In den Cevennen
Als ich am Morgen meine Sachen packe, fällt mir das Icebreaker Shirt in die Hände. Ich hatte es für die Reise zum Nordkap gekauft, es ist aus Merinowolle. Was hab ich mir bloß dabei gedacht, es einzupacken? Die Nacht war so warm, dass ich das Zelt offen gelassen und den Schlafsack bloß als Decke benutzt habe.
Viel wichtiger ist es, den Jeansmini und ein Top ganz oben in die Tasche zu legen, damit ich sie noch auf dem Gepäckträger ans Licht zerren kann, bevor ich wieder das Zelt aufbaue.Am Rand von Millau komme ich an einer Bäckerei vorbei. Die Autos vor der Boulangerie wechseln im Minutentakt, während die Fahrer sich auf ihrem Weg zur Arbeit frisches Gebäck besorgen.
Ich werde mir auch ein kleines Frühstück kaufen. Das Motorrad stelle ich vorm Schaufenster ab und gehe in den Laden. Drei Verkäuferinnen sorgen dafür, dass es schnell geht. Für ein Baguette und ein Croissant bezahle ich nur 1,45 €. In Frankreich ist Brot ein beinahe heiliges Grundnahrungsmittel und sein Preis ein beliebter Anlass hitziger Diskussionen.
Millau ist mit 22.000 Einwohnern die größte Stadt der Gegend und Unterpräfektur des Arrondissements. Ich weiß nicht genau, was das bedeutet, aber ich denke, es ist ungefähr vergleichbar mit einer Kreisstadt bei mir Zuhause.
Den Carrefour Markt erkenne ich sofort wieder. Schon bei der Planung auf Street View hatte ich den zum Tanken und Einkaufen ausgesucht. Ich fahre an die Zapfsäule heran und lasse das gute Super Plus einlaufen. Mit wenigen Handgriffen schnalle ich den Tankrucksack wieder fest und fahre an das Kassenhäuschen heran.
In dem winzigen Verschlag sitzt eine junge Frau und wischt mit schnellen Bewegungen auf dem zerkratzten Display ihres Smartphones herum. Sie schaut kaum auf, als ich ihr meine Kreditkarte gebe.
Ich kann den Blick nicht von ihren tätowierten Armen nehmen. Warum tun Menschen sowas? Um bloß nicht aufzufallen? Selbst Latte-Macchiato-Mamas lassen sich inzwischen tätowieren. Nein, das ist sogar mir zu bürgerlich.
Ich fahre quer über den Parkplatz zum Eingang des Carrefour und stelle die Maschine so dicht es geht neben die große gläserne Drehtür. Ich habe immer das Gefühl, die Gefahr beklaut zu werden, ist dort geringer.
Besonders um den Helm habe ich Angst, aber mir wurde nie etwas gestohlen. Entweder geht meine Überlegung auf, oder Diebe verschmähen aus Prinzip MakeUp verschmierte, 12 Jahre alte Helme der 99 Euro Preisklasse.
Während ich den Gang zur Fleischabteilung entlangschlendere, empfinde ich erneut, wie sehr mir die Supermärkte in Frankreich gefallen. Das Angebot ist ganz auf Genuss und Spezialitäten ausgelegt und nicht so sehr auf Schweinenacken Knüllerpreis 3,49 €/kg.
Ich kaufe zwei Escalopes vom Rind, obwohl ich nicht genau weiß, was das ist, aber die Stücke sehen unwiderstehlich gut aus. Dazu etwas Ziegenkäse, Wasser und eine Gurke.
Es ist jedesmal ein gutes Gefühl, mit vollem Tank und frischen Vorräten aufzubrechen und aus der Stadt hinaus wieder in die Landschaft zu fahren.
Das Causse Noir ist die kleinste der vier großen Karstflächen Südfrankreichs. Bis etwa 1870 hatte man die Felsen der Chaos de Montpellier-le-Vieux für eine verfallene Stadt gehalten, bis jemand eine Schneise zu den Felsen geschlagen hat und der Irrtum bemerkt wurde.
Hinter einer Kurve biege ich auf einen Sandweg ab. So leicht hatte ich mir den Weg nicht vorgestellt, doch nach 300 m geht es steil hoch in den Wald und es wird spannender. Laut protestierend klappert der Metallbecher an seinem Karabinerhaken.
Vorsichtig folge ich dem Weg bis auf das Hochplateau. Die Strecke ist nicht schwierig zu fahren, aber ich muss aufmerksam sein, denn Steine und Geröll sind eine ständige Gefahr für Felgen und Speichen.
Auf dem Weg sind frische Spuren zu erkennen, hier sind Moto Cross Maschinen gefahren. Die Abdrücke der Stollenreifen haben noch ihre scharfe Kanten, die sind erst vorhin hier langgeheizt.
Nach einigen Kilometern endet die Strecke und ich bin wieder auf der D63. Bald wird es Zeit zu tanken, aber Tankstellen sind in den Cevennen ebenso rar wie Siedlungen. Wo keiner wohnt und niemand fährt, gibt es auch kein Benzin zu kaufen.
Ich stelle den Motor aus und setze den Helm ab. Auf dem Kassenterminal klebt ein Zettel mit roter Schrift, den ich nicht verstehe, aber die Tatsache, dass er quer über dem Display klebt und auch keine der Anzeigen leuchtet, sagen mir genug: Kein Benzin für Greeny.
Es ist noch Benzin für etwa 100 km im Tank, kein Grund also, sich Sorgen zu machen. Ich fahre aus Montvert hinaus und folge der Landstraße . Die D998 führt über die Hochebene des Causse Noir. An den Hängen wächst Ginster, seine Farbe irgendwo zwischen leuchtend gelb und tief orange.
Ich werfe einen Blick auf die Reserveleuchte. Sie ist noch immer dunkel. Seit Millau waren es 180 km und ich weiß, dass die Maschine unter 3 l verbraucht hat. Das passiert oft, wenn mir eine Strecke so gut gefällt, dass ich unmerklich immer langsamer fahre.
Jedes Detail und jeden Eindruck der Gegend möchte ich behalten, aber das gelingt mir nie. Hinterher kann ich kaum beschreiben, was ich gesehen habe, sondern nur, wie es sich angefühlt hat, dort zu sein. Erst zu Hause auf meinen Fotos entdecke ich Details, die ich gar nicht wahrgenommen habe.
Bergab ziehe ich die Kupplung und lasse das Motorrad rollen. Der Motor blubbert im Standgas vor sich hin. Vor einer Kehre kuppele ich wieder ein und lasse den Motor das Bremsen übernehmen, so dass ich die Kurve gerade so schaffe. Ich rolle bis zu 6 km am Stück, ohne einmal Gas geben zu müssen.
Camping La Palhère liegt in 800 m Höhe am Ufer eines Gebirgsbachs, der zwischen Felsen hindurch schäumend ins Tal stürzt. Der Platz sieht perfekt aus. Hier werde ich morgen meinen zweiten Jokertag nehmen und ausruhen, lesen, schlafen, gut essen, vielleicht ein paar Fotos der Gegend machen.
Die junge Frau in der Rezeption ist bester Laune. Die Saison hat gerade erst begonnen und der Stress nerviger Camper, verstopfter Toiletten und ständig wechselnder Gäste liegt noch in weiter Ferne. Schon deshalb bin ich vor Beginn der Hauptsaison unterwegs: Das Gras ist noch grün, die Betreiber gut gelaunt und weder Mücken noch Touristen sind schon zahlreich genug, um mich zu quälen.
Ich bezahle gleich für zwei Tage, verabschiede mich gut gelaunt und suche mir einen schönen Platz für mein Zelt neben einem Picknicktisch. Das ist jetzt meiner und ich werde mich zwei Tage lang hier richtig ausbreiten.
Bevor ich das Zelt aufstelle, esse ich die Salatgurke. Es ist meine neue Art, Wasser zu trinken. Bei dieser Hitze tut das gut, denn obwohl der Platz so hoch liegt, sind es fast 30° C.
Ich habe einige Mühe, die Heringen in den Boden zu bekommen, aber wo ein felsiger Untergrund ist, finden sich auch Steine zum Hämmern.
Als nächstes zerre ich den Schlafsack aus dem Beutel und lege ihn zum Lüften in die Sonne. Die Isomatte entfaltet sich von selbst, sowie ich sie ausrolle und das Ventil öffne. Ich packe meine Sachen aus und lege jedes Ding an seinen Platz.
Ein Rauschen geht durch die Bäume und Sekunden später drückt eine Windböe mit großer Kraft gegen das Zelt. Starker Wind kommt auf und in kurzer Folge blasen kalte Fallwinde aus den Bergen herunter. Nein, heute werde ich nicht draußen sitzen und kochen, dafür ist es zu windig.
Innerhalb kurzer Zeit fällt das Thermometer um 15°. Einen solchen Temperatursturz habe ich noch nicht erlebt. Ich ziehe die Windjacke über und mache mich daran, das Abendessen für Pieps und mich vorzubereiten.
Ich stelle den Kocher in die Apsis und baue aus dem Kettenspray und meinem Teller einen behelfsmäßigen Windschutz. Der Bordeaux hat die perfekte Temperatur und die Escalopes schmecken wunderbar zart und aromatisch nach Rindfleisch.
Welch ein klasse Tag das war, denke ich zufrieden, während ich im Schlafsack liege und an dem guten Rotwein nippe. Morgen ist ein Jokertag und ich kann ausschlafen. Das heißt, falls Pieps mich nicht um 6 Uhr weckt...
zum nächsten Tag...
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Die Cevennen gefallen mir unglaublich gut. Eine tolle Gegend zum Motorradwandern.