Ring of Kerry
Es regnet als ich an diesem Morgen im Zelt die Augen aufschlage. Es ist nur ein ganz leichter Regen, aber der Himmel sieht böse aus, während ich auf dem Weg zum Waschhaus bin, einer halboffenen Bretterbude ohne Türen.
Gerade als ich mit Zähneputzen durch bin und ans Eingemachte gehen will, kommt ein Mann herein. Ein Mann?Ja, denn auf Peacock Camping gibt es keine getrennten Waschhäuser, Klos oder Duschen. Nicht mal Lokuspapier...
Ok, das ist wirklich hochmodern, aber hätte der Typ sich nicht ein Hemd anziehen können? Warum halten alte Silberrücken nur so gerne ihren weiß behaarten Oberkörper in die Landschaft? Ist das irgend so ein Männerding?
Dankend verzichte ich auf den Feinwaschgang, gehe zurück zum Zelt und mache den Reißverschluss von innen zu. Während ich den Schlafsack in seinen Packsack stopfe und die Therm-a-Rest zusammenrolle, wird der Regen stärker. Jetzt sitze ich im besenreinen Zelt, neben mir die gepackte Ortlieb Tasche und den Tankrucksack und mag nicht rausgehen, um im strömenden Regen das Zelt abzubauen.
"Showtime, Babe", feuere ich mich selbst an und lege einen 1A Blitzstart hin. Ich ziehe die Motorradsachen an, setze den Helm auf und baue in Windeseile das nasse Zelt ab. Hoffentlich kann ich es heute abend im Trockenen aufbauen. Nach meiner Planung zelte ich dann schon am Ring of Kerry.
Zurück in der Mall öffnen gerade die Geschäfte rund um den SuperValu. Eine junge Frau in Bäckerkleidung, die auch bei diesem Wetter ein erstaunlich fröhliches Gesicht macht, öffnet ein kleines Café, das Bia Bia. Nachdem sie Tische und Stühle herausgestellt hat, geht sie hinter den Tresen und schaltet den großen Kaffeeautomaten ein.
Die Geschäftsleute, die eben ihre Läden geöffnet haben, stellen jetzt die Verkaufsständer heraus und unterhalten sich. Einige ältere Leute kommen herein, schütteln ihre Regenschirme aus, und setzen sich an die Tische vor dem Café.
Das Bia Bia ist der perfekte Platz an diesem regnerischen Morgen. Warm und trocken sitze ich bei Kaffee und Toast, während draußen der Regen die Scheiben herunterläuft.
Es macht Spaß, den Menschen zuzusehen, wie sie sich unterhalten, stumm die Zeitung lesen, oder zum Einkaufen in den SuperValu gehen. Durch das Café kann ich in die halboffene Backstube hineinsehen, wo die junge Bäckerin dabei ist, Scones zu backen.
Zwischendurch rufe ich Claudia an, damit sie etwas über das Bike Festival in Killarney herausfindet. Wie lange dauert es und ist ein Motorradcorso über den Ring of Kerry geplant?
Mein Reisetagebuch habe ich auf den aktuellen Stand gebracht. Ich spitze den Bleistift noch einmal an und packe meine Sachen zusammen. Nach meiner Landkarte ist Kenmare heute der letzte große Ort auf der Route und deshalb nutze ich die günstige Gelegenheit und kaufe gleich hier im SuperValu ein. Auch ohne Kühlung wird sich das Essen bis heute abend im Tankrucksack halten.
In der Fleischabteilung entdecke ich Irish Angus Rib Eye Steaks, 21 days matured, und außerdem ein äußerst attraktives Sirloin Steak. Nacheinander landen noch Garlic Potatoes, eine Dose Birnencider, Cadbury Flake, eine Flasche Wasser, Taschentücher und eine neue Haarbürste in meinem Korb.
An den Kassen ist so früh noch wenig los und ich kann meinen Einkauf ohne zu warten aufs Laufband legen. "How you doin'?" begrüßt mich die Kassiererin, die ein Schild mit dem Namen Jeannette auf ihrer roten SuperValu Bluse trägt. "Not too bad", antworte ich mit meinem neuen Standardsatz und sehe zu, wie Jeannette die Einkäufe über den Scanner zieht: Steaks - piep, Potatoes - piep, Flake - piep, Cider - pieeeeeeep! Sie zieht die Getränkedose erneut über den Scanner und wieder ertönt das abweisende Pieeeeeep!
Für einen Moment sind wir beide ratlos, bis sie auf ihre Armbanduhr sieht und erklärt: "Sorry, it isn't half past ten yet". Ich verstehe nur Railwaystation und sehe Jeannette ratlos an. An meinem perplexen Gesichtsausdruck erkennt sie, dass ich den Zusammenhang nicht verstehe und erläutert: "The register doesn't take any alcohol until before 10.30. That's a law in Ireland. You wannta wait? It's only 17 minutes."
"No, thank you. I don't need it that bad. Hands don't even tremble, yet." Sie lacht und die beiden Handwerker auch, die geduldig in der Schlange hinter mir warten und kein Zeichen von Ungeduld zeigen, während ich mir Irland erklären lasse. Ok, also kein Alkohol in Irland vor 10.30 Uhr. Das kann ich mir merken.
Es fällt ein ergiebiger Regen und auf den Straßen stehen Pfützen von lehmig gelbem Wasser. Hinter Kenmare biege ich schon auf den Ring of Kerry ein. Diese 180 km lange Panoramastraße über die Kerry Peninsula, wird immer wieder als absolutes Highlight jeder Motorradreise durch Irland genannt und ich bin schon neugierig und voller Erwartung.
Endlose Kilometer spule ich im Regen ab und die Kawasaki schnurrt zwischen 4000 und 6000 U/min vor sich hin. Der Verbrauch hat sich bei 3,2 l eingependelt. Ein toller Wert und damit relativiert sich auch der 7,7 l Tank der KLX, zumal ich den kleinen 1,5 l Reservekanister mithabe, den Claudia mir letztes Jahr für Schottland geschenkt hat.
Die neuen Heidenau K60 Reifen, die ich für die Tour aufgezogen habe, begeistern mich. Sie rollen so geschmeidig ab und sind auch bei Regen in den engen Kurven des Ring of Kerry eine Bank. Außerdem ist der Benzinverbrauch um 5-7% gesunken im Vergleich zu den Grobstollern, die ich sonst fahre.
In Glenbeigh fahre ich unter das schützende Dach einer Tankstelle und fülle für 110 km 3,5 l Superbenzin nach. Ich hätte noch längst nicht tanken müssen, aber ich möchte für eine Weile aus dem Regen heraus, er nervt. Im Shop der Tankstelle gibt es wieder eine sagenhaft gute heiße Theke und ich entdecke eine neue Leckerei für mich: Jambons. Ein Jambon ist eine hammerfettes, heißes Blätterteiggebäck, das mit gebratenen Zwiebeln, Schinkenwürfeln und etwas Frischkäse gefüllt ist. Es schmeckt absolut mega lecker.
Wie ein gerade aufgetauchtes Tiefseeungeheuer stehe ich tropfend mit nassen Haaren in meiner Regenkombi an der Kasse und bezahle den Jambon und einen großen Becher Kaffee. "How's the forecast for tomorrow?", möchte ich von der Frau an der Kasse wissen. "Wetter", gibt sie einsilbig zurück. Sie ist genauso mies gelaunt wie ich.
Mit dem heißen Kaffee und dem Jambon stelle ich mich nach draußen unter das Dach der Tankstelle und auch wenn es regnet, genieße ich doch jede Sekunde. Dieses Gefühl, ganz auf sich allein gestellt zu sein, weit weg von zuhause, Motorrad, Zelt, der Regen, Kaffee und Gebäck, unter dem Dach einer Tankstelle, während die Autos im Regen vorbeiziehen, das berührt mich tief und ist so besonders und ganz wunderbar.
Während ich an dem heißen Kaffee nippe, bekomme ich eine SMS von Claudia aus der Heimat. "Festival dauert 3 Tage. Ride Outs sind geplant."
Dennoch habe ich bisher nur wenige Biker auf dem Ring gesehen. Vier Harleyfahrer stehen in schwarzen Lederklamotten vor einem Tea Room und warten auf besseres Wetter. Regenkombis zu tragen verbietet sich für sie aus demselben Grund, weshalb Bruce Willis keine Pumps trägt: Passt einfach nicht zum Image.
Auch auf Dingle regnet es munter weiter und mein Bauchnabel meldet Wassereinbruch im Untergeschoss. Offenbar habe ich den Klett über dem Reißverschluss nicht ganz glatt gestrichen und jetzt ist Wasser hineingelaufen. Damit sollte die Membran in den Motorradsachen leicht fertig werden, aber meine Meinung über Membranklamotten wird bestätigt: Die ganze Idee taugt einfach nichts.
Aber heute will ich es mir beweisen, selbst wenn ich mühelos in eines der zahlreichen B&B gehen könnte, die auch nur 30 € kosten und dafür sogar ein Frühstück anbieten. Ja, schon, aber kann ich da vielleicht den Kocher auf den Teppich stellen und meine Rib Eyes braten, häh...?!
Ich fahre in den entlegensten Winkel der Dingle Peninsula auf einen Campingplatz mit dem geheimnisvollen Namen Gallarus Oratory. Der Platz ist wunderschön gelegen mit einem herrlichen Blick über die Bucht. Dem sonderbaren Namen werde ich später noch auf den Grund gehen, aber jetzt möchte ich so schnell wie möglich mein Zelt aufschlagen und raus aus den nassen Sachen.
Ich zahle 10 € und darf mir selbst eine Pitch aussuchen. Es stehen schon mehrere Zelte auf den unteren Wiesen mit einem schönen Ausblick auf die Bucht, aber das sind keine guten Plätze, denn wenn es so weiterregnet, wird es dort in wenigen Stunden ziemlich hässlich aussehen.
Eine Zeltwiese gibt es, dort steht noch niemand. Sie liegt ungefähr zwei Meter über den anderen frei im Wind und bietet ebenfalls einen schönen Blick. Bis hier das Wasser steht, sind die anderen längst im Boot unterwegs. Da werde ich mein Lager errichten.
Ich lasse die Regenkombi an und den Helm auf. Nur die Handschuhe ziehe ich aus, um besser greifen zu können. Ab jetzt muss jeder Handgriff sitzen. Jede Unsicherheit, jedes Herumstochern, zweimal nach demselben Gegenstand greifen, jede Verzögerung also, führt dazu, dass es länger in das ungeschützte Innenzelt hineinregnet, bevor endlich das schützende Außenzelt ein Dach bildet und alles dicht ist.
Ich schnalle den blauen Zeltsack vom Motorrad, werfe ihn ins Gras, öffne den Rollverschluss und schüttele den Inhalt heraus. Deutlich schneller noch als vor einer Woche habe ich das Außenzelt drauf und mein Lager ist regendicht. Jetzt habe ich Zeit.
Ich nehme den Tankrucksack und die Tasche vom Motorrad, werfe beide durch den Eingang ins Zelt hinein und pelle mich aus der Regenkombi. Zusammen mit dem Helm stecke ich sie unter die zweite Apsis und verschwinde im Zelt. Sekunden später sind alle Reißverschlüsse von innen fest zugezogen. Puh, geschafft. Ich bin total glücklich hier zu sein, 2.000 km von zuhause, und diese Herausforderung gemeistert zu haben.
Mein Tankrucksack macht mir heute wenig Freude. Auf die Regenhaube habe ich verzichtet, aber als ich die klitschnasse Pieps aus dem Tankrucksack ziehe und sie mich wütend anschaut, weiß ich, dass ich einen Fehler gemacht habe.
Alle meine Kassenzettel der ersten Tag sind so durchweicht, dass ich kaum einen davon für meinen Reisebericht werde verwenden können.
Und auch meine Landkarten sind ein nasses Paket. Hätte es mir zu denken geben sollen, dass im Outdoorladen ausgerechnet die Irlandkarte auf wasserfestem Papier gedruckt ist? Und das es in diesem Land nicht sehr viele Campingplätze, dafür aber eine endlose Anzahl von B&B gibt?
Ein Gutes hat der Regen: Die KLX ist wieder einmal das einzige Motorrad auf dem Platz und auch auf der Küstenstraße von Dingle sind keine Bikes unterwegs. Trotzdem ist es schade, dass zwei echte Highlights damit ins Wasser gefallen sind, der Ring of Kerry und die Küstenstraße von Dingle, von denen ich kaum etwas gesehen habe.
Ich denke, ich werde einfach solange hierbleiben, bis das Wetter besser wird. Mich erholen, einen Waschtag einlegen, lesen, schlafen und essen, denn schon in zwei Tagen soll es aufhören zu regnen. Ich muss nur morgen einmal nach Dingle fahren, um Fleisch und Schokoriegel zu besorgen. Aber nicht vor 10.30 Uhr, denn ich möchte auch ein Birnencider kaufen. Wie gut, dass die Geschäfte hier auch am Sonntag geöffnet haben.
Als mein Tagebuch wieder auf dem neuesten Stand ist, inzwischen auf Seite 50, lege ich mich ins Zelt und schlafe ein wenig. Es ist Abend als ich aufwache. Irgendwie ist außerhalb des Schlafsacks alles klamm und feucht. Sogar meine Haare sind noch ein wenig nass. Ich werde mich später im Waschhaus unter den Händetrockner hocken und ihn als Föhn benutzen. Jetzt regnet es schon 12 Stunden ohne eine einzige Pause. Meine Güte, haben die hier dicke Wolken in Irland.
Ich habe nicht einmal Lust, etwas zu braten und esse stattdessen ein Päckchen Kaminwurzen, die ich noch im Tankrucksack habe. Pieps muss die übersehen haben. Außerdem ist mein Buch, The Hunger Games, so mega spannend und fesselnd zu lesen, das ich keine Zeit hätte, jetzt die Küche anzuwerfen. Katniss' kleine Schwester ist total süß und es rührt mich zu Tränen, als Katniss für sie als Tribute einspringt. Welch ein tolles Buch. Ich schmiege mich tiefer in den Schlafsack und lese im Schein der Petzl Stirnlampe weiter, während es draußen in Strömen gießt.
Das Sirloin Steak ist klasse, aber die Rib Eyes vom Irish Angus Beef sind geradezu anbetungswürdig. Die Potatoes sind eine nette Beilage und passen gut dazu. Außerdem kann man mit ihnen das letzte bisschen Bratenfett aus der Pfanne aufsaugen.
Nach dem Essen krieche ich schnell zurück in den warmen Schlafsack. Abwaschen kann ich auch morgen.
Den Nachtisch nehme ich im Bett ein, Cadbury Flake und Birnencider. Jetzt will ich unbedingt The Hunger Games weiterlesen, das Buch hat mich voll in seinen Bann gezogen. Es ist doch unglaublich, wie dumm und naiv das Prep-Team von Katniss ist. Sehen die denn gar nicht, dass die Kinder um ihr Leben kämpfen müssen?
Ich glaube, nur Cinna hat Mitgefühl mit den Kindern, aber er darf es natürlich nicht zeigen, weil das Capitol ihn sonst fertig machen würden. Nach wenigen Augenblicken bin ich wieder so in die Geschichte vertieft, dass ich gar nicht merke, wie meine vergessene Cider allmählich ihre Kohlensäure aushaucht.
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