In die Auvergne
Völlig verschlafen öffne ich das Zelt und schaue hinaus. Der See liegt glitzernd in der Sonne, es verspricht ein herrlicher Tag zu werden. Ich muss mich beeilen, denn für 9 Uhr habe ich Frühstück bestellt und dann will ich schon reisefertig sein.
Eine Stunde später steht Greeny fertig gepackt vor der Bar. Es ist Sonntagmorgen. Hinter dem Tresen ist ein junger Mann mit strubbeligen Haaren und Dreitagebart damit beschäftigt Rechnungen zu sortieren. Er hält achtlos eine Zigarette in der Hand, während er seiner Arbeit nachgeht. Franzosen rauchen viel. Alle. Immer.In einem Papiersack neben ihm liegt ein Dutzend Baguettes, daneben ein Korb mit Croissants. Die Kellnerin von gestern kommt herein und stellt ein Tablett mit Geschirr und einem Brotkorb auf den Tresen.
"Ah, bonjour Madame"
"Petit dejeneur, s'il vous plait", erinnere ich an mein Frühstück.
Sie deutet auf das volle Tablett und dann auf die Terrasse. Mein Frühstück ist gleich fertig, es fehlt nur noch der Kaffee. Ich setze mich an einen Tisch im Schatten, wo ich einen guten Blick auf den See habe. Das Wasser liegt ruhig in der Morgensonne.
Ich habe kaum den ersten Satz in mein Moleskine geschrieben, als die Frau das Frühstück bringt. Ein Croissant, ein halbes Baguette, Butter, Kaffee, heiße Milch und Orangensaft. Dazu eine Schale, in der sich kleine Päckchen Marmelade und Nutella stapeln.
Nach einer Weile lasse ich mir einen zweiten Kaffee bringen, nur um einen Grund zu haben, noch länger hier zu sitzen. Das ist genau der Genussurlaub, den ich mir gewünscht habe. Aus der Bar klingt leise französische Musik.
Es wird Zeit, aufzubrechen. Ich bezahle die Übernachtung und das Frühstück und schwinge mich auf die Enduro. Ein letzter Blick, ob das Gepäck richtig sitzt, ich drehe den Zündschlüssel und drücke auf den Starterknopf. Der Einzylinder springt sofort an und bollert leise vor sich hin. Ich liebe diesen Motor, er läuft so gut und lässt mich nie im Stich.
Die ersten Kilometer fahre ich wie immer besonders vorsichtig. Ich will der Maschine das Leben so leicht wie möglich machen und dazu gehört, dass ich sie behutsam warmfahre.
Geht weg, ihr solltet euch von mir fernhalten. Ich bin ein Raubtier, ich bin gefährlich, denke ich, denn ich mag die Tiere. Früher bin ich manchmal auf einer Kuh geritten, wir hatten eine, Elvira. Mit ihr durfte ich alles Mögliche anstellen. Gegessen hab ich sie nicht.
Je langsamer ich fahre, desto weniger muss ich mich auf das Fahren konzentrieren. Ich kenne das Motorrad inzwischen so gut, dass die Enduro wie ein zusätzliches Körperteil ist, das mir Kraft und Geschwindigkeit verleiht.
Es wird Zeit zu tanken. Der nächste Ort ist Chateau-Chinon. Soweit ich es auf der Karte sehen kann, ist es die größte Stadt im Park Naturel du Morvan, aber bei 2000 Einwohnern sagt das mehr über den Park aus als über den Ort.
Nach 30 km fahre ich an dem Ortsschild mit der Aufschrift Chateau-Chinon vorbei. Das Städtchen sieht nett aus, unaufgeregt und ein wenig verschlafen. François Mitterrand war hier Bürgermeister. Den mochte ich, auch wenn er Sozialist war.
Die Tankstelle im Ort ist einfach zu finden. Ich schnalle den Tankrucksack ab, wie ich das schon so viele Male getan habe, lege ihn auf die Sitzbank und schließe den Tank auf. Den Deckel lasse ich zu, bis ich sicher bin, dass ich die Pumpe in Gang bekomme.
Ich schiebe die VISA-Karte in den Kartenleser und schaue auf das Display. Die Sonne scheint direkt auf das alte LCD-Display, desen Leuchtmittel schon vor langer Zeit seine Kraft eingebüßt hat. Man kann fast nichts erkennen. Irgendwie gelingt es mir dennoch, die richtigen Knöpfe zu drücken und die Pumpe in Betrieb zu nehmen.
Langsam fahre ich durch den Ort weiter nach Süden. Auf dem Gehsteig kommt mir ein alter Mann entgegen. Schwarze Hose, weißes Hemd, Baskenmütze und ein knotiger Gehstock. Er hält sich dicht im Schatten der Häuser. In seiner Hand trägt er zwei Baguettes. Einfach so, ohne Tüte. Sehr französisch.
Ich trinke etwas Wasser und genieße es, Urlaub zu haben und nichts tun zu müssen, außer Motorrad zu fahren, zu zelten und eine gute Zeit zu haben. Ein Typ auf einer Harley kommt vorbei und wir winken uns freundlich zu. Wäre ich nicht eisern auf Enduros fixiert, dann hätte ich auch eine Harley, soviel ist sicher. Ich frage mich, ob niemand sonst die Gemeinsamkeiten bemerkt?
Irgendwann um die Mittagszeit fahre ich durch Bourbon-Lancy. Eine Bogenbrücke aus Spannbeton führt über die Loire und ich fahre im Stehen, damit ich über das Geländer nach unten sehen kann. Der Fluss führt wenig Wasser und eine große Sandbank liegt hell in der Sonne.
Ein Feldweg führt hinter der Brücke hinunter ans Ufer. Er ist mit einer Schranke versperrt, aber auf der Enduro kann ich mich daran vorbeiquetschen. Misstrauisch betrachte ich den Untergrund. Schwemmsand kann tückisch sein, besonders mit einem voll bepackten Motorrad, aber dieser liegt völlig trocken und ist kein Hindernis.
Ich fahre eine große Runde über die Sandbank, mache ein paar Fotos und wühle mich durch den Tiefsand zurück zur Straße. In der Böschung steht ein blaugelbes Schild mit der Aufschrift RÉGION AUVERGNE.
Die Auvergne, mit dieser Reghion fing die Idee zu dieser Reise an. Sie ist die am dünnsten besiedelte Region Frankreichs, hübsche Landschaft, gutes Essen, Käse und Wein. Sämtliche Fakten habe ich gewissenhaft recherchiert und dabei das Standardwerk über die Auvergne zurate gezogen: Asterix und der Arvernerschild.
Heute ist Sonntag, aber seit Gien weiß ich, dass Supermärkte in Frankreich auch an Feiertagen geöffnet sind. Ich werde in Moulins einkaufen. Die Stadt ist groß genug für eine Tankstelle und eine Auswahl an Supermärkten.
Ich bin überrascht, wie groß Moulins ist und sehe angestrengt auf das winzige Display des GPS, um mich nicht zu verfahren. Auf einer übergroßen Reklametafel steht SUPERMARCHE E.LECLERC 1,6 km und dazu ein Pfeil, der die Richtung zeigt. Ich folge ihm bis zu einem Gewerbepark: Ein Baumarkt, ein Teppichlager, ein Möbelgeschäft, zwei Supermärkte, alle geschlossen. Die riesigen Parkflächen liegen verwaist in der Sonne.
Im Gewerbegebiet habe ich einen McDonalds gesehen und selbst wenn das die letzte Wahl ist, kann ich heute nicht wählerisch sein. Ich werde mich dort so vollstopfen, dass es für den Rest des Tages reichen wird.
Der Parkplatz von McDonalds ist der einzige, auf dem überhaupt Autos stehen. Ich gehe hinein und stelle mich an. Vor mir steht eine Familie mit drei Kindern und es dauert ewig, bis sie abgefertigt sind und ich endlich an der Reihe bin. Ich bestelle ein paar große Hamburger, eine Portion Pommes Frites und eine Flasche Wasser.
Ich balanciere das Tablett hinaus auf die Terrasse, die bis auf den letzten Platz besetzt ist. An einem Tisch sitzt ein Mann allein. Er hat rote Haare, einen Vollbart und trägt eine Motorradhose und ein Honda Shirt. "You may sit here if you like." Unverkennbar ein Brite.
Ich nehme sein Angebot an und setze mich ihm gegenüber. Der Biker stammt aus Cambridge und lebt seit einem Jahr in Moulins. Es ist schön, sich einmal wieder unterhalten zu können und mehr zu sagen, als nur Bonjour und Mercy.
Die Landschaft verändert sich, die Berge werden höher und rücken näher zusammen. Die Straße teilt sich das Tal mit einem Fluss und schlängelt sich eng zwischen den Bergen hindurch. Immer wieder sehe ich Gruppen von Motorrädern, die auf einer gemeinsamen Sonntagsausfahrt sind. Viele Biker fahren nicht gern allein.
Bei dem Tempo werden wir die schöne Strecke im Nu aufgeraucht und nichts gesehen und kein einziges Foto gemacht haben. Ich nehme Gas weg und lasse mich zurückfallen. Mein Spaß am Motorradfahren funktioniert auf andere Weise.
Camp Municipal les Tarteaux ist der Gemeinde-Campingplatz von Menat. Mit diesen kommunalen Plätzen, den Camping Municipal, habe ich gute Erfahrungen gemacht. Sie sind etwas einfacher ausgestattet, werden aber von der Gemeinde ordentlich geführt und sind dazu immer besonders preiswert.
Ich fahre durch die geöffnete Schranke auf den Platz und stelle das Motorrad vor der Rezeption ab. Die Tür ist verschlossen, es ist Sonntag und die Gemeindemitarbeiter haben frei. Auf einem Schild steht, man möge sich einen Platz suchen und morgen zur Anmeldung kommen.
Auf dem Gelände steht nur eine Handvoll Wohnmobile und die besten Plätze am Ufer sind noch frei. Ich wähle einen Flecken Gras dicht bei den Stromschnellen. Das Wassers rauscht ziemlich laut, aber ich kann nicht widerstehen, dieses ist der schönste Platz.
Ich habe gerade das Innenzelt aufgestellt und bin dabei, die Sachen einzuräumen, als ich den unverwechselbaren Klang eines Einzylindermotors höre. Eine BMW Sertao 650 rollt auf den Platz und hält vor der Rezeption. Der Fahrer steigt ab und steht vor der verschlossenen Tür.
Er sieht sich suchend um, steigt wieder auf seine Enduro und fährt zu mir herunter. Neugierig sehe ich ihm entgegen. Unter dem Endurohelm ist nur ein breites Grinsen aus sonnengebräuntem Gesicht zu erkennen: "Das gibts doch nicht. Svendura?!"
Es ist Christoph, wir kennen uns aus dem Internet, aber das wir uns hier begegnen ist schon ein Zufall der Extraklasse. Christoph hat am BMW Saharacamp in Marokko teilgenommen und ist auf der Rückreise nach Hause.
"Hast du Lust, essen zu gehen?"
"Na klar, gute Idee", stimmt Christoph zu.
An der Zufahrt zum Platz war mir ein Restaurant aufgefallen, dort wollen wir hingehen.
Gegen Abend nehme ich meine Jacke und hole Christoph zum Essen ab. Gemeinsam schlendern wir die Pont de Menat entlang und unterhalten uns in bester Laune über unsere Reisen. Nur Pieps ist beleidigt, sie hatte sich auf Spaghetti in Tomatensauce gefreut.
Auf dem Schild steht BAR RESTAURANT, aber im Grunde ist es nicht mehr als eine kleine Kochbude, die auf dem Parkplatz neben den Tennisplätzen steht. Eine Speisekarte ist mit Tesafilm an die Wand geklebt. Das erste Gericht auf der Karte ist Entrecôte. Mein Glückstag.
In seiner Schlichtheit hat der Platz etwas Einladendes. Wir setzen uns an einen Tisch im Freien. Der Wirt begrüßt uns herzlich mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Vom Aussehen ist er Nordafrikaner, vielleicht aus Algerien, jedenfalls ist er sehr freundlich.
Er legt zwei Speisekarten auf den Tisch, aber wir brauchen nicht lange zu überlegen und bestellen Entrecôte Frites, eine Flasche Rotwein und vorweg zwei Pastis.
Es geht mir rundherum gut, ich bin satt und ein wenig betrunken. Der Wirt wuselt zwischen den Tischen umher und hat für jeden ein nettes Wort, eine charmante Bemerkung. Christoph erzählt vom Saharacamp und ich höre gespannt zu.
Irgendwann ist der letzte Schluck Rotwein getrunken und wir gehen hinein zum Bezahlen. Die kleine Bar ist gut gefüllt, es gibt nur zwei Tische, auf dem einen liegt Brot, das sie hier backen und das so gut zum Rotwein schmeckt.
Wir schlendern zurück ins Camp. Chris will den 49. Reisetag noch in seinem Blog posten und ich muss noch Tag 9 ins Moleskine schreiben. Das war wirklich ein prima Tag und ein sehr schöner Abend...
zum nächsten Tag...
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