Über den Nordpolarkreis
"Ladies and Gentlemen, we are crossing the Arctic Circle now", krächzt es aus dem Lautsprecher an Bord der Fähre von Kilboghamn nach Jektvik. Ich lasse meine Jacke überm Stuhl hängen und renne raus an Deck, um ein Foto von der Weltkugel zu machen, die den Nordpolarkreis markiert. Hier beginnt die Arktis.
Ein reizender älterer Herr bietet an, mich vor der Weltkugel zu fotografieren. Ich bin hocherfreut, doch in Motorradklamotten, ungeschminkt und mit Helmfrisur, fallen die Bilder später der Zensur zum Opfer, aber das können wir jetzt noch nicht wissen.Auf meiner letzten Reise in die Arktis war ich nämlich deutlich schöner angezogen und habe die Eismeerprinzessin gegeben.
Pieps ist entäuscht. Sie hatte Eis und Schnee, Pinguine und Eisbären erwartet, stattdessen trübes Wetter und milde 12° C. Ich dagegen vermisse die Kälte nicht, denn bis zum Nordkap sind es noch über tausend Kilometer und ich denke nicht, dass es so warm bleiben wird.
Dieses Schiff ist größer als die anderen Fähren bisher und auf dem Oberdeck gibt es einen beheizten Salon mit Kantine. Gemütlich ist es hier und um mich herum sitzen Norweger beim Frühstück, die sich unterhalten und mich neugierig mustern.
Ich nehme eines der Plastiktabletts und schiebe es auf dem Tresen entlang bis zur Kaffeemaschine. 28 Kronen, ungefähr 3,50 €, kostet eine Tasse und sie ist nicht sehr groß.
"No, sorry. But you have free refills", antwortet sie freundlich.
"Oh, I love … that", antworte ich strahlend und vermeide nur knapp einen peinlichen Versprecher. Keine Ahnung, wie die Strafen für Belästigung in diesem Land sind.
Am Tassenboden des dritten Refills erreichen wir Jektvik und eine Stunde später rolle ich schon auf die nächste Fähre, eines der kleineren Schiffe, die nur zwanzig Minuten unterwegs sind und wo man für die Dauer der Überfahrt an Deck stehen bleibt.
Bis spätestens 16 Uhr muss ich in Bodø sein, wenn ich heute noch die Fähre zu den Lofoten erwischen will. Das Schiff fährt nur zweimal am Tag und ich möchte es auf keinen Fall verpassen. Ich bin mir nur nicht sicher, wie weit es noch ist und frage einen Mann, der bei offenem Fenster in seinem Wagen sitzt.
Ich schätze ihn auf Ende 50, ein hagerer, sehniger Typ, der sich gut gehalten hat. Er gibt mir bereitwillig Auskunft und schon kurz darauf sind wir in eine angeregte Unterhaltung vertieft. Er war bis vor kurzem Fire Chief der Gegend und ist gerade in Pension gegangen. Als ich erzähle, dass ich bei der Kripo bin, haben wir sofort eine gemeinsame Gesprächsbasis. Das mag ich an meinem Beruf, Polizisten, Zoll, Feuerwehrleute, eigentlich alle Sicherheitsbehörden weltweit, wir verstehen uns oft auf Anhieb und können gut miteinander reden.
Bevor wir anlegen, bekomme ich noch einen interessanten Tipp: Hinterm Svartistunnel gibt es eine Baustellenstraße, die zu zwei Staudämmen in den Bergen führt. Die Zufahrt ist mit einer Schranke versperrt, aber für meine Enduro sei das kein Hindernis. Ich bin sofort Feuer und Flamme für die Idee. Danke und auf Wiedersehen, Fire Chief.
In Forøy tanke ich voll und fahre weiter. Es ist windig und mir ist kalt. Das Thermometer im Tankrucksack steht bei 9°. Der Himmel sieht bedrohlich aus, aber bis jetzt ist es trocken.
Endlich kommt der Svartisen in Sicht, Schwarzes Eis, der zweitgrößte Gletscher Norwegens. Seit 1986 gibt es einen Tunnel, der die Fv17 unter dem Berg aus Eis hindurchführt.
Svartisen Tunnelen 7600 m steht auf dem Schild am Tunnelportal. Auf den acht Kilometern durch die Dunkelheit kommt mir nur einmal ein Auto entgegen, ein Sprinter Wohnmobil, und die ganze Zeit über tauchen auch im Rückspiegel keine Scheinwerfer auf. Endlich kommt ein fahler Fleck Tageslicht in Sicht, das Ende der Röhre.
Der Chief hatte mich gewarnt, dass der Weg dicht hinterm Tunnel abzweigt. Vorsorglich nehme ich Gas weg und schalte runter bis in den dritten Gang. Mit suchendem Blick fahre ich hinaus ans Tageslicht. Ein Stück voraus verschwindet die Straße erneut im Felsen, aber vorher geht ein Weg rechts ab. Die Schranke davor steht offen.
Baustellenstraße - Jegliche Benutzung auf eigene Gefahr. Straße kann ohne Warnung geschlossen werden, steht in drei Sprachen auf einer Tafel am Wegesrand. Die Leute wissen, wie man Werbung macht, mich hatten sie schon bei eigene Gefahr.
Die Straße führt an einem Bach entlang bis zum Ufer eines kristallklaren Sees. Drinking Water steht auf einer Tafel. Ich folge dem Seeufer bis zu seinem Ende, wo die Straße einen Knick macht und nach oben in die Berge führt.
Höher und höher hinauf geht es, bis der Weg vor mir plötzlich in einem seltsamen Tunnel verschwindet. Construction Tunnel - use at own risk. Ich halte an und sehe mich um.
Das Portal ist mit Schaumstoffmatten verhüllt, die von einem Netz starker Drähte gehalten werden. Der Tunnel ist zwei Kilometer lang und eine Beleuchtung gibt es nicht. Ich mache ein Foto, stecke die Kamera weg und fahre ins Dunkle hinein.
Plötzlich endet der Asphalt und auf einer holperigen Piste geht es im Tunnel steil nach oben. Nach einem weiteren Kilometer taucht in der Ferne endlich Tageslicht auf und ich gebe Gas.
Auf der anderen Seite führt die Straße hinunter in ein Tal und gabelt sich bald darauf. Jeder Weg führt zu einem anderen Stausee. Aus ihnen beziehen die Norweger Trinkwasser und billige Energie. Die Seen sind so abgelegen, dass man extra diese Baustraße konstruiert hat, inklusive Abenteuertunnel, dramatischer Landschaft und grandioser Einsamkeit.
Totale Finsternis. So sehr ich die Augen auch anstrenge, ich sehe keinen Schimmer, nichts, nicht einmal die Ahnung von Licht, anders als draußen, wo selbst im tiefsten Wald mitten in der Nacht noch etwas Licht ist. Hier unten im Berg dagegen herrscht totale Finsternis
Es ist beklemmend. Ich lasse das Gefühl eine Weile auf mich wirken, bevor ich nach dem Zündschlüssel taste und den Motor wieder starte. Während die Maschine im Stand vor sich hinbollert, steige ich ab und gehe ein paar Schritte zurück im Tunnel, um ein Foto zu machen.
Die kleine Stadt hat 1600 Bewohner und der Hafen wird täglich von der Hurtigruten angelaufen. Die norwegische Wikipedia erwähnt, dass es in Ørnes verschiedene Geschäfte, ein Hotel, eine Apotheke und einen Vinmonopolet, einen Schnapsladen, gibt.
Der norwegische Staat hat das Monopol für den Verkauf von Wein, Spirituosen und Starkbier. Um in Norwegen Schnaps zu kaufen, muss man mindestens 20 Jahre alt sein. Nur Bier und Wein gibt es schon ab 18.
Ich brauche noch Lebensmittel für heute abend und für die Überfahrt zu den Lofoten. Um den Marktplatz herum gibt es mehrere Supermärkte. In welchem es wohl das beste Fleisch zu kaufen gibt? Ich habe keine Lust, alle abzuklappern und so frage ich einen Norger. Er zeigt auf das gelbe Coop Schild und führt mich sogar bis zum Eingang, so als ob ich den Weg allein nicht gefunden hätte.
Je weiter ich nach Norden komme, desto freundlicher werden die Menschen. Woran liegt das? Unterschiede in der Mentalität? Oder sind es die vielen Touristen im Süden? Ich weiß es nicht und beobachte weiter.
Auch das Angebot an Frischfleisch ist nicht mehr so propper, je weiter man nach Norden kommt. Die Auswahl wird kleiner, teurer und immer weniger verlockend. Ich entscheide mich erneut für Flintsteak, es ist billig, es ist fett und ich mag es. Dazu eine 0,3 l Dose Faxe, eine Schale Kartoffelsalat und einen Schokoriegel. Für die Überfahrt mit dem Schiff kaufe ich mir ein Paket Bauchrolle und ein Baguettebrötchen, das sich als ungenießbar pappig herausstellen wird, wenn ich es später aus der Plastiktüte nehmen werde, aber das kann ich jetzt noch nicht wissen, sonst würde ich es hierlassen.
Es ist gute skandinavische Sitte, jedes frische Brötchen sofort in Plastikfolie einzuwickeln. Sie schlagen damit zwei Fliegen mit einer Folie: Hygienische Verpackung und das Verhindern jedweder Knusprigkeit. Knusprig lecker ist hier verpönt. Dieselbe Erfahrung habe ich schon in Schweden gemacht.
Gerade verpacke ich meinen Einkauf im Tankrucksack, da kommt der Fire Chief auf mich zu. Ich erzähle ihm begeistert von der Fahrt aufs Glomfjordfjellet und bedanke mich für den guten Tipp. Wir setzen unsere Unterhaltung noch ein paar Minuten fort, bis ich mich verabschiede, weil ich weiter muss. Ich will auf keinen Fall das Schiff verpassen, das nächste fährt erst wieder um 01.30 Uhr nachts.
Auf einer Brücke überquere ich den Sund und stelle das Motorrad ab. Neben der Straße führt ein Fußweg über die Brücke, den ich entschlossen nach oben marschiere. Am höchsten Punkt, 41 Meter über dem Wasser, bleibe ich stehen und sehe hinunter. Die Strömung ist zu erkennen und auch einige Strudel, aber beides ist wenig beeindruckend. Ich habe einen schlechten Zeitpunkt erwischt, Stillwasser, wenn die Gezeiten umkehren und das Wasser für eine Weile still steht. Ich gehe zurück und fahre weiter.
Drei der fünf Wartespuren am Fähranleger sind schon besetzt und ich stelle mich in der vierten auf. Die Fähre zu den Lofoten liegt schon am Pier und drei Kassierer laufen die Reihen der Fahrzeuge ab und verkaufen Tickets für die Überfahrt. Die Kassierer tragen mobile Kartenterminals bei sich und ich kann den Fährpreis direkt vom Motorradsattel aus mit meiner VISA-Karte bezahlen. Wow, das ist wirklich modern. Zuhause in Deutschland gibt es noch immer Menschen, die überhaupt keine Kreditkarte besitzen.
Das Schiff ist nagelneu und so sieht auch das große, hell beleuchtete Deck aus, in das wir mit den Motorrädern im Pulk hineinfahren. Ich habe Pech, weil ich als letzte komme und keinen Spanngurt mehr abkriege, die Klapphelme haben alle verbraucht. Ich spreche einen Decksmatrosen an, der mir einen erstklassigen neuen Gurt bringt, der auch einen LKW fixieren könnte.
Während die Landegode aus dem Hafen hinaus auf die offene See läuft, packe ich mein Essen aus und baue es auf der schmalen Fensterbank auf. Ein schöner Platz für ein Picknick mit einem wunderbaren Blick aufs Meer.
Vier Stunden dauert die Überfahrt und als der letzte Bissen verzehrt, bzw. das Pappbrötchen im Müll verschwunden ist, rutsche ich ein Stück mit dem Dubs nach vorne, lehne den Kopf an und schließe die Augen.
Die Überfahrt dauert nur gefühlte zehn Minuten, denn ich verschlafe einen großen Teil und als ich wach werde, ist bereits Land in Sicht, die Lofoten.
Die Lofoten sind eine Inselgruppe im Atlantik ungefähr 100 bis 300 Kilometer nördlich des Polarkreises. Man kennt die typischen Aufnahmen roter Holzhütten mit Stockfisch im Hintergrund. Ich bin gespannt, ob ich das auch zu sehen bekomme.
Ich bin nicht neugierig, wie der schmeckt, denn mein Gourmet Erlebnis mit dieser besonderen Leckerei habe ich bereits hinter mir.
Nachdem der letzte Wagen an mir vorbeigefahren ist, reihe ich mich wieder hinten ein und tuckere als letztes Fahrzeug hinterher. Aber einmal, wenigstens einmal habe ich alle überholt und bin vorne gefahren. Überholverbote in Häfen sind was für Feiglinge, denke ich voller Verachtung.
Die Lofoten sind umwerfend fremd und schön, wie ein Konzentrat von Norwegen. Man entdeckt ein Motiv und ist im selben Moment schon daran vorbei.
Anhalten, wenden, vorbeifahren, erneut wenden und in Position parken. Kamera auspacken, Motiv kontrollieren, ach nein, doch nicht so gut, Hochspannungsleitung im Bild oder schlicht zu langweilig. Kamera einpacken und weiterfahren. Ein Mitreisender würde wahnsinnig werden.
Es ist 21 Uhr, als ich endlich Fredvang Camping erreiche. Der Platz liegt nur 29 km hinter der Fähre, aber ich habe so oft zum Staunen und Fotografieren angehalten, dass ich für die Strecke eine volle Stunde gebraucht habe.
Dafür ist der Typ in der Rezeption so kackig unfreundlich, dass mir fast die Hutschnur platzt, aber mehr als ein lautes: "You are not the most friendly guy on the planet, are you?", traue ich mich nicht, denn der Unfreundling ist ein Maori und sieht mich schon mit diesem typischen bösen Maoriblick an, als wolle er mich gleich auffressen.
Das Camp selbst ist ok. Es besteht aus einer großen Wiese und einem Waschhaus der 2-Sterne Kategorie. Leichter Nieselregen liegt in der Luft und als das Zelt steht und ich alles eingeräumt habe, bin ich völlig erledigt.
Es ist fast wie zu Hause im Bett, ich liege auf dem Rücken und nehme das Kindle zur Hand, um noch etwas zu lesen, aber heute bin ich zu müde und lege es schon nach wenigen Seiten wieder weg und mache die Augen zu.
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Das war ein langer, anstrengender Tag auf dem Motorrad, aber ich möchte keine Sekunde missen.