Heimreise
Die letzten Nächte habe ich mit dem Halstuch über den Augen geschlafen und so die perfekte Verdunkelung erreicht. Bevor ich das Tuch abnehme, habe ich keine Ahnung, ob es schon hell ist, oder noch stockfinstere Nacht.
Ich habe alle Zeit der Welt, denn der Autozug legt erst um 21:30 Uhr aus Lörrach ab und bis da sind es nur 178 km. Ich setze mich in das Campingbistro und bestelle Kaffee und Buttergipfel zum Frühtstück.
Wie anders diese Landschaft ist, als mein Schleswig-Holstein, wo ich geboren bin. Bei uns ist das Land flach, viel Grün, Wiesen, Wälder und Seen, selten ein Hügel, den der Gletscher dort zurückgelassen hat, Kühe, Weiden und Wasser, niemals ein Stück Fels, keine Berge, keine Gipfel, dafür zwei Meere zur Auswahl, die nirgends weit entfernt sind.
Interlaken liegt gerade 8 km hinter mir, als hoch oben in der Wand ein Turm zu erkennen ist. Dort liegt der Eingang zur Beatushöhle, die einen Kilometer weit ins Innere des Niederhorn-Massivs reicht.
In Thun tanke ich voll und fahre in Richtung Bern. Kaum habe ich den Thunsersee hinter mir gelassen, verändert sich die Landschaft und mit ihr die Straßen. Die Berge weichen zurück und machen saftigen Wiesen Platz. Die Straße führt gut ausgebaut zum Horizont.
Sowie das Auge etwas hat, an dem es sich festhalten kann, fahre ich automatisch langsamer. Eine Burgruine taucht in der Ferne auf. Mit dem Zoomobjektiv meiner Reisekamera hole ich sie heran, so gut es geht. Später erfahre ich, dass es die Burg Neu-Falkenstein ist.
Ich folge stur dem Track auf dem Display des GPS und bin nach einer Weile, die mir endlos erscheint, endlich aus der Innenstadt heraus und überquere die Grenze nach Deutschland.
Bis zum Güterbahnhof in Lörrach sind es nur 10 km. Ich bin Stunden zu früh und stelle das Motorrad am Bahnhof ab. Von hier sind es nur wenige Schritte bis in die Fußgängerzone.
Ich setze mich in den türkischen Grill am Bahnhofsplatz und bestelle mir die größte Fleischplatte, die sie haben: Ein Karisik Izgara. Der Global Grill in Lörrach ist vielleicht keine Oase der Gemütlichkeit, doch das Essen schmeckt.
Am späten Nachmittag bin ich durch mit Lörrach: Ich war bei Karstadt, bin die Fußgängerzone zweimal rauf und runter gestiefelt, habe gegessen, Kaffee getrunken, gelesen, geschrieben und mich gelangweilt.
Jetzt kann ich allmählich zur Verladestation fahren. Es ist zwar immer noch zu früh, doch nicht mehr so erbärmlich viel zu früh, dass ich mir doof vorkomme.
Am späten Nachmittag treffen die ersten Biker ein und bald ist Greeny nicht mehr das einzige Motorrad am Bahnhof, oder streng genommen doch, denn die anderen Maschinen sind sogenannte Moppeds, jedenfalls werden sie von ihren Fahrern so bezeichnet.
Gegen Abend kommt Bewegung in die Menge, die Verladung beginnt. Mit tief eingezogenem Kopf rolle ich vorsichtig auf den Autozug. Inzwischen weiß ich, dass ich den Kopf auf den Lenker beugen muss, um ja nicht oben anszustoßen.
Diesmal lasse ich all mein Gepäck auf dem Motorrad und nehme nur den Tankrucksack mit ins Abteil. Die Rockstraps und die zusätzlichen Spanngummis halten so sicher, dass mein Gepäck die Fahrt im offenen Autozugwaggon heil überstehen sollte.
Viel später, als der Zug längst auf offener Strecke ist, liege ich in der Koje und hänge meinen Gedanken nach. Mit dem Autozug von Hamburg nach Wien, einmal quer durch Österreich und die Schweiz und am Ende über Nacht im Autozug von Lörrach zurück nach Hause.
Eine perfekte Route für Motorradreisende, doch wenn im Oktober 2016 der letzte Autozug aus Lörrach startet, dann ist dieses Tor nach Süden für mich geschlossen, denn auf der Straße ist mir der Weg zurück nach Kiel zu öde und zu weit.
Österreich hat mir besonders gut gefallen. Die Landschaft ist so überwältigend schön, die Menschen so freundlich und aufgeschlossen, das Essen deftig und lecker. Österreich ist ein tolles Urlaubsland. Allein die hohe Verkehrsdichte und die ungeheure Zahl von Motorrädern in den Alpen kann nerven, doch wo es schön ist, wollen eben viele fahren.
Die Schweiz war eine Überraschung: Wunderschön, perfekte Straßen, eine Landschaft, wie eine Postkarte, doch die Preise sind soviel höher als zuhause in Kiel, dass es eine Phase der Umgewöhnung braucht, bis man ohne Murren zahlt und sich nicht die Urlaubsstimmung verderben lässt.
Die Nacht vergeht, wie Nächte auf dem Autozug vergehen: Man schläft unruhig, wird ein Dutzend Mal wach, wartet auf Abstellgleisen, steht in Bahnhöfen, wo einem Bahnsteiglampen ins Gesicht leuchten, es rüttelt und schüttelt, das Rattern der Schienen, wieder einschlafen.
Irgendwann am Morgen wache ich vom Knacken des Lautsprechers auf: "Guten Morgen, meine Damen und Herren. Ich hoffe, Sie hatten eine erholsame Nacht an Bord des Autozuges von Lörrach nach Hamburg. Wir werden Hamburg-Altona planmäßig erreichen und servieren Ihnen jetzt in Kürze das Frühstück."
Die Fahrt im Hamburger Stadtverkehr ist ätzend und die vielen Kilometer durch den dicken Speckgürtel, der sich um die Weltstadt herum angesetzt hat, vergehen quälend langsam, doch je weiter ich nach Norden komme, desto freier werden die Straßen, die Landschaft wird offener und der Himmel blauer und höher.
Meine Herbstreise durch die Alpen war ein voller Erfolg, aber so gerne ich mit dem Motorrad in fremde Länder fahre, so gerne komme ich zurück nach Schleswig-Holstein. Hier ist meine Heimat und von hier starte ich bald zu neuen Abenteuern.
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