Markt in Annecy
Heute morgen bin ich schon früh auf dem Weg nach Annecy. Ich will mir die Stadt ansehen, einkaufen, frühstücken und ein wenig von meinem Jokertag vertrödeln. Schnurgerade führt die Straße am Seeufer entlang und im dichten Verkehr rolle ich der Hauptstadt des Départements entgegen.
Schon seit Wochen steht fest, wo genau ich meine Enduro abstellen werde: Am Quai de la Tournette. Dort gibt es einen Parkstreifen nur für Motorräder, was man in Frankreich häufig sieht, wo mehr Motos unterwegs sind als in Deutschland.
Die Tourismusbehörde vermarktet den Lac d’Annecy als 'saubersten See Europas'. Er wird von Gebirgsflüssen in Trinkwasserqualität gespeist und tatsächlich ist das Wasser des Sees und der Flüsse glasklar.
Allerdings wurde diese Qualität erst erreicht, nachdem die Einleitung von Abwässern radikal untersagt wurde und die letzten illegalen Zuleitungen von Tauchern zwangsweise verschlossen wurden. Da wird es in einigen Badezimmern zu interessanten Seiteneffekten gekommen sein, denke ich mit schadenfrohem Grinsen.
Und tatsächlich liegen alle Geschäfte etwas zurück versetzt unter steinernen Arkaden. Die Stadt hat etwas Mittelalterliches.
Was nicht im Reiseführer stand ist, dass an sechs Tagen der Woche Markt ist in Annecy. Nur am Montag ruhen die Markthändler. Diesen Tipp hatte mir die nette, alte Dame vom Campingplatz gegeben, die mir auch den Stadtplan geschenkt hat.
Mir macht das nichts aus. Erstens verstehe ich nicht, was sie sagen und außerdem bin ich ein großes Mädchen und mein Selbstbewusstsein ist dem ihren mindestens ebenbürtig.
Die Waren und Stände in den alten Gassen sind so wunderbar hergerichtet, dass ich am liebsten Fotos davon auf dem Kieler Wochenmarkt verteilen würde. Warum können wir das nicht? Oder dürfen wir in Deutschland nicht so, wie wir wollen, weil tausend Vorschriften so fantasievoll gestalteten Ständen im Wege stehen?
Der Händler, ein junger Nordafrikaner von vielleicht 25 Jahren, hat mich schon entdeckt. In den schweren Enduroklamotten und meinen 1.83m sehen mich öfters Leute verwundert an. Ich bin daran gewöhnt.
"Stay with me and you can taste all my honey", bietet mir der junge Mann mit den schwarzen Augen strahlend an. Das ist mal etwas Neues, denke ich. Wie gut, dass er nicht am Fleischstand arbeitet. So lehne ich sein Angebot mit einem ironischen Lächeln ab und verschwinde zügig in der Menge.
Mir fällt auf, wieviele Maghrebiner im Straßenbild unterwegs sind. Freundliche Menschen, die mich ganz ungeniert anstarren. Anfangs starre ich noch zurück, aber das wird schnell anstrengend, schließlich suche ich keinen Kontakt. Vielmehr schaue ich mit demselben Interesse, mit dem ein Friseur auf die Haare schaut, rein beruflich, sozusagen.
Aus einer offenen Bude weht ein köstlicher Duft von Knoblauch und Olivenöl zu mir herüber. In gigantischen Pfannen braten Tintenfische und Paella. Ich bekomme Appetit und bestelle eine Portion Calamari für Pieps und mich.
Der Händler schaufelt ein Dutzend großer Stücke in eine Box, schneidet ein Viertel einer Zitrone dazu und überreicht mir die Schachtel mit feierlicher Mine.
Ich setze mich auf eine Bank am Quai de l'Île und öffne die Box mit den heißen Calamari. Pieps ist misstrauisch, aber als ich ihr erkläre, dass in Frankreich die Fischstäbchen rund sind, schaufelt sie die fritierten Ringe routiniert in sich hinein.
Der Fisch schmeckt ausgezeichnet und ich stippe jedes Stück in das goldgelbe Fett, das sich am Boden der Box gesammelt hat. Dabei sehe ich dem Treiben der Menschen zu. Viele Asiaten sind in der Stadt unterwegs, junge, gut angezogene Menschen mit Smartphones und Selfie Sticks.
Bevor ich zurück zum Campingplatz fahre, will ich noch die VISA-Karte testen, die mich in den letzten Tagen beim Tanken im Stich gelassen hat. Mit diesem unverwechselbaren Summen, so sanft und verheißungsvoll, wie das nur ein Geldautomat der 4000er Serie von Nixdorf kann, strecken sich mir 50 EUR aus der Wand entgegen.
'Abandon Debit' steht auf dem Display des Tankautomaten und die Pumpe bleibt stumm. Sowas Blödes. Ohne Plastikgeld ist man hier aufgeschmissen. Ich probiere die EC-Karte, aber dasselbe Ergebnis und Bargeld nützt mir nichts. Einen Kassierer, wie auf deutschen Tankstellen, gibt es hier nicht. Diese Erfahrung habe ich schon in Schweden gemacht.
Ich lasse das Motorrad vor dem Supermarkt stehen und gehe hinein. Die Calamari haben mir Appetit auf Fisch gemacht. Ich kaufe zwei große Stücken Seefisch, die ich für Kabeljau halte, dazu Baguette, Käse, Wurst und Rotwein. An der Kasse probiere ich erneut die VISA-Karte. Das Zahlen mit Kreditkarte ist hier viel verbreiteter als in Deutschland.
Ich ramme die Karte in den Schlitz, tippe die PIN ein und voilà: Der Einkauf ist bezahlt. Das verstehe, wer will. Morgen fahre ich zurück nach Annecy, dort muss es auch eine Tankstelle mit Barzahlung geben. Solange reicht mein Benzin noch.
Ein schöner Nachmittag, um ein wenig zu schlafen und später den Fisch zu braten. Ich habe mich kaum aufs Bett gelegt und die Augen geschlossen, als mein Handy klingelt. Es ist Claudia, meine Homebase, mit einer Hiobsbotschaft: Die Bahn streikt, mein Autozug von Lörrach zurück nach Hamburg fährt nicht.
So ein Mist. Ich konnte den Weselsky schon vorher nicht leiden, aber jetzt bin ich richtig sauer. Die ganze Republik im Würgegriff eines Westentaschen Napoleons und das zum siebenten Mal seit September.
So ein Streik trifft in erster Linie die Kunden und nicht die Bahn. Die verbuchen ein paar schlechte Zahlen, aber ich sitze tausend Kilometer von Zuhause fest und habe mich auf die Bahn verlassen. Ich hoffe, dass bald vollautomatische Züge kommen, dann dürfen die Lokführer meinetwegen jeden Tag zweimal streiken.
Claudia hat bereits einen Plan für meine Rückreise ausgearbeitet. Auf der Landstraße sind es ungefähr 1.050 km. Die schaffe ich mit der KLX in drei Tagen. Dann komme ich noch immer rechtzeitig am Montag zum Dienst. Ich werde über Lörrach fahren, um ganz sicher zu gehen, dass der Zug nicht fährt und mir mein Ticket am Bahnhof abstempeln zu lassen.
Es regnet und ist windig. Gestern bin ich noch bei 30° im Minirock über den Platz gehüpft und heute friere ich mir bei 11° den Dubs ab. Unser Abendessen brate ich in der Apsis. Der Fisch schmeckt köstlich und ist so zart, dass er beim Braten beinahe zerfällt. Ich sollte viel mehr Fisch essen, der ist so lecker.
Nach einer kurzen Meinungsverschiedenheit darüber, wer heute das Snoopy Nachthemd tragen darf, gehen wir Zähneputzen und danach ins Bett. Ich will noch ein wenig lesen und dabei den letzten Rest Rotwein austrinken. Gute Nacht, Welt...
zum nächsten Tag...
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