Harwich International Port
In der Nacht hat es munter weiter geregnet und morgens stehen erste Pfützen im Gras. Die Wiese ist total erledigt. Schade, ich hatte gehofft, das Zelt trocken mit nach Hause nehmen zu können.

Ich habe keine Ruhe mehr, alles zieht mich zum Fährhafen nach Harwich. Ich mag es nicht, wenn es eine Deadline für die Rückreise gibt, weil ich Angst habe, dass eine Panne, ein Stau, oder eine Vollsperrung das Schiff ohne mich ablegen lässt. Andererseits kann ich froh sein, dass der Termin so starr ist, denn sonst wäre ich schon seit zwei Wochen zuhause, als ich in Irland die Nase gestrichen voll hatte von dieser Reise.

Ein letztes Mal breite ich das nasse Zelt im Gras aus, lege den Gestängebeutel hinein und rolle alles zusammen, so dass es in den blauen Ortliebsack passt.
Den mitgelieferten Zeltbeutel habe ich zuhause gelassen. Er passt genau, aber nur wenn man das Zelt bei Omi im Garten zusammenlegt. Wenn man unterwegs im strömenden Regen alles hastig zusammenpfeffert wird man verrückt bei dem Versuch, das nasse Bündel in den winzigen Sack zu quetschen.
Auch heute morgen starte ich wieder in voller Regenmontur mit Melkerhandschuhen und der Regenhaube über dem Tankrucksack. Ich trödele noch ein wenig herum, um die Zeit zu strecken, denn sonst bin ich viel zu früh an der Fähre.

Bei strömendem Regen frühstücke ich unter dem Vordach einer Tankstelle, während ich mit einem Kaffee in der linken und einer Bacon Roll in der rechten Hand missmutig in den Regen hinaus glotze. Ein typisch englisches Bikerfrühstück. Ehrlich gesagt, mag ich das total, denn auch wenn ein warmer Tea Room gemütlicher ist, müsste ich dazu erst die Regenkombi auspellen und dazu habe ich keine Lust.

Gegen Mittag rolle ich in den Harwich International Port ein, der mir vom letzten Jahr noch ganz vertraut ist.
Ich vergewissere mich kurz, dass der Anleger der Esbjerg Fähre noch da ist, wo er hingehört und fahre wieder zurück zu den Geschäften am Eingang des Hafens.
Vor dem großen Schuhladen, in dem ich mir letztes Jahr diese süßen Gummistiefel mit dem Union Jack darauf gekauft habe, stelle ich das Motorrad ab. Zum ersten Mal in meinem erwachsenen Leben verlasse ich ein Schuhgeschäft, ohne etwas gekauft zu haben.
Während ich noch ganz hingerissen bin von meiner eigenen Charakterstärke, mache ich mich daran, ein letztes Mal die Antriebskette zu spannen und zu fetten. Die Kette ist inzwischen sichtbar am Ende. Vor der nächsten Tour werde ich eine neue aufziehen müssen. Auch der kleine Aufträufler von HKS ist leer und ich werfe ihn in den Mülleimer vor dem Schuhladen.
Bei Sainsbury's decke ich mich mit einem leckeren Abendessen für die Überfahrt ein: Ein Stück geräuchter Speck, Kartoffelsalat, Käsekuchen, drei Schokoriegel, Rotwein und Wasser. Ich werde heute schön im Bett essen und dabei fernsehen.

Als ich vor dem Schalter von DFDS Seaways den Motor abstelle, sind es noch vier Stunden bis zum Boarding. Das Warten macht mir nichts aus. Ich setze mich in den großen geheizten Aufenthaltsraum und vertreibe mir die Zeit, indem ich Tagebuch schreibe, mich mit den Leuten vom Hafenpersonal unterhalte und ab und zu eine Münze in den Kaffeeautomaten stecke.

Die Zeit vergeht wie im Flug. Ein älterer britischer Gentleman meint, es gebe ab 2013 eine weitere Fährlinie zwischen Harwich und Esbjerg. Er regt sich ordentlich über die hohen Fahrpreise auf und wir hoffen beide, dass die Überfahrt durch die Konkurrenz etwas günstiger wird. Ich würde mich gerne noch weiter mit ihm unterhalten, aber die Ampeln schalten auf grün und wir dürfen im Schritttempo aufs Schiff rollen.

Ich weiß noch, wie aufgeregt ich bei meiner ersten Fährüberfahrt mit dem Motorrad war. Wo sind die Gurte? Wie funktionieren diese Spanndinger? Krieg ich das hin, oder stelle ich mich dämlich an und mache mich total zum Löffel?
Inzwischen gebe ich das erfahrene Bikergirl. Zielsicher fahre ich zum Bug, stelle den Motor ab, lasse den Gang drin, klappe den Seitenständer aus und schlage die Lenkung ein. Ich keile einen Bremsklotz unters Vorderrad und ziehe einen Spanngurt quer über die Sitzbank. Drei, vier, fünfmal die Ratsche bis der Gurt sich strafft und Greeny ist bereit für die Überfahrt.
Ich ziehe den Zündschlüssel ab, lasse Helm und Handschuhe auf dem Motorrad zurück, schnappe den Tankrucksack mit Pieps und dem Essen und mache mich auf zu meiner Kabine, während die anderen Biker noch mit ihren Maschinen beschäftigt sind.

Bei strahlendem Sonnenschein laufen wir aus Harwich aus, während am Horizont bereits das nächste Unwetter aufzieht. Welch ein verrücktes Wetter in diesem Sommer. Die Wellenkämme tragen weiße Schaumkronen, aber auf dem großen Schiff ist nichts zu spüren von der kabbeligen See.

Den Abend verbringe ich in meiner Kabine. Ich liege gemütlich in meiner Koje, während ich Räucherspeck und Kartoffelsalat esse. Heute wird das Viertelfinale der Fußball EM 2012 übertragen und ich sehe zu, wie die Deutsche Elf die Griechen aufraucht. Nebenher trinke ich Rotwein aus dem Zahnputzbecher und genieße die Überfahrt. Es ist schön, wieder in einem richtigen Bett mit Kissen zu schlafen. Ich glaube, daran könnte ich mich gewöhnen...
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