Ins Salzkammergut
Ganz sanft dringt Geschirrklappern in mein Bewusstsein. Freundliche Menschen wünschen sich Guten Morgen, ich höre das Zischen eines Gasbrenners. Welch eine angenehme Weise, wach zu werden. Nur schade, dass ich selbst keinen Kaffee habe, aber den besorge ich mir nachher.
Die Berge leuchten heute Morgen so wunderschön hell. Der nackte Fels strahlt in der Sonne. Für mich, die ich ein Leben lang am Meer gewohnt habe, ist das ein besonderer Anblick.
Die Uhr im Cockpit springt auf 09:00, als ich vom Campingplatz auf die Staatsstraße 146 einbiege. Neben mir fließt die Enns, ein Nebenfluss der Donau. Das Wasser hat sich tief in den Felsen eingeschnitten. Ein tolles Wildwasser Revier für die, die verrückt genug sind.
Der Gasthof zur Bachbrücke ist ein beeindruckendes Haus mit einem großen Biergarten. Ob ich da ein Frühstück bekomme?
"Entschuldigen Sie, kann ich hier ein Frühstück bekommen?"
"Ei freilich."
Ich darf am Buffet der Hotelgäste teilnehmen. Ich liebe Buffets, auch wenn sie mir manchmal nicht bekommen. Ich brauche nur an meinen Besuch im Wirtshaus mit Claudia zu denken.
Camping ist schon eine merkwürdige Sache: Für die 10 qm feuchter Wiese letzte Nacht plus dieses Frühstück, zahle ich fast dasselbe, wie für ein Zimmer mit Frühstück hier im Gasthof. Ich muss das Zelten schon sehr lieben.
Es sind nur wenige Hotelgäste am Buffet. Geübt dränge ich mich dazwischen und schaufele meinen Teller routiniert voll Wurst, Schinken und Butter. Aus reiner Höflichkeit nehme ich auch zwei Brötchen dazu. Ich will keinen schlechten Eindruck hinterlassen.
Vorsichtig balanciere ich meine Beute hinaus in den Biergarten. Wunderschön ist es hier. Die Wirtin stellt mir eine volle Kaffeekanne allein für mich hin. Oh, das mag ich. Erst 3 Kilometer gefahren und schon so ein super Frühstück.
Sie hat soviel Unglaubliches erzählt, aus jener verrückten Zeit unmittelbar nach dem Krieg, einer ihrer Schulkameraden war der Sohn vorn Rudolf Hess, dass ich die Schule einmal mit eigenen Augen sehen möchte.
Anschließend wird Claudie mit ihrem Twingo tausend Kilometer zurück nach Kiel düsen, während ich meine Reise durch Österreich und die Schweiz fortsetze. An Liechtenstein denke ich zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr.
Ich parke die Enduro und folge dem Fußweg hinunter ans Wasser. Welch eine schöne Gegend das ist, so völlig anders als Schleswig-Holstein. Ich kann mich kaum satt sehen an den Bergen, der abwechslungsreichen Landschaft und der schönen Natur Österreichs.
Gerade überholen mich zwei rote Ducati Rennmaschinen. Bei jedem Schaltvorgang knallt es aus dem Abgasstrang der Maschinen. Österreichische Biker lieben es noch lauter, noch schneller, noch einen Schuss aggressiver, als die Piloten aus meiner Heimat. Mir geht das total auf die Nerven. Es stört meine Kreise.
Überhaupt: Die Motorraddichte in Österreich ist auffällig hoch. Wie mag sich ein Österreicher in Norwegen fühlen? Auf Strecken, wie durch Jotunheimen, wo nur jeden zweiten Dienstag im Oktober jemand vorbei kommt. Der muss doch glauben, die Bombe sei gefallen und er wäre der letzte Mensch auf Erden.
Heute habe ich nur eine kurze Tagesetappe geplant. Bis nach Hallstatt sind es kaum 100 km, aber ich möchte genügend Zeit für die Besichtigung haben und will deshalb schon früh mein Lager aufschlagen.
Die Rezeption öffnet erst in ein paar Stunden und anders, als ich das aus Skandinavien kenne, darf man nicht selbst einen Platz aussuchen und später zum Einchecken wiederkommen. Ich werde mir solange Hallstatt ansehen, bis der Empfang öffnet.
Das Motorrad lasse ich stehen und lege auch meine Jacke über den Lenker. Es ist schon wieder über 30° warm und in der schwarzen Motorradhose mit Büffelleder und dem schwarzen Shirt ist mir so schon heiß genug.
Zu ihrer Ehrenrettung muss ich allerdings sagen, dass die jungen Asiaten unglaublich angenehme Menschen sind, sehr freundlich, mit kindlicher Neugier an allem interessiert und geradezu penetrant gut gelaunt. Ich mag sie, auch wenn ich mich in ihrer Anwesenheit ständig zu fett fühle.
Der Ort existiert nur auf einem schmalen Uferstreifen am Fuß steil aufragender Berge. Es ist so wenig Platz, dass sich die Häuser eng an den Fels schmiegen und einige auf Pfählen mit nassen Füßen im See stehen. Im Wesentlichen besteht der Ort aus der Straße unten am Seeufer und einigen Gassen um den Marktplatz.
Hallstatt ist schön, die alten Straßen, die Bootshäuser, die großen Holzgebäude, die mit Balken abgestützt am Berg kleben. Ein dramatischer Anblick, weil es den Anschein hat, als könnten sie jederzeit in den See rutschen. Dazu ein Meer bunter Blumenkästen, die so schön aussehen, wie die Werbefotos aus dem Gartenkatalog.
Davor ein Parkplatz voller Reisebusse der 350.000 € Klasse mit schwarz verspiegelten Scheiben. Die Fahrer stehen davor und rauchen. Einige tragen Sonnenbrillen, die verspiegelt sind, wie die Scheiben ihrer Busse.
Hallstatt ist eine Schönheit und unbedingt sehenswert, aber die alles überflutende Masse von Touristen - und ich bin eine von ihnen - nimmt dem Ort einen Teil dessen, was ihn ausmacht. Das einzige Gegenmittel wäre es, fortzublieben, aber das wollte ich nicht. Ein Dilemma: Wir zerstören, was wir suchen, indem wir es finden.
Als ich die langen Schlangen vor der Bahn zum Salzbergwerk sehe, verliere ich die Lust an einem Ausflug in die Hallstätter Salzwelten. Nein, ich bin auf der Suche nach etwas Anderem: Ich möchte ein Original Wiener Schnitzel essen, ein paniertes Schnitzel aus Kalbfleisch.
Selbst die Küche hat sich den Wünschen internationaler Gäste angepasst. Auf den Karten der Restaurants lese ich Cevapcici, Schweineschnitzel und Geschnetzeltes nach Kanton Art. Schließlich entdecke ich ein Restaurant am Hallstätter Markt, das Café Derbl. Auf einer Tafel steht mit Kreide geschrieben das Original Wiener Schnitzel.
Der Laden ist gut besucht und ich habe Glück, den letzten freien Tisch auf der Terrasse zu bekommen. Die Bedienung, eine junge Frau, ist Energie pur. Sie scheint sämtliche Sprachen der Welt zu sprechen, bringt Speisen, lächelt, kassiert, trägt ab und gibt nebenher noch Ausflugstipps.
In kürzester Zeit wird das Schnitzel aufgetragen. Groß, knusprig, die Panade goldbraun gebacken, wie ich es mir erhofft hatte. Es schmeckt köstlich. Ein so gutes Schnitzel habe ich erst einmal in meinem Leben gegessen und das war ausgerechnet in Polen. Allerdings war der Koch ein Österreicher...
Das Ehepaar am Nebentisch will zahlen. Zwei Menschen fortgeschrittenen Alters in beige. Pensionierte Lehrer vielleicht, oder ein Finanzbeamter nebst Gattin. "Das macht drei Euro siebzig", sagt die Bedienung.
Umständlich zieht der mutmaßliche Pauker einen 5 € Schein aus seinem Portemonnaie und lässt sich korrekt die vollen 1,30 € auf die Hand zählen. Die Bedienung - ganz Profi - bedankt sich und wünscht den Beiden mit stoischer Miene einen schönen Tag.
Am liebsten würde ich ihr die 1,30 Trinkgeld geben, denn in der letzten halben Stunde habe ich live mitbekommen, welch ein Knochenjob das hier ist. Die Terrasse vollbesetzt, das Lokal brummt. Was ist mit den Menschen los? Ist das Geiz, oder ein völliger Mangel an Empathie? In Italien hätte das Streit bedeutet.
Inzwischen ist es Abend geworden und ich wandere zurück zum Campingplatz. Ich checke ein und bekomme Parzelle 32 zugewiesen, einen schmalen Streifen Gras am Waldrand. Die Parzellen sind klein, Platz ist in Hallstatt Mangelware, aber für mein Zelt ist sie großzügig bemessen und zu jedem Platz gehört eine Garnitur Gartenmöbel.
zum nächsten Tag...
zurück nach oben