Zwischenstop in Wales
Am nächsten Morgen sitze ich im The Bay Tree in Chipping Norton vor einem kleinen Frühstück. "Black Coffee and Toast, please", hatte ich meine Bestellung am Tresen aufgegeben. "Brown or white Toast?", "One of each, please."
Chipping Norton ist für das 60-jährige Kronjubiläum von Königin Elisabeth geschmückt. England feiert in einer Woche Diamond Jubilee Day.
Unzählige Union Jacks wehen in den Straßen und das
Crown and Cushion hat sich dazu hinreißen lassen, eine lebensgroße Pappfigur der Königin ins Fenster zu stellen. In diesem Jahr gibt es zum Thronjubiläum sogar einen zusätzlichen Bank Holiday, einen allgemeinen Feiertag, aber dann bin ich schon in Irland und wie ein Ire mir im Pub später sagen wird: "It's not
our Queen."
Während ich durch die Seitenstraßen hinter der Town Hall schlendere, werde ich aus den Augenwinkeln auf etwas aufmerksam. Lagen in dem Laden eben Sägespäne auf dem Boden? Ich drehe mich um und gehe ein paar Schritte zurück.
Das Geschäft liegt drei Stufen tiefer und erst jetzt bemerke ich, dass es eine Fleischerei ist. '
Trev Beadle Family Butchers' steht auf dem Schild. Und tatsächlich, der Boden ist fein säuberlich mit frischen Sägespänen eingestreut. Allein der Gedanke daran, gegen wieviele Bestimmungen der EU das gleichzeitig verstoßen muss, begeistert mich und ich trete ein.
An den Wänden hängen Würste, Schinken und dick eingesalzene Speckseiten. Der Laden ist winzig und doch stehen drei Verkäufer hinter dem Tresen.
"What can I do for you?", fragt mich der Älteste der drei, ein Mann von vielleicht 60 Jahren mit einem offenen, freundlichen Blick. Es ist Trevor Beadle, der Chef selbst.
"You've got Rib Eye Steaks?" "O' course", bekomme ich zur Antwort und ernte einen Blick, als hätte ich wissen wollen, ob der Papst katholisch sei. Trev nimmt einen Strang Entrecote aus der Theke und legt ihn auf den Hauklotz. Das Fleisch ist tief dunkelrot, gut marmoriert und sieht perfekt abgehangen aus. "Two Slices, please," sage ich lässig. Er schneidet zwei gute Scheiben ab, die 580 g auf die Waage bringen.
Ich bin begeistert und schließlich freut sich der ganze Laden, weil ich mich so freue. Ich erfahre, dass ausschließlich Produkte aus der direkten Region verarbeitet werden und viele
gute Restaurants ihr Fleisch hier kaufen. Inzwischen hat der Sohn meine Motorradklamotten bemerkt und ich erzähle ein wenig von meiner Reise. Es ist schon 10 Uhr, als ich mich endlich verabschiede und weiterfahre.
Es verspricht erneut, ein sonnig heißer Tag zu werden. Über Cheltenham und Gloucester erreiche ich am Mittag Wales. Eine Grenze sehe ich nicht, aber alle Schilder sind ab jetzt zweisprachig, englisch und walisisch, eine keltische Sprache, die in ihrer Kompliziertheit nur von den Klicklauten des
ǃXóõ übertroffen wird. Ich kann sie nicht einmal lesen.
Meilenweit geht es zwischen Hecken durch eine enge grüne Gasse und 50 bis 70 km/h sind genau das richtige Tempo. Ich liebe es, so locker dahinzugleiten und bin fast allein auf der Straße unterwegs.
Mehrmals überquere ich auf uralten Steinbrücken einen Kanal, der für meine Augen ungewöhnlich schmal aussieht. Vor einem Hinweisschild halte ich an. Es ist der Brecon Canal, der an seiner engsten Stelle bloß 2.80 m breit ist und sogar ein Stück durch einen Tunnel verläuft, den 343 m langen
Ashford Tunnel. Kanäle, Schleusen und Brücken interessieren mich und mit dem Brecon Canal werde ich mich auf der Rückreise eingehend beschäftigen.
Kurz hinter dem Ashford Tunnel erreiche ich schon meinen Campingplatz für die Nacht. Pencelli Castle Camping liegt direkt am Ufer des Brecon Canal und macht bereits auf den ersten Blick einen tollen Eindruck. Sehr gepflegt, viel Grün, parkähnlich angelegte Flächen und alles well organised.
Ich werde von Pete eingecheckt, einem alten Waliser, der die 80 sicher lange hinter sich gelassen hat. Er fragt meine Personalien ab und ich dränge ihm dafür die CCI-Campingkarte auf, wodurch ich leider zu Ms. Muhliusster werde, weil Pete die Straße für den Familiennamen hält. Mit angemessen hochnäsiger Miene legt Lady Muhliusster kühl eine 10 £ Note auf den Tisch und wird standesgemäß auf 'The Meadow' untergebracht.
'The Meadow' ist die unglaublich beste, am schönsten angelegte und zugleich größte Zeltwiese, die ich je gesehen habe. Ein parkartiges Hügelgelände mit uralten Bäumen, das an einer Seite an den Brecon Canal angrenzt. Picknicktische stehen auf dem Platz verteilt und der Rasen würde manchem Golfplatz zur Ehre gereichen.
Es sind fast 30° C und mir ist heiß. Ein schneller Blick nach links und rechts, keiner zu sehen, der Segen der Vorsaison. Blitzschnell ziehe ich mich auf der Wiese um und verwandele das Bikergirl in eine Camping Queen.
Für das Zelt brauche ich heute sogar länger als gestern, aber es ist einfach zu warm für jede Anstrengung. Im Schatten eines uralten Ahornbaumes lege ich mich auf meine Isomatte und lese weiter in
The Sentry. So wie es aussieht, legt Pike sich jetzt mit der mexikanischen Drogenmafia an. Na, da werden die Schwarzköpfe aber eine Überraschung erleben. Und ich bin gespannt, wie es mit Dru weitergeht. Pike hat ein Auge auf sie geworfen, aber ich traue ihr nicht. Bald bin ich fest in mein Buch vertieft und vergesse die Welt um mich herum.
Den halben Tag lang Motorradfahren, neue Orte entdecken, nachmittags zelten, dösen, lesen, abends gutes Fleisch braten und die Nacht wunderbar im Zelt schlafen. Das ist Urlaub.
Gegen Abend brate ich die Rib Eye Steaks vom Sägespan Butcher aus Chipping Norton und das Fleisch ist absolut erstklassig. Nur in der Menge habe ich mich etwas vertan. Die letzten Bissen der 580 g bekomme ich fast nicht runter, aber eben nur fast nicht. Welch ein wunderschöner Tag das heute war.
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