Svenja und Pieps gehen ins Pub
Heute werde ich Nordirland verlassen und ins normale Irland zurückfahren. Mein nächstes Ziel liegt südlich von Dublin in den Wicklow Mountains, wo eine alte Militärstraße durch die Berge führt, die ich unbedingt fahren möchte.
Noch ist es trocken und ich hoffe, dass meine dicke Büffellederhose im Fahrtwind endlich mal wieder richtig trocken wird.Die Mountains of Mourne liegen unter dunklen Wolken und mit 11° C ist es für Juni eher kühl.
Sieben Meilen folge ich dem Ufer des River Clanrye bis sich in Newry endlich eine Gelegenheit bietet, den Fluss zu überqueren. Es ist gleich 10 Uhr und damit Zeit für die erste Frühstückspause. Wie wäre es mit Kaffee und Jambons?
Hinter dem Tresen arbeiten sich zwei stattliche Frauen routiniert zu. Sie nehmen Bestellungen entgegen, holen Bacon und Sausages aus der heißen Theke, reichen sich Brote zu und bedienen nebenher den großen Ofen, in dem bereits neue Rolls und Jambons gebacken werden.
Ihre Gesichter sind vor Hitze und Anstrengung knallrot, aber sie bewältigen den morgendlichen Ansturm, ohne im mindesten ihre gute Laune zu verlieren. Ich sehe gerne Menschen zu, die ihren Job richtig gut machen und dabei ist es egal, ob das Handwerker, Atomphysiker, oder eben die Jambongirls von der Tankstelle sind.
Ich bestelle einen Jambon und einen großen Becher Kaffee, der dampfend aus einem italienischen Kaffeeautomaten rüsselt. Mein Stammplatz am Kohlenkasten ist noch frei und so frühstücke ich draußen, während auf der N29 der Morgenverkehr an mir vorbeirauscht.
Am Boden meines Kaffees mache ich mich schleunigst auf den Weg nach Süden. Dunkle Wolken ziehen sich bedrohlich zusammen und ich möchte hier weg sein bevor der Regen anfängt. Kurz hinter Newry überquere ich die Grenze und bin zurück in der Republik Irland.
Gegen Mittag erreiche ich Ardee, eine Kleinstadt an der irischen Ostküste. Es ist Samstag und es wimmelt von Menschen, während sich auf der High Street die übliche Blechlawine staut.
"That's three fifty, please"
"Excuse, me, which currency, please?", frage ich nach, weil ich gerade keine Ahnung habe, wo ich bin, in Irland oder in Nordirland.
"That happens quite often", lacht die Bäckersfrau mich an, "It's Euro."
Wir müssen beide schmunzeln und eilig bezahle ich meine Bestellung, denn inzwischen hat sich hinter mir schon eine kleine Schlange gebildet.
Mit meinem Kaffee und dem Teller in Händen gehe ich nach hinten durch ins Café und gleite in die letzte freie Bank. Während ich meine Endurojacke ausziehe, mampft Pieps sich bereits fröhlich durch die Sahnefüllung, obwohl sie angeblich nur an der 'Körsche' interessiert war.
"Did ya hear 'bout Doreen and Sean?", wirft eine dürre Frau im Tweedkostüm in die Runde.
"Na, what happened?", fragen die anderen Girls im Chor.
" She dumped him!", lässt das Tweedkostüm die Kupplung kommen.
"Oh, really?!", "How could she?!", "Such a nice man.", bricht ein Sturm der Entrüstung los.
"She's a bitch.", stellt das Tweedkostüm fest und scheint ganz hingerissen zu sein vom Gebrauch eines so bösen Wortes.
Den Rest der Unterhaltung bekomme ich leider nicht mehr mit, weil man auf die interessierte Zuhörerin am Nebentisch aufmerksam geworden ist. Ich ernte einige missbilligende Blicke und von da an wird das Gespräch mit gedämpfter Stimme geführt. Schade, ich hätte so gerne mehr über Doreen erfahren. Whether she's a bitch or slut (A slut sleeps with everyone. A bitch sleeps with everyone but you.)
Bevor ich Ardee verlasse, tanke ich das Motorrad noch einmal voll. An der Kasse fällt mein Blick beim Bezahlen auf die Schlagzeile des Daily Express:
Während der Tankwart das Wechselgeld zählt, überfliege ich eilig die Titelseite. Es sei bisher schon der nasseste Juni seit Jahrzehnten gewesen, aber nun soll das Wetter noch einmal eine Schippe drauflegen.
Die Jungs tragen Sportklamotten, zu weit, schlabberig, oversized, viel Adidas, auffällige Turnschuhe, während die Mädchen mit Erfolg die Ghettobitches geben. Wo bin ich denn hier gelandet? Langsam fahre ich weiter und sehe mich um, ohne zuviel Aufmerksamkeit zu erregen, aber anhalten möchte ich lieber nicht.
Direkt hinter Naas geht es auf die Wicklow Mountains zu und es wird allmählich einsamer. An einer Wegkreuzung halte ich an, um einen Blick auf die Karte zu werfen. Mein einziges Navigationssystem ist ein Kompass, den Claudia mir auf den Ärmel meiner Endurojacke genäht hat. Ich suche nach einen kleinen Ort mit dem klangvollen Namen Hollywood.
Ich bin perplex: Wenn ich nicht wüsste, dass Jon Bon Jovie nicht in Irland wohnt, dann würde ich Mr. Cool auf der GPZ sofort um ein Autogramm bitten. Welch eine Ähnlichkeit!
"Yes, I'm on my way to Hollywood and cannot find it", rufe ich zurück und kann selbst nicht glauben, dass ich das gerade gesagt habe, aber so heißt der Ort nun einmal und er markiert den Einstieg in die Wicklow Mountains.
"So, you wanna ride the Wicklow Gap? Just follow me, I'll show you."
Wir biegen rechts ab auf die Hauptstraße und ich muss die KLX voll aufdrehen, um Jon nicht zu verlieren. Nach einem Kilometer zeigt er links auf die Straße nach Hollywood, winkt mir kurz zu und verschwindet mit aufbrüllender Maschine in Richtung Horizont.
"Danke, Jon. Und ich mochte deine letzte Platte!", gröhle ich noch hinterher, aber das kann er wohl nicht mehr hören. Bon Jovi wohnt doch nicht in Irland, oder...?!
Hollywood ist eine Tankstelle im Nirgendwo mit hundert Einwohnern. Nachdem ich ein letztes Mal für heute getankt habe, schraube ich mich auf der R756 in die Wicklow Mountains hinein. Die 26 km durchs Wicklow Gap sind mit dem Motorrad wunderbar zu fahren.
Zwei von ihnen wollen sich unbedingt mit mir fotografieren lassen und ich erfahre, dass sie zu einer Reisegruppe aus der Volksrepublik China gehören. Ein Mann erklärt seiner Frau, dass ich allein mit dem Motorrad unterwegs sei. "This lady is brave", fügt er abschließend hinzu.
Ich mochte Chinesen schon immer. Es sind nette Menschen, die weithin bekannt sind für ihr hervorragendes Urteilsvermögen.
Der Parkranger ist total nett und schenkt mir eine erstklassige Übersichtskarte der Wicklow Mountains. Ich möchte nicht auf die Zeltwiese, weil ich das Motorrad nicht mitnehmen dürfte, sondern buche eine Parzelle direkt am See. Von dort aus könnte ich einen Kirschkern ins Wasser spucken, aber ich esse kein Obst und deshalb wird daraus nichts.
Es ist ein tolles Gefühl, unter der heißen Dusche zu stehen und das Shampoo ins Haar zu kneten. Zuviel Zeit darf ich mir allerdings nicht lassen, denn die Duschen funktionieren mit Münzeinwurf und mehr als 2 € will ich nicht investieren.
Endlich werde ich die Motorradsachen los. Nach dem Duschen ziehe ich das schwarze Minikleid an, dass ich in Kilkenny gekauft habe und dazu Leggings und die Ballerinas mit den Silbernieten. Als nächstes muss ich mich darum kümmern, wo ich heute abend das Spiel sehen kann. Deutschland macht doch heute sein EM Auftaktspiel gegen Portugal. Ich denke, ich frage mal in der Rezeption.
Die Parkranger haben nicht den blassesten Schimmer, wovon ich überhaupt rede. Soccer kommt für sie erst hinter Celtic Football, Cricket und Rugby. Ich bekomme aber den Tipp, es einmal im Jacob's Well zu versuchen, dem örtlichen Pub oben im Dorf. Der Wirt sei ein großer Soccer Fan und würde vermutlich sämtliche Spiele auf dem Fernseher im Pub übertragen.
Das Spiel beginnt um 20.45 Uhr, nach hiesiger Zeit also 19.45 Uhr. Dann sollte ich jetzt meine Steaks braten, mich aufbrezeln und dann langsam losstöckeln. Mal sehen, wie die Typen im Pub so drauf sind.
Die Sirloin Steaks, die ich bei TESCO in Kilcock gekauft habe, sind echt klasse, 'matured for 21 days'. Warum gibt es diese Angabe bei uns nicht? Der heimliche Star aber ist das Carrot and Swede Mash, ein Püree aus Rüben und Karotten und bestimmt eine prima Grundlage fürs Pub, wenn Deutschland gewinnt und mir danach jeder einen ausgeben will.
Auf dem Weg ins Dorf komme ich am Tretbootverleih vorbei, wo ein paar Kids herumhängen und sich langweilen. "She's a man!", verkündet einer der pickeligen Rotzlöffel lautstark und sieht dabei in meine Richtung. Die Mädchen legen lautstarken Protest ein. Sie haben beim Schminken neben mir gestanden und versichern, dass sei unmöglich. Ich tue völlig unbeteiligt, als habe ich das nicht auf mich bezogen, und gehe sorglos weiter, aber ich weiß schon, warum ich Jungs nicht leiden kann. Obwohl 'She's a man' schon witzig ist.
Es ist nicht weit bis zum Pub, aber der Weg durch den Wald den Berg hinauf ist trotzdem anstrengend. Puh, ich merke gerade jedes einzelne der 850 Gramm Nahrung, die ich eben in mich reingefressen habe.
In dem Moment, als ich durch die Tür komme, wird mir klar, dass ich etwas overdressed bin. Dafür muss ich nicht einmal die Blicke der Landeier interpretieren. Gummistiefel und eine John Deere Mütze wären deutlich weniger aufgefallen.
Wie immer überspiele ich Unsicherheit mit Arroganz und setze mich an die Bar.
"What can I bring you, Dear?", fragt mich die Barfrau freundlich.
"A glass of white wine, please."
"Chardonnay or Pinot Grigio?"
"Pinot, please"
"That's four ninetyfive", sagt sie und stellt ein Fläschchen und ein Glas vor mich hin. Diese Miniflaschen gibt es bei uns im Supermarkt auch, aber dort haben sie 250 cl, während auf dieser 187 cl steht. Eine ungewöhnliche Größe.
Ich lege einen 5 € Schein auf den Tresen und bekomme 5 Cent Wechselgeld. Im Pub wird jeder Drink am Tresen bestellt, abgeholt und sofort bezahlt. Trinkgeld ist hier absolut unüblich. Ein amerikanisches Pärchen auf Urlaub aus den Südstaaten gibt zweimal großzügig Tip und erntet völliges Unverständnis. Der Wirt lässt den Euro auf dem Tresen liegen und wundert sich nur, warum Amis dauernd ihr Wechselgeld vergessen.
Inzwischen habe ich den Spielplan der EM auf dem Tresen ausgebreitet und Pieps hat sich mit wichtiger Mine darauf gesetzt. Es ist schon ziemlich voll im Pub und fast alle Plätze sind besetzt. Neben mir ist die Essensausgabe und ich bin immer wieder erstaunt über die leckeren Gerichte, die an mir vorbeigetragen werden.
Es ist mir ein Rätsel, woher die englische Küche ihren sprichwörtlich miesen Ruf hat, aber in mir keimt ein Verdacht: Auf Speisekarten und im Supermarkt taucht immer wieder der Begriff 'minced beef' auf und ich selbst habe das lange für 'Fleisch mit Minzgeschmack' gehalten, was völliger Quatsch ist. 'To mince' bedeutet zerhacken, zerkleinern. Minced beef ist also Hackfleisch und nichts anderes. Ein Missverständnis also?
Über der Bar hängt ein Großbildfernseher und ich sitze auf dem perfekten Platz. Inzwischen sind die Spieler auf dem Feld und es müsste jeden Moment anfangen. Als die ersten Takte unserer Nationalhymne zu hören sind, stehe ich so unauffällig wie möglich auf. Eigentlich nehme ich nur den Po vom Barhocker, aber in diesem Dorfpub, wo sich alle kennen, bleibt das natürlich nicht unbemerkt. Hinter mir höre ich jemanden flüstern: "She's german".
"That's real football!", ruft der Wirt in meine Richtung und danach gleich noch einmal an die übrigen Gästen im Pub, aber niemand interessiert sich für das Spiel.
Als das 1:0 für Deutschland fällt, bestelle ich ein Cider vom Faß. Zusammen mit Guiness, das gleich aus zwei Hähnen läuft, ist es eindeutig das beliebteste Getränk an der Bar.
Inzwischen ist es brechend voll im Pub und die Lautstärke ist ohrenbetäubend. Um mich herum steht eine Traube von Männern in drei Reihen vorm Tresen, lachen, trinken und unterhalten sich. Ich liebe die Stimmung im Jacob's Well. Das ist schon was anderes, als die trüben Tassen in Eddis Bierschwemme, die nur stumpf in ihr Bier heulen.
Es ist spät geworden und ich merke, dass ich langsam betrunken werde. Mit dem letzten Schluck Cider verabschiede ich mich und mache mich auf den Rückweg. Ein wenig tipsy und in allerbester Laune gehe ich durch die Nacht zurück zu meinem Zelt. Ich hätte eine Lampe mitnehmen sollen, aber nach einer Weile sehe ich die Lagerfeuer auf der Zeltwiese und von da ist es einfach, den Weg zu finden.
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