Silvretta Hochalpenstraße
Es ist ein herrlicher Morgen, als ich das Motorrad starte und über den Campingplatz zur Schranke tuckere, bevor ich auf die Lechtalstraße einbiege und Häselgehr hinter mir lasse. Vor Elmen geht es rechts ab und sofort klettert die Straße steil nach oben.
Ich stoppe vor dem Gitter und lasse den Motor einen Moment lang in die kühle Bergluft wummern, bevor ich die Maschine abstelle und neugierig warte, was geschieht. Erst jetzt bemerke ich die Stahlseile, die in einiger Höhe über die Straße gespannt sind.
Kurvenreich schlängelt sich die Straße mit 18% Steigung nach oben. Die Streckenführung ist sagenhaft und mehr als einmal bleibe ich stehen und schaue zurück ins Tal.
Hahntennjoch Seehöhe 1894 m steht auf einem Schild, das über und über mit Aufklebern aus aller Welt versehen ist. Der Höhenmesser meines Garmin steht bei 1898 m.
Die Straße führt noch eine Weile in dieser Höhe durch eine karge Bergwelt mit tiefen Schluchten und gewaltigen Geröllhängen, die nicht allzu stabil wirken. Schilder warnen vor der Gefahr von Muren.
In Imst fahre ich auf eine AGIP-Tankstelle und fülle den Tank mit Super 98 auf. Die KLX hat nur 3,1 Liter verbraucht. Erstaunlich für solch eine Bergtour mit vollem Urlaubsgepäck. Ich trinke noch einen Becher heißen Kakao und breche wieder auf.
Über viele Kilometer fahre ich durch ein liebliches Tal mit malerischen Dörfern. Das Paznaun ist fast 40 km lang und es macht riesigen Spaß, auf dem Motorrad über die guten Straßen zu gleiten und dabei in die Landschaft zu gucken.
Silvretta Hochalpenstaße steht auf einem Schild und darin in Leuchtbuchstaben: OFFEN OPEN OUVERT. Kurz darauf fahre ich auf eine Mautstation zu. An der linken Kasse steht ein Cabrio mit zwei Helmen. Sie ist zum Bezahlen ausgestiegen
Ich warte, solange es mir mein äußerst begrenzter Vorrat an Geduld erlaubt, bevor ich etwas sagen muss: "Na, du hast wohl noch keine Lust zu arbeiten, was?!"
Er knurrt unwirsch aus seinem Häuschen heraus und ich paddele die Enduro zur anderen Kasse hinüber, wo ich hinter dem Cabrio zum Stehen komme. Die Beiden haben schon bezahlt, aber nun beäugen sie misstrauisch eine Kuh, die in aller Ruhe vor der Mautstation steht und uns mit ihrem Hinterteil anschaut.
Als ich an der Reihe bin, reiche ich meine VISA-Karte durchs Fenster und löse für 12 € eine Motorrad Tageskarte für die Silvretta Hochalpenstraße.
Die Kuh ignoriert mich, wie nur Kühe einen ignorieren können. Mit keinem Zucken ihrer hübschen Ohren gibt sie zu erkennen, ob sie mich überhaupt wahrnimmt als ich langsam an ihr vorbeifahre hinein ins Silvrettatal.
Das Tal wird enger und die Straße steiler. Ich halte das Motorrad in den unteren Gängen. Kaum eine Gerade die lang genug ist für den 4. Gang, einige Kehren so eng, dass ich mich zwischen Erstem und Zweitem entscheiden muss.
Mühelos klettert der Einzylindermotor der Kawasaki den steilen Pass hinauf, ohne sich nur einmal zu verschlucken, oder zu überhitzen. Ich sehe auf den Streckenzähler: 41.300 km hat Greeny mich schon durch so viele verschiedene Länder getragen, ohne mich einmal im Stich zu lassen und hat dabei im Durchschnitt kaum mehr als 3 Liter Benzin verbraucht.
Auf der Bielerhöhe bleibe ich bei 2.037 m stehen und folge der Straße mit den Augen bis ins Tal. In kühnen Schwüngen windet sich das Asphaltband der Silvrettastraße hinunter ins Montafon. Ich lege den 1. Gang ein und lasse die Kupplung kommen.
Ich rette mich unter das Vordach des SPAR Marktes in Gaschurn. Wenn ich das Wetter richtig lese, dürfte der Regen nicht lange dauern, dort hinten leuchtet der Himmel wieder blau.
Ich gehe in den Laden und besorge ein paar Kleinigkeiten, mehr um mich zu beschäftigen, als aus echtem Bedarf. Als ich wieder rauskomme, sind die dunklen Wolken verschwunden und die Straße dampft in der Sonne.
In Schruns fahre ich auf eine SHELL-Tankstelle, wo es das gute V-Power für Greeny gibt. Auch wenn das Motorrad mit 95 Oktan auskommt, tanke ich immer das Beste und am liebsten V-Power 100. Die Ventilsitze und der Kolbenboden werden es danken und die paar Cent Aufpreis sind es mir wert. Ich trinke schließlich auch keinen Wein aus dem Tetrapack. Jedenfalls nicht nur...
Im Tankstellenshop ist es angenehm warm und bevor ich weiterfahre, ziehe ich einen Becher Kaffee aus dem Automaten. Noch vor einer Woche habe ich Tankstellen wegen ihrer Klimaanlagen gesucht und nun stehe ich hier, weil ich die Heizung genieße.
So wie Radfahrer und Wanderer ist man auf dem Motorrad unmittelbar der Natur ausgesetzt. Man nimmt Gerüche wahr, schwitzt, friert, wird nass und genießt doch jeden Augenblick.
Der Tankwart ist ein junger Mann, vielleicht Mitte 20, groß und hager. Er trägt einen Vollbart und lässige Klamotten. Der klassische Hipster und damit genau was ich brauche: Gestern war die September Keynote von Apple und ich habe noch keinen Ton darüber gehört.
Als Computer Geek sind diese Apple Keynotes wichtige Events für mich und pünktlich um 19 Uhr - sie beginnen stets um diese Zeit - sitze ich mit Bier, Salami und Käse vor meinem Computer und starre gebannt auf die Apple Website.
Dann reagiere ich ungehalten auf jede Störung. Du klingelst auch nicht bei Manfred, wenn gerade Bayern gegen BVB spielt und Fußball dich nicht interessiert.
Dieser Hipster Typ wird sicher wissen, was gestern wichtig war. Die iPhones und die Watch interessieren mich weniger. Ich will wissen, ob Apple neue Chipsätze für den Mac vorgestellt hat und ob sich das Gerücht um ein größeres iPad bestätigt hat.
"Sag mal, hast du gestern die Keynote gesehen? Was hat Tim denn Neues gezeigt?", frage ich mit dem Kaffee in der Hand im vertraulichen Tonfall, wie es Apple Jünger unter sich tun.
Er sieht mich mit einem Blick an, der mir sagt, dass er keine Ahnung hat, wovon ich spreche. Seine Entgegnung kann ich nicht verstehen, weil sein Dialekt so stark ist. Das muss noch einmal eine ganz besondere Gegend von Österreich sein, das Montafon.
"Du weißt schon. Apple. Die Computerfirma. Neue Produkte? Gestern Abend?", füttere ich mit einem Anflug von Verzweiflung in der Stimme nach, um die Situation zu retten, aber es ist sinnlos. Licht ist an, aber keiner zu Hause.
Mir ist die Situation schrecklich peinlich und ich ziehe mich mit meinem Kaffee in den hintersten Winkel des Shops zurück. Heute habe ich gelernt, dass nicht jeder schlanke Typ mit Vollbart, Jeans und Karohemd ein Hipster ist, sondern manchmal nur ein Junge aus der Gegend, der für ein paar Dollar an der Tankstelle aushilft.
Über Bludenz fahre ich weiter in Richtung Feldkirch. Der Verkehr wird dichter und ehe ich es mich versehe, stehe ich hinter Feldkirch im dichten Feierabendverkehr und es geht nur noch Stop & Go weiter.
Grenzkontrollpunkt Liechtenstein. Mit gültigen Papieren durchfahren grüne Spur.
Ich glaube es nicht: Liechtenstein gibt es tatsächlich! All die Jahre habe ich das Land für einen Witz gehalten, für einen Fantasiestaat wie Valkenvania in diesem bekloppt witzigen Film mit Chevy Chase, John Candy und Dan Aykroyd. Ein Klassiker des schrägen Humors.
Ich fahre unbehelligt auf der grünen Spur in das verleugnete Land hinein. Vor mir ein dunkler Audi mit dem Kennzeichen FL-32447, was soviel bedeutet wie: Fürstentum Liechtenstein und wir haben nur 100.000 Autos.
Das könnte glatt die Karre von Richter Valkenheiser sein, den Dan Aykroyd spielt, denke ich lachend und kann mich nicht erinnern, wann ein Land mir zuletzt so gute Laune gemacht hat.
Nach insgesamt 206 aufregenden Kilometern erreiche ich den Campingplatz Mittagspitze in Triesen. Die Rezeption öffnet erst am Abend, aber ein Schild weist darauf hin, dass man sich selbst einen Platz aussuchen und später wiederkommen soll.
Ich schlendere über den Platz und sehe mich um. Es gibt ein kleines Campingrestaurant für die Gäste und Richter Valkenheiser war auch bei der Preisgestaltung kreativ: Schnitzel mit Pommes 42,50 €, das ganze Menü schon ab 68,50 €.
Ich fülle ein Formular aus, wie es üblicherweise auch bei der Einreise nach Nordkorea verlangt wird, sofern man als Tourist Waffen einführen will, und natürlich zeige ich auch meinen Personalausweis.
Für 25 qm Wiese werden 22,20 € berechnet, darunter eine Position Strom für Funker, 2,50 €. Ich traue mich nicht zu fragen, warum das auf der Rechnung steht und schiebe stattdessen stumm die VISA-Karte über den Tresen.
Pieps und ich lassen uns davon nicht den Abend verderben und genießen im Vorzelt ein ausgezeichnetes Abendessen. Es ist erstaunlich, wieviel in so eine kleine Maus reinpasst...
zum nächsten Tag...
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