The Old Military Road
Heute ist mein letzter Tag in Irland, denn morgen früh fahre ich mit dem Schiff zurück nach Wales. Traurig bin ich deshalb nicht, denn der Urlaub ist erst halb rum und es gibt noch viel zu entdecken.
Meine erste Stadt heute morgen ist Wicklow, der Verwaltungssitz des Countys. Wir würden es eine Kreisstadt nennen. Nach der Abgeschiedenheit der letzten Tage kommt mir sogar diese 7000 Einwohner Kleinstadt groß und wichtig vor. Erstaunlich, wie sich der Blickwinkel ändert. Über Roundwood fahre ich auf der R759 zum Sally Gap.
Nach wenigen Kilometern umfängt mich die Einsamkeit der Berge. Welch ein tolles Gefühl, so frei und unabhängig durch die Berge Irlands zu düsen. An einer besonders schönen Stelle halte ich an, steige ab und lasse den Motor im Stand laufen. Ich mag das leise Blubbern des Einzylinders. Man hat gleich das Gefühl, nicht alleine zu sein.
In Laragh endet die R115. An der Wegkreuzung zur Zivilisation fahre ich an Tischen und Stühlen vorbei, die einladend in der Sonne stehen. Hier möchte ich eine Weile sitzen und die ruhige Atmosphäre in den Wicklows genießen.
Die Fähre nach Wales legt morgen früh schon um 8:45 Uhr aus Rosslare ab und ich muss eine Stunde vorher am Schiff sein. Um Zeit zu sparen werde ich heute schon zum Hafen fahren und mir eine Fahrkarte kaufen, dann spare ich morgen sicher eine halbe Stunde.
Es dauert eine Weile bis ich den Ticketschalter in dem unübersichtlichen Hafengelände gefunden habe und ich weiß, dass es klug war, damit nicht bis morgen früh zu warten, wenn das Schiff schon zur Abfahrt tutet und ich völlig nervös durch die Gegend renne.
Ich kaufe zwei große Entrecotes und schaufele an der Salatbar eine Portion Kartoffelpüree in eine Plastikbox. Dazu eine kleine Flasche Rotwein, in der weniger drin ist, als in einem einzigen Glas "Der gute Rote" aus dem Tetrapack in Eddis Bierschwemme.
Im Supervalu gibt es ein reizendes kleines Café. Die beiden Frauen, die den Laden gemeinsam schmeißen, sind total nett und das Angebot im Kuchentresen sieht verlockend aus. Ich bestelle ein Stück Käsekuchen und einen Becher Kaffee und mampfe und schlürfe beides voller Appetit in mich hinein.
"That's 5,95, please", sagt eine der Frauen, als ich zum Bezahlen an die Kasse komme. Sie war mir von Anfang an nicht sonderlich sympathisch, aber jetzt finde ich sie impertinent. Das sind elf Mark fünfzig für ein vertrocknetes Stück Kuchen und eine lauwarme Tasse Kaffee in einer reichlich abgewohnten Kaschemme. Ich bin so empört, dass ich 7 € gebe und "Rest is for you" dazu murmele, um sie ordentlich zu demütigen. Hier wird Lady Muhliuster nicht noch einmal absteigen.
"Hey, it's you again", werde ich auf St. Margarets Beach Camping freundlich begrüßt, als ich den Motor abstelle und den Helm abnehme. Ich checke für eine Nacht ein und baue mein Zelt auf der Wiese auf, wie ich es schon vor zwei Wochen an dieser Stelle getan habe.
Auf der Suche nach einem Gespräch schlendere ich über den Campingplatz und gerate ausgerechnet an ein Rentnerehepaar aus Mönchengladbach, das mit seinem Wohnwagen unterwegs sind. Sie entpuppen sich als die größten Unsympathen und Besserwisser, die man sich vorstellen kann und ich mache mir eine Notiz: Im Urlaub keine Gespräche mit deutschen Touristen führen. Besonders nicht mit welchen aus Mönchengladbach.
Anders als im vergangenen Jahr ist es mir diesmal kaum gelungen, ins Gespräch zu kommen. Als alleinreisende Frau bin ich für viele irgendwie unsichtbar. Zwei Wochen soll meine Reise noch dauern, es ist gerade erst Halbzeit, und wenn ich ehrlich bin, dann war die ganze Reise bis jetzt ein Reinfall. Ich möchte nach Hause.
Ich greife meine VISA-Card, das Handy und mein Fährticket und wähle die Nummer von DFDS Seaways in Hamburg: "Guten Tag, mein Name ist Svenja Kühnke und ich habe ein Fährticket Harwich - Esbjerg für den 22.6. Ich möchte früher zurück. Egal wann. Ist irgendwas frei?", frage ich die Dame im Call Center und versuche möglichst wenig verzweifelt zu klingen.
Die freundliche Dame in Hamburg gibt sich große Mühe, sie klickt und rechnet, kalkuliert und tippt, aber findet nichts Passendes. Die Verbindung ist schlecht und ich spüre förmlich, wie das Guthaben meiner Vodafone Prepaid Karte durch die wackelige Leitung rauscht. Für einen Zuschlag von 350 € könnte ich drei Tage früher fahren. "Nein, danke. Dafür bin ich noch nicht verzweifelt genug." Ich sitze fest. Was mache ich mit den verbleibenden zwei Wochen?
Ich werde mir Wales ansehen und die Cotswolds. Vielleicht auch noch Südengland. So genau weiß ich das heute abend noch nicht. "In Wales they have a bad flooding", erfahre ich an der Rezeption. Ein Jahrhunderthochwasser mit vielen überschwemmten Campingplätzen. Na und? Ich habe in Irland gezeltet, dagegen ist alles andere Babykacke.
Heute abend spielt in der Fußball EM England gegen Frankreich, aber der schöne Fernsehraum, den es auf St.Margarets gibt, liegt verlassen. Alleine habe ich auch keine Lust, das Spiel zu sehen, weil mich Fußball im Grunde nicht die Bohne interessiert.
Das Schöne daran, eine Frau zu sein, ist das Recht, sich jederzeit umentscheiden zu dürfen und so gehe ich zurück in den TV-Raum und schalte gerade rechtzeitig zur zweiten Halbzeit den Fernseher ein. Ich drehe die Kiste ordentlich laut und schon nach kurzer Zeit ist die Bude voll mit Campern. Ich höre heraus, dass sie nur zu doof waren, die Technik zu bedienen.
Ich nutze die Chance, um lautstark in allen mir zur Verfügung stehenden Sprachen mein geballtes Fußballwissen auf die übrigen Gäste loszulassen und merke, dass sie total beeindruckt sind. Jedenfalls sagt keiner was dazu. Vermutlich komme ich selbst auch in einigen Reiseberichten vor.
Das Spiel endet 1:1 und ich verabschiede mich aus dem Fernsehraum. Sport macht mich immer hungrig und es wird Zeit, meine Entrecotes zu braten. Die Steaks sind umwerfend gut und gehören zu den besten der ganzen Reise.
Gerade sehe ich, dass mein Moleskine fast voll ist. Ich habe schon 93 Seiten geschrieben und muss mir bald einen Notizblock als Ergänzungsband zu meinem Reisetagebuch kaufen. Wie in Ballater letztes Jahr. Aber darum kümmere ich mich morgen.
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