Parc Naturel du Morvan
Mein erstes Ziel heute morgen ist Briare, dort überquert der Canal latéral à la Loire auf einer Brücke den Fluss. Schiffe, die auf einer Brücke fahren? Das muss ich mir ansehen. Bei der Planung auf Streetview ist mir dort eine Chocolaterie aufgefallen. Schokolade von Hand gemacht? Das muss Pieps sich ansehen. Nun, wir setzen zuweilen recht unterschiedliche Prioritäten.
Man kann diese Boote mieten und auf den Kanälen durch Frankreich reisen. Man ist Kapitän, Steuermann, Lotse, Schleusenwärter und Smutje in einer Person. Das muss eine Menge Spaß machen und erinnert mich an die Narrow Boats, die ich in Wales gesehen habe.
Auf einer Brücke überquere ich den Canal latéral à la Loire und blicke hinunter auf die Kanalbrücke über die Loire, das Wahrzeichen von Briare.
So, wie die Beiden miteinander umgehen, sind sie unverkennbar miteinander verheiratet. Kurz darauf öffnet Sie den Laden, während ihr Mann hinten in der Schokoladenwerkstatt verschwindet.
Während ich mich noch frage, was wir kaufen wollen, hat Pieps sich längst entschieden: Eine Riesentafel Chocolat noisette Maison, Nussschokolade. Die Schokolade steht aufrecht in Kisten, jede Tafel so groß und sperrig wie ein Diercke Weltatlas und dermaßen dicht mit Nüssen gespickt, dass ich mich frage, wie man sie essen soll.
"Ce, s'il vous plait", zeige ich, sehr zu Pieps Entzücken, auf die größte Tafel. Ich bezahle und wir verlassen den Laden kurz darauf mit einer Papiertüte voller Schokolade, auf der in schlichten Buchstaben Chocolats et Chimères steht.
Vor dem Laden schiebe ich die Tafel ein Stück aus der Tüte und wir beißen beide ein paarmal herzhaft ab. Die Schokolade ist ausgezeichnet, damit werden wir heute abend den Schlafsack vollkrümeln, nachdem wir mit Entrecote, Käse und Wein fertig sind.
Es ist bereits später Vormittag, als ich Briare verlasse und weiter nach Südosten fahre. Kurz darauf überquere ich die Loire auf einer modernen Betonbrücke, die im Kontrast zur alten Brücke in Briare noch hässlicher erscheint und die Kühltürme des Atomkraftwerks tun wenig, um den Eindruck zu verbessern.
Mein Tagesziel für heute ist ein Zeltplatz im Parc Naturel du Morvan, einem der großen Naturparks Frankreichs, aber zuvor möchte ich mir Sancerre ansehen. Der kleine Ort hat bei der Planung mein Interesse geweckt, außerdem wird dort einer der bekanntesten Weine der Loire-Region angebaut, der Sancerre.
Am Drehkreuz greife ich mir einen Korb und stehe einen Moment darauf in der Weinabteilung und nicht, wie es sonst üblich ist, bei Tulpen und Tomaten.
Der Wein ist üblicherweise das Sahnehäubchen auf meinem Einkauf und kommt stets zuletzt, aber heute starte ich, indem ich mir eine gute Flasche Wein zum Abendessen aussuche.
Die Abteilung ist im Verhältnis zum Rest des Ladens ungewöhnlich groß und ich stehe eine Weile versunken vor den Regalen, bevor ich mich für eine Flasche Saint Emilion entscheide. Das Etikett gefällt mir und die Auswahl an halben Flaschen ist ohnehin nicht so groß.
Vom Weinregal führt der Gang schnurstracks auf den Tresen mit der Aufschrift Boucher zu, die Fleischerei. Der Metzger sieht mir erwartungsvoll entgegen, als ich auf ihn zugehe. Ich lasse mir die übliche Scheibe Entrecote abschneiden und kaufe auch eine Portion Roastbeef, das ich gleich zu Mittag essen möchte.
Vom Boucher geht es weiter zum Gemüse, wo ich eine Tüte brauner Champignons und eine Paprika in den Korb lege. Beim Bäcker kaufe ich ein Croissant, das so fett ist, dass die Papiertüte bereits dunkle Flecken hat, als ich sie vom Tresen nehme.
Sowie der Einkauf bezahlt und verstaut ist, suche ich mir ein schattiges Plätzchen für die Mittagspause. Das Roastbeef schmeckt ausgezeichnet, es ist ganz zart und rosig und selbst wenn Croissant nicht der perfekte Passer ist, so mag ich den intensiven Buttergeschmack des Blätterteigs.
Mein Blick fällt auf ein Plakat im Fenster, wo der Bäcker seine Brotpreise bekannt gibt. Diese Plakate sind mir schon anderswo aufgefallen und ich frage mich, welchen Sinn sie haben. Später werde ich recherchieren, dass der Brotpreis in Frankreich bis 1978 staatlich reguliert war, ein Erfolg der Französischen Revolution, und dass seine Höhe noch heute ein Politikum ist, welches Präsident Sarkozy seinerzeit sehr in Bedrängnis gebracht hat.
Das war ein ausgezeichnetes kleines Mittagessen. Ich trinke ein paar Schlucke Orangensaft und fahre weiter. Hinter Saint-Satur überquere ich die Loire heute zum dritten Mal. Mitten auf der Brücke bleibe ich stehen und schaue durch die Stahlkonstruktion hinunter auf den Fluss. Die Loire ist breit und seicht mit Sandbänken und kleinen Inseln.
Ein Stück weiter stehen auf einer langen Geraden Autos und Menschen auf der Straße. Ich zähle ungefähr 20 Flitzer verschiedener Marken, die auffälligen Flügeltüren dekorativ nach oben gestellt. Die gewöhnlichen Porsches sind zwischen ihnen fast unsichtbar.
Der Park Morvan ist kaum besiedelt und Lormes ist die letzte Ortschaft, durch die ich heute noch fahren werde. Es ist ein drückend heißer Tag geworden und der ganze Ort scheint träge in der Sonne zu dösen, in den Straßen ist kein Mensch zu sehen.
Inzwischen komme ich mit den Tankautomaten gut zurecht und wenn man den Bogen einmal raus hat, geht es sogar recht schnell. Als ich die Zapfpistole wieder einhänge, drücke ich die Quittungstaste und lasse mir einen Beleg ausdrucken. Auf der Quittung steht aber nicht Lormes, sondern Lorme, so hieß der Ort früher einmal.
Man muss kein Genie sein, um auf den ersten Blick zu erkennen, dass der Platz geschlossen ist. Ich bin enttäuscht und auch ein wenig sauer, so als hätte ich einen Anspruch, weil im Internet stand, dass der Platz geöffnet ist.
Am Tor hängt ein handgeschriebener Zettel in einer Klarsichthülle, der mit Klebeband hastig und schief ans Tor geheftet wurde. Mein Französisch reicht aus, um zu verstehen, dass der Platz geschlossen ist wegen Hospitalisation. Offensichtlich ist jemand im Krankenhaus gelandet, weshalb Svenja und Pieps hier nicht zelten können.
"Entschuldigt, Leute. Ich wünsche euch, dass alles in Ordnung kommt." Damit drehe ich um und fahre zurück zur Hauptstrecke. Am Lac des Settons gibt es noch andere Campingplätze und ich werde solange um den See herumfahren, bis ich auf einen davon treffe.
Kurz darauf rolle ich über den Kies der Auffahrt und bleibe vor der Rezeption stehen. Plage du Midi ist ein großer Ferienplatz mit Schwimmbad und Tretbootverleih. Ich erinnere mich, den Platz deswegen bei der Planung ausgeschlossen zu haben, weil ich es lieber ruhig mag. Nun, ich bin gespannt, was mich hier erwartet.
Ich steige vom Motorrad und gehe etwas steifbeinig von der langen Fahrt über die große Terrasse zur Bar. Ein Schild Reception zeigt dorthin. Ich trete durch die Schwingtür in die Bar, wo eine Handvoll junger Leute am Tresen sitzt, die sich zu mir umdrehen, als sie mich bemerken.
"Bonjour", werde ich gleich von Mehreren freundlich begrüßt. Die Franzosen erstaunen mich einmal mehr. Sind nicht demonstratives Desinteresse und Gleichgültigkeit die zu erwartende Reaktion junger Leute?
Ich grüße überrascht zurück und wende mich an die Wirtin, eine sehr hübsche Frau in meinem Alter, die sich bis eben mit den jungen Leuten unterhalten hat. Sie schreibt meine Daten in ein Buch und bedeutet mit einer Handbewegung, dass ich meinen Zeltplatz frei wählen darf. Bezahlen soll ich erst morgen.
Der Zeltplatz ist noch kaum besucht, nur einige Wohnmobile stehen am Ufer mit Blick über den See. Ich suche mir ein Stück Gras im Schatten der Bäume und baue das Lager auf.
Bevor ich etwas anderes anfange, werde ich zuerst einmal Greenys Kette schmieren. Das dünnflüssige Sprühöl hat sich bestens bewährt, die Kette sieht aus, wie ein Schmuckstück aus Edelstahl.
Das Motorrad halte ich mit der linken Hand am Lenker, während ich mit der Rechten sprühe und die Enduro Stück für Stück weiterschiebe und auf den Knien nebenher rutsche. Die leichte Enduro lässt sich gut mit einer Hand halten. Ich schiebe die Kawasaki noch einmal im Kreis ums Zelt herum, damit sich das Öl auf der Kette verteilt und stelle sie mit dem Seitenständer auf einer Steinplatte ab.
Die Pferde sind versorgt, jetzt sind Svenja und Pieps dran. Ich schnappe den kleinen Netzbeutel mit den nötigsten Sachen und gehe hinunter zur Bar. Von der Terrasse hat man einen tollen Blick auf den See, der glitzernd in der Sonne liegt.
Die nette Frau aus der Rezeption kommt an den Tisch und fragt nach meinen Wünschen. Ich weiß genau, was ich will, das beschäftigt mich schon seit Tagen, denn der Kommissar in meinem Roman bestellt es andauernd: "Un pastis, s'il vous plait."
Kurz darauf erscheint die Kellnerin am Tisch und stellt eine Karaffe Wasser und ein Glas mit der Aufschrift 51 vor mich hin. Darin eine bernsteinfarbene, klare Flüssigkeit, die wie Cognac aussieht. Ich gieße ein wenig Wasser hinein und der Pastis verfärbt sich milchig gelb.
Ich sitze auf der Terrasse, schreibe Tagebuch und nippe von Zeit zu Zeit in Gedanken versunken von meinem Pastis. Das muss wohl Urlaub sein, denke ich und muss unwillkürlich lächeln.
Der Pastis schmeckt intensiv nach Anis, oder Lakritz, wie Pieps sagen würde, aber das Getränk ist viel zu köstlich, um noch einen Zweiten zu bestellen. Ich lasse es bei dem einen Glas bewenden und gehe in die Bar zum Bezahlen. Auf einem Schild ist zu lesen, dass es auch Frühstück gibt und ich bestelle für morgen früh ein Petit Dejeuner.
Am Nachmittag ist ein unangenehmer Wind aufgekommen, der jetzt zum Abend hin sogar noch stärker wird. Ich überprüfe die Leinen am Zelt und baue aus der Gepäckrolle und dem Helm einen Windschutz für den Kocher.
Die gebratenen Champignons und der Ziegenkäse schmecken perfekt zum Entrecote, das sehr zart, aber etwas zu mager ist. Es fehlen die Fettaugen, die für den typischen Geschmack von Entrecote zuständig sind.
zum nächsten Tag...
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