An der Ardèche
Ich bin kaum eingeschlafen, als eine Sturmböe am Zelt reißt und es in seinen Grundfesten erzittern lässt. Eine Monsterböe, ein Schleifgeräusch und etwas klatscht durch den Stoff gegen meinen Kopf. Ich bin vor Schreck sofort hellwach. Was war das denn?
Gegen Morgen hat der Wind nachgelassen und als ich aus dem Zelt klettere, entdecke ich den Übeltäter: Eine dicke blaue Maurerplane. Damit war der Rohbau für das neue Waschhaus abgedeckt bevor der Sturm sie losgerissen und gegen mein Zelt geweht hat.Wie immer am Morgen nach einem Jokertag bin ich unruhig und möchte möglichst bald weiterfahren, so als hätte ich durch den reisefreien Tag etwas verpasst, das ich jetzt glaube aufholen zu müssen.
Den ersten Pass gibt es noch vor dem Frühstück. Col du Mas de l'Ayre, Altitude 846 m steht auf dem Schild neben der Straße. Die Cevennen haben vielleicht nicht die majestätische Erhabenheit der hohen Alpenpässe, aber dafür vermitteln sie mir ständig das Gefühl, ich habe gerade einen ganz besonderen, verwunschenen Platz entdeckt, den sonst keiner kennt.
In Les Vans finde ich endlich eine Tankstelle. 6,51 l laufen in den Tank der Kawasaki, bevor die Zapfpistole abschaltet. Ein guter Liter war noch drin. Kein Grund also, um nervös zu werden, zumal ich noch einen 1,5 l Tank hinten ans Motorrad geschnallt habe.
Neben der Tankstelle leuchtet in fröhlichen Farben das Schild einer Brasserie. Ich stelle die Enduro davor ab und setze mich an einen Tisch auf der Terrasse.
Heute fahre ich an die Ardèche. Das bekannte Fotomotiv mit dem Felsentor und dem Wildwasser, auf dem bunte Kajaks schwimmen, habe ich schon oft gesehen, aber erst bei der Planung der Reise ist mir aufgegangen, dass ich ganz in der Nähe vorbeifahren werde.
Ich trinke den letzten Schluck Kaffee, bezahle und mache mich auf den Weg. Der Ausflug zur Ardèche ist eine Sackgasse, aber das macht nichts. Ich freue mich auf den Abstecher und bin gespannt, wie es dort tatsächlich aussieht und ob ich nah genug herankommen werde, um ein schönes Foto des Felsentors zu machen.
Es ist Samstag, herrliches Frühlingswetter und je näher ich der Ardèche komme, desto dichter wird der Autoverkehr. Ich bin nicht die Einzige, die an diesem Tag Pont d'Arc besuchen möchte.
Ich muss mich wieder auf die Straße konzentrieren. Im dichten Kolonnenverkehr rauschen wir durch Galerien und kleine Tunnel. Die Enduro macht einen coolen Sound darin. Inzwischen haben sich viele Motorräder unter die Autos gemischt.
Französische Biker überholen schnell, riskant und manchmal sogar auf dem Hinterrad. Bevorzugtes Brenneisen ist die Yamaha R1. Zwei Big Bikes schießen an mir vorbei. Im Tunnel lassen sie die Motoren bei gezogener Kupplung kreischen, bis sie stotternd in den Drehzahlbegrenzer laufen. Dagegen wirken deutsche Knieschleifer wie Klapphelm auf Cortison.
Die Straße entfernt sich vom Fluss und hinter einer Kurve liegt ein großer Sandparkplatz komplett mit Parkwächtern und Gebührentickets. Von hier gelangt man an das berühmte Felsentor, jedenfalls vermute ich das. Ich parke die Enduro etwas abseits, stülpe den Helm über einen Spiegel und sehe mich um.
Nach wenigen Minuten endet der Weg am Ufer der Ardèche. Gleißend hell leuchtet der weiße Ufersand in der Sonne. Im Hintergrund liegt Pont d'Arc, das berühmte Felsentor.
Am Ufer der letzten Stromschnelle vor Pont d'Arc tummeln sich die Menschen und schauen gebannt aufs Wasser. Im 10-Sek.-Takt treiben die Ahnungslosen, die eben erst auf dem Parkplatz vorm Kanuverleih blitzbesohlt worden sind, in dicken, bunten Plastikbooten auf die Stromschnellen zu.
Sie setzen wirklich jeden, der körperlich halbwegs in der Lage dazu ist, in eines dieser bunten Boote aus Polyethylen, stoßen es in die Strömung und lassen die Unwissenden den Fluss hinunter auf die Stromschnellen zutreiben.
Die Boote bleiben auf Felsen hängen, drehen sich, werden gerammt, schlagen um. Der Fluss ist völlig overcrowded und wehe es bleibt einer hängen, die Nachfolgenden können nicht bremsen. Nur der Gutmütigkeit des flachen Wassers ist es zu verdanken, dass die Unfälle wohl meistens folgenlos bleiben.
Einigen gelingt es fast mühelos, ohne einen Spritzer Wasser abzubekommen, durch das Wildwasser zu fahren. Ein tolles Hobby, das mir auch Spaß machen könnte, aber Pieps und ich setzen uns in die Felsen und sehen lieber zu.
Nach einer halben Stunde habe ich genug davon und stiefele zurück zum Parkplatz. War es ein Fehler, ausgerechnet am Samstag hierherzukommen? Nein, dadurch habe ich den Irrsinn live miterlebt. Die Ardèche ist auf jeden Fall einen Abstecher wert.
Ich fahre zurück zur eigentlichen Reiseroute und erreiche bald darauf Ruoms. Neben der Straße liegt ein SUPER-U, einer der gewaltigen französischen Megastores, wo es alles gibt, das ich brauche. Vor allem Entrecote.
Diesmal komponiere ich das Essen um das Hauptgericht herum. Ich kaufe eine große Scheibe Entrecote und als Beilage zwei Lammkoteletts. Dazu Riesenchampignons, jeder Einzelne fast so groß wie Pieps, einen Ziegenkäse, eine halbe Entenbrust und eine Flasche Wein. Ich kann es kaum erwarten, dass endlich Abend wird.
An der Kasse stehen nur zwei Frauen vor mir, aber inzwischen habe ich gelernt, dass man daraus nicht auf die vermutliche Wartezeit schließen kann. Tatsächich entspinnt sich ein Gespräch mit der Kassiererin und ich bedaure einmal mehr, das ich kaum eines der schnell gesprochenen Worte verstehen kann, doch ich habe Geduld. Schließlich bin ich im Urlaub.
"Bonne journée", einen schönen Tag, wünscht die Frau an der Kasse zum Abschied sehr freundlich. Ich mag die Franzosen. Alle meine Vorurteile, die seien überheblich, unfreundlich, gerade wenn man ihre Sprache nicht spricht, haben sich als falsch erwiesen.
Aus Ruoms heraus geht es wieder in die Berge. Eine weitere Sehenswürdigkeit der Gegend ist Cascade du Ray-Pic, eine Kaskade aus zwei Wasserfällen. Sie ist lange vorher beschildert. Ich lenke die Enduro auf den Parkplatz am Aussichtspunkt und gehe hinüber zu dem Geländer, wo bereits ein Dutzend anderer Touristen steht und knipst.
Ich dränge mich behutsam nach vorn, beuge mich übers Geländer und glaube für einen Moment an Versteckte Kamera. Dort unten plätschert der mickrigste Wasserfall, den ich je gesehen habe. Dafür würde ich in Norwegen nicht einmal aus dem Helm rausgucken.
Einen Moment lang bin ich versucht in die Hände zu klatschen, ein dienstliches Gesicht aufzusetzen und die Menge mit energischer Stimme anzusprechen:
"So, Leute. Weitergehen! Bitte gehen Sie weiter. Hier gibt es nichts zu sehen. Gehen Sie zurück zu Ihren Fahrzeugen."
Manchmal muss man die Leute einfach vor sich selbst schützen, aber stattdessen stecke ich die Kamera wieder ein und gehe kopfschüttelnd zurück zu meinem Motorrad.
Es ist ein sonnig warmer Frühlingstag. Am Himmel schweben weiße Schäfchenwolken. Die Straße führt durch einen Ort, wo alte Häuser an einem fast ausgetrockneten Flussbett stehen. Von ihren pastellfarbenen Fensterläden blättert malerisch die Farbe.
Behutsam lenke ich die Enduro über den hohen Bordstein und stelle sie auf dem Gehsteig ab. Auf der Bank breite ich ein kleines Picknick aus, eine Gurke, ein Baguette, zwei Frikadellen und eine Flasche Wasser.
Largentiere, der Ort ist nicht einmal im Stichwortverzeichnis meines Reiseführers zu finden, dabei ist er eine richtige Entdeckung. Mitunter sind es große Namen, die mich enttäuschen, so wie der Giant's Causeway in Irland, aber manchmal entdecke ich auch eine Perle, wo ich sie nicht erwartet habe.
Louise berechnet mir 7,50 €, das ist der Fahrradpreis mit Zelt. Den Platz darf ich frei wählen. Obwohl die Saison noch Wochen entfernt liegt, stehen bereits eine Menge Wohnmobile auf dem Platz.
Am Abend bereite ich unser Essen vor. Ich stelle die Küche auf und sehe mir die Pilze näher an. Das sind tatsächlich Riesen Champignons und sauber sind sie auch. Die müssen nicht gewaschen werden. Ich halbiere die Pilze und werfe sie mit dem Entrecote ins heiße Fett.
Der Bordeaux ist vielleicht ein wenig zu warm, aber ich bin nicht gerade ein Weinkenner und so stört es mich nicht im geringsten. Ich registriere es lediglich und trinke engagiert weiter.
Ziemlich genau so habe ich mir meine Frankreichreise vorher ausgemalt, denke ich zufrieden, während ich einen weiteren Becher Wein einschenke und darauf warte, dass die Lammkoteletts fertig werden.
zum nächsten Tag...
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