Eine unheimliche Begegnung
Die Ausfahrt vom Campingplatz ist mit einer dicken Eisenkette verschlossen und der Platzwart hat entweder verschlafen, oder vergessen, dass er noch zwei Gäste hat. Ich klappe die Rückspiegel an und manövriere die Enduro durch die schmale Fußgängerpforte.
Die ersten Kilometer geht es einsam durch ein Hochmoor mit dunklen Torfgruben. Mit 6.000 Touren halte ich die Kawa im 6. Gang stur bei 90 km/h. Heute morgen bin ich ohne Regenkombi losgefahren, aber immer wieder sehe ich misstrauisch zu den dunklen Wolken empor.Heute morgen hätte ich gerne eine Bacon Roll, aber ausgerechnet die finde ich nicht auf der Tafel über dem Tresen.
"Good morning. Don't you have bacon rolls? Can't find 'em on the menu."
"Forget about what's written upon that, dear. I can make you anything you want. What would you have?", erwidert die Verkäuferin und lächelt mich freundlich an.
"Oh, fine. Then I'd like a bacon roll and make it a big one, please"
Sofort macht sie sich daran, dicke Scheiben Schinkenspeck zu braten und kurz darauf halte ich eine Roll in Händen, die mit zwei Lagen Bacon doppelt belegt ist. Eine Riesenportion für nur 3 €, die jeden Bauarbeiter satt machen würde. Oder eine Svenja.
Es macht Spaß, draußen Kaffee zu trinken und die Leuten zu beobachten, die morgens auf die Tankstelle kommen.
Da sind die White Van Guys, Handwerker in weißen Lieferwagen, die sich schnell ein Frühstück besorgen und dann gleich weiterfahren, aber auch Hausfrauen und Rentner, die auf eine Daily Mail und ein Schwätzchen vorbeikommen.
Über den Außenlautsprecher der Tankstelle wird eine Radio Show übertragen. In England ist ein kleiner Meteorit eingeschlagen und hat das Dach eines Hauses zerstört. Mit aufgeregter Stimme interviewt der Moderator die Nachbarn. Man kann die Show auf dem ganzen Platz laut und deutlich hören. Total ungewöhnlich, aber irgendwie auch ziemlich cool.
Heute werde ich mir die Fortsetzung der Hunger Games besorgen. Der englische Krimi, den ich gerade lese, ist weiterhin unerträglich. Zwar ist endlich jemand verstorben, aber ungefähr so spannend und originell wie an Altersschwäche, so dass man einfach keinen rechten Spaß an dem Verbrechen hat. Sowas kann ich im Dienst haben, dafür muss ich kein Buch lesen.
Ballina scheint mir groß genug zu sein, um einen Book Shop zu haben. Das Motorrad stelle ich in der Tone Street auf dem Gehweg ab und mache mich auf die Suche. Eason heißt die Buchhandlung und bietet eine ansehnliche Auswahl aktueller Bestseller. Den Namen der Autorin habe ich zwar vergessen, aber ich werde einfach mal an der Kasse fragen.
Catching Fire heißt der zweite Band der Hunger Games und wird offenbar im Minutentakt nachgefragt. Im Regal steht die komplette Trilogie und mit dem Gedanken an die Wettervorhersage der nächsten Tage nehme ich den dritten Band, Mocking Jay, auch gleich mit.
Jetzt geht es weiter nach Sligo. Da will ich noch einmal volltanken und gleich fürs Abendessen einkaufen. Mit 20.000 Einwohnern sollte die Stadt groß genug sein für einen erstklassigen Butcher Shop. Das wird für eine Weile der letzte Einkauf sein, den ich in Euro bezahle, denn von Sligo sind es nur noch 50 km bis nach Nordirland, wo in Pfund bezahlt wird. Ich muss gleich einmal checken, wieviel Sterling ich noch habe.
Die Entrecotes im Supervalu sehen gut aus, aber heute sind es marinierte Koteletts in Honig-Senf Sauce, die es mir angetan haben. Das Angebot hier begeistert mich. Die Auswahl ist viel interessanter als zuhause und es wird weniger Billigfleisch angeboten, sondern eher hochwertige Produkte. Besonders die Auswahl an Rind- und Lammfleisch ist famos.
Erstaunlicherweise gibt es auch mehr Kartoffelsorten als bei uns. Während wir oft auf Linda, Hansa und Bintje reduziert werden, gibt es hier ein ganzes Sortiment verschiedener Sorten, darunter sogar welche mit roter Schale.
Nur beim Senf da stinken sie hier mächtig ab. Wo ich in Kiel aus zwei Dutzend Sorten wählen kann, gibt es hier gerade einmal zwei: einen billigen dänischen Hotdog Senf und Colman's Original English Mustard. Ein Pulver in einer grell gelben Dose, das man selbst erst zu Senf anrühren muss.
Wenn ich in fremden Ländern bin, ist der Besuch der Supermärkte für mich ein Highlight. Wo lernt man die Menschen besser kennen, sieht was sie kaufen, was sie essen und worin sich ihr Alltag von unserem unterscheidet? Wie sind die Menschen an der Kasse? Sind sie freundlich? Drängeln sie? Sind sie eilig, oder haben sie Zeit? Ich liebe es, das aus erster Hand mitzuerleben. Castles dagegen sind nicht halb so interessant.
In der Ferne brauen sich dunkle Wolken zusammen und ich will vor dem Regen noch einmal die Kette schmieren, denn ich kann sie schon wieder deutlich hören, sie klingt verschlissen. Irgendwo auf freier Strecke fahre ich auf einen kleinen, geschotterten Parkplatz und mache mich an die Arbeit.
Während ich neben dem Motorrad hocke und mich ganz auf die Kette konzentriere, hält ein Wagen neben mir. Ich schaue hoch und da steht ein großer, blauer Ford Pickup zwischen mir und der Straße. Der schwere Dieselmotor läuft im Stand weiter und das Fenster der Beifahrerseite gleitet geräuschlos herunter.
Der Fahrer, ein Hühne von einem Mann, beugt sich zu mir herüber und sieht mich neugierig an. Er ist vielleicht Mitte 40 und anhand der Kuhscheiße auf seiner Latzhose und dem Geruch, der aus dem Pickup kommt, vermute ich, dass er Farmer ist.
"Where you from?", fragt er mich ganz freundlich.
"From Germany on holiday."
Wir tauschen den üblichen Smalltalk, aber irgendwie ist mir der Typ unheimlich. Seine Blicke sind ein bisschen zu freundlich. So sehe ich meine Entrecotes an kurz bevor es Ernst wird. Außerdem schwitzt er ziemlich stark, obwohl es gar nicht warm ist. Deutlich erkenne ich die Schweißtropfen auf seiner Stirn und seiner Oberlippe. Warum schwitzt der so?
"Somewhere up north camping", erwidere ich vage.
"You come with me and I make you a dinner and give you a drink", macht er mir ein verlockendes Angebot. Klingt gut und ich bin hier sowieso gleich fertig.
"I sure would like to spend the night with you in that small tent of yours", schmiert er aus dem Wagenfenster zu mir herüber, wobei er den schweren Sechszylinder übertönen muss, der im Stand weiter vor sich hin dröhnt.
"I bet you would", lache ich ihn an und gehe nahtlos auf Defcon 2. In einer einzigen fließenden Bewegung setze ich meinen Helm auf, starte den Motor und mache mich in einer Staubwolke davon. Erst als ich wieder auf dem Asphalt bin, dreht das Hinterrad nicht mehr durch. Die ersten fünf Gänge schalte ich erst bei 10.000 U/min hoch, unmittelbar bevor der Begrenzer einsetzt.
Was war das denn für ein Irrer? Der Typ sah aus, wie einer von den Goonies. Nervös behalte ich den Rückspiegel im Auge, ob hinter mir etwas Blaues auftaucht, aber diesen Blitzstart muss er erstmal aufholen.
Zum zweiten Mal merke ich, dass gutes Passing auch ein paar Nachteile mit sich bringt. Das wäre vielleicht nicht so gut ausgegangen, wie auf der West End Farm im letzten Jahr.
Das einzig Ungewöhnliche ist die verlassene Polizeistation in Belcoo, die ungefähr den Verteidigungswert von Fort Knox hat. Eine gewaltige Trutzburg mit massiven Toren und dicken Mauern aus Beton, auf denen zusätzlich 4 m hohe Drahtzäune stehen. Riesige Flutlichter und mehrere Kameras sehen böse auf mich herab. Offensichtlich war es hier nicht immer so friedlich wie in der Zeit nach dem Juli 2005, als die IRA den bewaffneten Kampf für beendet erklärt hat.
In Enniskillen mache ich einen Kassensturz. 60 £ habe ich nur noch, aber mit der EC-Karte, die neuerdings Maestro heißt, sollte Nachschub kein Problem sein.
"We cannot process your request at the moment", verkündet der Geldautomat kühl, nachdem er zuvor meine PIN, mein Begehren (withdraw money) und den Betrag (400 £) abgefragt hat.
Mein Konto ist fett im Plus, daran kann es diesmal nicht liegen. Nein, diesen Effekt kenne ich schon von meiner Schwedentour letztes Jahr, als ich weder Geld noch Benzin bekam. Das liegt daran, dass sich viele Tankstellen und manche Banken die teure Datenleitung nach Deutschland sparen und so die Karte nicht checken können. Keine Auskunft, keine Kohle.
Mir wird heiß. Blödes Plastikgeld. Nächstes Mal nehme ich den kompletten Betrag in bar mit, denn ich mag gar nicht daran denken, was geschieht, wenn die Karte im Ausland einmal komplett versagt. Drei Automaten später gebe ich entnervt auf. Um dieses Problem werde ich mich morgen kümmern und mir dazu eine richtige Bank suchen.
Im selben Moment, als ich auf die Zufahrt zum Blaney Caravan Park fahre und das Motorrad abstelle, bricht die Sonne durch die Wolken und es wird gleich angenehm warm. Ich ziehe meine Motorradjacke, die Windjacke und das Fleece aus, bevor ich in die Rezeption zum Bezahlen gehe.
10 Pfund Sterling später darf ich mir einen Platz auf der Zeltwiese aussuchen und wieder stehe ich ganz alleine. Es gibt sogar vier nagelneue Picknickbänke, die jetzt alle mir gehören.
Als mein Lager steht und das Zelt fertig eingerichtet ist, merke ich, dass es an der Zeit ist, Wäsche zu waschen. Ich rieche zwar noch nicht wie toter Friseur, aber trotzdem: In zwei Tagen beginnt die Fußball EM und ich möchte im Pub nicht nur durch Geruch auffallen.
Ich schnappe mir den Stoffbeutel mit der Wäsche, Rei in der Tube und mache mich auf in den Laundry Room. Mit viel heißem Wasser knete ich Socken und Unterwäsche im Waschbecken, spüle sie sorgfältig aus und investiere drei 20 Pence Stücke in den Trockner.
Jetzt möchte ich mir ein gutes Essen machen und mit dem neuen Buch anfangen. Ich bin schon so gespannt, wie es mit Katniss und Peta weitergeht.
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