Stockfisch und Ochsenblut
Samstagmorgen und es regnet. Unmöglich, jetzt schon aufzustehen. Der Wechsel von kuschelig warm zu nasskalt wäre grausam und so drehe ich mich noch einmal um und schlafe weiter, während der Regen unablässig aufs Zelt trommelt.
Wie so oft auf Reisen, wenn das Gegenüber nicht gerade ein totaler Morone ist, entwickelt sich bald ein angenehmer Small Talk. Die Dame ist Lehrerin, oder besser, war Lehrerin, und wurde erst vor kurzem pensioniert. Von ihren Ersparnissen hat sie ein gebrauchtes Wohnmobil gekauft und ist damit jetzt auf Nordlandtour.
Während wir uns über die Eigenarten der Norweger austauschen, putze ich meine Zähne. Den weißen Schaum spucke ich in die Metallrinne unter dem Spiegel. Waschbecken gibt es nicht. Träge fließt der Schaum die Rinne entlang, an meiner Nachbarin vorbei, und weiter in das Abflussrohr am Ende.
Eine halbe Stunde später bin ich startbereit. Als letztes habe ich das nasse Zelt verpackt und auf dem Motorrad verstaut. In voller Regenmontour starte ich vom Campingplatz und rolle vorsichtig über den Feldweg mit seinen tiefen Pfützen zurück zur E10.
Ich nehme einen der blauen Einkaufskörbe vom Stapel und schlendere durch das Drehkreuz in den Laden hinein. Was möchte ich heute abend essen? Ich bin unschlüssig. Das Fleisch bisher war in Ordnung, aber mehr auch nicht und so beschließe ich ganz spontan und aus einer Laune heraus, Vegetarier zu werden und auf Fleisch zu verzichten. Zufrieden lege ich ein Pfund norwegischen Lachs in den Korb und bin geradezu hingerissen von meiner neuen ethischen Einstellung.
Ich fahre hinunter zum Hafen. Kein Mensch ist zu sehen, kein Schiff und auch kein LKW. Die Tore der Lagerhäuser sind geschlossen und niemand hält mich auf, als ich an dem Verbotsschild vorbei bis auf den Anleger fahre. Ein wenig verloren stehe ich mit der Enduro allein auf dem Hurtigrutenkai.
Ich nutze die Pause, um die Motorradkette zu schmieren. An den Rollen zeigen sich schon blanke Stellen, das Fahren im Regen hat sie ziemlich ausgelaugt. Während ich neben dem Motorrad hocke und das flüssige Fett auf die Kette träufele, fährt ein alter Mann mit seinem Fahrrad auf den Kai. Er steigt ab und schaut mir aus sicherer Entfernung zu. Wir wechseln kein Wort, aber bevor ich den Helm wieder aufsetze und weiterfahre, verabschiede ich mich mit einem Kopfnicken und er nickt mit ernstem Gesicht zurück.
Schon von weitem sehe ich die gewaltige Bogenbrücke, die sich zwischen den Bergen fast einen Kilometer weit über den Fjord spannt. Beim Näherkommen erkenne ich sie, es ist die Brücke über den Raftsund. Er trennt die Lofoten von den Vesterålen.
An den Raftsund werde ich mich immer erinnern, weil die Fahrt durch den engen Fjord ein besonders schöner Abschnitt meiner Hurtigrutenreise war, als wir, Claudia, Pieps und ich, im tiefen Winter auf der MS Lofoten unter dieser Brücke hindurchgefahren sind. Staunend hatten wir damals zu der gewaltigen Brücke emporgeschaut.
Neben der Fahrbahn verläuft ein Fußweg und auf ihn steuere ich die Enduro. Ich lehne mich mit dem Motorrad ans Geländer und schaue hinunter. Irgendwo dort unten im Wasser, 57 m unter dem Meeresspiegel, liegt ein versunkenes Hurtigruten Schiff.
Mit dem Sinken der Nordstjernen ging zugleich die Ära der Dampfschiffe bei Hurtigruten zu Ende. Der Nachfolger war bereits ein modernes Schiff mit Dieselantrieb und trägt wieder den Namen MS Nordstjernen.
Mit dieser zweiten MS Nordstjernen verbindet mich ein besonderes Erlebnis, denn wir sind uns einmal in einer eisigen Winternacht im Polarmeer begegnet. Das Schiff war damals gerade auf seiner letzten Fahrt im Dienst von Hurtigruten und ich stand auf dem Oberdeck der MS Lofoten und habe gewunken, während ich mich an der Reling festhielt. Sekunden später waren beide Schiffe wieder in der Dunkelheit verschwunden. (Mehr...)
Es ist kalt und ein schneidender Wind lässt es noch eisiger erscheinen. Ich fahre durch einen langen, hell erleuchteten Tunnel, als ich plötzlich von mehreren extrem lauten Motorrädern überholt werde.
Mein Puls schießt vor Schreck in die Höhe, denn ich hatte die Gang im Rückspiegel nicht kommen sehen. Auf ihren Harleys rasen sie mit brüllenden Motoren dicht an mir vorbei, etwas zu dicht für meinen Geschmack. Die Maschinen sind geradezu obszön laut und die Biker darauf tragen Kutten und schwarzes Leder.
Ich bin kaum drei Kilometer hinter dem Tunnel, als grell die ersten Blitze aus den schwarzen Wolken schießen und sich Sekunden später der Himmel öffnet. Ein Gewitterregen von biblischen Ausmaßen prasselt auf die Erde herab.
Die Wischer der Autos wedeln auf hoher Stufe hektisch über die Scheiben und einige Wagen stoppen am Straßenrand. Ich gehe runter auf 60 km/h und fahre stur weiter. Die Regenkombi hält das aus und das Wenige, das durchsickert, damit wird auch Goretex fertig. Ich bin ohnehin zu abgelenkt, um groß übers Wetter nachzudenken, denn meine Gedanken kreisen noch immer um diese Harleytypen. Ich bin total sauer auf mich selbst, dass ich so schreckhaft war.
Heute werde ich auf dem Campingplatz in Harstadt übernachten. Den Platz hatte ich zuhause im Internet recherchiert und daher weiß ich auch, dass Harstadt 24.000 Einwohnern hat und die drittgrößte Stadt Nordnorwegens ist. Zuverlässig, wie es meine Art ist, verfahre ich mich schon auf dem Weg zum Zeltplatz. Derartige Metropolen sind einfach nichts für mich.
165 Kronen zahle ich für 20 qm unebene Wiese. Eine Menge Geld für…NICHTS. Teurer war das Zelten bisher nur in Nordirland, aber besser war es dafür auch nicht. Ich ärgere mich einmal mehr darüber, wie lieblos einem als Zeltcamper auf vielen Plätzen begegnet wird.
Durch die Mitternachtssonne habe ich jedes Zeitgefühl verloren, aber mein Magen und Pieps erinnern mich zuverlässig daran, dass es jetzt Zeit fürs Abendessen ist. Vorsichtig lege ich den Lachs in das heiße Fett der Bratpfanne und es dauert nicht lange, bis er fertig ist.
Der gebratene Lachs ist eindeutig das Highlight des Tages. So zart und so köstlich hat mir noch kein Fisch vorher geschmeckt. Pieps und ich sind begeistert. Wer hätte gedacht, dass vegetarisches Essen so lecker ist und fast genauso satt macht, wie 500 g richtiges Essen?
Prüfend wiege ich sie in der Hand und versuche zu ergründen, wie groß das Unglück gewesen ist. Etwas mehr als halbvoll, lautet mein Urteil, eine wichtige Information in einem Land, in dem der Alkohol so grässlich teuer ist.
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Die Lofoten und Vesterålen haben mir gut gefallen und bei schönem Wetter muss es geradezu umwerfend sein. Ein mehr als lohnendes Reiseziel, nicht nur auf dem Motorrad.