Ankunft in England
"How many Persons?", werde ich gefragt, als Pieps und ich im Bordrestaurant zum Frühstück erscheinen. "Just me and Pieps." Der Kellner blinzelt irritiert, bevor er uns mit stoischer Miene an einen Platz mit toller Aussicht auf die blaue See führt.
Ich habe diesmal das große Frühstücksbuffet mitgebucht und bin fest entschlossen, mich dermaßen
vollzustopfen, dass ich mich erst abends wieder ums Essen kümmern muss und nach der Ankunft in Harwich zügig nach Westen durchziehen kann.
Das Buffet ist gut, auch wenn es vielleicht kein Markerschütterer ist, wie auf unserer
Hurtigrutenreise, aber mit 14 € ist es nicht teuer und außerdem sehr reichhaltig. Besonders die dänische Leberpastete und die Blätterteigbrötchen haben es mir angetan.
Zurück in der Kabine erfahre ich im skyNEWS Morgenprogramm, dass Schweden den Grand Prix gewonnen hat und Engelbert Humperdinck für England Vorletzter geworden ist. Von Deutschland spricht kein Mensch. Vermutlich sind wir nur Zweite geworden.
Die Wettervorhersage verspricht für die Gegend um London bis 28° C und genau dort werde ich gleich entlangfahren. Ich will heute noch bis Adderbury kommen, das auf der halben Strecke nach Wales liegt.
Erst kurz vor der Ankunft in Harwich wird das Fahrzeugdeck geöffnet. Ich mache mich auf den Weg zu meinem Motorrad, schnalle den Tankrucksack fest und stelle die Uhr im Cockpit eine Stunde zurück. In England gilt Greenwich Zeit und es ist erst 12 Uhr.

Der Spanngurt, mit dem die KLX festgemacht ist, lässt sich einfach lösen. Ich ziehe die Sperre der Ratsche zurück und die Spannung im Gurt lässt nach. Die Biker neben mir, Jochen und Sabine, haben weniger Glück. Die Ratsche ist so vergammelt, dass ihre BMW sich partout nicht losmachen lässt. Vorne werden bereits die ersten Motoren gestartet. Ich ziehe mein Messer vom Gürtel und werfe den Beiden einen fragenden Blick zu. Jochen nickt und mit einem Schnitt der rasiermesserscharfen Klinge ist die BMW startbereit.

In einer langen Kolonne rollen wir Stop and Go zur Grenzkontrolle. Diesmal muss ich sogar meinen Helm abnehmen und der Beamte der Border Agency schaut einmal mehr zwischen Passbild und Gesicht hin und her, als ich angemessen finde, aber dann winkt er mich mit einem "Have a nice Trip" weiter.

Hupend und winkend verabschiede mich von den anderen Bikern und düse entschlossen nach England hinein. Einen ganzen Monat mit Zelt und Motorrad habe ich noch vor mir. So frei und wild und wunderbar. Es ist toll, noch
so jung und gesund zu sein, dass ich alles tun kann, wozu ich Lust habe. Ich bin total glücklich.

Noch in Harwich geht es durch die ersten Roundabouts, die Kreisel, die so typisch sind für den englischen Straßenverkehr, und nach wenigen Meilen ist mir das Linksfahren wieder ganz vertraut. Das dumpfe Gefühl, ein Geisterfahrer zu sein, das sich oft in Linkskurven einstellt, ist inzwischen auch verschwunden.
Auf der
A120 fahre ich bis Colchester, wo ich die Schnellstraße an der Ausfahrt 26 verlasse. Ich habe mir eine schöne Nebenstrecke herausgesucht, die mich auf kleinen Straßen nördlich an London vorbeiführt.
Viele enge Kurvenkombinationen durch eine hügelige Landschaft, schmale Straßen, wenig Verkehr. England ist wirklich ein tolles Land zum Motorradfahren.
Über eine rote Backsteinbrücke fahre ich nach Finchingfield hinein. Ich mag englische Villages mit ihren hübschen Häusern, den alten Brücken und dem gepflegten Dorfrasen, dem Village Green. Alles strahlt Tradition und Beständigkeit aus. Das
Red Lion Pub ist fast 600 Jahre alt. (Hansis Bierschwemme in Kiel war nicht mal 10 als Hansi sich totgesoffen hat.)

Um das Village Green herum gibt es eine Reihe von Pubs und Cafés, davor ein paar Dutzend Motorräder. Viele Biker liegen in der Sonne auf dem Rasen. Es ist Sonntag Nachmittag und sonnige 26° C. Ich stelle die Kawasaki zischen den anderen Maschinen ab, trinke einen Schluck Wasser und mache ein paar Fotos, bevor ich weiterfahre.

Es ist Sonntag, aber die Supermärkte sind trotzdem geöffnet. Ich stelle die KLX vor einem Costcutter ab und mache mich auf die Suche nach meinem Abendessen. Der Laden schließt bald und es gibt kein Frischfleisch mehr, aber ich erwische eine Packung tiefgefrorener Schafsfrikadellen, die auf dem Packungsfoto echt lecker aussehen. Bei der Wärme sollte das Hack aufgetaut sein, bis ich auf dem Campingplatz bin.

Wenige Meilen hinter Milton Keynes rolle ich über einen Feldweg zum Bo Peep Caravan Park und werde an der Rezeption freundlich begrüßt. Ich lege meine CCI-Campingkarte auf den Tresen, aber die will niemand sehen. Das Einzige, was man sehen will ist, wie ich eine 10 £ Note auf den Tisch lege und das Kennzeichen der Kawasaki in ein Buch schreibe. Damit bin ich eingecheckt und darf mir einen Platz auf 'The Orchard' aussuchen.

Bevor ich das Zelt aufbaue, versorge ich die Green Cow. Kette fetten, Ölstand checken und eine kurze Sichtkontrolle der Reifen. Das Kettenfett zieht besonders gut ein, solange die Kette von der Fahrt noch warm ist.
Als die Kawa versorgt ist, stelle ich in aller Ruhe das Lager auf. Ich präge mir alle Abläufe genau ein, denn falls es einmal regnet, soll es schnell gehen und jeder Handgriff muss sitzen.
Ich lege das Ground Sheet ins Gras, pinne es mit vier Zeltnägeln fest und lege das Innenzelt darauf. Setze dann die beiden Alustangen zusammen, klipse sie ans Innenzelt und spanne es auf. Jetzt die Firststange ins Außenzelt und das Dach aufsetzen. Bei Regen wäre das Zelt ab jetzt dicht. Ich sehe auf die Uhr: Neun Minuten. Vier wären ok, drei wären besser.

Als nächstes öffne ich das Ventil der Therm-a-Rest Matte, die sich von selbst entfaltet. Zwei, dreimal hineinpusten, Ventil zudrehen, fertig ist das superbequeme Bett. Den Schlafsack lege ich ins Gras zum Lüften und damit sich die Daunen schön aufpluschern können.
Als die Sonne schon tief steht, schraube ich den Kocher auf die Gaskartusche und werfe die Lammburger in die Pfanne. Zum Braten habe ich mir zuhause etwas Biskin in eine Laborflasche abgefüllt. Die Lammfrikadellen schmecken ganz prima, aber bei meinem Kohldampf bin ich ohnehin ziemlich kritiklos.

Als die Sonne verschwunden ist, wird es schnell kalt und ich verziehe mich ins Zelt in meinen Schlafsack, um noch ein paar Seiten zu lesen, aber daraus wird nichts, denn ich bin nach wenigen Minuten schon fest eingeschlafen.
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