Die Reise beginnt
"Warum der Mai so nass beginnt", sinniert Wetter-Online und prophezeit ergiebigen Regen, Nachtfrost und Wind der Stärke 9 Bft. Ich lese nicht weiter, denn der Grund ist klar: Svenja geht auf Reisen.
Greeny steht mit frischer Inspektion, neuem Kettensatz und Zündkerze in der Garage. Vor jeder Reise lasse ich das Motorrad bei Kawasaki perfekt vorbereiten. Was immer nicht völlig in Ordnung ist, wird repariert, getauscht, erneuert.Am Fähranleger in Glückstadt wartet bereits eine lange Kolonne von Autos und Lastwagen auf die Überfahrt. Im zweiten Gang fahre ich vorsichtig auf der linken Spur an allen vorbei bis nach vorne zur Schranke. Die WILHELM KROOSS wird gerade beladen und ich rolle auf die Fähre, ohne ein einziges Mal die Stiefel von den Rasten nehmen zu müssen.
Greeny steht am Eingang zur Damentoilette, wo sich innerhalb von Minuten das gewohnte Bild zeigt: Eine Armada älterer Dämchen stellt sich davor auf und gibt sich im Minutenabstand die Lokustür in die Hand.
Vom Bug her arbeitet sich der Kassierer mit dem umgehängten Ticketautomaten, "Gebühr, Gebühr", von Fahrzeug zu Fahrzeug und kassiert den Fahrpreis. Ich zahle 5,50 € für Greeny, Pieps und mich und bekomme ein Billet mit dem Kennbuchstaben E - einf. Fahrt.
Meistens finden nur Stammgäste den Weg unter Deck, denn das kleine Hinweisschild ist leicht zu übersehen und einigen ist sicher die Überfahrt zu kurz, um in Ruhe zu sitzen.
Die Bockwurst an Bord war seinerzeit schon legendär. Mal sehen, ob das noch so ist. Aufgestützt auf den Tresen, wie man das so macht, wenn man sich zu Hause fühlt, gebe ich meine Bestellung auf: "Zwei Wiener auf ein Tablett, doppelt Senf, kein Brot und 'n großen Becher Kaffee." Ich sage "Kaffe" und nicht Café wie sonst, wenn ich im etepetete Modus bin.
Meine Güte, ist mir das vertraut hier unten. Die einfachen Holzstühle, die hässlichen, aber blitzblank geputzten Resopaltische und der alte Kneipentresen.
Schon 1981 habe ich hier gesessen, Wurst gegessen und Kaffee getrunken, während oben an Deck meine nagelneue, giftgrüne KL250 stand, der Urahn der modernen KLX250.
Fünf Minuten noch. Ich werfe die Wurstpappe in den Müll und steige die Treppe hoch zum Autodeck. Mir ist kalt, aber es ist nicht mehr weit bis nach Hemmoor und da werde ich einkaufen und mich aufwärmen.
Auf einem Feld neben der Straße liegt gestochener Torf zum Trocknen. Ich bin so froh über die Abwechslung, dass ich wende und zurückfahre, um mir das aus der Nähe anzusehen.
Es ist Samstag und der Parkplatz bei Marktkauf in Hemmoor fast vollständig belegt. Ich parke die Enduro am Fahrradständer und gehe einkaufen. Entrecote kann ich nicht entdecken, aber die Lammkoteletts sehen ganz prima aus. Dazu etwas Schafskäse, Wasser und eine Haarkur, die habe ich zu Hause vergessen.
Die Stadt Bremen habe ich umplant, so gut es geht, aber ein paar Minunten muss ich doch auf der Stadtautobahn fahren und ich hasse jeden Kilometer davon. Wenn ich ausschließlich in Norddeutschland fahren müsste, dann hätte ich das Motorrad längst abgeschafft. Es macht einfach keinen Spaß und ich kann es kaum erwarten, endlich nach Frankreich zu kommen.
In Bremen-Blumenthal setze ich den Blinker und verlasse die Autobahn. Auf Google Maps habe ich eine Fähre entdeckt mit der ich über die Weser fahren will. Kurz darauf stehe ich bereits auf dem Schiff und zähle dem Kassierer 2,50 € für einen Fahrschein in die Hand.
Dauercampen finde ich ganz in Ordnung, nicht jeder mag reisen, aber was ich nicht mag, sind bauliche Maßnahmen, mit denen der Claim abgesteckt wird: Fundamente, Zäune, feste Bauten und gepflasterte Terrassen.
Mit meinem Zelt fühle ich mich hier fehl am Platz, ein grässlicher Ort. Weiterfahren? Nein, eine Nacht halte ich aus, auch wenn die Dauergäste mich anglotzen, als sei ich eben mit dem Raumschiff gelandet.
Sowie ich aufgebaut habe, nehme ich Pieps an die Hand und wir starten zu einer Platzrunde. Es gibt einiges zu sehen: Von einer Stelle aus kann ich genau 21 Satellitenschüsseln zählen.
Es gibt auch einen Imbiss und ich lasse mich von Pieps breitschlagen, eine Portion Pommes mit Mayonnaise zu kaufen, eine Riesenportion mit viel Mayo. Die kleine Maus ist begeistert und damit wir auch ein wenig wie Camper aussehen, kaufe ich eine Flasche Pils und setze die Buddel an den Hals, kaum dass ich das Wechselgeld in der Hand habe.
Mit den Pommes und dem Bier schlendere ich langsam zurück zum Zelt und setze mich in den Eingang, so dass ich die Leute anschauen kann, die vorbeigehen.
"70 Moppeds warn heute hier auf'm Platz!" Vor mir steht ein älterer Herr und ist sichtlich begeistert. Er wirft einen prüfenden Blick auf Greeny, die eigentlich kein "Mopped" ist, weil damit schwere Maschinen mit Klapphelm gemeint sind, sonst zündet der Witz mit der Verniedlichung nicht.
"Wo sind die denn? Zelten die auch hier?", frage ich neugierig und sehe mich suchend um.
"Naaain", antwortet er langgezogen, "die sind hier im Hotel nebenan."
Allmählich wird es Zeit fürs Abendessen. Pieps und ich sitzen im Zelt und braten in der Apsis. Der Tankrucksack ist der perfekte Tisch dazu und ich decke ein Tempotaschentuch als Tischdecke auf. Die Lammkoteletts sind gut, aber keine Mark-Erschütterer. Trotzdem, zusammen mit dem Schafskäse ein ganz passables Abendessen.
Am Waschhaus stehen zwei Honda Goldwings hinter zwei Wohnmobilen und einem doppelachsigen Pferdehänger. Die Typen waren mir vorhin schon aufgefallen, als sie auf ihren Goldwings mit Good Vibrations von den Beach Boys auf den Platz gefahren sind. Ich liebe den Sound der Beach Boys und die Musikanlagen der Hondas liefern tatsächlich einen super Sound.
Einer der Biker kommt vorbei, um Wasser zu zapfen. Er trägt eine schwarze Lederjacke mit vielen Patches. Wir grüßen uns mit einem freundlichen Nicken und ich frage eher scherzhaft: "Na, habt ihr die Goldwings im Pferdehänger hergefahren?"
"Ja, das haben wir", strahlt er mich sichtlich stolz an.
Ich müsste jetzt irgend etwas erwidern, zum Beispiel: "Cool", oder "so kann man es auch machen", aber ich bin so perplex, dass ich ihn nur entgeistert anschaue.
"Aah...", presse ich mit Mühe heraus, aber er hat sich schon umgedreht und ist gegangen. Ich habe einen Moment lang nicht aufgepasst und man konnte an meinem Gesicht ablesen, was ich denke.
Für viele ist das Motorrad bloß eine weitere Feder am Hut. Etwas, das sie neben allen anderen Statussymbolen auch noch besitzen. Es darf gerne etwas kosten, aber es muss etwas hermachen, etwas Schweres, viel Hubraum, viel Chrom, viele PS.
Dabei beträgt die durchschnittliche Jahresfahrleistung von Motorrädern heute nur noch 2.300 km im Jahr. Die legen andere mit dem Fahrrad zurück.
Aber wenn sie anfangen, von früher zu erzählen, wie sie auf ihrer Kreidler Florett über die Alpen gefahren sind, gezeltet haben, kein Geld für Essen, alles für Benzin, wie sie mit ihrer kleinen Motorradgang unterwegs waren, die Freundin hinten drauf, Spaß hatten, nass geworden sind, die Panne am Straßenrand, das winzige Zelt in Südfrankreich, in der ersten Nacht total abgesoffen, dann ist die alte Begeisterung wieder da.
Auf der neuen Sechszylinder Maschine wird man das niemals erleben, ganz egal wie gut die Sitzheizung und wie teuer das Hotel ist, vor dem die geführte Tour abends endet.
Dabei ist alles das noch immer da: Die Abenteuer, die Erlebnisse, die Freiheit, aber man kann es nicht kaufen, man muss es erleben, machen, losfahren. Je einfacher, desto besser.
Manchmal werde ich gefragt, weshalb ich ein so kleines Motorrad fahre. Die Antwort lautet: Weil ich auf diesen Maschinen die beste Zeit meines Lebens hatte und noch immer habe.
Zu damals hat sich fast nichts verändert, 1-Zylinder Enduro, Zelt, Schlafsack, kleines Gepäck, großer Spaß. Ich bin älter geworden, aber ich bin immer noch da, immer noch ich.
Diese Jungs hier haben das begriffen und sich den Spaß von damals zurückgeholt. Selten hat mich ein Videoclip zum Thema Motorradfahren so sehr bewegt, auch wenn es nur der Werbespot einer Bank ist.
Kaum habe ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, fährt ein Wohnmobil mit Hänger auf den Platz, hinten drauf eine funkelnde Triumph Rocket III mit 2,3 l Maschine. Eine tolles Motorrad, aber ich möchte etwas anderes.
Der erste Urlaubstag ist vorüber, öde Pflichtkilometer auf dem Weg nach Frankreich. Trotzdem war es ein schöner Tag, weil ich spüre, wie ich die Arbeit hinter mir lasse. Das war kein schönes Jahr, das Arbeitsklima war grässlich. Einige haben sich wegbeworben, oder sind krank geworden, aber ich bin stark und halte das aus. Ich bin viel zu bockig und zu stolz, um einzuknicken.
Jetzt ist erstmal Urlaub und zwar einen ganzen Monat lang. Ich freue mich so sehr auf jeden einzelnen Tag. Das soll eine Genuss- und Erholungsreise werden. Gutes Essen, guter Wein, viel Schlaf, lesen, besichtigen, schreiben, fotografieren. Und morgen besuche ich eine ganz besondere Freundin und schlage das Zelt in ihrem Gästezimmer auf.
"Guck mal, Mama. Eine Frau mit ein Motorrad."
"Ja", erklärt die Mama, "es gibt auch Frauen, die Motorrad fahren."
Ja, auch Frauen fahren Motorrad.
zum nächsten Tag...
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Die Anreise ist langweilig, aber in zwei Tagen sind wir in Belgien, wo es sicher interessanter wird.