Toast in Llandrindod Wells
Bei strahlendem Sonnenschein baue ich das Zelt ab und belade Greeny. Heute geht es in den Snowdonia National Park. Schon nach wenigen Meilen erreiche ich Llandrindod Wells und tanke zur Sicherheit noch einmal voll, denn jetzt kommt eine Weile nichts mehr, jedenfalls kein größerer Ort und keine Tankstelle.
Eine Weile kreise ich auf der Kawa durch Llandrindod Wells auf der Suche nach einem Tea Room. Bei dem schönen Wetter würde ich am liebsten draußen sitzen und frühstücken.In der Straße zum Bahnhof entdecke ich das Fresh Fills, ein großes Diner, das ziemlich gut besucht ist. Ich stelle Greeny auf dem Gehsteig gegenüber ab und schlendere in den Laden. Es ist ein großer Raum mit vielen Tischen und einem langen Tresen. Fast alle Plätze sind belegt, aber ich will ja sowieso draußen sitzen.
"What can I bring you, Dear?", fragt die Bedienung und sieht mich freundlich an.
"A mug of coffee, toast and butter, please."
Den Text könnte ich mir inzwischen auf die Jacke sticken lassen, denn ich bestelle eigentlich nie was anderes, nur dass ich heute hinzufüge: "Three slices, please." Sonst gibt es nämlich nur zwei Scheiben und heute morgen ist mir nach drei.
Der Toast sieht perfekt aus, drei Scheiben und sechsmal Butter. Oh, prima. Dann kann ich drei Stück Butter auf jedes Brot tun. Ich muss nur nach der zweiten einmal los und Nachschub holen.
Kurz darauf zwinkert mir ein anderer Typ im Vorbeigehen verführerisch zu und raunt: "Hey, Lovely". Die sind aber wirklich SEHR nett hier. Was ist bloß los mit den Jungs hier oben? Einsam? Manchmal ist es auch als Frau beruhigend, über 1,80 m groß zu sein.
Ich verdrücke meinen Toast und hole mir einen zweiten Becher Kaffee. Heute will ich bis in den Snowdonia National Park fahren. Einen Campingplatz habe ich mir noch nicht ausgesucht, aber ich habe zuhause kleine Zelte auf die Karte gemalt, wo ich in Google Maps Campsites gefunden habe. Einer davon wird mir sicher gefallen.
Am Boden des zweiten Kaffees starte ich und fahre weiter. Auf der Karte ist die Straße nach Newton als A483 verzeichnet und die Kompassnadel auf dem Ärmel meiner Endurojacke zeigt stur geradeaus. Es geht nach Norden.
Einen Orkan von 130 km/h würde mein Zelt vermutlich nicht aushalten und wenn ich der Zeitung glauben könnte, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, um mir Sorgen zu machen. Tue ich aber nicht. Beides nicht.
Trotzdem werde ich mir zur Sicherheit einen guten Campingplatz mit allen Facilities suchen, damit ich mich notfalls ein paar Tage eingraben kann, bis der Sturm vorübergezogen ist. Am besten gibt es dort ein Pub, einen Book Shop und auch gleich eine Metzgerei auf dem Platz. Ach ja, und einen Tea Room natürlich.
Bevor ich weiterfahre, esse ich auf dem Parkplatz vorm Supermarkt noch den Lamb Oggie. Das Ding muss man sich vorstellen wie eine Apfeltasche, nur dass hier nicht irgendwelche ollen Äpfel drin sind, sondern heißes Gulasch, Zwiebeln und Kartoffeln. Ein prima Tausch, wie ich finde.
Während ich den Einkauf in den Tankrucksack stopfe, fällt mir ein, dass ich bald wieder ein neues Buch brauche. Das aus dem Charity Shop in Rhayader habe ich fast durch und ich möchte bildungsmäßig nicht auf dem Trockenen sitzen.
Drei Meilen vor Porthmadog führt die A487 durch einen kleinen Ort mit dem schönen Namen Penrhyndeudraeth. Ich halte extra an, um den Namen vom Ortsschild abzuschreiben. Mehr als einmal muss ich zwischen Schild und Papier hin- und hergucken, bis ich den Namen richtig in mein Moleskine buchstabiert habe.
An der Kreuzung zur High Street bemerke ich einen reichlich abgewohnten Charity Shop. Ich denke, das ist die richtige Adresse, um nach einem guten Buch zu suchen.
Eine kleine Glocke erklingt über der Tür, als ich sie öffne und hineingehe. Der Laden bietet ein unglaubliches Sammelsurium aus Nippes, getragener Kleidung, Haushaltskram, Kleinmöbeln, Schuhen und Second Hand Books. Ein Laden wie aus einem Harry Potter Film.
Hinter einem billigen Schreibtisch, der sicher bessere Tage gesehen hat, sitzt ein alter Herr und begrüßt mich freundlich. In einer Ecke stehen zwei Holzregale vollgestopft mit Büchern in verschiedenen Stadien der Zerlesung. Die Regalbretter sind schon leicht durchgebogen und ich bin mir sicher, dass ich hier etwas Interessantes finden werde.
Eine ältere Dame steht bereits davor und mustert mit zur Seite geneigtem Kopf die Buchrücken. Wir stehen schweigend nebeneinander, betrachten die Titel, nehmen ab und zu ein Buch heraus, blättern ein paar Seiten und stellen es ins Regal zurück.
"It's not easy when you don't know the author", breche ich das Schweigen.
"What are you looking for?", erkundigt sich die Dame.
"English crime novels or adventure stories or a good thriller", umschreibe ich meine Wünsche vage, weil mir gerade das Wort für Gemetzel nicht einfällt und weil ich auch keinen schlechten Eindruck machen möchte.
Es stellt sich heraus, dass die Dame in der Library in Porthmadog arbeitet und sich mit guter Literatur auskennt. Sie empfiehlt mir Flood Tide von Clive Cussler. Ein wenig misstrauisch nehme ich das Buch aus dem Regal, weil man ja weiß, was diese Reich-Ranicki Typen mitunter für lesenswert halten, aber der Klappentext klingt nicht schlecht:
"An insatiably greedy Chinese businessman is making a fortune - in human lives...As he follows the trail, Dirk Pitt is led into a deadly race to find the wreck of a mysterious ship that Chiang Kai-shek filled with treasure containg the bones of the legendary Peking Man. Pitt prepares for a final dramatic showdown."
Dieser Dirk Pitt ist zwar nur ein Umweltschützer und überhaupt kein richtiger Agent, aber er hat trotzdem ein paar total gute Tricks drauf. Bei aller Menschenfreundlichkeit und dem ganzen Getue muss er wohl jede Menge böser Chinesen auf die fiesesten Arten umlegen. Immer in Notwehr natürlich, weil er ja eigentlich ein Baumstreichler ist und viel lieber die Ozeane schützen würde, als diesen Typen mit seiner Harpune ins Auge zu schießen.
Auf jeden Fall ist es richtig gute Literatur wenn es mir von einer leibhaftigen Bibliothekarin empfohlen wurde und außerdem ist es noch was mit Umweltschutz. Zufrieden trage ich den zerlesenen Schinken zur Kasse.
"Twenty Five Pi", nennt der alte Mann den Preis, als ich das Buch vor ihn auf den Schreibtisch lege. In Großbritannien sagen sie nicht Pence, sondern meistens nur die Abkürzung "P" und sprechen es wie die Zahl Pi aus.
Während ich das Buch bezahle, komme ich mit der Dame ins Gespräch und auch der alte Herr lauscht aufmerksam, was ich gut verstehen kann. Ich habe nämlich nicht den Eindruck, als ob es hier sonst viel Unterhaltung gäbe in Penrhyndeudraeth. Jeder Besucher ist ein kleines Ereignis und vermutlich kommt überhaupt nur alle Jubeljahre mal eine Svenja hier durch.
Ich berichte von meiner Reise und wir unterhalten uns eine Weile über Wales, Irland, Frau Merkel, den Euro und über das Wetter: "A heavy rainstorm to come this afternoon", werde ich gewarnt. Ich mache ein angemessen beeindrucktes Gesicht, frage mich aber insgeheim, was die Leute hier bloß mit dem Wetter haben? Wie kann man nur so ängstlich sein?
Die Bibliothekarin fragt, ob ich schon einen Campingplatz für die Nacht hätte. "No, not yet. Can you reccomend one?", frage ich zurück. Vielleicht kennt sie ja einen in der Nähe. Und tatsächlich kann sie mir einen Platz empfehlen. Er ist in Porthmadog nicht weit von der High Street entfernt. Ihre Schwester hat dort im letzten Sommer gezeltet mit ihrem Mann und den Kindern ihrer anderen Schwester und alle waren ganz begeistert.
Dann werde ich jetzt weiterfahren und mir diesen Campingplatz einmal ansehen. Ich verabschiede mich und will gerade gehen, als der alte Herr zum ersten Mal etwas sagt:
"What do you work in Germany?", fragt er ohne Umschweife.
"I'm a police woman."
"I thought so", erwidert er mit stoischer Mine, als habe ich nur etwas bestätigt, woran es keinen Zweifel geben konnte.
Die Straße führt am Hafen entlang. Mit 4.200 Einwohnern, einer belebten High Street, vielen Restaurants und Geschäften und einem riesigen TESCO Supermakt ist Porthmadog das strahlende Zentrum der Gegend. Ich mag den Ort auf Anhieb.
Am Factory Shop biege ich nach links in die Borth Road ein und fahre ein Stück den Berg hinauf, bis ich nach einem knappen Kilometer die Einfahrt zum Tyddyn Llwyn Camping Park erreiche. Ich stelle Greeny vor der Anmeldung auf den Seitenständer, nehme den Helm ab, strecke mich einmal ausgiebig und gehe hinein.
Von einer Frau hinter dem Tresen werde ich herzlich begrüßt. Die Rezeption ähnelt eher einem Outdoorladen. Hier gibt es vom Zeltnagel bis zu Baked Beans so ziemlich alles zu kaufen, was der Camper braucht.
Die Übernachtung kostet 7 £, was wirklich hammergünstig ist für einen solchen Holiday Park. Wenn ich da an den Platz am Giant's Causeway denke, werde ich jetzt noch sauer.
Das Gas für meinen Kocher geht allmählich zu Ende und ich suche im Regal nach einer neuen Kartusche. Die große CV470 kostet hier nur 6,50 £ und damit kaum mehr, als die kleine CV270 in Kiel. Wales ist wirklich ein preiswertes Urlaubsland.
Der Campingplatz ist recht groß und es gibt mehrere Wiesen, auf denen man zelten darf, aber diesmal bin ich nicht allein. Ausgerechnet an der schönsten Stelle steht bereits ein Typ mit seinem Fiat Uno und einem kleinen Zelt. Beleidigt fahre ich weiter und suche mir eine andere Zeltwiese, auf der ich wieder ganz alleine stehe. Inzwischen mag ich das.
Mit noch größerer Sorgfalt als sonst wähle ich den Stellplatz für mein Zelt aus. Minutenlang stehe ich stumm in der Landschaft und versuche, mir den Ort bei Sturm und Starkregen vorzustellen, mit heftigen Windböen und Gewittergüssen, aber das ist nicht leicht, weil das Wetter nämlich total prima ist. Die Sonne scheint und es ist sogar etwas schwül. Eine merkwürdige Luft ist das und ich schwitze sogar ein wenig.
Den Zelteingang richte ich mit dem Wind aus und spanne sorgfältig alle Sturmleinen ab. Tiefer als sonst presse ich die Zeltnägel in die Erde. Trotzdem traue ich dem Salewa nicht ganz, denn das Außenzelt endet sieben Zentimeter über dem Boden und falls eine Sturmböe da runterfasst, dann ist es weg, mein schönes Zelt, aber mehr kann ich jetzt nicht tun.
Inzwischen ist es völlig windstill geworden und die schwülwarme Luft klebt am Körper. Aus der Ferne ist leises Grollen zu hören. Donner? Wieso Donner?
Plötzlich kommt leichter Wind auf und die ersten Böen rütteln am Zelt. Ich renne hinter dem leeren Nylonbeutel her, in dem sonst die Zeltnägel stecken, und fange ihn wieder ein.
Zwanzigster Reisetag, 4.000 km, 1.000 Fotos, 35 Entrecotes, 20 Cadbury Flakes und ein paar Dosen Cider. Auch die Angstnippel der Heidenau K60 sind bis auf die äußerste Reihe abgefahren. Weiter komme ich nicht, denn die letzte Reihe berührt die Straße erst, wenn es der Lenker auch tut.
Jetzt ist mein Reisetagebuch wieder aktuell. Zufrieden wie ein satter Säugling liege ich auf meinem Schlafsack. Hier werden Pieps und ich uns ein paar Tage eingraben und Snowdonia erkunden.
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