Ballerinas statt Enduroreifen
Ich weiß nicht genau, wie Gott in Frankreich geschlafen hat, aber ich nehme an, er hat gezeltet und geregnet hat es vermutlich auch. Jedenfalls habe ich nie besser geschlafen. Nur einmal werde ich kurz wach, als es in einer Regenpause plötzlich still wird im Zelt.
Ich hab noch keine Lust aufzustehen, denn es ist gerade so schön warm und gemütlich im Schlafsack und draußen regnet es sowieso. Außerdem liebe ich es, im Bett zu liegen und zu lesen. Die Ritter in Mercenaries sind wirklich coole Typen und können total gut kämpfen. Nur später, als sich der eine in diese Brünette verliebt, werden die Dinge schrecklich kompliziert, aber da ist das Buch zum Glück schon fast zu Ende, bevor ich endgültig das Interesse verliere.Heute morgen werde ich duschen gehen und mir die Haare waschen. Von der Putzfrau, die für die Klohäuser zuständig ist, habe ich den Tipp bekommen, in der No. 3 zu duschen. Das ist die Behindertendusche und man kriegt doppelte Zeit für sein Geld, nämlich satte fünfzehn Minuten. Außerdem ist die Kabine viel größer.
Eigentlich habe ich kein schlechtes Gewissen, die Behindertendusche zu benutzen, weil ja sonst keiner hier ist, aber trotzdem ziehe ich vorsichtshalber das Bein leicht nach, als ich mit dem Handtuch unterm Arm in der Drei verschwinde.
In kürzester Zeit habe ich die Dusche in eine Dampfsauna verwandelt und leichte Nebelschwaden steigen auf, während das heiße Wasser über meinem Körper sprudelt. Erst gegen Ende der zweiten 50 Pence Münze spüle ich mir sorgfältig das Shampoo aus dem Haar.
Ich werde nach Porthmadog zum Frühstücken gehen und ziehe mein schwarzes Minikleid, Leggings und Ballerinas an. Ein wenig MakeUp, etwas Schmuck und fertig ist die Svenja. Endlich komme ich einmal wieder aus den unweiblichen Motorradklamotten heraus.
Das Minikleid ist stretchig und ein bisschen eng, aber deshalb muss man in Großbritannien keine Komplexe haben, denn hier ist man niemals zu dick, zu alt, oder sonstwie zu unförmig, um Stretch und Mikro zu tragen. Sogar Pumps beginnen hier erst bei ungefähr 9 cm Absatzhöhe. Die englischen Frauen sind echt gnadenlos, was Mode angeht. Endlich normale Menschen, denke ich und überlege ernsthaft, im Alter hier herzuziehen.
Schon jetzt fallen mir ein paar Klamotten ein, die ich zuhause unbedingt mal wieder anziehen sollte. Im Geiste Britanniens, gewissermaßen. Die Fummel hängen an einer Querstange ganz hinten im Schrank und sind nach hiesigen Maßstäben durchaus tragbar und beinahe dezent. Das muss ich nur noch den Leuten in Kiel verklickern, aber ich denke, das kriege ich hin.
Ich ziehe meine dünne Windjacke über und mache mich auf den Weg ins Dorf. Es regnet, aber mit der leichten Bergans Jacke bin ich gut geschützt.
Bis auf einen kleinen Zweiertisch neben der Eingangstür ist der Laden bis auf den letzten Platz besetzt. Das Big Rock scheint sehr beliebt zu sein. Vor dem Tresen stehen schon mehrere Leute und warten auf ihren Kaffee. Gleich wird auch der letzte Tisch besetzt sein.
In einer eleganten Svenjaversion des Mallorca-Poolliegen-Handtuch-Proleten hänge ich meine Windjacke über den Stuhl und lege das Moleskine auf den kleinen Tisch, was mir einen missbilligenden Blick und ein merkwürdiges Geräusch der Dame vor mir einbringt. Briten machen also auch 'grmpff'.
Es dauert eine Weile, aber schließlich ist das Frühstück fertig und ich setze mich mit Toast und Kaffee an meinen Tisch. Gut wenn man reserviert hat, inzwischen ist nämlich alles voll.
Das Big Rock ist ein skurriler Laden; Konditorei meets 1000 Körner featuring Miss Marple. Hier fühle ich mich wohl und werde für eine Weile mein Hauptquartier errichten. Jedenfalls solange es regnet, oder bis sie für heute zumachen. Je nach dem, was zuerst ist.
Der Kaffee ist schwarz und stark und für einen Moment bin ich versucht, einen Joke in mein Tagebuch zu schreiben, dass der Kaffee so ist wie ich, aber dann ist das sogar mir zu platt und ich streiche es wieder. Außerdem habe ich inzwischen Milch hineingegossen.
Erst am Boden des dritten Americanos breche ich auf. Fast zwei Stunden habe ich an dem kleinen Tisch neben der Tür verbracht. Einen Moment lang stehe ich unentschlossen im Regen, bevor ich beschließe, zu TESCO zu gehen. Bei dem Wetter kann man sich da prima die Zeit vertreiben und außerdem muss ich sowieso ein paar Dinge besorgen.
Porthmadog hat kaum mehr als 4.000 Einwohner, aber der TESCO stellt sämtliche Kieler Supermärkte bis auf zwei in den Schatten. Welch ein moderner Megastore das ist und wie provinziell unser Angebot dagegen wirkt.
Besonders die Auswahl an täglich frisch gekochten Essen fasziniert mich. Bei unserem SKY gibt es die bekannte Erbsensuppe im Schlauch, vielleicht noch Chili con Carne und ein paar Salate in Plastikboxen. Hier dagegen finde ich viele verschiedene Gerichte, die sehr appetitlich aussehen. Und das Angebot an Tiefkühlkost sieht auch ganz prima aus, aber vielleicht beschäftigen sie für die Packungsfotos auch nur bessere Fotografen als wir.
Vier Gänge weiter gibt es Medikamente, die ich sonst nur aus der Apotheke kenne: Aspirin, Ibuprofen, Paracetamol und Co. Das Päckchen Para kostet hier nur 17 Pence, das sind ungefähr 20 Cent. Ich kann es kaum glauben.
Allmählich geht das Biskin zu Ende, das ich von zuhause in einer kleinen Laborflasche mitgebracht habe. Ich schlendere durch den Gang mit den Speiseölen und entdecke etwas Neues, ein Olivenöl zum Sprühen, The only 1 Cal Spray. Das liest sich ja cool: 'Spray directly on meats before grilling to prevent sticking'. Das muss ich ausprobieren. Das Spray kostet nur 2,39 £ und landet in meinem Einkaufskorb.
Durch die große Fensterfront sehe ich, dass es draußen regnet wie Hulle, also werde ich noch ein wenig hierbleiben. Mit dem Tempo einer Wanderdüne im Rollator schlendere ich durch die breiten, hellen Gänge und sehe mir die Waren an. Je länger ich mich hier aufhalten kann, desto besser. Außerdem liebe ich Supermärkte.
Die Fleischabteilung besuche ich nur zum Window Shopping, denn heute werden Svenja und Pieps auswärts speisen. Lady Muhliuster geruhen heute ein Pub zu besuchen, um mit den Jungs Fußball zu gucken. Manchmal muss man sich eben volksnah geben und außerdem spielt heute England gegen Schweden.
Jetzt fällt mir beim besten Willen nichts mehr ein, was ich noch betrachten könnte. Selbst durch den Gang mit den Kartoffelpürees bin ich schon zweimal durch. Ich bezahle meinen Einkauf und spaziere zurück zur High Street.
Hier in Wales muss gerade Sauregurkenzeit sein, denn während ich die 2,75 £ für die kleine Blechdose auf den Counter zähle, fällt mein Blick auf die Headline des Daily Express:
SUMMER STARTS IN SEPTEMBER
Worst storms for 50 years warn experts
Seit dem traurigen Tod Prinzessin Dianas geht der Klatschpresse hier oben der Stoff aus und sie lassen sich zu müden Geschichten übers Wetter hinreißen, dabei macht die Lüftung in meinem Seat Arosa auf Stufe II mehr Sturm als das Lüftchen von gestern abend.
Nebenher mustere ich immer wieder die Leute, die ins Café kommen. Sie sind auch froh, aus dem Regen herauszukommen. Gerade tritt eine junge Frau ein, Typ Bankerin. Sie ist vielleicht dreißig, sehr gepflegt und trägt ein dunkelblaues Business Kostüm mit schwarzen Strümpfen. Sehr edel, very sophisticated.
Dazu aber trägt sie ein paar unglaublich nuttige 12 cm Peeptoe Pumps aus rotem Lackleder. Die Mode in Großbritannien tickt wirklich anders und gerade Lackpumps sieht man hier häufiger im Straßenbild. Ich fühle mich inspiriert und beschließe, meine Leopardenpumps mal wieder anzuziehen, sowie ich zuhause bin.
Zurück ins Camp geht es einen Kilometer bergauf mit Wind und Regen von vorn. Irgendwann muss so eine shice Wolke doch mal leergeregnet sein, oder? Ich bin froh, als ich endlich in meinem Zelt bin und mich abtrocknen kann.
Es regnet, windet, stürmt und gießt den ganzen Nachmittag, aber im Schlafsack ist es umso gemütlicher. Ich lese und will auch noch ein wenig schlafen, damit ich heute abend fit fürs Pub bin. Es dauerte gar nicht lange und ich bin fest eingeschlafen.
Es ist schon früher Abend, als ich endlich wach werde und auf die Uhr sehe. Zeit, sich fertig zu machen. Mit der kleinen Klickbox, in der die Schminksachen sind, gehe ich ins Waschhaus und male mir ein neues Gesicht. Außer meinen Perlenohrringen und der Svenja-Kette verzichte ich auf allen Schmuck. Die Klamottenauswahl ist ohnehin nicht groß. Ich habe nur zwei schwarze Minikleider mit, Leggings in verschiedenen Längen und die Ballerinas mit den Nieten. Als ich fertig bin, schnappe ich mir Pieps und mache mich auf ins Pub.
Jeder kennt die Szene aus dem Western, wenn der Fremde durch die Schwingtür in den Saloon kommt. Die Musik hört auf zu spielen, die Gespräche verstummen und alle Köpfe wenden sich dem Neuankömmling zu. Der einzige Unterschied, als ich in meinem Minikleid aufgerüscht und hübsch geschminkt durch die Tür ins Pub schwebe ist, dass hier keine Musik spielt.
"Good evening", flöte ich fröhlich in Richtung der abweisenden Gesichter am Tresen. Eine Handvoll älterer Männer, einer tatsächlich im Cordjacket mit Lederflicken auf den Ellenbogen, und drei Frauen drehen sich zu mir um. Tödliches Schweigen.
"Na, ihr seid ja ein fröhlicher Haufen", sage ich mit breitem Grinsen laut in den Raum. Meine Güte, haben die Landeier noch nie eine Svenja gesehen? Das müssen alle Kumpels von dem Hurtigruten Husband sein. Es wäre so cool, wenn ich den hier zufällig treffen würde.
Alle Barhocker sind besetzt und so setze ich mich an einen kleinen Tisch neben dem Tresen, wo ich einen guten Blick auf den Fernseher habe. Momentan läuft noch Ukraine gegen Frankreich, aber alle warten auf den Beginn des Spiels England gegen Schweden.
Na gut, es wird Zeit mit der Landbevölkerung ins Gespräch zu kommen. Ich gehe zum Tresen und bestelle mir einen Drink. Während ich warte, nutze ich die Gelegenheit, um etwas zu sagen: "Who will we cheer for tonight?", frage ich gut gelaunt in die Runde. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob Waliser automatisch für England sind.
Ebensogut hätte ich fragen können, ob Prinz Charles heimlich Damenunterwäsche trägt, solche Kälte schlägt mir entgegen. Schweigen, bis eine dünnzickige Else sich dazu herablässt mit unüberhörbarer Missbilligung in der Stimme zu antworten: "England, I would guess." An den Fenstern bilden sich erste Eisblumen. Das Gespräch ist damit beendet, obwohl ich versucht bin, ein launiges "If you say so, sweety" hinterherzuschieben, aber ich lasse es, weil die Bande völlig humorlos ist und ich auch in kein Blutvergießen verwickelt werden will. Vor allem nicht in mein eigenes.
Ich bezahle meinen Weißwein und erhöhe damit die Distanz zu den Guinnestrinkern noch ein wenig weiter. Na wartet, gebt mir zwei, drei Drinks, dann werde ich etwas lockerer und hier mal ein paar grundsätzliche Statements zum englischen Fußball abgeben.
Ich bin froh, dass Pieps bei mir ist, die bereits mit wichtigem Blick auf dem Spielplan sitzt und bereit ist, die ersten Wetten anzunehmen.
Simon, der Wirt, ist viel freundlicher, jedenfalls solange seine Frau hinten in der Küche ist. Er bringt mir die Speisekarte und ich bestelle ein Italian Meat 'n’ Mash mit extra Kartoffelpüree.
Inzwischen fange ich an, den Laden zu mögen und mich wohlzufühlen, aber vielleicht liegt das auch an den Drinks. Das Essen wird gebracht, eine Schale Hackfleisch mit Kartoffelpüree und Parmesan. Heißhungrig mache ich mich darüber her.
Wieder einmal hat "beef mince" nichts mit Minze zu tun, sondern bedeutet Hackfleisch. Die einzige Katastrophe ist das Gemüse. Accompanied by mixed vegetables hieß es auf der Karte und gemixt sind sie, aber auch halbroh, die Veggies. Svenja an Logbuch: In England kein Gemüse bestellen, obwohl das eigentlich überflüssig ist, weil ich sowas ohnehin nur aus Versehen mitbestelle.
In der letzten halben Stunde ist es ziemlich voll geworden im Pub, aber als Fremde fühle ich mich heute ein wenig verloren, denn alle, wirklich alle, kennen sich, lachen und scherzen miteinander. Ich überlege, ob ich etwas vortanzen soll, oder meine Amy Whinehouse Imitation zeige, aber ich bin nicht mal sicher, ob das hier genauso gut ankommen würde, wie zuhause in Eddis Bierschwemme.
Wenigstens der Wirt lächelt ab zu freundlich herüber, aber bei drei Drinks und einem Hauptgericht in 25 Minuten bin ich auch ein erstklassiger Gast. Auf jeden Fall scheint mein Passing zu halten, denn alles andere hätte ich mit Sicherheit längst gemerkt.
"On sunday we all gonna cheer for Germany, are we?", versuche ich noch einmal mein Glück mit einem launigen Spruch, wobei der Chardonnay und das Bier ganz hilfreich sind. Für einen Moment wieder tödliches Schweigen, aber dann lachen zumindest die Jungs mit mir mit.
Das Eis ist noch nicht gebrochen, aber es tun sich schon Risse auf. Das wird noch richtige Arbeit heute abend. Außerdem muss ich noch jemanden ansprechen, ob er bitte ein Foto von mir macht, wie ich hier sitze, Fußball gucke und damit beschäftigt bin, reizend auszusehen. Am besten frage ich das Cordjacket, wenn seine Else gerade auf dem Klo ist.
Das Spiel beginnt und der Wirt dreht den Ton lauter. Alle sehen gebannt auf den kleinen Fernseher in der Ecke. Als in der 23. Minute das 1:0 für England fällt, erwacht die Landbevölkerung zum Leben und auch ich ringe mir ein anerkennendes Lächeln ab, während ich Pieps gleichzeitig mit einer schnellen Bewegung den Mund zuhalte. Die kleine Maus verfügt nicht ganz über die diplomatischen Fähigkeiten einer Lady Muhliuster.
England gewinnt letztlich 3:2 gegen Schweden und in der allgemeinen Hochstimmung komme ich sogar zu meinem Foto. Mit dem letzten Schluck Real Ale, ich habe inzwischen alle Sorten durchprobiert, packe ich meine Sachen zusammen und gehe nach Hause.
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Ballerinas statt Enduroreifen. Schön, dass ihr trotzdem mitgelesen habt, auch wenn heute keinen Meter Motorrad gefahren wurde. Dafür war der Abend im Pub mindestens ebenso aufregend, wie ein Ritt am Abrund.