Durch die Steiermark
Die sprechen ja wirklich so! Wenn Claudia mich auf die Palme bringen will, spricht sie Österreichisch, oder etwas, das sie Wiener Schmäh nennt. Keine Ahnung, was das ist, aber es macht mich wahnsinnig. Nun hab ich immer gedacht, sie will mich nur ärgern und übertreibt es total, aber das Ehepaar am Nebentisch spricht genau SO.
Die Wirtin legt mir ein Gästeblatt auf den Tisch, das amtliche Anmeldeformular. Erstaunlich, was die alles wissen wollen: Geschlecht m/w, Beruf und einiges mehr. Das könnte auch in Deutschland spielen, denke ich kopfschüttelnd, wo jeder Campingplatz dich in seine Datenbank hackt. Ich bin guter Laune und fülle einige Felder recht nah an der Wahrheit aus.
Das Frühstück ist klasse. In meinen Augen der Hauptvorteil, den eine Pension gegenüber meinem Zelt zu bieten hat. Auf dem Tisch liegt ein druckfrisches Exemplar der Kronen Zeitung. Sie ist wie die Hamurger Morgenpost ohne Sex.
Journalistisch spielen beide Blätter in einer Liga: 'Polizei macht an den Grenzen dicht' und 'Schoko Zotter geht nach Amerika', lese ich. Die Fabrik von Schoko Zotter liegt nur 3 km entfernt und ich habe Pieps versprochen, eine Werksbesichtigung zu machen.
Mit Interesse lese ich den Artikel über die Flüchtlinge. Der Stimmungsmix aus Hilfsbereitschaft und Ablehnung scheint hier allmählich zu kippen. 40 zu 60 schätze ich anhand des Artikels. Bei meiner Abreise aus Deutschland Ende August 2015 lag die Stimmung zuhause noch bei gefühlten 60/40, allerdings mit fallender Tendenz.
Meine eigene Meinung schwankt je nach Tagesform zwischen barmherziger Güte, und der Angst vor Überfremdung. Im Grunde weiß ich nicht, was ich denken soll. Es hängt sehr davon ab, was ich zuletzt gelesen habe: Die WELT, die ZEIT, oder unsere Morgenlage. Nur gut, dass ich kein Fernsehgerät besitze, das würde alles nur noch verworrener machen.
Beim Aufbruch komme ich mit der Wirtin ins Gespräch, die auf der Anmeldung gelesen hat, dass ich aus Kiel komme. Da muss es doch schrecklich kalt sein, meint sie, denn ihr sei aufgefallen, dass in Fernsehserien aus Norddeutschland, alle Menschen eine Jacke, oder zumindest doch eine Weste tragen. Ja, denke ich im Stillen, meistens in beige.
Als ich um kurz vor 9 aus Riegersburg hinausfahre und einen letzten Blick auf die stärkste Feste der Christenheit werfe, ist es schon mächtig warm. Auch heute werde ich den Icebreaker aus Merinowolle nicht brauchen.
In einer langgezogenen Rechtskurve düse ich an einem Kürbisfeld vorbei. Die Ernte ist gerade in vollem Gange. Das muss ich mir ansehen. Ich wende und fahre zurück.
Neugierig gehe ich auf das Feld und sehe mir die Maschine aus der Nähe an. Der Kürbisernter rollt mit einer Stachelwalze über die dicken Früchte, spießt sie auf, führt sie ins Innere der Maschine, zerquetscht sie und spuckt sie hinten als Blubberlutsch wieder aus.
Ich kenne beides nicht, weder die Steiermark, noch das berühmte Öl. Aber deshalb bin ich ja hier, um Österreich kennenzulernen und gelernt habe ich heute Morgen schon einiges. Ob man dieses Öl zum Braten nimmt? Oder brauchen das Leute, die Salat essen? Für 1 nehme ich Butterschmalz und 2 trifft bei mir nicht zu.
Österreich gibt mir noch weitere Rätsel auf. Immer wieder sehe ich blaue Plakate, auf denen das Wort Puntigamer steht. Ohne weitere Erklärung. Nur das eine Wort: Puntigamer. Während ich Kilometer um Kilometer auf der Landstraße fahre und immer wieder dieses blaue Schild sehe, zermartere ich mir den Kopf, was es damit auf sich hat.
Die Österreicher sind Sportverrückte. Es könnte ein Wettbewerb sein, ein Spiel, die berühmten Puntigames. Vielleicht Wintersport? Eine Lotterie? Oder was mit Motorrädern? Bei nächster Gelegenheit werde ich einen Einheimischen danach fragen.
Die Steiermark bietet nicht nur Kürbisse. Entlang der Straße erstrecken sich riesige Obstplantagen, wo feinste, rote Tafeläpfel unter Netzen sorgsam behütet wachsen. Jeder einzelne Apfel sieht aus, wie von Hand poliert.
Später lese ich auf Wikipedia, dass die Steiermark eines der größten Obstbaugebiete Europas ist. Auch das habe ich nicht gewusst.
Inzwischen sind es schon wieder über 30° und ich sehne mich nach dem Kieler Wetter mit den beigen Westen. Wie halten die Leute das aus?
Die Landschaft ist hier eher hügelig als bergig und die Straße schwingt sich leicht zwischen Wiesen hindurch. Es macht Spaß, hier Motorrad zu fahren. Auf einem Schild steht Katerloch Grasslhöhle, 7,5 km, links ab.
Man muss auch mal etwas wagen, denke ich mit der Kühnheit einer Piratin und setze den Blinker links. Der Weg verläuft anfangs noch zwischen Wiesen und verschwindet dann in einem dichten, angenehm kühlen Wald. Kurz darauf rolle ich auf einen verlassenen Waldparkplatz. Ein Wegweiser zeigt einen steinigen Pfad hinunter: Grasslhöhle 150m.
Österreicher sind wirklich die besseren Deutschen, kommt es mir in den Sinn. Auch hier ist alles geregelt, aber vielleicht noch etwas genauer als bei uns.
Ich wandere zu meinem Motorrad und fahre die Strecke zurück, bis ich wieder auf der geplanten Route bin. Inzwischen ist es beinahe Mittag und ich mache mich auf die Suche nach einer Gastwirtschaft.
Das Essen in Österreich ist wirklich lecker und ich liebe diesen geriebenen Meerrettich, den sie dazu reichen, auch wenn er höllenscharf ist. Hier in Österreich nennen sie ihn Kren und wie ich erfahre, ist die Steiermark eines der wichtigsten Anbaugebiete von Meerrettich, oder eben Kren. Wenn ich wieder zuhause bin, will ich mal sehen, wo ich den bekomme.
Als wir in Frohnleiten über die Mur fahren, springt der Tacho der Kawasaki auf 40.000 km. Ich liebe dieses leichte, zuverlässige Motorrad. Schon meine erste KL250, die ich 1980 gekauft habe, hatte dieselben Qualitäten. Daran habe ich mich erinnert und 30 Jahre später das Nachfolgemodell gekauft.
Gleich dahinter das Forsthaus. Ein Kinderrad liegt auf dem Weg, vorm Haus Stühle und ein Sonnenschirm. Die Haustür steht offen. Soll ich es wagen?
Nein, denke ich, Don't push your Luck, leg es nicht darauf an. Ich wende das Motorrad und rolle kilometerweit mit gezogener Kupplung den Berg hinunter. Jetzt brauche ich jeden Tropfen Benzin.
Als ich in Bruck an der Mur auf die OMV-Tankstelle fahre, laufen sagenhafte 6,1 Liter in den Adventure Tank der Kawa. Der Zähler steht bei 210 km. Ich rechne kurz nach und komme auf einen Verbrauch von 2,9 l. Ich gebe mehr Geld für Essen aus, als für Benzin.
Kurz darauf fahre ich in eine Stadt mit dem Namen Leoben. Der Kreisverkehr ist hier ebenso populär, wie in anderen Ländern Europas, wenn auch nirgendwo so sehr wie in England. Ich nehme die erste Ausfahrt und lenke das Motorrad auf den Parkplatz eines Supermarkts. INTERSPAR, den gibt es bei uns auch.
Als ich zu den Getränken komme, geht ein breites Grinsen über mein Gesicht. Das Rätsel der geheimnisvollen Puntigames ist gelöst: Puntigamer ist eine Biermarke! Keine Sportart.
Bevor ich weiterfahre, stelle ich mich eine Weile in den Schatten und trinke etwas Wasser. Meine Güte, ist das heiß in Österreich. Kurz darauf fahre ich an einem Reifenhandel vorbei. Das Thermometer an der Fassade zeigt 37° C. Ein Königreich für eine beige Weste.
Ich bin froh, als es die nächsten Kilometer über eine schnelle Landstraße geht. Mit etwa 100 fahre ich über die Eisenstraße in Richtung Eisenerz. Der Fahrwind tut gut. Neben der Straße erstreckt sich über Kilometer ein riesiger Steinbruch. Ich glaube, hier wird das berühmte Erzberg Rodeo ausgetragen.
Endlich ein Hinweis auf meinen Campingplatz: Forstgarten am Johnsbach. Kurz danach biege ich auf die Zufahrt zur Rezeption ein. Als ich vom Motorrad steige und auf das Thermometer am Eingang sehe, zeigt es noch immer 33° C. Die Hitze macht mir zu schaffen.
Es ist einer dieser seltenen Momente, in denen ich kurz in alte Verhaltensmuster zurückfalle: Ich nehme eine Flasche Gösser Märzen aus dem Kühlschrank, öffne sie machomäßig mit meinem Klappmesser und lenze die Buddel in zwei tiefen Zügen.
Atemlos setze ich die leere Flasche ab und wische mir den Schaum vom Mund. Die Dame hinterm Tresen sieht mir amüsiert zu. Erst jetzt bemerke ich, dass die Flasche einen Drehverschluss hat. Pah!, sowas ist für Weichlappen. Oder für Amerikaner.
Der Campingplatz sieht klasse aus. Ich checke ein und zahle 12,70 € für die Nacht: "Sie dürfen aufbauen, wo's wollen, aber das Motorradl darf net mit auf die Wiesn."
Keine Viertelstunde später steht mein Zelt mitten auf der saftigen Wiese. Greeny parkt wie immer direkt daneben. Falls es Ärger gibt, werde ich behaupten, ich hätte das Verbot nicht verstanden, doch niemanden kümmert das verbotene Motorrad.
Camping Forstgarten liegt im Schatten der mächtigen Planspitze und so verschwindet die Sonne schon früh hinter den hohen Bergen. Mit der karierten Serviette, die ich von zuhause mitgebracht habe, decke ich einen zünftigen Abendbrottisch für Pieps und mich.
Das sieht gemütlich aus, denke ich, als ich einen Meter zurücktrete und mein Werk betrachte. Wie unser eigener, kleiner Biergarten. Das gehört zu den Dingen, die ich am Zelten so liebe.
Das war ein wunderbarer Tag in der Steiermark. Morgen fahren Pieps und ich weiter ins Salzkammergut. Wir wollen uns Hallstatt ansehen. Und während ich noch überlege, wie die Route weitergeht, sind wir chhrRrrrr, bzzZzzz...
zum nächsten Tag...
zurück nach oben