Giant's Causeway
Gerade wenn du denkst, ein Urlaub könne nicht noch verregneter, noch nasser und noch öder werden, dann... Aber von Anfang an.
Als ich um halb acht wach werde, nieselt ein leichter Regen aufs Zelt und es wird gar nicht richtig hell. Kein Wunder also, dass ich so lange geschlafen habe. Nach einer kurzen Katzenwäsche, die jeden Morgen katziger wird, baue ich das Zelt ab und mache mich auf den Weg. Heute fahre ich nach Norden zum Giant's Causeway.Als ich vor meiner Reise in verschiedenen Internetforen nach Reisezielen in Irland gefragt habe, da war die häufigste Antwort: Du musst unbedingt zum Giant's Causeway fahren. Leider habe ich vergessen zu fragen, was daran so sehenswert ist.
Den kurzen Weg zurück nach Enniskillen fahre ich ohne Regenkombi, schließlich nieselt es nur leicht, aber dort angekommen sind meine Klamotten total nass und klamm. Heute abend werden sie als nasses Bündel im Zelt neben mir liegen und genau so werde ich sie morgen früh wieder anziehen, denn im Zelt trocknen sie ganz sicher nicht.
In Irvinestown entdecke ich eine Filiale der Northern Bank mit einem Geldautomaten. Mit gemischten Gefühlen stecke ich die Karte in den Schlitz. Wenn dieser auch nichts ausspuckt, muss ich mir wirklich etwas einfallen lassen. Ich habe zwar noch Euro und auch eine VISA-Card, aber die reichen nicht aus, um den ganzen Urlaub täglich mit Entrecotes zu gestalten. Es wird noch soweit kommen, dass ich Nudeln essen muss.
Nur 90 km weiter in Draperstown fahre ich wieder auf eine Tankstelle. Ich muss mal für eine Weile aus dem strömenden Regen heraus, der den ganzen Vormittag lang pausenlos auf meinen Helm prasselt. Mit einem großen Becher Kaffee stelle ich mich unter das Dach der Tanke, die so überfüllt ist, dass ich Mühe habe, ein Plätzchen zu finden.
Jetzt quetscht sich auch noch ein 5-Tonner zwischen die Autos auf der Tankstelle. Er ist beladen mit Kohlensäcken, wie ich sie aus meiner Kindheit kenne. Feste, derbe Jutesäcke, beschmutzt mit Kohlenstaub. Drei Männer steigen aus dem Laster und machen sich daran, den LKW zu entladen und die Vorräte der Tankstelle aufzufüllen. Es sind wirklich schräge Typen, einer schielt, einer stottert und der Fahrer übernimmt mürrisch die Aufsicht.
Auch mein Frühstückstisch, der Kohlenkasten, wird mit Torf und Briketts nachgefüllt. Der Mann mit dem Sehfehler erledigt das und als er auf mich zukommt, weiß ich nicht, ob er mich oder die Enduro ansieht. Er ist total nett und kurz darauf sind wir in ein Gespräch vertieft. Ich erfahre, dass heute Mittag das Olympische Feuer durch Maghera getragen wird, denn in wenigen Wochen beginnt die Oympiade 2012 in London.
Inzwischen ist sein Kollege dazugekommen. Er stottert ein wenig und wir unterhalten uns eine Weile über Motorräder. Die beiden sind von der KLX250 begeistert und voller Stolz erzähle ich von meiner Reise. Als der Fahrer endlich bemerkt, dass schon eine Weile kein Kohlensack mehr vom Laster gehoben wurde, pfeift er die Jungs zurück.
Es regnet noch immer, aber trotzdem bin ich wild entschlossen, weiterhin zu zelten. Ich werde überhaupt nichts anderes mehr machen. Nicht wegen Geld, sondern aus Prinzip, jetzt erst recht und weil ich es kann. Ich würde mit dem Fuß aufstampfen, aber ich sitze schon wieder auf dem Motorrad.
Am frühen Nachmittag erreiche ich Bushmills, wo der bekannte Irische Whisky hergestellt wird. Mich interessiert das wenig, weil ich keinen Whisky trinke, aber es ist erstaunlich, wie jeder plötzlich zum Whiskykenner mutiert, der auch nur einmal einen Schluck Ballantines in seine River-Cola gegossen hat und beginnt über den Unterschied zwischen Single Malt und Blend zu fabulieren.
Wenn man aber den klingenden Namen und die Legende beiseite lässt, dann bleibt genau das: Steine, 6-eckig. Für die übrigen mit 7, 9 oder 12 Ecken interessiert sich keine Sau. Ich verstehe das Interesse sehr gut, wenn man zum Beispiel Geologe ist und eine Studienreise zum Causeway macht. Ich dagegen kann Granit nicht von Gratin unterscheiden und Geologie interessiert mich nicht die Bohne. Was also tue ich hier?
Zwei Pfund, um ein Motorrad abzustellen und dann noch eine Viertelstunde im Regen zu ein paar Steinen an der Küste zu marschieren? Offensichtlich bin ich die Einzige, die das doof findet, denn die Großparkplätze I und II sind bereits voll und ein Strom von Touristen stiefelt durch den Regen dem Causeway entgegen. Ist das hier so eine Art Massenhypnose?
"Dream on!", denke ich, aber laut sage ich: "No thanks. I'm leaving." Vielleicht wenn ich das nächste Mal herkomme. Das wäre dann am Sankt Nimmerleinsdienstag 3009.
Ich fahre das Motorrad eine Meile die Küste entlang zu den Steinen mit ohne sechs Ecken, für die sich prompt keine Sau interessiert. Dabei sind diese sogar umsonst zu sehen und der Parkplatz ist völlig verlassen.
Tropfend stehe ich in meiner Regenkombi vorm Counter in der Rezeption und checke ein. "That's 18 pounds, please."
"Wow, that's expensive!", bölke ich den Platzwart an und tue meinen Unmut kund.
Das sind immerhin 23 € für ein paar Quadratmeter nasser Wiese. Eine ziemliche Frechheit und sicher der Nähe zu den sechseckigen Steinen geschuldet, aber wir wissen beide, dass ich keine Alternative habe. Eine Quittung gibt es nicht und auch mein Name wird nirgends notiert. Ich bin gespannt, ob die Kohle jemals in der Kasse landet.
Zum elften Mal auf dieser Reise baue ich das Zelt auf und so sehr geregnet wie heute, hat es dabei noch nie. Motorrad aus, absteigen. Handschuhe, Regenkombi, Helm, alles anlassen. Zeltsack abschnallen und Inhalt ins Gras schütteln. Zeltstangen zusammenstecken, Bodenplane ausbreiten, Ecken mit Zeltnägeln fixieren, Zelt drauflegen, Gestänge einclipsen, Innenzelt aufspannen. Firststange einfädeln, Dach draufsetzen, abspannen, fertig.
Jetzt die Regenkombi aus, den Helm ab und beides unter die zweite Apsis. Gepäck trockenreiben, ins Zelt werfen, Stiefel aus, hinterherkriechen, Reißverschluss zu. Pause.
Ich frage mich, wie die Elektronik der Kawasaki diesen Regen aushält, aber bisher hat Greeny mich nicht einen Zündfunken lang im Stich gelassen. Ich liebe dieses Motorrad.
Es ist fast 22 Uhr, als mein Magen mich weckt. Außer zwei Jambons habe ich heute nichts gegessen, aber jetzt geht es los. Ich stecke den Kocher auf die Gaskartusche, verriegele den Bajonettverschluss und stelle die Küche in die Apsis, die ich gerade so weit öffne, dass der Dampf abziehen kann. Ab und zu fällt ein Regentropfen zischend ins heiße Fett. Ich sitze im halb geöffneten Schlafsack und bin wieder bester Laune. Gleich gibts Essen.
"Hello. You'd like a cup of tea?", fragt sie mich freundlich und wirft mir einen Blick zu, als sei ich eine Babyrobbe, deren Mama gerade von Pelztierjägern erschlagen worden ist. Im Hintergrund sehe ich einen großen Wohnwagen. Sie muss angekommen sein, während ich geschlafen habe.
"Oh yes. Thank you very much. That would be great", nehme ich das Angebot gerne an.
"Milk and Sugar?"
"Yes, both please."
Sie verschwindet in ihren Wohnwagen und kommt kurz darauf mit einem Becher Tee und einem übermausgroßen Triple Choc Muffin wieder zum Vorschein. Danke schön, liebe Unbekannte aus Irland. Der heiße Tee ist köstlich und das sagt jemand, der sonst niemals Tee trinkt. Außer bei Erkältung und Magen-Darm Beschwerden, also fast nie.
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