443 ohne Grönland
Im Grunde weiß ich nicht, ob man diesen Reisebericht wirklich guten Gewissens empfehlen kann. Dänemark? Noch langweiliger und unkurviger geht es wohl kaum. Dafür aber hat Dänemark etwas ganz anderes zu bieten: Sagenhafte 443 Inseln, von denen 74 bewohnt sind. Die Färöer und Grönland hab ich schon rausgerechnet, sonst wären es noch 19 mehr.
Und noch etwas ganz anderes spricht für Dänemark: Es ist so erholsam wie Frankreich, nur ohne die elendig lange Anreise, zumindest aus Norddeutschland. Dazu prima Camps für Zeltcamper, ein sehr entspannter Straßenverkehr und bestes Essen, zumindest wenn man jemand ist, der sorgfältig auf die Ernährung achtet.
Nächster Halt: Flensburg Schiffbrücke, Flensburgs älteste Einkaufsstraße, die direkt am Wasser verläuft. Der Begriff Einkaufsstraße ist mittlerweile etwas irreführend, weil lange Zeit dort hauptsächlich Bier, Rum und Liebe verkauft wurden. Und Frikadellen, in dieser einen alten Kneipe am Oluf-Samson-Gang.
Mit diesem Budget werden wir es über die Grenze schaffen und noch etwa 60 bis 70 Kilometer nach Dänemark hinein.
Dänemark und seine Bewohner erledigen selbst ernste Angelegenheiten mit einer gewissen liebenswürdigen Leichtigkeit, die man nur mögen kann. Vieles funktioniert hier geschmeidiger als bei uns zu Hause.
Wir aber halten aus einem anderen Grund, ich brauche dänische Kronen, und hier steht der erste Geldautomat hinter der Grenze. Ich stelle Greeny vor den Automaten ab und ziehe mit der VISA-Karte 500 DKK aus der Wand, etwa 76 Euro. In Skandinavien braucht man selten Bargeld, aber wenn, dann braucht man es.
Für Pieps bestelle ich Ribbenssandwich und für mich zwei Pølse i Svöb, gewickelte Bratwürste. Das Rezept dürfte nicht allzu schwierig sein, man nimmt eine Wurst, wickelt sie liebevoll in Speck und legt sie auf den Grill. Dazu teilen wir uns eine Schale mit Sauce Béarnaise.
„Was ist denn ein R I P P E N Sandwich?“, will die Else wissen und betont das Wort übertrieben deutlich, was ich sowieso schon nicht leiden kann.
Und ihr Macker: „Das sind Speck Bauchlappen. Viel zu fett.“
„Du Spacken“, denke ich im Stillen. „Da ist Rotkohl drin, Gurke und sogar Remoulade! Was Gesünderes gibts ja wohl gar nicht auf diesem Planeten als Ribbenssandwich.“ Welch ein Banause.
Die Familie setzt sich an den Nebentisch, aber wir sind zum Glück gerade fertig und brechen auf. Ich könnte es nicht ertragen zuzuhören, wie sie dem Nachwuchs jedes einzelne Salatblatt erläutern, was auf welche Weise gesund oder ungesund ist, und was man besser liegen lässt. Und wenn Pieps erst die Kinder fragt: „Wollt ihr ma' 'n Trick seh'n?“, steht die Story vermutlich morgen im Jyllands-Posten. Wir brechen besser auf!
Mein Vorwärtsdrang endet vor einer Straßensperre auf dem Weg zum Campingplatz. POLITI, Warnwesten, Blinklichter, Vollsperrung. Hier gehts nicht weiter.
„Is there another way to Anslet Camping?“, frage ich die Warnweste.
„No. This is the only street.“
Nach zwei weiteren Warnwesten wird klar, dass wir woanders schlafen müssen. Die Jugendherberge Haderslev bietet auch einen Campingplatz, Haderslev vandrerhjem og Camping. Da werden wir den ersten Zelthering der Reise in die Erde drücken.
Das Gewitter ist heftig, aber kurz und schon nach einer knappen Stunde verlegen wir unseren Lesezirkel ins Vorzelt. Wäre die Hecke niedriger, könnten wir sogar den Haderslev Fjord sehen, aber so außergewöhnlich wäre das auch wieder nicht, weil man in Dänemark an keinem Punkt weiter als 55 km von der Küste entfernt ist.
Die Jugendherberge Haderslev wohnt in einem alten Backsteinhaus mit weißen Sprossenfenstern. Neugierig gehe ich hinein. Hier ist kein Mensch. Ich komme in einen verlassenen Saal mit Zeitungen, Büchern und einigen Sesseln. OPHOLTSSTUE stand draußen an der Tür. Aufenthaltsraum. Ich setze mich und schlage mein Reisetagebuch auf.
Ich sehe erstaunt hoch. Vor mir steht ein junger Mann mit Dutt und sieht mich freundlich an. „Nein. Ich bin draußen auf dem Campingplatz und zelte. Ist es ok, wenn ich hier sitze?“
„Ja. Und Sie können sich einen Kaffee nehmen“, erwidert er und deutet durch eine Doppeltür hinüber in den Speisesaal. „Wirklich? Einfach so?“
„Ja, weil ich es gesagt habe. Ich bin der Herbergsvater. Ich schließe jetzt die Rezeption auf, wenn Sie sich später anmelden wollen.“
Etwas später, am Boden des freien Bechers Kaffee, wandere ich hinüber zur Rezeption: „Danke für den Kaffee. Ich bleibe eine Nacht mit Motorrad und Zelt.“
„Das macht 140 Kronen“, etwa 18,80 Euro. „Möchten Sie morgen an unserem Frühstücksbuffet teilnehmen? Ab 7.30 Uhr. Es kostet 85 Kronen.“
„Oh ja, sehr gerne.“
Ich zahle die Übernachtungsgebühr und buche für Pieps und mich zwei Plätze am Buffet. Erste Reihe! Möge es nicht vegan sein
zum nächsten Tag...
zurück nach oben