Ring of Beara
Empört rüttelt der kleine Metallbecher an seinem Karabinerhaken. Er hängt seitlich am Gepäck und scheppert bei jedem Schlagloch vernehmlich gegen das Metall. Der Asphalt ist wirklich mies, obwohl die N71 eine National Road ist.
Ich betrachte die eintönige Landschaft und empfinde bis jetzt wenig Begeisterung. Hoffentlich ändert sich das noch, sonst überlege ich schon, die restlichen Wochen lieber in England und Wales zu verbringen. Aber zuerst werde ich abwarten, wie es an der Küste ist. Dort soll Irland am schönsten sein.Am frühen Vormittag erreiche ich Bantry, eine kleine Stadt am Meer mit einem hübschen Blick über die Bantry Bay. Auf dem Wolfe Tone Square ist Farmers Market und das ganze Dorf ist auf den Beinen.
"No, thank you. I just wanted a cup o' coffee", entschuldige ich mich bei den Ladies, während ich bereits weitergehe. "Have a nice day", rufen sie mir leicht angesäuert nach und ich habe den Eindruck, dass ihr Konzept nicht aufgeht, denn außer den Damen der Women's Society ist der Kirchgarten so gut wie leer.
Ich schlendere zurück auf den Markt, wo es so viele interessante Dinge zu sehen gibt. Neben Kleinvieh und Geflügel wird auch Farmzubehör angeboten, Wellington Boots, Sättel, Zaumzeug, Stricke, Hufeisen und allerlei gebrauchtes Werkzeug.
Eine Frau bietet ihre selbstgewebten Stoffe an. Eine rotgelbe Decke in Erdfarben hat es mir angetan, aber ich bremse mich, denn die Gepäckrolle ist schon voll genug.
"You sell coffee?", frage ich mit einem Blick auf den Wasserkessel hinter ihr.
"Yes. Whatcha want. Instant or ground?"
"Instant will do. Thank you."
Wir trinken gemeinsam Kaffee, essen Kekse und unterhalten uns. Inzwischen sind zwei weitere Frauen dazugekommen und setzen sich mit ihrem Kaffee zu uns. "This lady is from Germany", werde ich vorgestellt. "She's travelling on a motorbike."
Schließlich verabschiede ich mich und bummele zurück zu meinem Motorrad.
Direkt davor hat sich ein junges Mädchen mit ihrer Gitarre aufgebaut und singt Folk Songs. Sie ist mit soviel Hingabe bei der Musik, dass ich stehenbleibe und fasziniert zuhöre.
Zu den letzten Takten von California Dreaming werfe ich einen Euro in ihren Gitarrenkasten und mache mich startklar.
Von Bantry fahre ich auf der N71 über Glengarriff weiter in Richtung Kenmare. Welch ein wunderbarer Tag: Ich fahre mit dem Motorrad durch Irland, die Sonne scheint und ich habe noch drei Wochen Urlaub vor mir.
In Kenmare will ich tanken und ein Abendessen kaufen, bevor ich auf die Beara Peninsula fahre, wo mich der Ring of Beara erwartet. Nach allem, was ich gelesen habe, soll diese Panoramastraße dem bekannteren Ring of Kerry mindestens ebenbürtig sein.
Während ich Salate sonst keines Blickes würdige, entdecke ich hier etwas Leckeres: Es gibt zwei Sorten frisches Kartoffelpürree und auch Garlic Potatoes, gekochte Kartoffeln in Knoblauchöl. Mit einem Plastiklöffel fülle ich vier Kartoffeln in eine Klarsichtbox. Muss ich das jetzt wiegen? Ich bin ratlos, bis ich entdecke, dass die Salate pro Box abgerechnet werden, egal was und wieviel man hineinstopft. Wie praktisch, denke ich und quetsche eine weitere Kartoffel hinein. Das wird sicher ein tolles Abendessen.
Während ich den Einkauf im Tankrucksack verstaue, kommt der Wagenschieber mit einer endlosen Schlange ineinander geschobener Einkaufswagen vorbei.
"Excuse me, please. Is there a filling station?", frage ich ihn nach einer Tankstelle.
"You know where the guarda station is? It's just on the other side of the road."
Pass mal auf, du Eierfeile, denke ich. Wenn ich wüsste wo die Polizei ist, dann müsste ich ja nicht nach der Tankstelle fragen, denn wie ich höre, soll die genau gegenüber sein. Ich bedanke mich freundlich und mache mich selbst auf die Suche. So groß ist der Ort ja nicht.
Letztlich bin ich selbst der Eimer, denn auf dem Hinweg bin ich bereits an der ESSO-Station vorbeigefahren und hatte es nur vergessen. Stupid little Me!
Nachdem ich das Motorrad betankt habe, fahre ich über die Brücke aus Kenmare hinaus und biege in den Ring of Beara ein.
Die Panoramastraße verläuft an der Küste der Beara Peninsula entlang und bildet mit der Strecke über den Healy Pass quer durch die Berge sogar eine Acht.
Die ersten Kilometer führen durch einen geheimnisvollen Wald, der wie verwunschen aussieht.
Bald komme ich an Peacock Camping vorbei, wo ich heute übernachten werde, aber zuerst möchte ich den Ring of Beara fahren und heize achtlos an Peacock vorbei.
Auf der R571 fahre ich bis Castletownbere. Die schmale Küstenstraße ist kaum breit genug für zwei Autos.
Der Hafen hat ein fast mediterranes Flair. Es ist sehr warm und Palmen stehen am Ufer. Irland ist zwar kein warmes Land, aber durch den Golfstrom eben auch kein kaltes. Und Palmen sind nicht auf Hitze angewiesen, sondern auf die Abwesenheit von Kälte und Frost.
Auf der Passhöhe gibt es einen kleinen Souvenirshop und daneben eine Jesusstatue aus schneeweißem Marmor. Irland ist tief katholisch und solche Heiligenbilder begegnen mir an den ungewöhnlichsten Stellen. Drei Hondas mit englischen Kennzeichen stehen davor, während die Fahrer Pause machen und die Aussicht genießen.
Ich halte an und stelle mich dazu. Einer der drei, ein wild aussehender Typ mit Stirnband, erspart mir den Selbstauslöser und macht ein paar Fotos von mir. Er möchte wissen, ob ich auch unterwegs sei nach Kilarney zu dem großen Bike Festival. Über das Bank Holiday Weekend findet dort Irlands größtes Motorradtreffen statt. 7.000 Biker und mehrere Rockbands haben sich angekündigt.
Kilarney ist das Tor zum Ring of Kerry und vermutlich werden die Biker eine gemeinsame Ausfahrt über den Ring machen. Motorradfahrer neigen leider dazu, riesige Horden zu bilden und gemeinsam auszuschwärmen. Wie Heuschrecken kommen sie über Zeltplätze, Straßen, Tankstellen und Tea Rooms. Ich werde meine Planung ändern müssen.
Die Zeltwiese ist wie ein edler Garten gestaltet. Das Motorrad muss außerhalb abgestellt werden und darf nicht mit auf die Wiese. Ich hasse das nicht nur wegen der beiden fehlenden Schminkspiegel, sondern schon deshalb, weil Zelt und Motorrad für mich zusammengehören wie Minirock und Party.
Dafür habe ich den kompletten Campingplatz wieder einmal für mich allein. Nur ein Dauercamper sitzt in seinem Trailerhome, fährt aber, als es Abend wird, wieder weg.
Die Facilities auf Peacock sind wirklich extremely basic. Drei grobe Holzverschläge beherbergen die Keramik. Es fehlt nur noch das Herzchen in der Tür. Ein Waschbecken gibt es nicht und viel schlimmer: Kein Papier.
Ich mache mich auf den Weg zur Rezeption, um nach den Papieren zu fragen. Oh no, was sehe ich, als ich um die Ecke biege und auf das Restaurant zugehe? Die Chefin sitzt in gemütlicher Runde bei Kaffee und Kuchen im Garten.
In meinem Girly Outfit schwebe ich durch die Gartenpforte und acht Köpfe drehen sich zu mir und sehen mich erwartungsvoll an. Mein Anliegen erscheint mir plötzlich etwas delikat. Was sage ich bloß?
"I'm awating a fax from Bowelstown and the fax has run out of paper?" Nein, das geht nicht. Vielleicht wissen die gar nicht, wo Bowelstown liegt. Ich muss noch subtiler vorgehen. Also winke ich das orange Shirt zu mir heran und murmele dabei etwas wie: "Peacock, we have a problem".
Nein, erfahre ich. Toilettenpapier gebe es auf Peacock Camping grundsätzlich nicht. Das würde ständig geklaut und im Übrigen brächten alle Campinggäste ihr eigenes Klopapier mit. Aha, denke ich. Aus demselben Grund gibt es im Waschhaus keine Seife, keine Papierhandtücher und keinen Händetrockner. Ich bin echt sauer und lasse es mir auch anmerken.
Das Camping steckt hier wirklich noch in den Kinderschuhen. Ich nehme mir fest vor, irgendwas zu klauen, oder kaputt zu machen, bevor ich morgen fahre, um ein wenig ausgleichende Gerechtigkeit herzustellen.
Das Abendessen ist es, das mich für alles entschädigt. Bei schönstem Wetter lege ich die Isomatte nach draußen ins Gras, sitze in der Sonne und brate Steaks und Kartoffeln.
Meine Güte, habe ich einen Kohldampf. Kein Wunder, die letzte Mahlzeit ist auch schon 24 Stunden her. Zuletzt habe ich gestern abend in Skibbereen gegessen.
Zum Nachtisch trinke ich Birnencider und teile mir mit Pieps den Cadbury Flake, bevor wir das Geschirr abwaschen gehen.
Gerade als ich zu der spannenden Stelle komme, an der Katniss das Spiel auf Leben und Tod erklärt, merke ich, wie ich mich vor Müdigkeit kaum noch halten kann. Und kurz darauf...
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