Salzberg fahre. Lediglich ein paar trübe Funzeln sorgen für etwas Licht, aber das ist kein Vergleich zu dem Baustellentunnel, unter dem Svartisen Gletscher in Norwegen.
Der Hallstatttunnel verläuft nahe am Seeufer und als ich am anderen Ende wieder ans Tageslicht komme, fahre ich an den alten Bootshäusern vorbei. Die Straße liegt etwas höher, so dass ich einen guten Blick auf die hölzernen Schindeln der Dächer habe. Solche Dächer haben wir in Schleswig-Holstein nicht, wir decken unsere Häuser mit Reet.
Es hat die Nacht über ergiebig geregnet und die Straßen trocknen gerade erst ab. Ich hätte nichts dagegen, irgendwo zum Frühstücken einzukehren und bei Kaffee und Brötchen darauf zu warten, dass die Welt etwas freundlicher wird.
Keine 5 Minuten später taucht vor mir ein Gasthof auf. Der Steegwirt scheint mir ein typischer Alpengasthof zu sein und wenn es überhaupt irgendwo gutes Essen gibt, dann hier. Ich stelle die Enduro ab und gehe über die Terrasse zum Eingang.
"Wollens was?", fragt die Wirtin und schaut mich gefechtsbereit an.
"Ich würde gerne frühstücken."
"Hammer nett. Aber I kennt ihna Hemm end Eggs mochn. Und an Koffee."
"Perfekt, das nehme ich. Und Butter bitte." Jetzt sind wir im Geschäft.
Ich setze mich in die verwaiste Gaststube an einen der rustikalen Holztische. Die Wände sind mit alten Fotos und den Portraits längst verstorbener Menschen behängt, mit gestickten Sinnsprüchen, Urkunden und allerlei Jagdtrophäen. Der Eindruck liegt irgendwo zwischen Heimatmuseum und Omas Wohnstube. Pieps ist für den Anlass perfekt gekleidet.
Ein Junge, keine 18 Jahre alt, kommt an meinen Tisch. Er ist strohblond und trägt zur kurzen Lederhose ein Trachtenhemd. Ich hatte Kaffee bestellt, aber das allein reicht in Österreich nicht aus, um zu bestimmen, was man trinken möchte: "An Verlängerten, an Cappuccino oder an Haferlkaffee?", möchte er wissen.
Der Junge, der hier offenbar seine Lehre macht, ist so höflich, sein Benehmen so perfekt, dass jede Hotelfachschule stolz auf ihn sein kann.
Ich muss kurz überlegen. Cappucino scheidet aus, das ist höchstens ein Eierbecher voll. Haferlkaffee? Das ist vermutlich so ein Gebräu aus Getreide, Hafer oder Dinkel. Bloß nicht. Verlängerter klingt am ehesten nach einem Becher Kaffee.
Erst viel später beim Schreiben des Reiseberichts, werde ich herausfinden, dass Haferlkaffee nicht aus Hafer gemacht wird, sondern dass mit Haferl ein Becher gemeint ist. In Schleswig-Holstein würde die Bestellung lauten: "Ein Pot Kaffe."
Das zweite E in Kaffee lassen wir weg, ebenso wie das Bitte. Beides spart Silben, was dem Schleswig-Holsteiner sehr entgegen kommt. Wer die Flensburger Werbung kennt...
Ich warte auf das Frühstück und schreibe dabei mein Reisetagebuch weiter. Soviele neue Eindrücke, Österreich ist ganz anders als meine Heimat, oder als Skandinavien. Schweden und das Salzkammergut sind Gegensätze wie Tag und Nacht.
Der Glasteller, auf dem die Eier serviert werden, ist an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten, aber die Eier und der Speck darauf schmecken ausgezeichnet. Mit großem Appetit schaufeln Pieps und ich das herzhafte Frühstück in uns hinein. Immerhin wird der Steegwirt sogar in einem der berühmtesten Kneipenführer der Welt erwähnt, dem Gault & Millau.
Als Gast fühle ich mich in Österreich willkommen, die Menschen sind sehr höflich. Da können sich viele Läden in meiner Heimat eine Scheibe abschneiden. Bei uns in Norddeutschland heißt es bestenfalls: "Alles gut?"
Der Mensch kann morgens sehr viel Butter, Eier und Speck ertragen, aber nur eine begrenzte Menge Blasmusik. Ich trinke den letzten Schluck Kaffee aus, bezahle und mache mich wieder auf den Weg.
Meine nächste Station ist der Attersee. Das Wasser ist ganz klar und hat einen leicht türkisen Schimmer. Er wird von Gletscherwasser gespeist. Gustav Klimt hat hier einige wunderschöne Bilder gemalt. Er ist seit Jahren einer meiner liebsten Maler.
Voraus taucht ein Pferdegespann auf, ein Fiaker, wie sie in Österreich genannt werden. Vorsichtig setze ich zum Überholen an und biege in die nächsten Seitenstraße ein, um ein Foto zu machen, wenn die Kutsche vorbeifährt.
Als ich bei Schellenberg die Grenze nach Deutschland überquere, setzt ein starker Landregen ein. Ich ziehe den Kopf mit dem Helm tief zwischen die Schultern und bin froh, die einteilige Regenkombi zu tragen.
Ich fahre weiter nach Berchtesgaden. Claudia und ich sind hier verabredet. Wir treffen uns im Gasthof Vorderbrand und ich bin gespannt, ob sie schon da ist. Der Alpengasthof liegt in 1.070 m Höhe am Fuß des>Eagle's Nest und im Hang gegenüber liegt Claudias alte Schule.
Wir begrüßen uns, als hätten wir uns Monate nicht gesehen, dabei ist es erst vier Tage her, dass wir uns in Kiel voneinander verabschiedet haben. Ich ziehe die nassen Regensachen aus und verstaue sie im Kofferraum des Renault.
Im Winterraum stehen noch dieselben Möbel und an der Decke hängen die Arschpfeifenrössl, eine typische Schnitzarbeit aus dem Berchtesgadener Land.
In die Wand eingelassen, gibt es eine schmale Holztür von der Größe eines Bilderrahmens. "Dahinter lagen früher Spielkarten und ein Würfelbecher. Da habe ich manchmal gespielt, wenn ich hier gesessen und eine Limonade getrunken habe", erklärt Claudia mir.
Ohne besondere Erwartung öffnet sie die winzige Tür des Schränkchens und hält inne: Ein paar alte, abgegriffene Kartenspiele liegen darin, bloß der Würfelbecher fehlt.
Für heute Abend habe ich uns Käse, Wein und Oliven besorgt und während wir sitzen und trinken, erzählt Claudia mir Geschichten von ihrer Zeit am Obersalzberg.
zum nächsten Tag...
zurück nach oben