Rund um Snowdonia
An diesem Morgen sitze ich schon früh in Jenny's Diner vor meinem gewohnten Frühstück. Der Laden hat gerade erst aufgemacht. Nachdem die Sonne mich aus dem Zelt getrieben hatte und nach der katzigsten Katzenwäsche aller Zeiten bin ich noch nicht ganz wach und brauche erstmal einen Becher Kaffee. Oder sieben.
Ich habe nie das Gefühl, dass mein Essen eintönig wird, weil jeder Toast und jeder Kaffee ein wenig anders schmeckt. Für Entrecotes gilt dasselbe. Ich habe keine zwei getroffen, die genau gleich waren.
Das Beddgelert Bistro and Antiques ist in einem Cottage aus dem 17. Jahrhundert untergebracht und wirkt von außen ziemlich upper-class. Misstrauisch werfe ich einen Blick auf die Speisekarte und muss schmunzeln, mein Schnitzelindex funktioniert sogar hier. Das Essen ist nicht teuer und für 30 £ kann man im B&B übernachten.
Ich bin ehrlich beeindruckt von dem alten Gebäude und der Tradition, für die es steht. Genau das ist es, was mich an England, Schottland und Wales so fasziniert. Man trinkt irgendwo ein Bier an einem Tresen, an dem vor hunderten von Jahren schon die Postkutscher gestanden haben. Ich liebe Großbritannien.
Auf der Strecke durch Snowdonia komme ich an einem halben Dutzend Campingplätzen vorbei. "Sorry no children under 15", steht auf einem Schild. Was auf den ersten Blick kinderfeindlich wirkt, ist bei näherem Hinsehen genial, denn so kann jeder selbst entscheiden, ob er mit Kinderspielplatz und Remmidemmi, oder lieber in Ruhe campen möchte. Auch an manchen Restaurants gibt es solche Schilder.
Nach 99 Kilometern bin ich zurück in Porthmadog und fahre direkt zu TESCO. Den ganzen Vormittag habe ich schon Appetit auf knusprig gebratenen Schweinebauch. Vor meiner Entrecotephase war Schweinebauch nämlich mein absolutes Lieblingsessen. Nicht gerechnet eine kurze Fischstäbchenphase von elf Monaten.
Pork Belly werden die schmalen, weißen Scheiben hier genannt. Für vier Stück zahle ich nur £ 2,28. Dafür hätte ich keinen Bissen Entrecote bekommen. Um nicht geizig zu wirken, lege ich noch ein Pfund Carrot & Swede Mash in den Korb.
Bevor ich ins Camp zurückfahre, kehre ich auf ein Stück Apfelkuchen und einen Becher Kaffee bei Jenny's ein. So mies der Toast ist, so erstklassig ist der Crumble Apple Pie. Ich helfe mir ein großes Stück mit Sahne ein und schwinge mich danach satt und zufrieden wieder auf die Kawasaki.
An der SHELL-Tankstelle gegenüber tanke ich noch einmal voll, denn ich will morgen früh gleich durchstarten. Ich fülle fünf Liter Super nach, schnalle den Tankrucksack wieder fest und gehe ins Kassenhäuschen zum Bezahlen. Ein junger Surfertyp mit blonden Locken steht hinter der Kasse und ist damit beschäftigt, lässig auszusehen, was er ziemlich gut hinkriegt.
"Number three, please."
"Do you need a receipt, Madame?"
Träume ich das, oder hat der Typ mich gerade Madame genannt? Dabei bin ich sicher keine zehn Jahre älter als seine Mama. Ok, gutes Passing, aber trotzdem wäre mir ein charmantes 'Miss' lieber gewesen.
Wenn die Jungs aus meiner alten 250er Motorradgang das gehört hätten, wäre der Abend gerettet gewesen. "Yes, please", presse ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
Nach einem leichten Abendessen aus Bauchfleisch, Mash und einer kleinen Flasche Merlot packt mich die Abenteuerlust.
Heute abend spielt bei der Fußball EM Deutschland gegen Dänemark und ich bin fest entschlossen, feist in die Runde zu grinsen, während wir die Smørebrøds aufrauchen.
Ich gebe mein Bestes, mich etwas aufzutakeln, aber die Mittel sind begrenzt und so bleibt nur das Outfit vom letzten Mal.
Nachdem der Abend vorgestern im Pub so zäh verlaufen ist, habe ich mir für heute etwas Neues überlegt: Ich werde die Landbevölkerung mit einer 1.000 W Charmeoffensive überrollen und sie damit aus ihrer Deckung locken.
Irgendeine Reaktion werde ich jedenfalls provozieren, denn alles ist besser, als diese hinterwäldlerische Zurückhaltung. Vielleicht gelingt es mir sogar, den schweinischen Witz mit dem Pastor und dem Damenrad zu übersetzen.
Mit gemischten Gefühlen stoße ich die Tür zum Pub auf, während ich im selben Moment ein strahlendes Lächeln anknipse. Der erste, den ich sehe, ist der Wirt. Er steht vorm Tresen und rückt die Barhocker zurecht. Er begrüßt mich mit einer tiefen Verbeugung, schenkt mir ein freundliches Grinsen und heißt mich aufs herzlichste willkommen. Auch seine Frau und die übrigen Gäste am Tresen nicken mir freundlich zu.
Mit allem hatte ich gerechnet, aber nicht damit, heute abend so nett begrüßt zu werden. Versteh einer die Landbevölkerung. Vorgestern war ich die Fremde und heute werde ich begrüßt wie ein Stammgast. Die müssen einen wohl erst kennen hier.
Pieps ist der Star des Abends und dreht ordentlich auf. Erst als sie anfängt, der Tweedjacke Erdnüsse ins Bier zu schmeißen, weil es so lustig überschäumt, setze ich sie zurück an ihren Platz. Das Bier ist mir egal, aber sie stiehlt mir die Show.
Es macht mich fertig, als ich entdecke, dass aus einem der Zapfhähne Holsten Pilsener läuft. Das ist das Bier meiner Heimat, aber trotzdem kein Grund, sentimental zu werden. Ich bleibe stur bei meinem 1:2 Wechsel zwischen Chardonnay und Real Ale.
Es sind dieselben Leute wie neulich hier, wobei ich vermute, dass immer dieselben Leute wie neulich hier sind. Während im Hintergrund der Fernseher läuft, unterhalten wir uns über alles Mögliche, wobei die Themen mit jeder neuen Runde bunter werden. Am Anfang ging es darum, ob Griechenland aus dem Euro fliegen soll, oder nicht, und jetzt streiten wir darum, wer die fähigeren Hooligans hat, England oder Deutschland. Ich bringe die polnischen Fans ins Gespräch, worauf das Gespräch endgültig zerfasert.
Deutschland hat inzwischen 2:1 gegen Dänemark gewonnen, während ich allmählich zu betrunken bin, um dem hohen Niveau der Diskussion zu folgen und so verabschiede mich.
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Die Rundtour durch Snowdonia hat Spaß gemacht und der Abend im Pub war einfach klasse. Ihr hättet wirklich dabei sein sollen. Vielleicht wäre euch die Übersetzung für 'faule Bande' und 'südländischer Filz' eingefallen