Route des Fromages
Die Sonne hat mich aus dem Schlafsack vertrieben und so stehe ich schon früh an der Tankstelle in Murol, einer alten Autowerkstatt mit zwei Pumpen für Diesel und Benzin, aber wer einen 7,7 l Tank fährt, darf nicht wählerisch sein, am wenigsten in dieser Gegend.
Heute möchte ich irgendwo unterwegs ein Picknick machen. Ich habe noch etwas Käse und Wurst, es fehlen nur Wasser und Brot. In einem kleinen Laden am Ortsausgang von Murol kaufe ich ein Baguette, eine Gurke und Wasser.
Selbst auf dem Motorrad merke ich die gnadenlose Anziehung der Schwerkraft und tue alles, um es der Maschine leicht zu machen. Ich halte den Motor mit hoher Drehzahl in kleinen Gängen bei Laune. Einzylinder mögen es nicht, untertourig unter Last zu fahren.
An einem anderen Tisch sitzt ein älteres Ehepaar. Ihr blauer Renault parkt neben ihnen im Schatten. Sie haben eine Tischdecke aufgelegt, Teller, Gläser, Besteck und sogar Servietten. So sehen Tische bei uns zur Konfirmation aus.
Inzwischen verstehe ich die Bedeutung des Mittagessens in Frankreich. Eine ausgedehnte Ruhepause mit gutem Essen, Vorspeise und Dessert. Ganz anders, als mein hastiger Mikrowellen-Break zwischen Akten und Telefongesprächen. Aber heute werde ich es den Franzosen gleich tun.
Ich grüße freundlich zu ihnen hinüber. „Bonjour Madame“, antworten Beide mit ruhigem Ernst. Ein Papiertaschentuch muss als Tischtuch genügen. Darauf lege ich das frische Baguette aus Murol, Ziegenkäse, Entensalami und eine Flasche Wasser.
Die Franzosen sind längst aufgebrochen, als ich zum Nachtisch die Salatgurke schäle. Fast eine Stunde hat die Pause gedauert, als ich zusammenräume und weiterfahre. Heute habe ich alle Ruhe der Welt in mir. Das ist Frankreich.
Ich fahre langsam weiter durch die Auvergne. Mir ist heiß, es sind fast 30° C und die Luft scheint zu stehen. Heute möchte ich früh Feierabend machen und mich neben dem Zelt in den Schatten legen. Die nächste Stadt heißt Aurillac. In meinem Plan steht neben dem Namen (T+E): Tanken und Einkauf.
Im Supermarkt ist es angenehm kühl. Ich nehme einen Korb und überlege, was ich essen will. Heute bleibt die Küche kalt, zum Braten ist es viel zu warm. Etwas kaltes Fleisch, Käse, Brot und Wein. Das soll genügen.
Mein Weg führt am Fleischtresen vorbei. Dahinter steht der perfekte Metzger. Den kann nur Hollywood für die Rolle besetzt haben: Weiße Uniform, hohe Mütze, üppiger Schnauzbart und ein breites Lächeln. Er erinnert mich sofort an Joe, den Koch aus Susi und Strolch.
„Bonjour Madame“ flötet er charmant, als ich am Tresen vorbeigehe und zeigt noch ein wenig mehr seiner etwas zu großen, etwas zu weißen Zähne.
„Une Entrecôte s'il vous plaît.“
Habe ich das eben laut gesagt? So ein Schuft. Joe hat meine Schwäche gleich erkannt und sie schamlos ausgenutzt. Er nimmt einen Strang Rindfleisch aus dem Tresen und schneidet eine fette, dunkelrote Scheibe Entrecote herunter.
„Merci“, sage ich kurz angebunden in mürrischem Tonfall, als ich das schwere Paket entgegennehme. Ich kann es nicht leiden, wenn die Schwäche alleinreisender junger Damen ausgenutzt wird. Mit einem Mann an meiner Seite hätte er sich das nicht herausgenommen.
Gleich hinter Aurillac wird die Gegend wieder einsam. Die Landschaft ist wunderschön, rauh und lieblich zugleich, aber hier wohnt kein Mensch.
Ich erinnere mich genau, wie ich diese Strecke zuhause mit Motoplaner geroutet und dann direkt auf das GPS-Gerät übertragen habe. Jeden Meter der Reise, jeden Campingplatz, jede Tankstelle und sogar die meisten Supermärkte habe ich generalstabsmäßig geplant.
Wenn du einen festen Ablauf hast, kannst du immer davon abweichen, falls dir was in die Quere kommt. Wenn du keinen festen Ablauf hast, kommt dir alles in die Quere. Jede meiner Reisen ist wie eine komplexe Murmelbahn. Einmal gestartet, läuft sie ab, bis ich wieder glücklich zu Hause ankomme. Die größte von allen war Die Reise zum Nordkap.
Ein Polizeiwagen kommt die Straße entlang. Die Scheiben ganz herunter gedreht wird er langsamer, als die Flics mich entdecken. Beide Polizisten sind wie aus dem Ei gepellt. Langsam fährt der Streifenwagen an mir vorüber. Der Fahrer lächelt mir zu und winkt. Ich lächele zurück.
Im Schritttempo fahren sie auf die Brücke und bleiben bei den Anglern stehen. Ob die hier nicht angeln dürfen? Nein, das ist es nicht. Bald stehen Beide an den Streifenwagen gelehnt und unterhalten sich lässig durchs offene Fenster. Ein letzter Gruß und die Gendarmen fahren weiter. Die sind lässig, die Franzosen.
Mitten im Ort zeigt ein Schild mit dem typischen Campingsymbol die Zufahrt zum Platz. Ein großes Wiesengrundstück, das mit dichten Hecken unterteilt ist. Dazwischen ein paar Bäume als Schattenspender. Der Rasen ist in sehr gutem Zustand. Man kann sehen, wie einige kahle Stellen ausgebessert und frisch angesäht worden sind. Das ist der Vorteil eines Gemeindeplatzes, die Leute und das Gerät sind ohnehin vorhanden.
Prima, hier werde ich mich wohlfühlen. Es scheint nur eine einzige Parzelle belegt zu sein. Irgendeine Schaustellertruppe, jedenfalls steht das auf ihrem Lastwagen, der zugleich als Wohnmobil dient. Ich werde ein wenig Abstand zu den Typen halten.
Es ist so warm, dass ich noch keine Lust habe, das Zelt aufzustellen. Ich packe das Motorrad ab und ziehe ein leichtes Top zur Leggings an, die ich unter der Motorradhose trage. Stattdessen setze ich mich in den Schatten einer Platane und notiere die Begegnung mit den Polizisten in mein Reisetagebuch.
Ich schaue auf die Karte und stelle fest, dass St. Genevieve bereits ein gutes Stück außerhalb der Auvergne liegt. Ich befinde mich jetzt südlich von ihr und nördlich der Cevennen. Morgen werde ich die Gorges du Tarn erreichen, die Tarn-Schlucht, die bereits tief in den Cevennen liegt.
Ein großartiger Tag, um am Leben zu sein.
zum nächsten Tag...
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