Unterwegs in Wales
Über den Feldern liegt noch Frühnebel, als ich das Zelt öffne und die Nase hinausstrecke. Der Platz ist völlig verlassen, niemand ist zu sehen. Ich setze mich auf die Isomatte, ziehe meine Motorradstiefel an und starte voller Energie in den Tag.
Schon auf den ersten Kilometern fahre ich durch Dörfer, die sowas von disney aussehen, als seien sie extra für die Touristen hier aufgestellt worden, aber das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, denn woher sollen die vor 800 Jahren geahnt haben, dass Svenja 2012 hier Urlaub macht?Nach einer guten Stunde erreiche ich Lampeter, eine Kleinstadt mit 2.000 Einwohnern, die als kleinste Universitätsstadt Großbritanniens gilt, weil die University of Wales hier ihren Sitz hat.
Ich stelle Greeny in der High Street ab, weil ich ein paar Dinge besorgen will: Ein Buch, einen Notizblock und ein kleines Frühstück.
Den Block bekomme ich für 65 p bei Creative Cove. Das war einfach, immerhin parkt Greeny genau vor deren Schaufenster. Während ich mir von der Verkäuferin einen Tea Room empfehlen lasse, rasen auf der High Street die Kollegen mit Musik vorbei. Der Sound ist total ungewohnt, weil sie nicht unser Tatü-Tata fahren, sondern mit diesem durchdringenen UiUi, das man aus Kinofilmen kennt.
Ich gebe am Tresen meine Bestellung auf und suche mir einen Platz. Am Tisch neben mir sitzt ein Paar und schweigt sich mit so aggressiver Gleichgültigkeit an, wie sie nur eine lange, erfüllte Ehe hervorbringen kann. Stumm gratuliere ich mir zu meinem Leben als Single.
Das kleine Frühstück aus Toast, Butter und Kaffee kostet nur 1,95 £ und die großen Scheiben Weißbrot sind perfekt geröstet. Begeistert ertränke ich sie in kalter Butter, die auf dem heißen Toast schnell flüssig wird. Alles ist genau so, wie ich es mag.
Als ich an den Counter zum Bezahlen gehe, wird die 10 £ Note der Northern Bank auch hier wieder so misstrauisch beäugt, als hätte ich Monopoly Geld auf den Tresen gelegt. Diesmal möchte ich genauer wissen, weshalb diese Scheine so ungern angenommen werden.
Das Diner Girl erklärt mir, dass sie diese Banknoten nur selten zu sehen bekäme und die Farben und Motive so fremd seien, dass sie immer erst genau hinsehen müsse. Ich bedanke mich für die Auskunft und das gute Frühstück, nehme mein Wechselgeld und gehe.
Als ich an einer Filiale der Barclay's Bank vorbeikomme, habe ich den erlösenden Einfall: Ich tausche die 80 £ Sterling, die noch übrig sind, gegen 80 £ Sterling von hier. Dieselbe Währung, nur andere Scheine und Farben. Der Umtausch kostet nichts und erspart mir eine Menge Ärger.
Jetzt fehlt nur noch ein Buch, aber in der Tür des Book Shops hängt das Schild 'closed'. Ich breche auf. Sicher finde ich später noch einen Buchladen.
Auf einer tollen Kurvenstrecke geht es über Tregaron nach Aberystwyth. Es ist zwar erst früher Nachmittag, aber trotzdem würde ich hier gerne meinen Einkauf erledigen, denn Wales ist dünn besiedelt und ich weiß nicht, ob ich später noch die Gelegenheit dazu bekomme.
"There's a Liddel just down the road"
"No, thanks, but we have that in Germany. I'm looking for a real supermarket with fresh food."
Ich sage zwar Food, aber natürlich meine ich Entrecote. Lidl findet man in Großbritannien erstaunlich oft, aber ich kaufe nicht beim Discounter, außer wenn es für einen guten Zweck ist.
Ich mache mich selbst auf die Suche nach einer Fleischabteilung. Zuerst lande ich bei Iceland, einem Supermarkt, wo es fast nur gefrorenes Zeug gibt, darunter sehr viel Halal und alles unangenehm billig. Ich bin fast die Einzige ohne Kopftuch und gehe wieder, ohne etwas zu kaufen, obwohl die tiefgefrorenen Lammfrikadellen gar nicht schlecht aussehen.
Vor dem Laden frage ich eine reizende, ältere Dame nach einem anderen Geschäft. Sie weiß sofort, was ich meine und liefert mir eine perfekte Wegbeschreibung zum nächsten CoOp. Danke, liebe Omi, das war ein guter Tipp.
Bei CoOp ergattere ich zwei dicke Koteletts mit einem Mörder Fettrand. Dazu kaufe ich eine essbare Pflanze, deren Namen ich nie zuvor gehört habe, Cauliflower. Das Gewächs schwimmt in Käsesauce und ähnelt ein wenig unserem Blumenkohl.
Höchst zufrieden verlasse ich Aberystwyth und fahre auf der A44 in die Berge hinein. Ein Buch habe ich allerdings immer noch nicht. Mist, das habe ich vergessen.
Wales ist ein Paradies für Motorradfahrer. Schnelle und langsame Kurvenstrecken wechseln sich ab und auf perfektem Asphalt geht es durch die Einsamkeit der Walisischen Berge. Welch eine tolle Strecke. Wales hält, was die Schwarzwaldhochstraße verspricht.
Der nächst Ort heißt Rhayader und dürfte für heute die letzte Gelegenheit sein, um noch ein Buch zu kaufen. Mein Campingplatz liegt nur noch wenige Meilen entfernt irgendwo in der Pampa. Ich stelle Greeny in Rhabarber ab und mache mich auf die Suche nach einem Buch.
Die ältere Dame im Andenkenladen hingegen weiß sofort, wovon ich spreche. "I'm sorry we don't have a book shop here but there's a charity shop just around the corner and they have paperbacks", erfahre ich.
Charity Shops sind im Königreich sehr verbreitet. In den Läden werden gespendete Sachen verkauft, deren Erlös wohltätigen Zwecken zugute kommt. Sie werden vom British Red Cross unterhalten und haben das Recht, leerstehende Läden mietfrei nutzen zu dürfen. Deshalb findet man sie sogar in den guten Lagen der High Street.
Eine tolle Einrichtung, wie ich finde, aber Hauptsache, sie haben etwas zu lesen für mich. Von Büchern bin ich auf meinen Reisen fast genauso abhängig, wie von Benzin und Entrecote.
Der kleine Shop des British Red Cross hat tatsächlich auch ein Regal mit 2nd Hand Books. Ich nehme einen Roman in die Hand und beginne zu blättern Er spielt im Mittelalter und handelt von normannischen Rittern, die sich als Söldner nach Italien verdingen.
Schon beim erste Durchblättern weiß ich, dass dieses Werk allen Ansprüchen an gute Literatur gerecht wird: Bereits auf Seite 3 werden ein paar Unschuldige von den Normannen brutal zerhackt. Für 99 p erstehe ich Mercenaries von Jack Ludlow.
Um ein Haar hätte ich noch ein entzückendes, grünes Cocktailkleid mitgenommen, aber ich habe keine passenden Schuhe dazu und außerdem riecht es nach Mottenkugeln.
Ich drehe mich um, schlendere über den Campingplatz und mache mich auf die Suche nach intelligentem Leben. Ich will schon aufgeben, als sich die Tür eines der grünen Mobile Homes öffnet, eine Frau herausschaut und mir erklärt, dass der Baumchirurg der Besitzer des Platzes ist und ich bei ihm einchecken muss.
Eine Minute später stehe ich erneut neben der Leiter und rufe ein deutliches "Hello!" hinauf. Ich vergewissere mich, dass der Typ keine Kopfhörer trägt und vielleicht Musik hört, aber das tut er nicht. Ok, Baby, du hattest deine Chance. Jetzt wird die Mama dich gleich von deiner Leiter schütteln. Im selben Moment dreht er sich halb zu mir herum und seufzt, so als sei es der größte Angang der Welt, einen Gast einzuchecken und steigt zu mir herunter. Mit meiner Methode wäre er allerdings schneller unten gewesen.
"One night?"
"Aye. Just me, small tent and a motorbike", gebe ich ebenso knurrig zurück.
Wir gehen in sein Büro, wo er Greenys Kennzeichen und meinen Namen in ein Buch schreibt und mir 8 £ berechnet. Dabei vermeidet er jedes überflüssige Wort. Meine Güte, ich hoffe nur, dass es hier nicht noch mehr solche unfreundlichen Typen gibt, sonst kriege ich schon am ersten Abend Streit, wenn ich ins Pub gehe.
Am späten Nachmittag kommt die Sonne heraus und es verspricht ein wunderschöner Abend zu werden. Ich zerre die Isomatte und den Schlafsack aus dem Zelt und lege mich zum Lesen in die Sonne. Die Normannen in Mercenaries sind nicht zimperlich. Bei denen kann man sich keine Frechheiten erlauben, wie auch der Wirt einer Schänke feststellen muss, der die Ritter nicht so behandelt, wie sie sich das wünschen. Die hätten den Typen einfach von der Leiter geschüttelt. Ich bin viel zu nett.
Heute mache ich mir einen Sport daraus, das Abendessen solange wie möglich hinauszuzögern und schaffe es sogar, meinen persönlichen Rekord im Durchhalten zu brechen: Erst neun Minuten nach dem ersten Gedanken ans Abendessen werfe ich den Kocher an und bin für einen Moment ganz hingerissen von meiner eigenen Willensstärke.
Das war ein richtig toller Tag. Ich bin ein paar Stunden Motorrad gefahren, habe in einem Tea Room gefrühstückt, bei CoOp fette Beute gemacht und den Nachmittag vorm Zelt in der Sonne verbracht. Als Höhepunkt des Tages das perfekte Dinner und zum Abschluss eine Dose Birnencider.
Jetzt liege ich in meinem warmen Schlafsack und lese in dem Buch, wie die zwölf normannischen Ritter, alle Söhne Tancred de Hautevilles, mit ihren Schwertern eine Spur der Verwüstung durch Italien fräsen.
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