Durchs Karwendel
Die Auswahl des passenden Schlafsacks ist so eine Sache. Vor jeder Reise studiere ich die Wetter History der vergangenen Jahre für meinen Zielort. Da sehe ich genau, wie kalt und wie warm es gewesen ist. Danach entscheide ich mich für den dicken, oder für den leichten Daunenschlafsack und packe eventuell noch das Inlet ein, mit dem er sich um weitere 5° tunen lässt.
Für die Alpen im Herbst habe ich auf den Winterschlafsack gesetzt, dessen wahre Stärke aber erst unter Null zum Vorschein kommt, wenn man im eisekalten Zelt kuschelig warm schläft. Heute Nacht aber, bei +7°, war er viel zu warm.Um Punkt 8 Uhr schiebe ich das Motorrad reisefertig bepackt hinüber zur Campingklause. Ich leide, wenn ich den kalten Motor unnötig starten soll und die KLX wiegt selbst mit Urlaubsgepäck voll beladen nur 160 Kilo.
Die Gaststube ist schön eingeheizt und eine Handvoll Leute sitzt bereits an gedeckten Tischen. Leise Unterhaltung, das Klappern von Geschirr und ein Duft von frischem Kaffee liegen in der Luft.
Die Wirtin wünscht einen Guten Morgen und weist auf einen Tisch, der für mich eingedeckt ist. Tee oder Kaffee? Kaffee. Ein Frühstücksei? Oh ja, bitte.
In der Mitte des Raums steht das Frühstücksbuffet, das noch kein Anzeichen von Plünderung aufweist. Höchste Zeit für Pieps und mich, das zu ändern.
Eine Stunde später mache ich mich satt und zufrieden auf den Weg. Es ist ein herrlicher Tag und das gletschergrüne Wasser des Achensees leuchtet in der Sonne, im Hintergrund die gewaltigen Gipfel des Karwendel.
Ich lenke das Motorrad an den Straßenrand und lasse den Anblick der Berge auf mich wirken. Ob das für Einheimische auch immer wieder beeindruckend ist?
Der Zugang zum Silberbergwerk liegt ganz unspektakulär mitten im Gerwerbegebiet. Gerade als ich das Motorrad abstelle, geht ein Führer mit vier Besuchern zum Eingang der Höhle. Sie tragen Helme und silberne Übermäntel.
"Wartet ihr auf mich? Ich will noch mit", rufe ich quer über die Straße.
Ich renne hinüber zum Ticketschalter, kaufe ein Billet und bekomme einen Grubenhelm und einen silbernen Mantel. Eilig haste ich der Gruppe hinterher, die am Eingang auf mich wartet.
In einem Vorraum stehen mehrere Loren und davor eine kleine rote Lokomotive: Die Grubenbahn. Peter, der Grubenführer, erklärt, dass wir damit einen Kilometer weit in den Berg einfahren werden.
Unwillkürlich presse ich die Ellenbogen eng an den Körper, denn der Tunnel ist kaum breiter als die Loren selbst. Die Bahn fährt beängstigend schnell, oder zumindest fühlt es sich so an, und nur ab und zu erleuchtet eine schwache Glühbirne trübe das Dunkel. Es ist ein bisschen unheimlich.
Nach einer ganzen Weile wird der Zug langsamer und die Wände weichen allmählich von meinen Schultern zurück. Wir fahren in eine unterirdische Halle ein und mit einem letzten Ruck kommt die Grubenbahn zum Stehen.
Wir sind nur zu fünft und Peter, der Grubenguide. Er ist ein kleiner, drahtiger Mann mit flinken Augen. Hintereinander folgen wir ihm in einen Stollen. Die Decke hängt tief und ich muss ständig den Kopf einziehen, wenn ich nicht mit dem Helm anstoßen will.
Einer der Dungeon in Doom sah exakt aus wie diese Stelle und am Fuß der Treppe sprang ein blutiger Dämon mit Hörnern und Klauen in den Weg, den ich mehr als einmal mit meiner Pumpgun erledigt habe. Wer je selbst Doom gespielt hat, kennt die Stelle. Ich wünschte nur, ich hätte was zum Schießen mitgenommen.
"Schwaz war um 1500 zu seiner Blütezeit die größte Bergbaumetropole der damals bekannten Welt. Rund 85% des weltweit produzierten Silbers kam aus Schwaz. Dies war die Grundlage für Macht und Politik im damaligen Europa."
Peter erzählt davon, wie man damals auf die Idee kam, das Silber aus der Mine in Münzen zu prägen und wie hier eine Münze im Wert eines Goldgulden geschaffen wurde, die der erste Taler der Welt war und lange Zeit das führende Zahlungsmittel in Europa.
Als Kind bekam ich schon 1968 jeden Sonntag eine Mark Taschengeld, damals ein kleines Vermögen, und meine Oma sagte jedes Mal: "Hier hast du einen Taler."
Jeden Montagmorgen bin ich mit meinem Taler beim Kaufmann gegenüber erschienen und habe mir eine Tafel Schokolade gekauft. Die kostete genau eine Mark. Ich konnte schon damals gut mit Geld umgehen.
Am Ausgang gebe ich Helm und Mantel zurück und drücke Peter ein kleines Trinkgeld in die Hand: "Danke für die gute Führung. Das hat Spaß gemacht."
Ich schwinge mich wieder auf meine Enduro und fahre weiter. Heute habe ich für den ganzen Tag nur eine Etappe von 116 km eingeplant. Auf diese Weise bleibt genügend Zeit für Sehenswürdigkeiten und kurze Pausen und auch um Fotos zu machen, ohne dass ich mich ständig getrieben fühle und weiter muss.
Ein paar Kilometer hinter Achenwald überquere ich die Seeache, den Grenzfluss zwischen Österreich und Deutschland. Heute werde ich in Grenznähe ein Stück durch Deutschland fahren, denn ich möchte mir die Isar ansehen.
Auf Motoplaner habe ich eine schmale Privatstraße entdeckt, die unmittelbar an der Isar entlangführt. Von Zeit zu Zeit erhasche ich durch die Bäume neben der Straße einen flüchtigen Blick auf einen gletschergrünen Fluss. Das müsste bereits die Isar sein.
Kurz darauf biege ich von der Hauptstrecke ab und stehe nach wenigen hundert Metern vor einem kleinen Mauthäuschen. Ein Mann im besten Alter und Lederhosen sitzt auf einem Stuhl in der Sonne und sieht mir entgegen, als ich das Motorrad abstelle.
Die Isar ist hier nahe ihrer Quelle und fließt durch den Alpenpark Karwendel. Das Wasser schimmert hellgrün und darin leuchten hell die Sandbänke des Urstromtals, während im Hintergrund die Berge zu sehen ist.
Der erste Ort, den ich nach der Fahrt durch das Urstromtal der Isar erreiche, heißt Wallgau. Vor einem REWE Markt halte ich zum Einkaufen. Ich brauche Fleisch und Käse, eine kleine Flasche Rotwein steckt noch von gestern im Zeltsack.
Ich schnappe mir einen Korb und gehe zielstrebig durch in die Fleischabteilung. In der heißen Theke, eingepfercht zwischen Frikadellen und Bratwürsten, liegt ein einzelner gebackener Schweinebraten. Ein Riese unter lauter Liliputanern. Knusprig und verführerisch glänzt er durch die fettige Scheibe. Es ist Liebe auf den ersten Blick, heute bleibt die Pfanne kalt.
Ich lasse mir den Braten einpacken, greife mir im Vorbeigehen noch einen Ziegenkäse dazu und sitze Minuten später wieder auf dem Motorrad, den heißen Braten im Tankrucksack.
Auf der Bundesstraße 11 fahre ich weiter nach Süden, meinem Tagesziel entgegen, dem Camping Karwendelcamp in Scharnitz. Ein paar Kilometer hinter Mittenwald überquere ich die Grenze und bin zurück in Österreich.
Vor der Bäckerei Hueber stehen drei Tische in der Sonne und Pieps quengelt schon seit einer Weile, dass sie etwas Süßes möchte. Ich stelle das Motorrad vor dem großen Schaufenster ab und gehe hinein. Die Bäckerei schwirrt und summt von Wespen.
Hinter dem Tresen eine rundliche ältere Dame mit roten Wangen und weißem Haar. Mit stoischer Ruhe greift die Bäckersfrau in den Tresen zwischen die Wespen und nimmt ein Stück Kuchen für Pieps heraus. Sie scheint die summenden Biester überhaupt nicht zu bemerken und wird auch nicht gestochen.
Eine alte Dame, die sicher die 90 bereits hinter sich hat, ist die nächste Kundin. Sie erwartet Besuch und möchte 9 Stück Kuchen kaufen. Ob die Franzi Obstkuchen mag? Und der Werner, ob der von einem Stück Torte satt wird?
So fürsorglich und so liebenswert wählt sie jedes einzelne Stück für ihre Gäste aus, dass mir dabei das Herz aufgeht. Ich wette, dass es ein großer Tag für die alte Dame ist und ich hoffe, ihr Besuch weiß das zu schätzen. Ich wüsste es.
Von der Bäckerei in Scharnitz aus sind es nur noch 800m bis zum Karwendelcamp. Üppig grüne Wiesen eingerahmt vom gewaltigen Panorama des Karwendel. Welch eine unglaubliche Gegend das ist. Für mich hat sie etwas Märchenhaftes.
Es ist gerade erst 14 Uhr und ich habe noch den halben Tag vor mir. So liebe ich es, jetzt bleibt genügend Zeit fürs Campingleben, zum Aufbauen, Wäsche machen, lesen, ausruhen, spazieren und fotografieren und natürlich zum Essen.
Ich ziehe mich um, schnappe mir Pieps und meinen Fotoapparat und starte zu einem Rundgang ums Camp. Das Einzige, was die herrliche Alpenidylle ein wenig stört, ist die Karwendelbahn. Sie hat in Scharnitz einen Haltepunkt und fährt weiter nach Innsbruck.
Die hohen Gipfel der Berge werfen früh ihre Schatten auf den Platz und als die Sonne weg ist, wird es rasch kühler. Es ist die zweite Septemberwoche. Pieps und ich ziehen uns zum Dinner ins Zelt zurück. Mit einer hübschen Serviette decke ich unseren Tisch auf dem Tankrucksack und lege Braten und Käse zurecht.
Der Braten hält, was sein leckeres Äußeres verspricht. Unter der dunklen Kruste ist er saftig, fett und wunderbar. Die Portion ist für uns zwei gerade richtig und mit dem letzten Bissen lasse ich mich ermattet nach hinten aufs Bett sinken.
Hoffentlich hält sich das schöne Herbstwetter noch ein wenig, denn morgen möchte ich mir Innsbruck ansehen. Dort soll es irgendwo ein Haus mit einem goldenen Dach geben. Ich bin gespannt, ob das irgendwer kennt und mir den Weg dorthin zeigen kann...
zum nächsten Tag...
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