Dingle Peninsula
Mitten in der Nacht wache ich auf, weil eine unnatürliche Ruhe über dem Zelt liegt. Das laute Prasseln des Regens hat schlagartig aufgehört. Oh, wie schön, denke ich, kuschele mich noch tiefer in meinen Schlafsack und bin nach wenigen Augenblicken wieder fest eingeschlafen.
Meine Güte, habe ich gut geschlafen und jetzt mag ich gar nicht aus dem warmen Schlafsack raus. Wenigstens war ich so schlau, meinen BH über Nacht unters Kopfkissen zu legen, wo er warm und trocken bleibt.Die Waschräume sind echt prima und es gibt sogar Einzelkabinen, wo ich mich ungestört waschen und mir in aller Ruhe ein neues Gesicht malen kann. "Good morning, Svenja", krähe ich meinem Spiegelbild fröhlich entgegen, worauf es in der Kabine nebenan schlagartig still wird. Ups, sorry.
Heute möchte ich mir Dingle ansehen, den Ort, von dem die Halbinsel ihren Namen hat. Vielleicht gibt es dort einen netten Tea Room, wo ich frühstücken kann. Die Regenkombi nehme ich vorsichtshalber mit, denn auch wenn es nicht mehr regnet, hängen dunkle Wolken so tief, dass ich das Gefühl habe, sie berühren zu können.
Schon auf den ersten Kilometern verfahre ich mich grandios, weil die Straßenschilder nicht mehr auf Englisch, sondern in irgendeiner anderen, mir völlig fremden Sprache geschrieben sind und ich falsch geraten habe, welcher Ort Dingle sein könnte. Ich hatte auf Dun Chaoin getippt.
Falsch getippt, wie ich eine halbe Stunde später feststelle, als ich auf dem Slea Head Drive unterwegs bin, dem Ring of Dingle. Allerdings fahre ich in die falsche Richtung, was aber nicht so schlimm sein kann, weil es eine Ringstraße ist und ich irgendwann trotzdem ankommen muss.
Hoffentlich hält das Wetter noch eine Weile. Wenn ich zum Himmel schaue, sehe ich eine unglaubliche Menge Regen dicht verpackt in tief hängenden dunklen Wolken.
Nach 35 km erreiche ich das 7 km entfernte Dörfchen Dingle. Es hat kaum 2.000 Einwohner und ist dennoch das strahlende Zentrum der Peninsula. Zahllose Touristen und eine Handvoll verschlafener Einheimischer sind an diesem Sonntagmorgen schon in den engen Gassen unterwegs.
Das Motorrad stelle ich auf dem Fußweg vorm Supermarkt ab und gehe einkaufen. First things first. Frühstücken kann ich danach.
In der Salatbar finde ich das passende Kartoffelpüree dazu. Eine tolle Idee mit den Kartoffeln aus der Salatbar. Besser kriege selbst ich das mit frischen Stampfkartoffeln, Eigelb, Milch und Kräutern auch nicht hin. Püree kochen können die hier in Irland. Ich löffele ein halbes Pfund in einen Plastikbecher und lege ihn in meinen Korb.
Vorsichtshalber lege ich noch ein Paket Schweinekoteletts dazu, die anders geschnitten sind, als ich es von zuhause kenne. Der Knochen wurde entfernt und dafür der Fettrand drangelassen, der ungefähr die Breite eines Maurerdaumens hat. Es sind Pork Loins, Schweinerückensteaks, und sie sehen perfekt aus.
Am Bäckerstand lasse ich mir einen frischen Jambon einpacken und nehme mir eine Apfeltasche aus dem Korb voller Gebäck. Jetzt fehlen nur noch Cider und ein Cadbury Flake.
Vorsichtshalber sehe ich auf die Uhr, ob es schon spät genug ist, um Alkohol kaufen zu dürfen. Schließlich bin ich ja nicht doof und kenne mich aus in Irland. Aber was ist das? Die Off Licence Abteilung ist komplett abgesperrt. Kein Zutritt. Das kann doch nicht wahr sein, es ist schon beinahe 11 Uhr. Was ist denn jetzt wieder verkehrt?
Das ist versteckte Kamera, oder? Ich verzweifele noch an diesem Land. Ich will das Zeug doch sowieso erst heute Abend trinken, ihr Senfnasen. Na gut, dann gehe ich zuerst frühstücken und komme später noch einmal wieder.
Den Einkauf verstaue ich im Tankrucksack und lasse die Enduro vor dem Supermarkt stehen. Helm und Handschuhe hänge ich über den Rückspiegel.
Wer klaut schon einen gebrauchten Helm, der so mit MakeUp verschmiert ist, dass man ihn nur einmal aufzusetzen braucht, um schon geschminkt zu sein.
Auf meinem Weg durch die High Street bekomme ich eine Ahnung davon, warum Irland mit seiner Liquor Bill ein so restriktives Alkoholgesetz eingeführt hat.
Mehrfach begegnen mir kleine Gruppen junger Männer, die am Sonntagmorgen schon betrunken durch den Ort torkeln.
Aus Paudie's Bar kommen fünf oder sechs junge Typen, die reichlich angesoffen sind und provozierend laut durch die High Street schwanken. Trouble Maker, ahnt die Polizistin in mir.
Das ist schon ein wenig schräg: Svenja bekommt am Sonntagvormittag im Supermarkt noch kein Cider, während in den Bars nebenan schon bis zum Umfallen getrunken wird.
Auf der anderen Staßenseite befindet sich die Tourist Information und ich sehe erstaunlich viele japanische Touristen. Das ist mir letztes Jahr in Fort Augustus schon aufgefallen. Die Japaner lieben die Britischen Inseln.
Zurück am Zelt verstaue ich den Einkauf und ziehe mich um. Schwarzes Minikleid, knielange Leggings und Ballerinas. Darüber ziehe ich die dünne Windjacke von Bergans und gehe nach vorne zur Rezeption des Camps. Ich muss noch für die zusätzliche Nacht bezahlen.
Die alte Lady in der Rezeption ist heute wie ausgewechselt. Freundlich verwickelt sie mich in ein Gespräch: "Did ya have a nice Day? You goin' forra walk t'day?" Total nett und freundlich ist sie heute und auch die Warze neben ihrer Nase sieht gleich kleiner aus. Vielleicht müssen die einen hier erst kennen. Ich bezahle meine 10 € und verabschiede mich freundlich.
Zu Fuß mache ich mich auf zum Gallarus Oratory, einer tausend Jahre alten christlichen Gebetsstätte, die an der Rückseite des Campingplatzes liegt.
Die Kirche selbst interessiert mich nicht die Bohne, aber angeblich soll es dort auch ein Café geben.
Über den Kiesplatz gehe ich auf das verlassen wirkende Gebäude zu. Es ist aus Natursteinen gemauert und sieht aus, als könne es jedem Sturm trotzen.
Niemand ist zu sehen, nur im Souvenirshop sitzt ein Mann an der Kasse und sieht sich auf einem tragbaren Fernseher ein Rugbyspiel an.
An der Tür daneben steht eine Tafel mit der Aufschrift Café. Ein Pfeil zeigt nach oben, wo eine eine schmale Holztreppe im Dunkeln verschwindet. Zögerlich steige ich die Stufen empor. Hoffentlich stehe ich nicht gleich bei irgendwem im Wohnzimmer.
Tatsächlich befindet sich im Obergeschoss ein hübsches, kleines Café mit fünf Tischen. An der Stirnseite ein Tresen mit Kuchen und eine großen Kaffeemaschine. Eine robust wirkende Dame steht an der Kasse und begrüßt mich freundlich. Pieps und ich sind die einzigen Gäste.
Es macht Spaß, in dem ruhigen Café zu sitzen und Tagebuch zu schreiben. Viel habe ich heute ja nicht erlebt, aber umso genauer notiere ich jede kleine Begebenheit, um später überhaupt etwas Stoff für meinem Reisebericht zu haben.
Durch die lange Regenfahrt ist die Kette der Kawasaki fast trocken gelaufen und ich mache mich in aller Ruhe und Gründlichkeit daran, sie wieder zu schmieren. Ich hocke mich neben die Maschine, die auf dem Seitenständer steht, und gebe einen winzigen Tropfen Öl auf jede Lasche und jede Rolle. Nach jeweils acht Kettengliedern und 32 Topfen Öl stehe ich auf, schiebe die Maschine ein paar Zentimeter weiter und nehme mir die nächsten acht vor.
Die Arbeit macht mir nichts aus. Sie gehört für mich zum Motorradfahren dazu und solange es dabei nicht regnet, stört es auch nicht, dass die Maschine keinen Hauptständer hat, mit dem es einfacher gehen würde.
Danach ist es Zeit für ein Nachmittagsschläfchen. Ich krabbele ins Zelt, ziehe den Reißverschluss hinter mir zu und lege mich in den Schlafsack. Durch die schwarzen Wolken am Himmel herrscht ein angenehmes Dämmerlicht und ich schlafe schnell ein.
Jetzt erfasst mich eine vertraute Unruhe. Dabei fangen diese Ruhetage immer so vielversprechend an. Ich schlafe aus, brauche das Zelt nicht abzubauen und kann den Urlaub genießen, aber trotzdem zieht es mich weiter. Lieber fahre ich den halben Tag Motorrad, schlage nachmittags mein Lager auf, genieße den Rest des Tages und düse am nächsten Morgen weiter. Ich bin wohl kein Typ für Ruhetage.
Das Abendessen ist klasse. Die Fischstäbchen sind so lecker und frisch, dass man die vom Käpt'n dagegen vergessen kann. Das Püree brate ich im heißen Fett kurz an, bis es leicht goldbraun ist. Danach brutzele ich meine drei Koteletts und stopfe mich bis obenhin mit Essen voll, bis partout nichts mehr rein geht.
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