Auf den Spuren von Agatha Raisin
Ich kann nicht aus den Cotswolds berichten, ohne zuvor von Agatha zu erzählen. Sie war es nämlich, die meine Neugier auf diese Gegend geweckt hat.
Mit 50 erfüllte Agatha sich ihren Kindheitstraum. Sie verkaufte ihre erfolgreiche Londoner PR-Agentur, setzte sich zur Ruhe und zog nach Carsely, wo sie ein wunderschönes Cottage aus gelbem Cotswold Stone erwarb.
Das englische Landleben hat seine Besonderheiten und Neuankömmlingen, zumal wenn sie aus der Großstadt kommen, wird es nicht leicht gemacht, aber Agatha gab sich von Anfang an große Mühe, 'to fit in'. Als der jährliche Backwettbewerb anstand, war sie fest entschlossen, mit einem Sieg die Herzen der Dorfbewohner im Sturm zu erobern.
Wer Agatha ein wenig besser kennt, weiß natürlich, dass sie noch niemals selbst ein Essen zubereitet, geschweige denn einen Kuchen gebacken hatte. Kurzerhand kaufte sie eine Quiche in Londons feinstem Delikatessenladen und gewann den Backwettbewerb mit Bravour. Dumm nur, dass der Preisrichter kurz nach dem Verzehr von Agathas Kuchen auf äußerst qualvolle Weise verstarb.
So lernte ich Agatha kennen. Meine Liebe zu englischen Kriminalromanen hatte mir The Quiche of Death von M.C. Beaton in die Hände gespielt, den ersten Roman aus der Angela Raisin Serie. Carsely sucht man auf der Landkarte vergebens, aber die liebevolle Beschreibung der Cotswolds und seiner skurrilen Bewohner hat mich neugierig gemacht auf diese Gegend in den englischen Midlands, die auch als Herz Englands bezeichnet wird.
The Cotswolds in the Midlands are surely one of the few man-made beauties in the world: quaint villages of golden stone houses, pretty gardens, winding green lanes and ancient churches. Agatha had been taken to the Cotswolds as a child for one brief magical holiday. Her parents had hated it, but to Agatha the Cotswolds represented everything she wanted in life: beauty, tranquillity and security.
Quelle: Beaton, M.C. ‘Agatha and the Quiche of Death’ 2002, S.1
Der Reiseführer beschreibt Bourton-on-the-Water als Venedig der Cotswolds. Der River Windrush, der kaum einen Fuß tief ist, fließt quer durch den Ort und wird von mehreren flachen Brücken malerisch überspannt. Trauerweiden überragen das Wasser, in dem aufgeregt die Enten schnattern. Sie warten ebenfalls auf die Reisebusse.
Bourton-on-the-Water is certainly one of the prettiest villages in the Cotswolds, with a glassy stream running through the centre under stone bridges. The trouble is that it is a famous beauty spot and always full of tourists.
Quelle: Beaton, M.C. ‘Agatha and the Quiche of Death’ 2002, S.67
Dieser Ort wird seit tausenden Jahren von Menschen bewohnt und die meisten Häuser sind über 400 Jahre alt, aber inzwischen ist alles so sehr auf Tourismus ausgerichtet, dass der Eindruck eines Museumsdorfes entsteht, weil der gewöhnliche Alltag fehlt. Dagegen hat mir Chipping Norton besser gefallen, weil es so lebendig ist.
"Fine, thanks", antworte ich und bestelle den üblichen Kaffee mit Toast. Ich setze mich draußen an einen Tisch in der Sonne und warte auf mein Frühstück.
Nach wenigen Minuten bringt der Wirt meinen Teller und ich frage ihn nach den Fußballergebnissen von gestern abend. Er hat keine Ahnung und legt mir stattdessen die druckfrische SUN hin.
Ich lese, dass England die Ukraine 1:0 geschlagen hat. Zufrieden mit dem Ergebnis beiße ich in den knusprigen Toast und spüle den Bissen mit heißem Kaffee runter.
Auf Seite 3 der SUN erfahre ich, dass sich Jonny Depp und Vanessa Paradis getrennt haben. Dabei habe ich die beiden immer für ihre beständige Partnerschaft im untreuen Showbusiness bewundert, aber die Liebe ist wohl bei allen Menschen nur ein Vertrag auf Zeit.
Am Boden meines Kaffees verabschiede ich mich und schlendere die High Street entlang. Die ersten Geschäfte stellen jetzt die Ständer mit den Ansichtskarten heraus. In einem Tabakwarenladen entdecke ich ein kleines Schmuckkästchen, das ich als Andenken für Claudia kaufe. Es ist aus gelbem Cotswoldstein und in Metall eingefasst. Zufrieden verlasse ich den Laden und verstaue das Geschenk im Tankrucksack der Kawasaki.
Inzwischen sind die ersten Reisebusse eingetroffen und die Straßen füllen sich mit fröhlichen Asiaten, die aufgeregt schnatternd und unablässig grinsend ihre Kameras und Smartphones in die Landschaft halten. Wie gut, dass ich meine Fotos schon im Kasten habe, sonst bräuchte ich das Remove Asian People Plugin für Photoshop.
Mit gemischten Gefühlen setze ich mich auf mein Motorrad und fahre weiter. Gemischte Gefühle, weil die Cotswolds mich zwar begeistern, ich aber auch keinem Fake aufsitzen will. Denn auch wenn Bourton-on-the-Water das schönste Dorf ist, das ich je gesehen habe, bin ich mir noch nicht sicher, ob alles echt ist.
Es sind nur vier Meilen bis nach Stow-on-the-Wold, ein weiterer typischer Name dieser Gegend, und auch dieser Ort ist fast zu schön um real zu sein, aber hier findet auch gewöhnlicher Alltag statt: Menschen an der Bushaltestelle, Mütter mit Kinderwagen, Handwerker, die Werkzeug aus ihrem Van laden.
Das Motorrad stelle ich vor Huffkins Bakery and Tea Rooms neben einer blauen Harley Davidson ab. Es ist ein wunderschöner, sonniger Tag, der letzte im Frühling. Ein wunderbarer Tag, um am Leben zu sein.
Mit der Gelassenheit eines Menschen, der sich um nichts zu kümmern braucht, als um sein eigenes Wohlergehen, schlendere ich durch die Gassen und betrachte die alten Häuser.
Mit dem Bau der Kirche wurde vor 1000 Jahren begonnen und auch die Häuser sind hunderte von Jahren alt. Auf dem Marktplatz bewundere ich die Jugendherberge, die in einem Town House aus dem 17. Jahrhundert untergebracht ist. Schon ab 13 £ pro Nacht findet man hier ein Bett.
In der Church Street bestelle ich in The Coffee House eine Tasse Kaffee und setze mich nach draußen in die Sonne. In diesem Moment wäre ich nirgends lieber als hier und jetzt.
Die Fleischabteilung ist wieder erstklassig und nach kurzer Bedenkzeit entscheide ich mich für zwei dicke Scheiben Entrecote, die mich mit großen, gelben Fettaugen verführerisch anschauen. Dazu kaufe ich eine Schale geschmorter Champignons in Garlic Sauce.
Doch wer könnte es ihnen verdenken? Das Angebot billiger Dickmacher aus Süßwaren, Kuchen und Knabbersnacks hat amerikanische Ausmaße und die Preise sind lächerlich gering. Außerdem gibt es haufenweise '3for2' Angebote, wo es die dritte Portion Hüftgold umsonst dazu gibt.
Ich bin mir sicher, in England würde Svenja schnell aus dem Leim gehen, wenn sie sich nicht auf das Wichtigste konzentriert: auf Entrecotes, Bier und Schokoriegel. Ein 30 g Flake pro Tag, ein Bier, dafür aber soviel Fleisch wie man essen kann und dabei wird niemals auf den Preis geguckt. Zuhause lasse ich Bier und Schoko weg. Vielleicht bin ich deshalb so gerne auf Reisen. Jedenfalls bin ich gespannt, was die Waage am Ende der Reise sagt.
Auf dem Weg zur Kasse lege ich eine frisch frittierte Hähnchenbrust in Knoblauchkruste in meinen Korb. Stoff für das erste Parkplatzfrühstück des Tages. Das Hähnchen ist heiß, knusprig und schmeckt geradezu anbetungswürdig lecker.
Mein nächster Halt ist Moreton-in-Marsh, wo Agatha in ihren Romanen gerne auf einen Drink im Royal White Hart einkehrt. Der Ort leidet allerdings darunter, dass er von der A148 zerteilt wird, auf der an diesem Vormittag bereits mörderischer Verkehr herrscht. Ich kriege kein Foto hin, auf dem nicht mindestens ein Reisebus oder Lastwagen im Motiv herumsteht. Nein, hier gefällt es mir weniger gut und ich fahre schon nach wenigen Minuten weiter.
Dinner that evening was at a new restaurant in Chipping Campden. It turned out to be one of those restaurants where all energy and effort had gone into the writing of the menu and little into the cooking, for the food was unsubstantial und tasteless. Agatha had ordered 'Crispy duck with a brandy-and-orange sauce nestling on a bed of warm rocket salat and garnished with sizzling sauté potatoes, succulent garden peas and crispy new carrots.'
James had a 'Prime Angus sirloin from cattle grazed on the lush green hillsides of Scotland, served with pommes duchesse and organic vegetables culled from our own kitchen garden.'
[...]
James said sourly that it was amazing that the restaurant's kitchen garden had managed to produce such bright-green frozen peas.
Quelle: Beaton, M.C. ‘Agatha and the Murderous Marriage’ 2006, S.19
Ich bin zufrieden, denn auch wenn Agatha nur eine Romanfigur ist, war sie es, die mein Interesse für die Cotswolds geweckt hat. Zuvor hatte ich nie von dieser Gegend gehört und jetzt habe ich solch ein Juwel entdeckt.
Zufrieden mit meinem Ausflug fahre ich zurück zum Campingplatz. Mehr als einmal muss ich auf der einsamen Strecke durch Wiesen und Felder auf meinen Kompass sehen, bis in der Ferne endlich die Farm auftaucht. Die skurrilen Wegweiser mit schrägen Angaben wie 'Bourton 2 ¾ mls' finde ich immer wieder sehenswert.
Nachdem ich Greeny am Zelt abgestellt habe, mache ich mich mit Pieps auf in Jack's Kitchen. Es ist Zeit für unseren Lemon Cake.
Wir sitzen unter dem Dach der Scheune bei Kaffee und Kuchen und genießen den schönen Tag.
Den Nachmittag verbringen wir auf der Farm. Pieps interessiert sich für alles und jedes, aber ganz besonders für das Bottle Feeding. Erst als sie mitbekommt, dass die Flaschen nur für Lämmer sind und nicht für gierige kleine Mäuse, erlischt ihr Interesse so schnell wie es gekommen ist.
Es ist erstaunlich, wie geschickt Adam Henson aus seiner Farm einen Vergnügungspark für die ganze Familie gemacht hat. Der Kommerz, der einem auf Schritt und Tritt begegnet, wird dabei mit so viel Charme dargeboten, dass mir das Unternehmen durch und durch sympathisch bleibt.
An den Wänden der Scheune hängen Tafeln, auf denen die aktuellen Highlights des Tages angekündigt werden. Die liebevollen Zeichnungen erinnern mich an Claudias Arbeiten für meine Reiseberichte.
Ich erfahre, dass der Stein, aus dem fast alle Häuser und Dry Stone Walls sind, Cotswold Stone genannt wird und aus vier großen Steinbrüchen in der Umgebung stammt. In den vergangenen Jahren ist der Preis dafür stetig gestiegen und wird inzwischen mit 100 £ pro Tonne gehandelt. Ich habe keine Ahnung, ob das viel oder wenig ist, weil ich nur Legosteine für Pieps kaufe, aber es klingt teuer, denn 1000 Kilo Steine dürften kaum mehr als eine Badewanne voll sein.
Ein Farmer benötigt Unmengen davon für die Dry Stone Walls, die Trockensteinmauern, die kilometerweit Straßen und Felder umsäumen, aber trotzdem würde kein Farmer, der etwas auf sich hält, etwas anderes verwenden. Er wäre bei seinen Kumpels unten durch solange diese Mauer steht. Und die stehen ewig.
"It's a tradition," klärt Terry mich auf und macht ein ernstes Gesicht dabei.
"You wanna see a quarry?"
"Course", gebe ich zurück und bin sogleich Feuer und Flamme. "Where is it?"
"Ja hear that noise down there? Just follow it", erwidert der Greenkeeper und deutet vage in Richtung der Felder.
Tatsächlich hört man aus der Ferne Geräusche. Ein Brummen wie von schweren Maschinen und immer wieder ein Krachen und Rumpeln.
Nach wenigen hundert Metern öffnet sich ein weites Feld aus gelbem Stein und auch ohne den Hinweis Ground Quarry merke ich, dass ich an einer der wenigen Gruben stehe, in denen Cotswold Stone abgebaut wird.
Deshalb ist er vermutlich auch so teuer, denn auch wenn er nicht schwer abzubauen ist, gibt es nur wenige Stellen, an denen er vorkommt.
Gerne würde ich mit den Jungs in der Grube reden, aber ich komme nicht dicht genug heran, Zutritt verboten. Doch auch so bin ich mit dem Ergebnis meines kleinen Ausflugs zufrieden und mache mich auf den Rückweg ins Camp.
Pieps und ich legen uns vorm Zelt in die Sonne, schreiben, lesen und faulenzen. Ich bekomme langsam Appetit und kann bald an nichts anderes mehr denken, als an die Entrecotes in der weißen Tüte vom Family Butcher bei TESCO.
Das Biest ist so groß, dass es gerade in die Pfanne passt und ich brate es von beiden Seiten knusprig braun, bis nur die beiden Fettaugen noch etwas hell sind. Ich liebe euch, Jungs!
Die geschmorten Champignons in Knoblauchsauce sind ein perfekter Passer zu dem Steak. Welch ein tolles Essen aus der Zeltküche das ist.
Mit dem letzten Bissen öffnet die Bikerbar auf dem Tankrucksack und ich gönne mir eine Flasche Cotswold Way.
Wer seinen Asterix gelesen hat der weiß, dass Bier in England auch lauwarm getrunken wird und so trinke ich stilecht lauwarmes Bier aus dem Metallbecher wie Asterix bei den Briten in der Taverne zum lachenden Wildschwein.
Die Cotswolds, das Herz Englands. Jetzt verstehe ich, weshalb nicht nur Agatha von einem Cottage in den Cotswolds träumt. Morgen verlasse ich diese schöne Gegend, aber ich bin mir sicher, dass ich nicht zum letzten Mal in Bourton-on-the-Water war, in Chipping Norton und in Moreton-in-Marsh, in Lower Slaugther und in Chipping Campden.
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Das war ein 'großer' Tag, an dem es viel zu berichten gab. Die Agatha Raisin Krimis kann ich euch nur ans Herz legen, obwohl sie eher Frauenbücher sind, denn es geht darin häufig um Agathas Befindlichkeit, ihre Figurprobleme und um die Liebe.