Kilkenny und das gruselige Camp
Um drei Uhr in der Nacht weckt mich ein leichter Regen, der sanft aufs Zelt trommelt. Ich drehe mich um, rücke das kleine Outdoorkissen zurecht und schlafe mit dem wohligen Gefühl von Geborgenheit wieder ein.
Am Morgen hat der Regen aufgehört und dichter Nebel liegt über den Wiesen. Ich breche das Lager ab und ziehe meine Regenkombi an, denn auf dem Motorrad ist Nebel kaum anders als Regen. Die feinen Tröpfchen dringen in jede Ritze. Erwartungsvoll starte ich zu meinem ersten Reisetag durch Irland.Heute werde ich Kilkenny besuchen, aber dazu muss ich zuerst den Weg nach Bridgetown finden. Die R736, die auf der Karte so einfach erschien, entpuppt sich als üble Schlaglochpiste mit vielen Kreuzungen, die nicht beschildert sind.
An einer Einmündung stoppe ich und werfe einen Blick auf die Karte. Ein Lieferwagen hält mitten auf der Straße an. Ein Mann sitzt am Steuer und auf dem Beifahrersitz ein Junge in Schuluniform. Der Fahrer dreht das Fenster herunter: "You lost?", ruft er. "Yes", erwidere ich kleinlaut. "Wait, I'll turn over."
Er fährt den Van an den Straßenrand, steigt aus und kommt zu mir herüber. Inzwischen regnet es wieder. Er sieht sich die Route auf meiner Karte an und schüttelt den Kopf: "No signposts and too many crossroads", keine Wegweiser und zuviele Kreuzungen. Für einen Fremden sei die kaum zu finden. In epischer Breite beschreibt er einen anderen Weg. Sein Oberhemd ist längst durchnässt und ich denke, dass auch sein Sohn inzwischen zu spät zur Schule kommt. "Thank you very much", bedanke ich mich. "Have a save Journey", erwidert er und ich fahre weiter.
New Ross ist die erste Stadt, durch die ich in Irland fahre. Mit 7.700 Einwohnern ist sie der drittgrößte Ort der Gegend. Der River Barrow fließt mitten durch und der Nachbau eines Segelschiffes aus dem 19. Jahrhundert liegt als Wahrzeichen hier vor Anker.
Die Sonne scheint und es ist ein herrlicher Sommertag. Davon muss ich unbedingt Claudia erzählen. Ich nehme mein Handy und wähle ihre Nummer, aber der Ruf geht nicht raus und auch SMS funktionieren nicht. Dabei ging es in Wales noch ganz problemlos. Ich drehe um und suche einen Telefonladen.
Der kleine Laden ist gut besucht und ich muss eine Weile warten, bis ich an der Reihe bin. Die Mädchen hinter dem Verkaufstresen machen einen kompetenten Eindruck, haben aber auch keine Lösung. Schon mehrere Touristen hätten von Roamingproblemen berichtet, ohne dass man helfen konnte.
Ich löse das Problem selbst, indem ich eine irische Vodafone SIM-Karte kaufe, die ohnehin viel günstiger ist. Die Karte kostet 10 € und ich lasse sie mit weiteren 30 € aufladen. Außerdem bekomme ich 180 Freiminuten ins Ausland dazu und obwohl Deutschland ja kein Ausland ist, gehört es in diesem Falle doch dazu.
Nach wenigen Minuten bin ich unter der neuen Nummer erreichbar, ohne dass auch nur nach meinem Namen gefragt wurde. Jetzt weiß niemand, wem diese Rufnummer gehört. Ich werde wohl endlich ein paar Stöhnanrufe erledigen.
Hinter der Theke steht ein Butcher in seiner rotweißen Tracht: "How you doin' and what can I do for you?", begrüßt er mich. Es sieht alles sehr verlockend aus und ich brauche eine Weile, um mich für die Striploin Steaks zu entscheiden. Striploin, oder auch Club Steak, ist ein besonderer Cut aus dem Roastbeef des Black Angus Rind, den ich zuhause noch bei keinem Schlachter gefunden habe. Vier Stück für 10 €, ein fantastisches Angebot.
Als das Geschäftliche erledigt ist, fragt der Fleischer nach meinem Motorrad, denn er hat gesehen, wie ich es gegenüber abgestellt habe. Wir kommen ins Gespräch und er berichtet von einem tollen Campingplatz, wo er am letzten Sonntag mit seiner Frau gewesen ist. Der Name des Camps fällt ihm aber partout nicht ein. "Just a Moment. I'll call my Boss".
Er wischt seine Hände ab, nimmt das Handy und wählt eine Nummer. "My Wife", erklärt er mit einem Augenzwinkern in meine Richtung und einen Moment später: "Honey, where did we stay just the other weekend camping?" Doch seine Frau erinnert sich auch nicht mehr, kennt aber jemanden, der den Namen weiß. Sie will zurückrufen, sobald sie ihn herausgefunden hat.
Kilkenny ist wirklich schön, aber heute ist es mir zu voll und zu hektisch. New Ross hat mir fast besser gefallen. Es ist kleiner und weniger schön, aber irgendwie auch echter und nicht so auf Tourismus gestylt. Es dauert eine Weile, sich aus der High Street heraus zu winden. Stop and Go geht es am Flußufer des River Nore entlang, während auf der anderen Straßenseite ein Einkaufszentrum liegt. Fleisch habe ich jetzt, aber ich brauche auch Getränke und Schokoriegel.
"Could you please give me a bag", frage ich an der Kasse nach einer Tüte. "Makes a funny sight, a woman in the middle of the day carrying two cans of beer in her hands", füge ich erklärend hinzu, dass es merkwürdig aussähe, wenn ich mit zwei Bierdosen in den Händen herumlaufe.
"Of course", sagt der junge Mann hinterm Tresen und steckt die Bierdosen in eine braune Papiertüte, wie ich sie in amerikanischen Filmen so cool finde. "Otherwise that's a common sight in this area", fügt er lachend hinzu.
Die Textilabteilung erinnert an eine Mischung aus Woolworth und C&A. Ich nehme eine rosa Leggings vom Ständer und mache mich auf die Suche nach einem schwarzen Shirt. "Do you have a Shirt like this with Sleeves", frage ich eine Verkäuferin, die gerade Ware einsortiert und halte ihr ein ärmelloses Shirt entgegen. Ärmellos trage ich nicht gern, weil ich darin aussehe, wie Klitschko im Trägertop. "Rosalie? This Lady needs your Assistance", ruft sie quer durch den Laden einer Kollegin zu.
Über Carrick-on-Suir fahre ich weiter zu einem Campingplatz, den ich schon zuhause bei der Planung ausgesucht habe. Außer in der Nähe seiner Highlights, sind Campingplätze in Irland eher dünn gesäht und es ist klug, eine Vorauswahl zu treffen. Für jeden Tag meiner Reise habe ich zwei Plätze auf der Landkarte markiert.
"Hello, anybody there?", rufe ich und betrachte die Plaketten der Campingverbände an der Tür. Der des British Caravan Club ist von 2004. Ein Mann ist aus dem Haus gekommen und geht auf mich zu. Er mag Ende 50 sein, hat einen Schnauzer und trägt eine Brille mit dunklen Gläsern. Er öffnet die Tür zur Rezeption und wir gehen hinein. Auf einem Bewertungsportal habe ich von einer gemütlichen Bar gelesen und nach der Beschreibung muss das einmal dieser Raum gewesen sein. Inzwischen ist er mit allerlei Kram vollgestellt und wirkt völlig heruntergekommen. Ich zahle 8 € und bin damit eingecheckt.
Der Campingplatz ist überraschend groß. Ein paar windschiefe und vor langer Zeit erblindete Laternen erinnern an bessere Zeiten. Vor dem Waschhaus steht ein ausrangierter Wohnwagen mit eingeschlagenen Scheiben, der allmählich ins Grundwasser sickert. Ansonsten bin ich ganz allein. Kein weiteres Zelt, kein Wohnmobil, nicht einmal ein vertrockneter Dauercamper. Nur dieser vergammelte, alte Bauernhof. Gedanken an die Pickton Farm werden wach.
Ich frage Mr. Unheimlich, ob ich der einzige Campinggast sei und er verneint. Ganz sicher würden später noch weitere Gäste kommen, aber ich denke, wir wissen beide, dass er lügt. Heute wäre mir sogar ein Lehrerehepaar recht, denen ich nur zu gerne zusehen würde, wie sie in Birkenstocks vor ihrem Wohnmobil sitzen und Blasentee trinken. Alles ist besser, als allein hier zu sein.
Als ich später im Zelt liege, achte ich auf jedes Geräusch, das zu hören ist. Na warte, denke ich. Zuhause werde ich meine Eindrücke in jeder Community dieses Planeten hinterlassen. Mit diesem wohltuenden Rachegedanken schlafe ich ein.
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