Cliffs of Moher
An diesem Morgen ist es strahlend heller Sonnenschein, der mich weckt. Absolutes Top Wetter. Sofort wird es kochend heiß im Schlafsack und ich beeile mich, ins Waschhaus zu kommen. Heute abend werde ich mein Zelt schon bei den Cliffs of Moher aufschlagen.
So früh habe ich die Straße noch fast für mich alleine, aber ich wette, dass hier nachher die Hölle los sein wird, denn es ist Bank Holiday. Tankstellen und Supermärkte sind trotzdem offen, so dass ich mir um Benzin, Fleisch und Schokoriegel keine Sorgen machen muss.Der Slea Head Drive ist ein echtes Juwel für Motorradfahrer. Die Aussicht ist atemberaubend. Nur eine niedrige Mauer trennt die Straße vom Atlantik, der 40 m tiefer gegen die Felsen schäumt. Die Straße wurde aus dem Berg herausgesprengt und führt auf einem schmalen Absatz immer an der Küste entlang um die Südspitze der Dingle Peninsula herum.
Fast 2000 solcher Wetroads gibt es in Großbritannien und Irland. Sie alle sind bei Wetroads gelistet. Ich hätte Lust auf eine Themenreise, bei der ich möglichst viele dieser Furten durchfahren muss. Nicht alle sind so mild wie diese, einige sind sogar ziemlich spektakulär und schwierig zu durchqueren. Aber das ist Stoff für eine andere Tour.
Merkwürdig, an der Bushaltestelle, an der ich eben vorbeigerollt bin, stehen ein Tisch und zwei Stühle. Aufmerksam sehe ich in den Rückspiegel und entdecke ein Postamt. Grün ist hier die Farbe der Post.
Anders als in Deutschland, kann ein Postamt hier draußen alles Mögliche sein. Es werden Zeitungen verkauft, es gibt kleine Snacks, Getränke und Konserven, Schulhefte, Bleistifte und sogar Kohlen für den Ofen.
Tisch und Stühle gehören offenbar zum Postamt. Dieses ungewöhnliche Café möchte ich mir näher ansehen und so schalte ich herunter, bremse und drehe um. Der Postmeister hat gerade erst aufgeschlossen und ist noch damit beschäftigt, Ständer mit Ansichtskarten herauszustellen.
"Good Morning. Do you have coffee?"
"Morning. There, by the machine."
"Couldya please show me?"
"Sure."
Besonders gesprächig sind sie nicht, die Dingelesen.
"You have some rolls or pasties?"
"Not yet. Not at this time", gibt er etwas mürrisch zurück. Er ist eindeutig noch nicht auf Besuch eingestellt.
Ich setze mich vorm Laden in die Sonne und glotze aufs Meer. In kleinen Schlucken trinke ich den viel zu dünnen Kaffee, weil ich am Automaten ängstlich nur auf Light Roast gedrückt hatte. Welch ein herrlicher Morgen das ist.
Nur die Steigung in Prozent wird nicht ausgewiesen. Das ist mir hier schon öfter aufgefallen, so als wollten sie sagen: "Berge, Pässe, steil bergauf eben. Wenn dir das nicht passt, fahr doch woanders längs." Eine Einstellung, mit der ich bestens leben kann und nach dem schottischen Hardknott Pass kann mich ohnhin keine Steigung mehr überraschen.
Fünfzig Kilometer weiter in Tarbert fließt der Shannon in den Ozean. Eine Fähre erspart mir den 130 km langen Umweg über Limerick, denn eine Brücke gibt es nicht. Eine elendig lange Autoschlange wartet bereits am Anleger und das Schiff fährt nur alle Stunde einmal. Möge die Fähre groß sein, damit ich gleich im ersten Schub mitkomme.
Nach 20 Minuten kommt Unruhe in die Schlange. Motoren werden gestartet, Bremslichter leuchten auf. Im Schritttempo geht es zum Schiff, ein ungewöhnlich flaches und langes Flussboot. Ich habe Glück und darf als letztes Fahrzeug auf die Fähre. Nur Zentimeter hinter meiner Gepäckrolle schließt sich die Schranke und die Rampe wird angehoben.
9 € werden für die kurze Überfahrt aufgerufen, ein stolzer Preis, aber andererseits erspare ich mir damit die 130 km bis zur Brücke in Limerick und so ist es trotzdem ein guter Deal.
Sowie irgend etwas im Reiseführer als Sehenswürdigkeit gelabelt wird, fahren die Leute hin wie die Blöden. Bald kommen Reisebusse, es gibt öffentliche Toiletten, einen Parkplatz und einen Eisverkauf. Ganz einerlei, was es dort tatsächlich zu sehen, oder zu erleben gibt. Funktioniert so Tourismus?
Ein Kliff, eine Steilküste, eine Abbruchkante vom Festland zum Meer. Hast du eines gesehen, hast du alle gesehen. Die Polizistin in mir würde sich am liebsten an die Straße stellen, die Autos durchwinken und mit dienstlicher Stimme energisch auffordern: "Bitte fahren Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen." Und in diesem Fall wäre das nicht einmal gelogen.
Das leckere Kartoffelpüree mit Bratenfett löffele ich direkt aus der heißen Pfanne und auch die Koteletts sind klasse.
Das Schweinefleisch schmeckt mir besser als die Supermarktqualität zuhause, aber nach dem vierten Stück merke ich, dass meine Augen mal wieder größer waren als mein Mund und so knabbere ich vom letzten nur noch den Fettrand herunter. Puh, das war lecker.
Cider und Schokoriegel nehme ich mit ins Bett und lese im Schein der Stirnlampe den ersten Band der Hunger Games zu Ende. Das war mit Abstand das Spannendste und zugleich Bedrückendste, was ich seit A Game of Thrones gelesen habe.
Neben der unglaublichen Abenteuergeschichte kommt besonders die deutliche Medienkritik gut bei mir an. Der Fernsehsender des Capitol in Hunger Games symbolisiert für mich alles, wofür heute Privatfernsehen steht und auch deshalb habe ich selbst schon seit Jahren keinen Fernseher mehr.
Morgen in Galway werde ich versuchen, den zweiten Band aufzutreiben, denn jetzt will ich wissen, wie es weitergeht mit Katniss Aberdeen. Im selben Moment als ich das Buch weglege, die Stirnlampe ausknipse und den Schlafsack zuziehe, beginnt der Regen aufs Zelt zu trommeln. Doch das ist ein Problem für morgen. Gute Nacht, Welt.
weiter zu Tag 11
zurück nach oben