Das Abenteuer beginnt
Die Morgensonne scheint durchs Kabinenfenster in mein Gesicht und eine Amsel singt ihr wunderschönes Lied dazu. Welch ein herrlicher Morgen das ist. Svenja und Pieps, aufstehen!
Eilig ziehe ich meine Motorradsachen an und gehe hinunter in die Einkaufstraße. Jetzt entdecke ich das Geheimnis des schönen Morgens. Das Sonnenlicht stammt vom Beleuchter und die Amsel vom Band. Trotzdem, es funktioniert, die Morgenstimmung ist perfekt, dabei könnte es draußen auch schneien und man würde es nicht merken.
Mein Gehalt müsste heute auf dem Konto sein und ich bin gespannt, ob der Geldautomat an Bord darüber Bescheid weiß und mir norwegische Kronen auszahlt. Ich schiebe die EC-Karte in den Schlitz, tippe die PIN ein, reize den Automaten hoch bis auf 2.000 NOK und tippe KLAR, die norwegische Entsprechung für ENTER. Im selben Moment beginnt die Geldausgabe zu summen, dieses wunderbare hochfrequente Singen kurz bevor das Geld erscheint. Oh, ich liebe diesen Sound.
Es wird Zeit, die ersten Kronen gleich wieder auszugeben und so gönne ich mir noch einen Becher Kaffee. Er kostet 22 Kronen, ungefähr 3 Euro, aber dafür kosten die Refills nur noch 10 NOK. Der Kaffee ist stark und etwas bitter, den mag ich.
Es ist warm und ich stehe im T-Shirt auf dem Sonnendeck, dazu absolutes Premiumwetter und ein ganzer Monat Urlaub vor mir. Plötzlich spüre ich einen Kloß im Hals vor lauter Glück und Freude, am Leben zu sein und gesund und diese tolle Reise vor mir zu haben, dass mir heiße Tränen in die Augen steigen. Meine Güte, haben die Hormone mich weich gemacht.
Eine Viertelstunde bevor wir in Oslo einlaufen, gehe ich hinunter ins Fahrzeugdeck. Ich bin ein wenig spät dran, denn alle anderen Biker sind schon da und machen ihre Maschinen startklar. Das Losmachen der Gurte ist manchmal schwieriger als das Festmachen. Wenn man nicht genau weiß, wie man diese blöde Ratsche wieder aufkriegt, dann ist man aufgeschmissen. Mit Kraft allein kommt man nicht weit.
Ein großer kräftiger Typ hat Probleme, seine Honda XX frei zu bekommen. Zerren und Reißen hat er schon hinter sich, jetzt versucht er, den Gurt durch die Rasche zu pfriemeln. Völlig sinnlos, wie ich aus eigener leidvoller Erfahrung weiß.
"May I help you?", biete ich mit einem Lächeln an. Er dreht sich etwas überrascht zu mir um und sieht mich zweifelnd an, aber schließlich siegt Verzweifelung über Stolz, denn wir legen in wenigen Minuten an.
"You have to open the clutch all the way till its straigt and then pull back the break lever. Then you can loosen the rope."
"Doesn't work", erwidert er missmutig und tatsächlich, da tut sich gar nichts. Ich ziehe so stark ich nur kann, möglichst ohne eine rote Birne zu kriegen, bis sich ganz plötzlich mit einem kurzen Protestgeräusch die Gurtklemme löst und die Honda frei gibt. Puh, das war knapp an der Blamage vorbei. Sowas mach ich nicht noch mal.
"Einfach bisschen mit Kraft. Mal ne Scheibe Schwarzbrot mehr essen", füge ich auf Deutsch lachend hinzu, obwohl ich total erleichtert bin, dass ich mich nicht blamiert habe. Er bedankt sich säuerlich, während sein Kumpel mit der BMW sich das Grinsen kaum verkneifen kann.
Vorne werden die ersten Motoren gestartet und ich sehe zu, dass ich Greeny startklar bekomme. Während ich den Gurt löse und den Tankrucksack aufschnalle, unterhalte ich mich mit ein paar Jungs aus Leipzig, die gemeinsam jedes Jahr zum Angeln nach Norwegen fahren. Es sind vier echt nette Typen, die sich einen richtig coolen Kumpelurlaub gönnen. Es muss schön sein, so eine Gang zu haben.
Zügig fahre ich hinter den Anglern von der Fähre, als es auch schon wieder stockt. Wir stehen in zwei Reihen nebeneinander in der Abfertigungshalle des Zoll. Nichts rührt sich mehr und ich stelle den Motor ab.
Ungefähr alle Minute geht es ein paar Meter weiter und jedes Mal werden hunderte Motoren gestartet, um genau eine Fahrzeuglänge vorzufahren. Greeny ist so leicht, dass ich mit dem Fuß einfach ein Stück vorwärts rollern kann, ohne den Motor zu starten, aber es ist stickig warm und völlig windstill. Ich schwitze in den dicken Motorradsachen, denn natürlich trage ich auch mein Thermoshirt. Schwitzen, ich glaube, das hatte ich auf meinen Reisen noch nie, jedenfalls kann ich mich nicht erinnern.
Nach einer Dreiviertelstunde und einer inzwischen völlig genervten Svenja, erscheint der Grund der Verzögerung, eine hammerharte Zollkontrolle. Besonders die Angler mit den Styroporkisten werden genau unter die Lupe genommen. Am Rand stehen schon drei Fahrzeuge, die der Zoll herausgezogen hat. Auf dem Asphalt daneben Taschen und Koffer und die bedrippst dreinschauenden Insassen, die mir total leid tun. Die Leipziger waren schlauer und haben sich gleich in die Schlange "Something to declare" eingereiht. Sie werden nach kurzer Verhandlung einfach durchgewunken.
Endlich bin auch ich an der Reihe und werde völlig ignoriert. Keine Fragen, keine Kontrolle, kein Ausweis. Etwas beleidigt fahre ich an den Zöllnern vorbei nach Norwegen hinein. Nächstes Mal schmuggel ich was, irgend was! Nur so aus Rache und zum Ausgleich, auch wenn mir gerade nichts einfällt, das ich schmuggeln könnte. Ich rauche nicht und Schnaps mag ich auch nicht.
Vom Anleger geht es über einen Kreisverkehr direkt auf die 6-spurige Stadtautobahn. Na endlich, ich brauche dringend Fahrtwind zur Abkühlung, sonst kann ich schon heute abend die erste Packung "Rei in der Tube" öffnen.
Auch diesmal habe ich mir die ersten Kilometer nach der Fähre auf Google Streetview angesehen und genau eingeprägt. Das hat schon in Manningtree gut funktioniert und tatsächlich finde ich ohne Probleme durch Oslo und auch die Abfahrt nach Sandvika, wo ich mich auf die E16 Richtung Bergen einordne.
Schon bald bin ich aus dem Verkehr um Oslo heraus und staune, wie scharf abgegrenzt die Städte in Skandinavien sind. Den einen Moment ist man noch in der Innenstadt und im nächsten schon mitten in der Pampa. Das ist um Hamburg herum völlig anders, wo es diesen endlosen Speckgürtel gibt und man ewig braucht, bis man durch ist.
Hinter Hønefoss biege ich von der E16 auf die Rv7 ab und bin plötzlich völlig allein auf der Straße. Ich halte die Maschine im 6. Gang knapp unter 90 km/h und die Kawasaki gleitet auf den nagelneuen K60 Enduroreifen ruhig dahin.
200 km hinter Oslo wird es Zeit für eine Pause. In Gol führt die Strasse an einer Shell Station und einem Diner vorbei. 5,6 Liter passen in den Tank, das sind weniger als 3 Liter pro 100. Nicht schlecht. Zufrieden gehe ich in den Shop zum Bezahlen.
Es ist schon 14 Uhr und erst jetzt merke ich, wie hungrig ich bin, denn außer Kaffee hatte ich heute noch nichts. Das Essen im Shell Shop erscheint mir utopisch teuer. Ein dreieckiges Käsesandwich in einer Plastikschachtel kostet 59 Kronen, fast 8 €. Nein, dazu bin ich noch nicht verzweifelt genug.
Kurz darauf ist das Essen fertig. Die Pommes sehen ganz gut aus und schön schlecht abgetropft sind sie auch, aber die Portion ist ein gespielter Witz.
Knapp 25 Stangen ergibt die erste Zählung. Auf dem Beistelltisch mit den Servietten steht eine Schale Röstzwiebeln, womit ich die Portion ein wenig anfüttere, aber so richtig zum Sattwerden ist sie trotzdem nicht.
Ich teile die Miniportion mit Pieps.
"Guck mal, Pieps, ein fliegender Elefant."
"Wo? Wo denn, ich seh den nicht."
Zack, und wieder zwei geklaut. Bei Kindern klappt das immer. Trotzdem denke ich sehnsüchtig an die beiden Entrecotes hinten in meiner Endurojacke, aber bis es die gibt, liegen noch 150 km Straße, eine Stabkirche und eine Fähre vor mir.
Von Gol fahre ich auf der Rv52 weiter nach Norden. Hinter Hemsedal geht es unvermittelt in die Berge. Steil windet sich die Straße höher und höher, während es mit jeder Biegung kälter wird und die Vegetation spärlicher.
In Borgund finde ich die Kirche nicht und auch kein Hinweisschild darauf. Ich frage eine junge Frau, die gerade aus einem Laden kommt, wo denn die weltberühmte Borgund Stabkirche sei. Sie guckt mich an, als hätte ich nach dem Weg zum Mond gefragt, denn tatsächlich hat sie noch nie von diesem Bauwerk gehört. Ich bin ziemlich perplex.
Ein Stück weiter sehe ich eine ältere Frau, die einen Hund ausführt. In breitestem Sächsisch erklärt sie mir, dass sie Touristin sei, nicht von hier und von einer Stabkirche noch nie etwas gehört habe. Ich bin fassungslos. Die Leute lassen sich aus der ganzen Welt mit Reisebussen hierher karren, kommen aus China, Japan und den USA, um diese dämliche alte Kirche zu beglotzen, während die Einheimischen und deutsche Wohnmobilisten noch nie von ihr gehört haben. Was für Moronen! Dagegen bin ja selbst ich noch ein Stützpfeiler von Kultur und Bildung und das will was heißen.
Ich sehe die Reisebusse schon bevor ich die Kirche sehe. Sie ist wirklich winzig klein (Claudie, du hast aber nicht gesagt, dass sie SO klein ist). Auf den ersten Blick sieht sie für mich an diesem Ort völlig verkehrt aus. Mit ihren schwarzen Dächern und den Drachenköpfen wirkt sie wie ein asiatischer Tempel und doch wurde sie hier vor mehr als 800 Jahren von Wikingern gebaut und ist heute eines der ältesten Holzgebäude Europas. Ich bin total beeindruckt von dem dunklen, unheimlichen Gebäude und denke an eine andere Kirche, die ich letztes Jahr in Irland gesehen habe, das Galarus Oratory.
Von Borgund führt die Straße am Fluss entlang durch ein enges Tal. Eine tolle Motorradstrecke, auf der ich die erlaubten 80 km/h oft gar nicht brauche. Norwegen wäre auch mit einer 125er ein tolles Urlaubsland, denn mit 70 bis 90 ist man hier prima unterwegs.
Nach einer Stunde endet die Straße an meiner ersten Fjordfähre. Die Fjord 1 ist ein großes, flaches Schiff, das eher an ein Flussboot erinnert. Ich fahre auf den Anleger zu, gerade als die ersten Fahrzeuge an Bord rollen.
Ein Junge in High Visibility Clothing geht mit einem umgehängten Gebührenautomaten von Fahrzeug zu Fahrzeug und kassiert ab. Er hat sogar ein mobiles Kartenterminal dabei, an dem man mit VISA oder Mastercard zahlen kann. Ich fummele meine Geldklammer aus der Hosentasche und zahle mit einem 50 NOK Schein. Die Überfahrt kostet 49 NOK, ca. 6 €.
Wir legen sofort ab, obwohl das Deck noch halb leer ist. Die Strecke wird von zwei Schiffen bedient und wir treffen die andere Fähre ungefähr in der Mitte des Fjords. Die Überfahrt dauert nur eine Viertelstunde.
Neben einigen Dauercampern stehen nur wenige Wohnmobile auf dem Platz und ich habe eine riesige Auswahl allerbester Stellplätze. Ich suche eine Weile, bis ich den perfekten Platz gefunden habe. Direkt am Ufer stelle ich das Zelt auf eine 2 m hohe Felskante, so dass ich vom Bett aus einen tollen Blick auf den Sognefjord habe, der unglaubliche 1300 m tief ist.
Das Essen gibt mir endgültig den Rest und ich muss mich zwingen, noch abzuwaschen und zur Anmeldung zu gehen, um für die Nacht zu bezahlen. Kurz darauf liege ich schon im Schlafsack und kuschele mich in die Daunen. Gute Nacht, Welt.
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Das war ein schöner erster Urlaubstag. Kein einziges Mal musste ich die Regenkombi anziehen. Nur mit der Länge der Tagesetappe habe ich mich ein wenig vertan. Das war einfach zu weit heute.